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»Arisierungen« während der NS-Zeit und ihre justizielle Ahndung vor dem Volksgericht Wien 1945-1955. Voraussetzungen - Analyse - Auswirkungen



Das Thema der Arisierung und Enteignung von jüdischem Eigentum bildete im Österreich der Nachkriegszeit einen besonders neuralgischen Punkt. Zahlreiche Existenzen hier zu Lande basieren auf geraubtem Eigentum, und der Staat Österreich zeigte wenig Interesse daran, arisiertes Vermögen nach 1945 zurückzuerstatten. Durch das jahrzehntelange Unvermögen der Republik, den Diebstahl von jüdischem Eigentum aufzuarbeiten, besteht auch heute noch ein akuter Aufklärungsbedarf. Erst im Oktober 1998 wurde eine Historikerkommission mit der Erforschung des Komplexes der Vermögensentzüge auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS-Zeit sowie der Rückstellungen bzw. Entschädigungen nach 1945 beauftragt.
Die hier vorgestellte Diplomarbeit beleuchtet einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Themenkomplexes. Es wurde der Frage nachgegangen, ob und inwiefern die neu gegründete Zweite Republik Arisierungsverbrechen an Jüdinnen und Juden während der NS-Zeit strafrechtlich geahndet hat - das heißt, in welcher quantitativen, aber auch qualitativen Weise diese Verbrechen in der Zeit von 1945-1955 im Zuge der Volksgerichtsbarkeit (nur innerhalb dieses Zeitraumes waren Arisierungsverbrechen verfolgbar) justiziell verfolgt wurden. Aufgrund der diesbezüglich schlechten Quellenlage musste hierbei eine regionale Einschränkung erfolgen: Gegenstand der Untersuchung war ausschließlich die Volksgerichtsbarkeit am Landesgericht für Strafsachen in Wien (zuständig für Wien, Niederösterreich, Burgenland und das Mühlviertel). Das Volksgericht Wien hat diesbezüglich gesamtösterreichisch gesehen wohl die größte Bedeutung, da der Großteil aller Jüdinnen und Juden in und rund um Wien lebte, die meisten Arisierungsverbrechen daher in diesem Gebiet verübt wurden und ihre Ahndung nach 1945 auch hier stattfand.

In einem Leitartikel der Tageszeitung »Neues Österreich« im Juli 1945 spiegelt sich die öffentliche Meinung wider.
»Man erinnere sich« , so steht hier, »was nach dem Jahr 1938 geschah, als die Nazihorden, geführt von den Unkulturträgern aus dem Reiche, über Zehntausende Wiener Wohnungen herfielen. [...] Die ganze Hitlerbande schacherte und handelte mit alten Möbeln, Bildern und Teppichen [...] Und noch ein anderes Gemeinschaftsgut unserer Stadt wurde bei diesem Anlass schwer beschädigt: das Rechtsgefühl und die Moral«. Und weiter: »Zur Ehre der Wiener muss gesagt werden, dass sich der Großteil unserer Bevölkerung von den schmutzigen Bereicherungsmethoden ferne hielt...« Hier wird deutlich, wer für die Arisierungen während der NS-Zeit verantwortlich gezeichnet wurde: Die »Hitlerbande aus dem Reich«. Was war also in Anbetracht des vorherrschenden Meinungsklimas, welches lautete, dass die ehrenhaften Wiener ohnehin keine Ariseure waren, und einer Externalisierung der Schuld von einer ernsthaften justiziellen Aufarbeitung von Arisierungsverbrechen zu erwarten? Ausgehend von dieser Fragestellung und der These, dass der Verdrängung und Verharmlosung der NS-Vergangenheit auch von offizieller Seite ab einem bestimmten Zeitpunkt immer mehr Raum zugebilligt wurde und dies auf die Strafverfolgung allgemein bzw. auf die Ahndung von Arisierungsverbrechen Einfluss hatte, wurde die Frage nach der Wirksamkeit und dem Umfang der eingeleiteten Verfahren wegen Arisierungsverbrechen aufgeworfen und unter spezifischen Gesichtspunkten statistisch ausgewertet.

