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Das Nationalsozialistengesetz 1947
Weiterentwicklung von Verbotsgesetz und Kriegsverbrechergesetz zum NSG 1947

Das Verbots- und Kriegsverbrechergesetz (KVG, VG) waren Bestandteil des 1947 zur "endgültigen Bereinigung des Naziproblems" erlassenen Nationalsozialistengesetzes.

Die am 8. Mai bzw. 26. Juni von der Provisorischen Regierung verkündeten Gesetze KVG und VG sind bis Ende 1945 mehrfach novelliert worden. Die Tatsache, dass die Provisorische Regierung - und damit auch das (Wiener) Volksgericht - vorerst nur von der sowjetischen Besatzungsmacht anerkannt war erschwerte die Arbeit der Justiz erheblich. Hinzu kamen noch Probleme bei der praktischen Durchführung des Verbotsgesetzes, denn es machten viel zu viele Personen von den im Verbotsgesetz vorgesehenen Ausnahmebestimmungen in Form von so genannten "Persilscheinen", die ihnen jene Parteien ausstellten, die das Verbotsgesetz beschlossen haben, Gebrauch. Außerdem war das Strafausmaß bei manchen Delikten (wie z. B. der Illegalität) sehr hoch angesetzt. Nicht zuletzt wurde auch von den Alliierten nach der Anerkennung der Provisorischen Regierung am 20. Oktober 1945 Druck ausgeübt, die Entnazifizierung - zu der auch die Volksgerichtsbarkeit gehörte - gesamtösterreichisch durchzuführen und zu einem Ende zu bringen. Zu diesem Zweck wurde bei den drei Länderkonferenzen im September/Oktober 1945 in Wien eine Juridische Kommission gegründet, die intensive Diskussionen in diese Richtung führte.
Im Zuge von Parteienverhandlungen in den darauffolgenden Monaten wurde die Grundlage für ein vom Nationalrat zu erlassendes "Gesetz zur Entnazifizierung" erarbeitet, das eine einheitliche und dauernd Lösung des "Nationalsozialistenproblems" bringen sollte. Diese Drei-Parteien-Vereinbarung über die "abschließende Bereinigung des Nationalsozialistenproblems" wurde am 30. März 1946 als "Grundsätze der Entnazifizierung aufgrund der Parteienverhandlung zwischen ÖVP, SPÖ und KPÖ" veröffentlicht und der Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes über die "Behandlung von Nationalsozialisten" vorbereitet. Wesentlicher Bestandteil war die Unterscheidung in Personen, die einer Bestrafung unterlagen (Kriegsverbrecher und bedingt Illegale) und sühnepflichtige Personen (unterteilt in Belastete und Minderbelastete) also die Unterscheidung in Strafe und Sühne. Nach der Billigung im Ministerrat wurde der Entwurf im Nationalrat eingebracht, der die Regierungsvorlage dem Hauptausschuss zuwies. In über mehrere Wochen sich hinziehenden und zum Zwecke neuerlicher Parteienbesprechungen unterbrochenen Beratungen nahm der Hauptausschuss an der Regierungsvorlage wesentliche Veränderungen vor und stellte in der abschließenden Sitzung vom 19. Juli 1946 den einstimmigen Antrag, der Nationalrat wolle dem Gesetzesentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen. Dieser nahm in der Folge an dem vom Hauptausschuss beschlossenen Entwurf einige Änderungen vor und erhob ihn in seiner Sitzung am 24. Juli 1946 einstimmig zum Gesetzesbeschluss. Auch der Bundesrat stimmte einhellig dafür. Nationalratsabgeordneter Dr. Migsch von der SPÖ - Berichterstatter des Hauptausschusses - fasste die Ziele des Gesetzesentwurfes folgendermaßen zusammen:

"Schutz und Sicherung der demokratisch-freiheitlichen Entwicklung, Vernichtung der gesellschaftlichen Machtstellung des Nationalsozialismus, Aufspaltung der nationalsozialistischen Parteimitgliedschaft in Belastete und Minderbelastete und die endgültige Festsetzung der Sühnefolgen."
(Wiener Zeitung, 24. Juli 1946, S. 1 ("Endgültige Lösung des Naziproblems")

