Ankündigung des Symposions
"Bestien" und "Befehlsempfänger".
NS-Prozesse und ihre öffentliche Resonanz aus geschlechtergeschichtlicher
Perspektive
Berlin, 9. bis 11. Mai 2002
Galerie der Heinrich-Böll-Stiftung
Tagungshaus Schwanenwerder
Die Geschlechterforschung hat sich in den letzten Jahren zwar
mit der Frage beschäftigt, wie Frauen zu Täterinnen im NS wurden,
aber eine systematische Untersuchung ihres Auftretens in den Gerichtsprozessen
der Nachkriegszeit steht noch aus. Die mehrheitlich männlichen Angeklagten
sind dagegen so gut wie noch nie aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive
analysiert worden. Das Symposion will dazu einen Anstoß geben.
Die leitenden Fragen sind: Was wird Männern und was wird
Frauen in den Nachkriegsprozessen zur Last gelegt? Inwieweit beruhen Anklagen,
Aussagen von Zeuginnen und Zeugen, Schilderungen der Angeklagten in den Medien
sowie li-terarische Täter- und Täterinnenbilder auf Geschlechtsstereotypen?
Warum löst es regelmäßig besonderes Entsetzen aus, wenn Frauen
Kapitalverbrechen begehen? Wie kommt es, daß in solchen Fällen
immer wieder der langlebige Topos bemüht wird, wonach Frauen, wenn sie
denn erst einmal die für ihr Geschlecht verbindlichen Regeln der Sittlichkeit
und Gewaltfreiheit überschreiten, mit besonders sa-distischer Grausamkeit
zu Werke gehen? Offenbar liegen für Frauen sofort diverse Schreckbilder
bereit - die Hexe, die Bestie oder Hyäne, die Kokotte oder Femme Fatale,
die hemmungslos Ehrgeizige, die den naiven Mann zu Schandtaten anstachelt
etc. Hat von Männern ausgeübte Grausamkeit die Phantasie weniger
beflügelt? Auch die Verteidigungsstrategien der Angeklagten sollen auf
Geschlechterbilder hin hinterfragt werden: Warum hielten es so viele Männer
für erfolgversprechend, sich als bloße Befehlsempfänger, Bürokraten
und "Rädchen im Getriebe" darzustellen? Immerhin läuft
eine solche Selbstdarstellung gängigen Männlichkeitsidealen zuwider.
Lassen sich äquivalente Selbststilisierungen bei weiblichen Angeklagten
und ihren Verteidigern finden? Und wenn ja, entwickelten sie vor Gericht oder
in der Presse Überzeugungskraft?
Tagungsprogramm
Donnerstag, 09. Mai 2002
Ort: Galerie Heinrich-Böll-Stiftung
15 Uhr
Begrüßung: Marianne Zepp, Heinrich-Böll-Stiftung
Einführung in das Thema: Dr. Ulrike Weckel und PD Dr. Edgar Wolfrum
15.45 Uhr
Dr. Susanne von Paczensky, Berkely: "Der Nürnberger Prozeß
in seiner sozialen Umgebung. Ein Erfahrungsbericht"
Diskussion
16.30 Uhr
Prof. Dr. Irmela von der Lühe, Göttingen: "Erika Manns Nürnberger
Reportagen"
Diskussion
18.00
Empfang
19.30 Uhr
Filmvorführung: "Zeugin aus der Hölle" (BRD/Jugoslawien
1965/67)
Einführung: Claudia Dillmann, Frankfurt/M.
Zum Film: Staatsanwalt Hoffmann von der Zentralstelle zur Aufklärung
nationalsozialistischer Verbrechen Ludwigsburg besucht in Belgrad Lea Weiss.
Sie soll in einem Prozeß gegen einen KZ-Arzt aussagen. Aber alle Versuche,
Lea Weiss als Zeugin zu gewinnen, sind vergeblich. Zu groß ist die Scham
des Opfers, im Gegensatz zum notorisch guten Gewissen der Täter. Der
Spielfilm reagiert in zahlreichen Details auf den in Frankfurt/ Main 1964-1965
stattfindenden Auschwitz-Prozeß.