Für das Verständnis der justiziellen Verfolgung von Arisierungsverbrechen war es notwendig, einen historischen Rückblick auf den Arisierungsprozess während der NS-Zeit in Österreich zu geben. Auf die besondere Rolle, die einheimische »Volksgenossen« - sowohl im individuellen als auch im institutionellen Rahmen - bei der Durchführung der Arisierung eingenommen haben, wurde gesondert hingewiesen, zumal dieser Aspekt für die nachfolgende Untersuchung der justiziellen Verfolgung der einstigen Ariseure nach 1945 von besonderer Bedeutung war. Der Raubzug an jüdischem Eigentum nahm so große Ausmaße an, dass immer wieder neue Methoden und Institutionen zu seiner Durchführung eingerichtet wurden. Die »Entjudung« der österreichischen Wirtschaft vollzog sich im Vergleich zum Altreich wesentlich schneller und radikaler. Hier wurden innerhalb des Jahres 1938 viele Maßnahmen und Entwicklungen komprimiert, die sich im Altreich auf Jahre verteilten. Es kann daher von einem »Modell Österreich« ausgegangen werden.

Die Thematisierung des allumfassenden Arisierungsapparates behandelte unter anderem auch die Institution der »Verkaufsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo« - kurz Vugesta genannt -, ein österreichisches Spezifikum innerhalb der nationalsozialistischen Arisierungsbürokratie. Die Nazis bereicherten sich nicht nur an Wohnungen, Betrieben, Unternehmen, etc., sondern auch an Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen sowie an Hausrat und sogar Wäsche von ehemals jüdischen BesitzerInnen. Es handelte sich dabei vorerst um - von den Nazis so bezeichnetes - Umzugsgut von bereits emigrierten Jüdinnen und Juden, welches in Österreich bzw. durch den Beginn des Zweiten Weltkrieges in den Lifts diverser Verschiffungshäfen zurückgeblieben war. Als die Deportationen der Wiener Jüdinnen und Juden einsetzten, wurde auch deren Besitz beschlagnahmt und verwertet. Im Zuge der Darstellung der Vugesta als Arisierungsinstitution wurde deutlich, welchen Stellenwert die Volksgerichtsakten für die zeitgeschichtliche Forschung einnehmen. Denn auf welchem Wege die Beschlagnahmung, Arisierung und Verwertung der jüdischen Alltagsgebrauchsgegenstände vor sich ging, ließ sich aus der bisher vorliegenden Literatur nicht eindeutig feststellen. Franz Weisz und Herbert Rosenkranz haben in ihren Arbeiten die Vugesta zwar thematisiert, aber ihre Arbeitsweise nicht genau beschrieben. Um den in riesigem Umfang stattgefundenen Arisierungsvorgang durch die Vugesta aber dennoch rekonstruieren zu können, wurden Volksgerichtsverfahren gegen Beschäftigte und Verantwortliche der Vugesta als Quellen herangezogen und analysiert. Lange Zeit wurden diese Akten als Quelle für die NS-Zeit selten genutzt. Diese sind aber nicht nur Primärquelle für die Bewältigung der NS-Vergangenheit, sie stellen auch eine Sekundärquelle für die Zeit der NS-Herrschaft dar.

Die in den Vg-Verfahren hinterlassenen Materialien - wie Zeugenaussagen, Beweismaterialien, Gerichtsgutachten u. dgl. - geben Aufschluss über die Tätigkeit der Vugesta. Insgesamt bilden Vg-Verfahren für die Erforschung der Geschichte der Täter eine bedeutende Quelle.

Für die Zeit nach 1945 wurde im Rahmen der Diplomarbeit zunächst die Frage nach der materiellen »Wiedergutmachung« von arisiertem Besitz im Überblick erörtert. Neben einigen grundlegenden Aspekten und Überlegungen zum Thema der justiziellen Ahndung bzw. Entnazifizierung wurden auch die juristischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Volksgerichtsbarkeit vor dem Volksgericht Wien skizziert. Für eine Analyse der Nachkriegsgerichtsjustiz war es zudem wichtig, deren gesellschaftspolitischen Hintergrund mit einzubeziehen. Der empirische Teil dieser Arbeit bietet eine statistische Auswertung der eingeleiteten Volksgerichtsverfahren gegen Personen, die im Verdacht standen, sich an Arisierungen während der NS-Zeit beteiligt zu haben. Anhand von drei Fallbeispielen von Verfahren gegen Ariseure wurde festgesellt, wie Gesetze in die Realität umgesetzt und wie - unter Einbeziehung des gesellschaftlichen Klimas jener Zeit - mit Arisierungstätern umgegangen wurde. Den Abschluss dieser Arbeit bildete die Frage nach den Folgen und Auswirkungen der Strafverfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen im Allgemeinen und Arisierungsverbrechen im Speziellen - eine Frage, die bis in die Gegenwart führt.