Allerdings musste im Hinblick auf den verfassungsgesetzlichen Charakter des Gesetzesentwurfes vor der Kundmachung die Zustimmung des Alliierten Rates für Österreich im Sinne des zwischen den vier Besatzungsmächten abgeschlossenen Abkommens über den Kontrollapparat in Österreich vom 28. Juni 1946 eingeholt werden. In seiner Sitzung vom 13. Dezember 1946 genehmigte der Alliierte Rat den Gesetzesbeschluss, jedoch verknüpft mit der Bedingung, 50 Änderungen und Ergänzungen des Alliierten Rates zu übernehmen. Diese waren u. a.. die Erweiterung des Kreises der registrierungspflichtigen Personen sowie des Kreises der belasteten Personen durch Einbeziehung von Gestapo- und SD-Angehörige und der Verfasser nationalsozialistischer Druckwerken und Wirtschaftskollaborateure, die Erweiterung des Kreise der gerichtlich zu verfolgenden Nationalsozialisten, die Änderung des Kreises der von den Sühnefolgen befreiten Personen sowie die Erweiterung der Sühnefolgen für belastete und minderbelastete Personen. Zudem wurde die Anhaltung von NationalsozialistInnen in eigenen Lagern vorgesehen. Insbesondere gegen diese Bestimmung wurde sowohl vom sozialdemokratischen Vizekanzler Adolf Schärf als auch in Zeitungsartikeln protestiert (Siehe: Burgenländische Freiheit, 26. Jänner 1947, S. 1, "Österreich in der Weltpolitik"; Wiener Zeitung, 7. Februar 1947, S. 1, "Nationalsozialistengesetz beschlossen"). Die ÖVP stellte in einer programmatischen Schrift dazu fest, "dass die Liquidierung der so genannten "Nazifrage eine rein innerösterreichische Angelegenheit" sei, und Österreich bereits 1933 bis 1938 bewiesen habe, "dass es mit nationalsozialistischen Umtrieben fertig zu werden versteht" (Kasamas, 100).

