Paragraphen der österreichischen Strafprozessordnung
1975 idF d. StrÄG 2006
(Gültig ab 1.1.2008)
Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2006 (BGBl. I 2006/56) samt den inzwischen erfolgten Novellierungen
(BGBl. I 2006/102, 2007/93 und 109) wurden per 1.1.2008 das Ermittlungsverfahren im Strafprozess neu geregelt, die Einrichtung des Untersuchungsrichters
abgeschafft, die staatsanwaltschaftlichen Kompetenzen und gleichzeitig auch die Opfer-Rechte erweitert. Mit 1.1.2009 wurde eine neue
Strafverfolgungsbehörde (die Korruptionsstaatsanwaltschaft) eingeführt.
Für die rechts- und zeitgeschichtliche Forschung von besonderer Bedeutung sind die Bestimmungen hinsichtlich der Einsichtnahme in
Gerichtsakten (§§ 82 und 82a nach der alten StPO, § 77 in Verbindung mit § 54 nach der neuen StPO).
Diese Bestimmungen wurden insofern neu geregelt, als die während eines Prozesses öffentlich gewordenen Informationen vom
Veröffentlichungsverbot ausge- nommen sind, was die Verwendung von Anklageschriften, Urteilen und Hauptverhandlungsprotokollen
für die wissenschaftliche Forschung erleichtert.
Gleichzeitig wurden jedoch die übrigen Aktenteile unter einen noch
stärkeren Schutz gestellt als bisher: Es ist verboten, personenbezogene Daten von Beteiligten eines Verfahrens oder von Dritten,
sofern sie nicht in den öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache gebracht wurden sind oder sonstwie (z.B. durch die
Pressebericht- erstattung) öffentlich bekannt wurden, "in einem Medienwerk oder sonst auf eine Weise zu
veröffentlichen, dass die Mitteilung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird", wenn dadurch
schutzwürdige Geheimhaltungs- interessen (wie sie in § 1 Abs. 1 sowie §§ 8 und 9 des Datenschutzgesetzes 2000 definiert
sind) verletzt würden. Inwieweit diese "schutzwürdigen Geheim- haltungsinteressen" stärker wiegen
als das öffentliche
Informationsinteresse, wäre im Einzelfall vor Gericht zu klären.
Strafprozessordnung
Angeführt werden hier nur jene Paragraphen der neuen StPO, die für die historische Forschung relevant sind.
Für die in historischen Gerichtsverfahren gültigen Paragraphen (die, wenn sie nicht das Vorverfahren betreffen,
meist auch heute noch in Kraft sind) siehe "Ausgewählte Paragraphen der
österreichischen Strafprozessordnung (historisch)".
§ 54 StPO
Der Beschuldigte und sein Verteidiger sind berechtigt, Informationen, die im Verfahren in nicht öffentlicher Verhandlung oder
im Zuge einer nicht öffentlichen Beweisaufnahme oder durch Akteneinsicht erlangt haben, im Interesse der Verteidigung oder anderer
überwiegender Interessen zu verwerten. Es ist ihnen jedoch untersagt, solche Informationen, soweit sie personenbezogene Daten anderer
Beteiligter des Verfahrens oder Dritter enthalten und nicht in öffentlicher Verhandlung vorgekommen sind oder sonst öffentlich
bekannt wurden, in einem Medienwerk oder sonst auf eine Weise zu veröffentlichen, dass die Mitteilung einer breiten Öffentlichkeit
zugänglich wird, wenn dadurch schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen (§§ 1 Abs. 1,
8 und 9 DSG 2000) anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter, die gegenüber dem öffentlichen
Informationsinteresse überwiegen, verletzt würden.
§ 77 StPO
(1) Im Falle begründeten rechtlichen Interesses haben Staatsanwaltschaften und Gerichte auch außer den in diesem Gesetz
besonders bezeichneten Fällen Einsicht in die ihnen vorliegenden Ergebnisse eines Ermittlungs- oder Hauptverfahrens zu gewähren,
soweit dem nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen.
(2) Zum Zweck einer nicht personenbezogenen Auswertung für wissenschaftliche
Arbeiten oder vergleichbare, im öffentlichen Interesse liegende Untersuchungen können die Staatsanwaltschaften, die Gerichte und
das Bundesministerium für Justiz auf Ersuchen der Leiter anerkannter wissenschaftlicher Einrichtungen die Einsicht in die Akten eines
Verfahrens, die Herstellung von Abschriften (Ablichtungen) und die Übermittlung von Daten aus solchen bewilligen.
(3) § 54 ist sinngemäß anzuwenden.
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