Die statistische Auswertung der Volksgerichtsverfahren gegen AriserungstäterInnen basiert auf einer Datenbank über die Karteikartenregister der Wiener Volksgerichtsbarkeit, die im Rahmen eines - vom Verein zur Förderung justizgeschichtlicher Forschungen abgewickelten - Forschungsprojektes der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz (»EDV-Erfassung der Namenskartei zu den gerichtlichen Ermittlungsverfahren vor dem Volksgericht Wien [1945-1955]«) erstellt wurde.

Da der auf den Karteikarten vermerkte § 6 KVG ausschließlich den Tatbestand der missbräuchlichen Bereicherung - was mit dem Verbrechen der Arisierung weitgehend gleichgesetzt werden kann - benennt, konnte die folgende Auswertung erfolgen. Diese ersten Untersuchungen bilden nur einen Einstieg in diesen völlig unerforschten Themenbereich. Da diese Forschungen erst am Anfang stehen, war es nicht möglich, eine Gesamtauswertung vorzunehmen. Vorausschickend muss auch darauf hingewiesen werden, dass durch diese Auswertung keine eindeutigen Rückschlüsse auf die tatsächliche Zahl der Arisierungstäter während der NS-Zeit gezogen werden können, zumal nur gegen jene Ariseure eine gerichtliche Voruntersuchung eingeleitet wurde, gegen die eine diesbezügliche Anzeige erfolgte. Die Anzahl jener Ariseure, die in keiner Weise justiziell zur Verantwortung gezogen wurden, dürfte beträchtlich sein.

Der § 6 des Kriegsverbrechergesetzes umschreibt den Tatbestand der missbräuchlichen Bereicherung:
»Wer in der Absicht, sich oder anderen unverhältnismäßige Vermögensvorteile zuzuwenden, durch Ausnützung der nationalsozialistischen Machtergreifung oder überhaupt durch Ausnützung nationalsozialistischer Einrichtungen und Maßnahmen fremde Vermögensbestandsteile an sich gebracht oder anderen Personen zugeschoben oder sonst jemanden an seinem Vermögen Schaden zugefügt hat [...].«
Der § 6 KVG bestimmte, dass ausschließlich der Tatbestand einer missbräuchlichen Bereicherung strafbar war. Die alleinige Tatsache, in irgendeiner Form als Ariseur, Treuhänder, Abwickler etc. tätig gewesen zu sein, wurde nicht pönalisiert. Wenngleich Hand in Hand mit Arisierungen wohl auch sehr oft eine missbräuchliche, persönliche Bereicherung geschah, musste diese erst eindeutig nachgewiesen werden. Dieser Umstand dürfte wohl ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass zahlreiche Ariseure straffrei ausgingen oder aber Verfahren gegen sie vorzeitig eingestellt wurden.
Um eruieren zu können, in welchem Ausmaß das Volksgericht Wien mit Arisierungsverbrechen befasst war, wurde die Anzahl jener Personen, gegen die ein Volksgerichtsverfahren wegen missbräuchlicher Bereicherung eingeleitet wurde, in Relation zur Gesamtzahl an beschuldigten Personen vor dem Volksgericht Wien gesetzt:




Diagramm 1: Anzahl der wegen § 6 KVG beschuldigten Personen vor dem Volksgericht Wien 1945-1955 im Vergleich zur Gesamtzahl der Beschuldigten
Von insgesamt 38.674 Personen, gegen die mindestens ein Verfahren wegen eines NS-Verbrechens vor dem Volksgericht Wien eingeleitet wurde, waren 5.914 Personen, das sind 15,3 %, gegen die basierend auf dem § 6 KVG mindestens ein Untersuchungsverfahren geführt wurde. In Hinblick auf die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse über die Ahndung von Arisierungsverbrechen ergeben sich dadurch neue Aspekte: So nennt Karl Marschall für das Jahr 1947 den prozentuellen Anteil an Urteilen wegen missbräuchlicher Bereicherung vor allen vier Volksgerichten mit 2,2 % (das sind 82 von 3.793 Urteilen). Das bedeutet also, wenngleich man davon ausgehen kann, dass nur ein kleiner Teil der Verfahren wegen Arisierungsverbrechen tatsächlich mit Urteilen endete, die Volksgerichtsbarkeit dennoch in einem beträchtlichen Ausmaß mit diesem NS-Verbrechen beschäftigt war. Der größte Teil der Untersuchungsverfahren gegen mutmaßliche Ariseure dürfte allerdings vorzeitig eingestellt worden sein. Der hohe prozentuelle Anteil an Verfahren wegen missbräuchlicher Bereicherung war bislang nicht bekannt und weist auf das tatsächliche Ausmaß an Arisierungsverbrechen während der NS-Zeit hin.