Die Änderungen der Alliierten machten aber eine neuerliche parlamentarische Behandlung des Nationalsozialistengesetzes erforderlich. Die Regierungsvorlage wurde am 5. Februar 1947 im Nationalrat eingebracht und Tags darauf - nach heftigen Debatten - einstimmig zum Gesetzesbeschluss erhoben (Bundesverfassungsgesetz vom 6. Februar 1947, über die Behandlung von Nationalsozialisten (Nationalsozialistengesetz), BGBl. Nr. 25/47). Für Dieter Stiefel lag der Grund für die schlussendlich einhellige Zustimmung darin, das es der Österreichischen Bundesregierung eigentlich nicht mehr so sehr um die Lösung der "Nazifrage" ging, sondern vielmehr um den Abschluss der Entnazifizierung, um endlich zu einem Friedensvertrag zu kommen (Stiefel, 111f). Der Wiener Staatsanwalt Dr. Wolfgang Lassmann sagte dazu in einem Vortrag bei einer Sitzung der Wiener Juristischen Gesellschaft im November 1947, dass die österreichische Bundesregierung die von den Alliierten geforderten verschärften Bestimmungen in das Nationalsozialistengesetz deshalb aufgenommen hatte, weil sie sich damit "ein Junktim mit dem Abschluss des Staatsvertrages erhoffte" (Lassmann, 13).
Nach der Zustimmung des Bundesrates trat das Gesetz am 17. Februar 1947 in Kraft. Wichtige Bestandteile waren die Novellierungen des Verbots- und Kriegsverbrechergesetzes. Die einschneidendste Änderung gegenüber dem Verbotsgesetz in seiner ursprünglichen Form betraf die Abgrenzung des Personenkreises, für den das Gesetz seine Anwendung finden sollte. Anstelle formaler Gesichtspunkte (wie vor allem das Datum des Eintrittes in die Partei - vgl. dazu § 4 VG) wurde das Ausmaß der Aktivität in der NSDAP in den Vordergrund gerückt. So wurde einerseits der als registrierungspflichtig geltende Personenkreis erweitert durch Angehörige des NS-Soldatenringes und des NS-Offiziersbundes, Funktionäre einer Gliederung, Organisation oder einem sonstigen angeschlossenen Verband von dem einem Ortsgruppenleiter der NSDAP entsprechenden Rang aufwärts, Angehörige der Gestapo oder des SD, VerfasserInnen von Druckschriften aller Art und Filmdrehbüchern, sofern sie von einer Kommission des Unterrichtsministeriums für verboten erklärt wurden, sowie "Kollaboranten" (z. B. Leiter von Industrie-, Banken- oder Wirtschaftsunternehmungen), die in irgendeiner Weise das NS-Regime unterstützt hatten. Andererseits wurde innerhalb der Wehrverbände NSKK und NSFK der Kreis der Registrierungspflichtigen eingeschränkt. Der Personenkreis der nun mehr von der Verzeichnung befreit war wurde erheblich erweitert (es wurden 6 Kategorien von Nicht-Registrierungspflichtigen festgelegt, abgesehen davon gab es aber nunmehr keine Möglichkeit der individuellen Befreiung). So waren beispielsweise SS-Bewerber nun nicht mehr registrierungspflichtig, ebensowenig wie ParteianwärterInnen, die aus "politischen Gründen" nicht in die NSDAP aufgenommen wurden, Parteimitglieder, Angehörige der SA (nicht aber der SS) und ParteianwärterInnen, die zu einem bestimmten Stichtag aus "politischen Gründen" aus der Partei ausgeschlossen worden waren, Parteimitglieder- oder -anwärterInnen, die "aus politischen Gründen" in mindestens einmonatiger Haft waren oder andere "größere Schädigungen" erlitten hatten, soferne sie sich nicht später im Sinne der NSDAP betätigt hatten, Personen, die in einer alliierten Armee gekämpft hatten.
Die registrierungspflichtigen Personen wurden in Belastete und Minderbelastete eingeteilt. Maßgeblich war ihre Aktivität (Belastete), die sie von den Mitläufern (Minderbelastete) unterschied. Alle waren - bis auf wenige Ausnahmen - sühnepflichtig, die Belasteten dauernd oder zumindest für längere Zeit, die Minderbelasteten zeitlich beschränkt. Die Sühnepflicht erstreckte sich auf steuerrechtliche Folgen, Existenz- und Berufsfolgen, politische und personelle Folgen sowie Folgen für Wohnung und Wohnungseinrichtung. Mit dem NSG erhielten die Minderbelasteten ab sofort das aktive Wahlrecht in die gesetzgebenden Gebietskörperschaften, vom passiven Wahlrecht und vom Amt der Geschworenen und Schöffen blieben sie bis zum 30. April 1950 ausgeschlossen. Diese Frist wurde aber mit dem Bundesverfassungsgesetz vom 21. April 1948, über die vorzeitige Beendigung der im Nationalsozialistengesetz vorgesehenen Sühnefolgen für minderbelastete Personen (AmnestieG.), BGBl. Nr. 99/48, verkürzt.
Die im alten VG angeführten Strafsanktionen betreffend Handlungen vor dem Anschluss 1938 wurden nunmehr dahingehend abgeändert, als nun nicht mehr die Zugehörigkeit zur NSDAP zwischen 1. 7. 1933 und 13. 3. 1938 an sich das Verbrechen des Hochverrates und die Strafwürdigkeit begründete, sondern die Betätigung. "Also nicht der Illegale schlechthin gilt als Hochverräter, sondern der Aktive, der, ob er formell in der Verbotszeit der NSDAP angehörte oder nicht, irgendwelche Handlungen zur Förderung der Bewegung begangen hat." (Haydn, 29) Das Recht, Ausnahmen von der Behandlung nach Bestimmungen des Verbotsgesetzes bzw. von Sühnefolgen zu bewilligen stand nun nicht mehr der Staats-, bzw. der Bundesregierung zu, sondern auf Antrag des zuständigen Bundesministers dem Bundespräsidenten.
Das KVG wurde nur in wenigen Punkten gegenüber seiner letztgültigen Fassung abgeändert.