Freitag, 10. Mai 2002
(Teilnahme nach Anmeldung)
Ort: Haus Schwanenwerder/Adam-von-Trott-Haus
9.00 Uhr
Ingrid Müller-Münch, Frankfurt/M.: "Die Frauen von Majdanek"
10.00 Uhr
Sabine Horn, Bremen: "Die Fernsehberichterstattung über den Majdanek-Prozess
aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive"
Diskussion
Leitung PD Dr. Edgar Wolfrum, Darmstadt
10.45
Kaffeepause
11.00 Uhr
Anneke de Rudder, Berlin: "'Ein Prozeß der Männer': Geschlechterbilder
in der Berichterstattung zum Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß"
Diskussion
11.30 Uhr
Christine Bartlitz, Berlin:
"Von gewöhnlichen Ganoven und erbärmlichen Kreaturen - Die
Berichterstattung des Berliner Rundfunks über die Angeklagten im Nürnberger
Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46"
Diskussion
Leitung Dr. Ulrike Weckel, Berlin
12.30
Mittagspause
14.00 Uhr
Dr. Andreas Eichmüller, München: "Die Verfolgung von NS-Verbrechen
durch westdeutsche Justizbehörden seit 1945 - Ein Projekt des Instituts
für Zeitgeschichte"
14.30 Uhr
Dr. Gudrun Schwarz, Hamburg:
"Angeklagte SS-Frauen - Ein Projekt des Hamburger Instituts für
Sozialforschung"
Diskussion
Leitung PD Dr. Dirk van Laak, Jena
15.30 Uhr
Pause
15.45 - 18.45 Uhr
Workshop (15minütige Kurzvorträge)
Dr. Isabel Richter, Bochum:
"Mildernde Umstände? Frauen in politischen Gerichtsprozessen der
Weimarer Republik und des Nationalsozialismus"
Dr. Kathrin Meyer, Berlin: "'Die Frau ist der Frieden der
Welt'. Die Spruchkammerentscheidungen gegen Frauen in Entnazifizierungsverfahren
zwischen Dämonisierung und Verharmlosung"
Dr. Habbo Knoch, Göttingen: " Imaginationen des Bösen.
Holocaust-Fotografien und
Täterrepräsentationen in Deutschland nach 1945"
Anette Kretzer, Hamburg: "'Angel' oder 'Devil'? Hauptkriegsverbrecherinnen
in den Hamburger Ravensbrück-Prozessen 1946-1948. Die strafrechtliche
Rekonstruktion 'weiblicher' NS-Täterschaft und ihre Repräsentation
im Diskurs um Schuld und Verantwortung"
Diskussion
Leitung Dr. Insa Eschebach, Berlin
Prof. Dr. Hellmuth Peitsch, Cardiff:
"Zu Horst Krüger 'Das zerbrochene Haus. Eine Jugend in Deutschland'"
Dr. Simone Barck, Berlin:
"'Was gehen uns die Seelenkämpfe solcher Bestien an?' Diskurse um
Täter und Opfer in den 50er und 60er Jahren"
Diskussion
Leitung Dr. Susanne zur Nieden, Berlin
19.00 Uhr
Gemeinsames Abendessen
Samstag, 11. Mai 2002
(Teilnahme nach Anmeldung)
Ort: Haus Schwanenwerder/Adam-von-Trott-Haus
Übergreifende Zusammenhänge und Vergleiche
9.00 Uhr
Prof. Dr. Christina von Braun, Berlin: "Zur Erotisierung des Feindbildes
NS-Frau einerseits und erotischen Komponenten politischer Schauprozesse andererseits"
9.30 Uhr
Dr. Regula Ludi, Bern/Harvard: "Carmen Mory - Wahrnehmungen der zum Tode
verurteilten Schweizer Doppelagentin"
10.00 Uhr
Dr. Gesine Krüger, Hannover: "Die Wahrheitskommission in Südafrika
und die Geschlechterproblematik"
Diskussion
12.30 Uhr
Mittagessen, danach Abreise
Teilnahmebeitrag:
40 EUR (ohne Übernachtung) / Übernachtungsmöglichkeiten stehen
nach Rückfrage begrenzt zur Verfügung. 25 EUR (ohne Übernachtung)
ermäßigt.
Den Tagungsbeitrag erbitten wir zu Beginn der Veranstaltung (bar/Scheck).
Veranstaltungsorte/Anreise:
09.05.: Galerie der Heinrich-Böll-Stiftung, Hackesche Höfe, Aufgang
1, 5.Etage, Rosenthaler Str. 40/41, 10178 Berlin
10. und 11.05.:
Haus Schwanenwerder/Adam-von-Trott-Haus, Inselstr. 27-28, 14129 Berlin (Nikolassee)
Anreise mit PKW: Autobahn 115 (AVUS), Ausfahrt Spanische Allee, Wannseebadweg,
Inselstraße
Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln:
S7 oder S1 bis S-Bahnhof Nikolassee. Am Freitag- und Samstagmorgen (8.-9.00
Uhr) und nach Veranstaltungsende (Fr. 18.45 Uhr und Sa. 13.30 Uhr) wird ein
kostenloser Pendelverkehr zum und vom Tagungshaus angeboten.
------------------------------------------------------------------------
Anmeldung: Anmeldung per Brief, Fax, Email an: Heinrich-Böll-Stiftung
e.V., Michael Stognienko, Rosenthaler Straße 40/41, Fax 030-28534-108,
Email: stognienko@boell.de
|