Die Frage nach dem Zeitpunkt der Einleitung der gerichtlichen Voruntersuchungen gegen mutmaßliche Ariseure erscheint insofern interessant, als ab Jahr 1948/49 die Strafverfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen generell nachgelassen hat. Insgesamt wurden 7.304 Verfahren (inklusive Fortsetzungen, Einbeziehungen, Wiederaufnahmeverfahren) gegen 5.914 Personen aufgrund § 6 KVG vor dem Volksgericht Wien geführt:




Diagramm 2: Zeitliche Verteilung der wegen § 6 KVG geführten Verfahren vor dem Volksgericht Wien

Durch die Auswertung wurde deutlich, dass über 80 % aller Verfahren wegen Arisierungsverbrechen in den Jahren 1945-1948 eingeleitet wurden. Interessant erscheint aber auch die Tatsache, dass im Jahr 1955 die Täterverfolgung scheinbar wieder zunahm. Allerdings handelte es sich hierbei zumeist um Fortsetzungen von früher vorläufig eingestellten Verfahren bzw. um Wiederaufnahmeverfahren: Von den 194 im Jahr 1955 geführten Verfahren vor dem Volksgericht Wien wurden - wie aus den Karteikarten vorläufig ersichtlich wurde - 160 Verfahren als Fortsetzungen oder Wiederaufnahmeverfahren geführt. Diese kurzzeitige Intensivierung der geführten Verfahren deutet darauf hin, dass auch die Gerichte bestrebt waren, »die Sache« endlich abzuschließen und einen Schlussstrich unter die Verfolgung (nicht nur) von Arisierungstätern zu ziehen.




Diagramm 3: Zusammenhang von Verbrechen der missbräuchlichen Bereicherung mit Straftatbeständen des Verbotsgesetzes

Die Beantwortung der Frage, welcher Verbrechen sich mutmaßliche Arisierungstäter außerdem noch schuldig gemacht hatten, erscheint insofern wichtig, als sich dadurch Rückschlüsse auf die Arisierungstäter ziehen lassen bzw. mitunter auch deutlich wird, unter welchen Begleitumständen Arisierungen in der NS-Zeit vor sich gingen.

Von der Gesamtzahl an mutmaßlichen Arisierungstätern (5.914 Personen) wurden 1.812 Personen ausschließlich wegen § 6 KVG in ein Untersuchungsverfahren einbezogen. 4.102 Personen machten sich zudem noch mindestens eines weiteren Straftatbestandes schuldig.

Die Auswertung des Zusammenhangs von Arisierungsverbrechen mit Paragraphen des Verbotsgesetzes zeigt, dass ein großer Teil der Arisierungstäter, nämlich 31,4 % oder 1.857 Personen, als illegale Nationalsozialisten galten und daher auch nach § 10 VG vor das Volksgericht Wien gestellt wurden. Einem noch größeren Anteil der beschuldigten Arisierungstäter, nämlich 2.192 Personen oder 37,06 %, wurde der Tatbestand des § 11 VG vorgeworfen. Diese Personen hatten entweder in Verbindung mit ihrer nationalsozialistischen Betätigung Handlungen und Taten aus besonders verwerflicher Gesinnung begangen oder aber bestimmte höhere Funktionen innerhalb von NS-Organisationen innegehabt. Zählt man diejenigen hinzu, die nach dem Anschluss 1938 der NSDAP oder einer ihrer Organisationen beigetreten sind (wofür sie nach Kriegsende nicht strafverfolgt wurden), kann man davon ausgehen, dass das Gros der Arisierungstäter NSDAP-Mitglieder waren.

Die restlichen Straftatbestände des Verbotsgesetzes wie NS-Wiederbetätigung haben im Zusammenhang mit Arisierungsverbrechen weniger Bedeutung.




