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Wozu braucht Österreich eine „Forschungsstelle Nachkriegsjustiz”?


Interview mit dem Präsidenten der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz, Univ.-Prof. Dr. Otto Triffterer


Was hat Sie veranlasst, die Funktion des Präsidenten der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz zu übernehmen?

Für den Umgang mit und insbesondere für die Bewältigung der Vergangenheit ist deren Erforschung unerlässlich. Das gilt vor allem für die Fälle, in denen Lehren aus einer Vergangenheit gezogen werden sollen, deren Weiterführung oder Wiederholung abzulehnen ist. Meine Kenntnisse über die schleppende Aufarbeitung der Nachkriegsjustiz in vielen Ländern haben mich bewogen, das Anliegen der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz uneingeschränkt zu unterstützen. Als die Frage an mich herangetragen wurde, ob ich bereit wäre, in diesem Rahmen eine Funktion zu übernehmen, habe ich das bejaht. Die Annahme der Wahl beruht vor allem auf der Tatsache, dass mit der wissenschaftlichen Leitung zwei Personen beauftragt sind, deren Engagement für die Angelegenheit durch vielfache Aktivitäten belegt wird.

Worin besteht für Sie als Völkerstrafrechtler, der sich mit den Möglichkeiten zur Ahndung und Prävention aktueller Humanitätsverbrechen beschäftigt, die Lehre aus den Prozessen wegen NS-Gewaltverbrechen?

Ganz generell besteht die Lehre aus der Aburteilung von NS-Gewaltverbrechern durch die nationalen Gerichte jener Staaten, auf deren Territorien derartige Verbrechen begangen worden und deren Staatsangehörige betroffen sind, darin, dass in doppelter Hinsicht Vorsicht geboten ist. Solange Mitläufer eines bestimmten Regimes noch eine Rolle in der Justiz spielen, besteht die Gefahr, dass eine objektive Beurteilung dieser Vergangenheit nicht gewährleistet ist. In zunehmendem Maße drängt sich gerade wegen dieses Eindrucks mangelnder Unparteilichkeit die Meinung auf, dass besser internationale Gerichte die strafrechtliche Aufarbeitung von Gewaltverbrechen übernehmen sollten. Die internationalen Tribunale für Jugoslawien und Ruanda belegen dies besonders deutlich und haben dazu geführt, dass 1998 das Rom Statut für einen ständigen Internationalen Strafgerichtshof angenommen worden ist. Von den 60 erforderlichen Ratifikationen liegen inzwischen 48 vor, so dass mit dem In-Kraft-Treten des Rom Statutes und damit mit der Errichtung dieses ständigen Internationalen Strafgerichtshofes bis zur Mitte dieses Jahres zu rechnen ist.

Nach 1945 wurden Kriegs- und Humanitätsverbrechen sowohl durch eine Art internationaler Gerichtsbarkeit - nämlich durch die Militärtribunale der Alliierten - als auch durch nationale Gerichtshöfe wie die österreichischen Volksgerichte geahndet. Ist es Ihrer Meinung nach auch heute noch notwendig, nationale und internationale Gerichtsbarkeit wechselseitig zu ergänzen?

Es ist auch heute noch und vor allem zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus unerlässlich, neben der internationalen Gerichtsbarkeit eine nationale Gerichtsbarkeit vorzusehen, selbst für Verbrechen, die unmittelbar nach Völkerstrafrecht geahndet werden können. Das liegt nicht nur daran, wie die Erfahrung mit den Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda gezeigt hat, dass ein internationales Gericht mit alleiniger oder vorrangiger Zuständigkeit schon allein durch die Zahl der Verbrechen und Angeklagten überfordert wäre. Das Gewicht eines solchen Tribunals würde auch der Schwere einzelner Taten nicht gerecht, obwohl nicht übersehen werden darf, dass alle Verbrechen, die unmittelbar nach Völkerstrafrecht strafbar sind, zu den schwersten zählen, die die Völkergemeinschaft insgesamt überhaupt kennt. Die Möglichkeit des Vorrangs der internationalen Gerichtsbarkeit vor der nationalen, wie sie in den Statuten für das Jugoslawien Tribunal und für das Ruanda Tribunal verankert ist, wurde für das Rom Statut nicht vorgesehen. Dort gilt der Grundsatz der „Complimentarity", das heißt, grundsätzlich haben die nationalen Gerichte Vorrang, so lange sie in der Lage und willens sind, derartige Verbrechen ordnungsgemäß abzuurteilen, oder diese nicht etwa, wegen der besonderen Bedeutung der Situation, durch den UN-Sicherheitsrat dem Internationalen Strafgerichtshof zugewiesen werden.

Die Forschungsstelle Nachkriegsjustiz hat sich als erstes Ziel gesetzt, die von Gerichten, Justiz- und Sicherheitsverwaltung hinterlassenen Akten zu sichern und zugänglich zu machen. Worin besteht der Wert derartiger Akten für einen heute tätigen Juristen?

Der Wert der aktenmäßigen Aufarbeitung für einen heute tätigen Juristen besteht darin, dass er sich ein eigenes Bild machen kann über das damals angewandte nationale und internationale Recht sowie über die Verfahren, in denen aus heutiger Sicht zu beurteilen ist, ob sie seinerzeit korrekt oder nicht hinreichend unparteilich geführt worden sind. Wenn man weiß, in wie vielen Fällen, aus welchen Gründen, und mit welcher Argumentation damals dem Recht nicht hinreichend Genüge getan ist, kann man entsprechende Fehler heute bei allen Prozessen, nicht nur im Rahmen der Bekämpfung von terroristischen Gruppen, vermeiden.



em.Univ.-Prof. Dr. Otto Triffterer, langjähriger Dekan der juridischen Fakultät der Universität Salzburg und international anerkannter Experte für Völkerstrafrecht, hat sich seit Jahrzehnten für die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) eingesetzt. Er nahm an der Konferenz von Rom 1998, auf der die Errichtung des ICC beschlossen wurde, teil und hat, gemeinsam mit 51 ExpertInnen aus 25 Ländern, den Kommentar zum Rom Statut verfasst (Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, 1999). Seit 2000 ist er für den Menschenrechtsbeirat beim österreichischen Bundesministerium für Inneres tätig - als Leiter der Kommission für den Oberlandesgerichtssprengel Linz (Oberösterreich, Salzburg). Am 7. Mai 2001 wurde er zum Präsidenten der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz gewählt.




Erschienen in "Justiz und Erinnerung"
Nr. 5 (Jan. 2002)