Aufgrund der in Österreich aber weiterhin vorhandenen starken Kritik erlangte das Nationalsozialistengesetz trotzdem nicht die von den Alliierten gewünschte Durchschlagskraft. "Das NS-Gesetz war daher letztlich nicht so streng, wie es auf dem Papier stand", meinte dazu Dieter Stiefel (Stiefel, 115). Seine Anwendung im vollem Umfang fand es schließlich nur ein Jahr, manche Bestimmungen traten nie in Kraft, wie z. B. das Anhaltelagergesetz, das in einer Novelle im Juli 1947 hinzugefügt wurde (Bundesgesetz vom 3. Juli 1947, betreffend die Anhaltung staatsgefährlicher Nationalsozialisten in Lagern - Anhaltelagergesetz, BGBl. Nr. 195/47).
Das öffentliche Interesse am Nationalsozialistengesetz war sehr groß. So erschienen in der Wiener Zeitung vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des NSG am 16. 2. 1947 bis Ende August 1947 nicht weniger als 61 Beiträge über Fragen und Problemstellung hinsichtlich des NSG. Die Redaktion der Wiener Zeitung entschloss sich daher, eine Broschüre zum Nationalsozialistengesetz und seiner Durchführung sowie eine Broschüre zu den Ausführungsbestimmungen herauszugeben. Beide waren in kürzester Zeit vergriffen. Auch die Österreichische Juristenzeitung und die Juristischen Blätter trugen dem regen öffentlichen Interesse in zahlreichen Aufsätzen Rechnung. Der Grund für die starke Nachfrage nach Informationen ist klar. Eines der Hauptstücke des NSG, das Verbotsgesetz, betraf sehr viele Leute und griff in ihre Lebensumstände ein. Es wollte jede/r wissen, inwieweit er / sie von den Sühnemaßnahmen betroffen war, aber auch wie man diesen entgehen bzw. mit ihnen umgehen konnte. Der wichtigste und auch heute noch interessante Kommentar zum NSG wurde von den Juristen Ludwig Viktor Heller, Edwin Loebenstein und Leopold Werner verfasst.

Verwendete Literatur:
Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, Wien-München-Zürich 1981
Das Nationalsozialisten- Gesetz (Bundesverfassungsgesetz vom 24. Juli 1946, BGBl. Nr. 191) unter besonderer Berücksichtigung des Verbotsgesetzes 1946 mit Erläuterungen. Bearbeitet von Rechtsanwalt Dr. Franz Zamponi, Linz, o. J.
Das Nationalsozialistengesetz, von Dr. Walter Prager, Wien, o. J.
Ludwig Viktor Heller / Edwin Loebenstein / Leopold Werner, Das Nationalsozialistengesetz. Das Verbotsgesetz 1947. Die damit zusammenhängenden Spezialgesetze, Wien 1948
Alfred Kasamas, Programm Österreich. Die Grundsätze und Ziele der österreichischen Volkspartei, Wien 1949
Wolfgang Lassmann, Zur öffentlichen Kritik der Strafrechtspflege (Vortrag, gehalten bei der Sitzung der Wiener Juristischen Gesellschaft am 26. November 1947), in: Österreichische Juristen-Zeitung, Jg. 3 / 1948 Heft 1 (9. 1. 1948), S. 10 - 13 und Heft 3 (6. 2. 1948), S. 55 - 57
Das neue Nationalsozialistengesetz (Bundesverfassungsgesetz über die Behandlung der Nationalsozialisten). Mit Erläuterungen von Rechtsanwalt Dr. Ludwig Haydn, Wien 1947
Das Nationalsozialistengesetz und seine Durchführung (Hrsg. von der Redaktion der Wr. Zeitung), Wien 1947
Ausführungsbestimmungen zum Nationalsozialistengesetz (Hrsg. von der Redaktion der Wr. Zeitung), Wien 1947


Die wirtschaftlichen Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes 1947 wurden 2005 wiederveröffentlicht auf der dem Saalfeldner Widerstandkämpfer Karl Reinthaler gewidmeteten WebSite "www.Dagegenhalten.at"

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Claudia Kuretsidis-Haider
(2001)