Diagramm 4: Zusammenhang von Verbrechen der missbräuchlichen Bereicherung mit anderen Straftatbeständen des Kriegsverbrechergesetzes

Die Auswertung des Zusammenhangs von Verbrechen der missbräuchlichen Bereicherung mit anderen Straftatbeständen des KVG weist darauf hin, dass zahlreiche Arisierungstäter, nämlich 21,15 % oder 1.252 Personen, auch die Verletzung der Menschenwürde und Menschlichkeit ihrer Opfer aus politischer Gehässigkeit oder unter Ausnützung dienstlicher oder sonstiger Gewalt (§ 4 KVG) begangen hatten. Auch der Straftatbestand der Quälereien und Misshandlungen (§ 3 KVG) geht in hohem Ausmaß Hand in Hand mit Arisierungsverbrechen: 15,08 % aller Beschuldigten oder 892 Personen wurden beschuldigt, einen Menschen in einen qualvollen Zustand versetzt oder empfindlich misshandelt zu haben. Gegen 15 % aller Arisierungstäter wurde zusätzlich auch wegen § 7 KVG - Denunziation - ermittelt. In zahlreichen Volksgerichtsverfahren gegen mutmaßliche Ariseure spielten zudem auch Straftatbestände nach dem österreichischen Strafgesetz (Diebstahl, Betrug, Erpressung, Raub, Missbrauch der Amtsgewalt) eine - wenngleich untergeordnete - Rolle.

Die Analyse der Untersuchungsverfahren gegen mutmaßliche Ariseure vor dem Volksgericht Wien in der Zeit von 1945 bis 1955 hat - wenngleich eine detaillierte Darstellung aller Verfahren samt deren Ausgang nicht möglich war - trotzdem eindeutige Ergebnisse erbracht: Es wurde deutlich, wann und in welchem Umfang die Verfahren gegen Ariseure geführt wurden und dass diesen im Klima der zunehmenden Verdrängung und Bagatellisierung der NS-Verbrechen immer weniger Bedeutung eingeräumt wurde. Es konnten zudem einige Erkenntnisse über die mutmaßlichen Ariseure erzielt werden. Sie nützten zu einem beträchtlichen Teil als deklarierte Nazis bewusst und oft in Verbindung mit Gewalttätigkeit, Drohung und unter Ausnutzung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft die extreme Zwangslage von jüdischen MitbürgerInnen, um sich an deren Vermögen und Eigentum zu bereichern. Nur ein kleiner Bruchteil der Arisierungsverbrechen wurde gerichtlich geahndet, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Tatbestand der vorsätzlichen mussbräuchlichen Bereicherung eindeutig nachgewiesen werden musste. Zudem wurde die Tatsache, Ariseur gewesen zu sein, in der Öffentlichkeit zusehends als Kavaliersdelikt angesehen und mit Hilfe von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsmustern (»die Juden waren selber daran Schuld, dass man ihnen alles wegnahm«) bagatellisiert. Besonders tragisch und bis heute (er-)klärungsbedürftig ist der Umgang der Tätergesellschaft in der neuen Republik mit den einstigen Opfern - auch in nichtmaterieller Hinsicht. Das Gros der ÖsterreicherInnen hatte sich nach dem Vorbild ihrer meinungsbildenden Eliten mit den Nazis und Ariseuren versöhnt. Diese Versöhnung zwischen Tätern und Zuschauern - denn die Opfer wurden (tot-)geschwiegen - mündete in einen auf Verdrängung und Verleugnung basierenden inneren Frieden. Anton Pelinka hat wohl recht, wenn er behauptet, dass die gesellschaftlichen und politischen Folgen dieser »Nicht-Politik« bis heute erkennbar sind.Hand in Hand mit der unzureichend erfolgten materiellen Wiedergutmachung von Arisierungen dürfte also auch eine nicht ernsthaft genug betriebene justizielle Auseinandersetzung mit Ariseuren gegangen sein. Wie schon erwähnt, sind die hier aufgezeigten Ergebnisse allerdings nur ein erster Ergebnisschritt. Zur Untermauerung dieser These bedarf es neben einer vollständigen Auswertung der ergangenen Urteile auch noch eines intensiven Aktenstudiums, zumal sich aus den vorhandenen Prozessakten auch der Umgang mit den jüdischen Opfern erkennen lässt.


von: Sabine Loitfellner

erschienen in:
"Justiz und Erinnerung" Nr.4
(Mai 2001)