Die "Eisenbahn-Paragraphen" des alten österreichischen Strafgesetzes:
§§ 85, 87, 89 StG
(gültig bis 31.12.1974)
Das österreichische Strafgesetz von 1852, das in
allen bis einschließlich 1974 geführten Gerichtsverfahren zur Anwendung
kam, listete zahlreiche strafbare Tatbestände auf, die in der Delikt-Gruppe
"öffentliche Gewalttätigkeit"
(§§ 76 bis 100 StG) beschrieben wurden.
Gemäß § 85 ff. StG
zählte dazu u. a. auch die Vernachlässigung von Verpflichtungen
im Rahmen des "Betriebes von Eisenbahnen unter besonders gefährlichen
Verhältnissen". Falls der Täter vorhersehen konnte, dass dabei
Menschen getötet würden, sah das Gesetz die Verhängung der
Todesstrafe (bzw., nach Abschaffung der Todesstrafe, lebenslänglich)
vor.
Die für die nachfolgenden Paragraphen maßgeblichen "Erschwerungsumstände"
werden in § 86 StG so
definiert:
"Wenn aber aus der Beschädigung wirklich ein Unfall
[...] entstanden, so sollen die Schuldigen [...] bei besonders erschwerenden
Umständen mit lebenslangem schwerem Kerker bestraft werden. Hatte endlich
eine solche Beschädigung den Tod eines Menschen zur Folge und
konnte dieses vom Täter hervorgesehen werden, so soll derselbe
mit dem Tode bestraft werden."
Durch die Anwendung dieser so genannten "Eisenbahn-Paragraphen"
versuchten österreichische Staatsanwälte, Mitwirkende an der Organisierung
des Holocaust (z.B. den Transportoffizier Adolf Eichmanns, Franz Novak) wenigstens
für die Art, in der die Transporte in die Vernichtungslager durchgeführt
wurden, vor Gericht stellen. Bezüglich der Mitverantwortung an den Massenmorden
selbst fielen die den Beschuldigten zur Last gelegten Verbrechen unter das -
als bereits verjährte - Delikt der "entfernten Mitschuld am Mord"
(§ 137 StG).
Die Paragraphen der Delikt-Gruppe "öffentliche Gewalttätigkeit"
waren auch für die Ahndung der nationalsoizialistischen Wiederbetätigung
von Bedeutung (boshafte Beschädigung fremden Eigentums, boshafte Handlungen
oder Unterlassungen unter besonders gefährlichen Verhältnissen und
boshafte Beschädigungen oder Störungen am Staatstelegraphen):
§ 85 StG
Fünfter Fall. Andere
boshafte Beschädigungen eines fremden Eigentums sind als Verbrechen der
öffentlichen Gewalttätiogkeit anzusehen, wenn entweder
a) der Schade, welcher entstanden, oder in dem Vorsatze des Täters gelegen
ist, 500 S [Stand 1947; später an die
Inflation angepasst] übersteigt, oder wenn,
ohne Rücksicht auf die Größe des Schadens,
b) daraus eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit, körperliche
Sicherheit von Menschen oder in größerer Ausdehnung für fremdes
Eigentum entstehen kann; oder
c) die boshafte Beschädigung an Eisenbahnen, diese mögen mit oder
ohne Dampfkraft betrieben werden, oder an den dazu gehörigen Anlagen,
Beförderungsmitteln , Maschinen, Gerätschaften oder anderen zum
Betriebe derselben dienenden Gegenständen, oder an Dampfschiffen, Dampfmaschinen,
Dampfkesseln, Wasserwerken, Brücken, Vorrichtungen in bergwerken oder
überhaupt unter besonders gefährlichen Verhältnissen verübt
worden ist.
§ 86 StG
Die Strafe dieses Verbrechens ist im Falle der lit. a) des vorherigen Paragraphen
schwerer Kerker von sechs Monaten bis zu einem Jahre; im Falle der lit. b)
und c) aber schwerer Kerker von einem bis zu fünf und nach Größe
der Bosheit und Gefahr auch bis zu zehn Jahren.
Wenn aber aus der Beschädigung wirklich ein Unfall für die Gesundheit,
körperliche Sicherheit, oder in größerer Ausdehnung für
das Eigentum anderer entstanden, so sollen die Schuldigen mit schwerem Kerker
von zehn bis zwanzig Jahren, bei besonders erschwerenden Umständen mit
lebenslangem schwerem Kerker bestraft werden. Hatte endlich eine solche Beschädigung
des Tod eines Menschen zur Folge und konnte dieses vom Täter hervorgesehen
werden, so soll derselbe mit dem Tode bestraft werden.
§ 87 StG
Sechster Fall. Eben dieses
Verbrechens macht sich auch derjenige schuldig, welcher durch was immer für
eine aus Bosheit unternommene Handlung oder durch die geflissentliche Außerachtlassung
der ihm bei dem Betriebe von Eisenbahnen oder von den in den § 85, lit.
c), bezeichneten Werken oder Unternehmungen obliegenden Verpflichtungen eine
der in § 85, lit. b), bezeichneten Gefahren herbeiführt.
§ 88 StG
Die Strafe dieses Verbrechens ist schwerer Kerker von einem bis fünf
Jahren, nach der Größe der Bosheit und Gefahr auch bis zu zehn
Jahren. - Tritt jedoch einer der in § 86 erwähnten weiteren Erschwerungsumstände
ein, so sind die hierfür ebenda festgesetzten höheren Strafen in
Anwendung zu bringen.
§ 89 StG
Siebenter Fall.
Boshafte Beschädigungen irgend eines bestandteiles des Staatstelegraphen
und jede absichtliche Störung des Betriebes dieser Staatsanstalt
[1949 vereinfach zu: "seines Betriebes"] sind,
ohne Rücksicht auf den Betrag des Schadens, als Verbrechen der öffentlichen
Gewalttätigkeit mit schwerem Kerker von sechs Monaten bis zu einem Jahre
und bei besonders wichtigem Schaden oder besonderer Bosheit bis
zu fünf Jahren zu bestrafen.
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