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Gedenken und Mahnen in Niederösterreich und in der Steiermark
Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Exil, Befreiung
Ein Projekt des Vereins zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Aufarbeitung

» Vorbemerkungen
» Einleitung
» Gedenkkultur in Österreich nach 1945
» Das Gedenken an den österreichischen Freiheitskampf in der unmittelbaren Nachkriegszeit
» Gefallenengedenken als identitätsstiftende
Erinnerungskultur

» Zeichensetzungen einer neuen Erinnerungskultur seit den 80er Jahren
» Das Projekt "Gedenken und Mahnen" in Niederösterreich und in der Steiermark
» Zeitplan zur Durchführung des Projekts
» Finanzierung des Projekts


Sich mit Denkmälern auseinanderzusetzen, bedeutet, die Frage nach der Erinnerung zu stellen und sich bewußt zu werden, welchen Stellenwert vergangene Ereignisse und Personen in der Gegenwart haben - und welchen sie haben sollten. Es bedeutet auch, danach zu fragen, auf welche Weise und mit welchen Mitteln ein Denkmal an das Vergangene erinnert. (Adam, Denkmäler, 9)
(Hinweis: Die vollen Titel der zitierten Werke finden Sie am Schluss dieses Beitrags)



1) Vorbemerkungen

1995 bis 1998 wurde vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) ein Pilotprojekt "Gedenken und Mahnen in Wien" durchgeführt, als dessen Endergebnis eine 488-seitige Dokumentation über Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Exil und Befreiung in Wien vorgelegt werden konnte. Die Arbeit wurde von den DÖW-Mitarbeitern Prof. Herbert Exenberger und Dr. Heinz Arnberger unter Mitarbeit Mag. Claudia Kuretsidis-Haider und weiteren DÖW-MitarbeiterInnen durchgeführt, basierend auf der von Erich Fein 1975 erstellten Dokumentation "Die Steine reden. Gedenkstätten des österreichischen Freiheitskampfs - Mahnmale für die Opfer des Faschismus", die eine Pionierarbeit in der Darstellung der österreichischen Denkmalkultur ist. Es wurde jedoch eine methodische Erweiterung sowie eine inhaltliche Vertiefung vorgenommen. Das Pilotprojekt ergab, dass es möglich und sinnvoll ist, "Gedenken und Mahnen" für ganz Österreich durchzuführen, allerdings nicht in einem großen Gesamtprojekt, sondern in mehreren Arbeitsschritten.

In Wien konnten die Arbeiten am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes von DÖW-MitarbeiterInnen durchgeführt werden, für die übrigen Bundesländer ist dies aufgrund anderer derzeit laufender Großprojekte nicht mehr möglich. In Absprache mit dem Wissenschaftlichen Leiter des DÖW Hon.-Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer hat daher der "Verein zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Aufarbeitung", der vor einiger Zeit als Mitveranstalter der großen internationalen Konferenz für Überlebende und Nachkommen von Opfern und Tätern des Nationalsozialismus "Die Lebendigkeit der Geschichte" in Erscheinung getreten ist [Link: http://www.arche.or.at/arche/], die Koordinierung, Organisation und Administration dieses Vorhabens übernommen. Die Leitung des Gesamtprojekts hat Dr. Heidemarie Uhl von der Karl-Franzens-Universität Graz [Link: http://www-gewi.kfunigraz.ac.at/moderne/zeitge.htm] und Vorstandsmitglied des Vereins inne. Das Projekt hat am 1. 10. 2000 begonnen und ist vorerst bis 30. 9. 2002 anberaumt.



2) Einleitung

"Gedenken und Mahnen" ist ein Dokumentations-Projekt, dessen Hauptziel die Erfassung von Erinnerungszeichen zu Widerstand, Verfolgung, Exil und Befreiung ist.

Erinnerungszeichen werden als Sammelbegriff verstanden, unter dem Denkmäler, Gedenkstätten, Mahnmale, Gedenktafeln - kurz "Gedächtnisorte" (Pierre Nora) - subsumiert werden, wobei diese eine materielle Kristallisation gesellschaftlicher Erinnerung darstellen, die eine zweifache Interpretation zulassen: Einerseits sind sie Zeichen des Gedenkens an vergangene Ereignisse, andererseits aber wird ihre Bezugnahme auf die Vergangenheit aus dem Blickwinkel der Gegenwart geformt. Die Gedächtniskultur einer Gesellschaft spiegelt somit ihre Herangehensweise an historische Bezugspunkte, die Interpretation ihrer Vergangenheit wider und lässt Schlüsse auf ihre Identität, auf ihr Selbstbild zu, was Auswirkungen auf die Weitergabe des kulturellen Gedächtnisses hat. (Uhl, Vorwort, 7) Diese Erinnerungszeichen sagen daher oftmals "mehr über die Zeit ihrer Setzung aus als über die Vergangenheit, auf die sie sich beziehen". (Spielmann, Stein, 112) In Gedächtnisorten sind gesellschaftliche Erinnerungsprozesse rekonstruierbar, wobei die vielfältigen Ausdrucksmittel ihrer Symbolsprache (Präsenz im öffentlichen Raum, Gestaltung, Textierung) - den Bezug der einzelnen gesellschaftlichen Gruppen sichtbar machen. "Aus der Struktur der Denkmallandschaft geht hervor, welche Deutungsmuster vorherrschen, den Symbolraum eines Ortes prägen bzw. welche marginalisiert sind. Es wird daher eine normative Wirkung [entfaltet], indem es die gemeinsame Geschichte einer Gruppe (in Abgrenzung von anderen Gruppen) definiert und - gerade auch durch öffentliche Symbole - als verbindliches Geschichtsbild verankern will." (Uhl, Vorwort, 7.) Denn nach Maurice Halbwachs kann sich eine Gesellschaft nicht generell von ihrer Vergangenheit befreien, "sie setzt also nicht die Gegenwart insgesamt gegen die Vergangenheit, sondern nur eine Vergangenheit gegen eine andere Vergangenheit, eine Tradition gegen eine andere Tradition. Es handelt sich dabei um eine Vergangenheit oder Tradition von sozialen Gruppen, mit denen sich die aktuelle Gesellschaft zu identifizieren strebt". (Halbwachs, Gedächtnis, 41). Anton Pelinka fasste diese These kurz und bündig zusammen, indem er konstatierte, dass Denkmäler politische Symbole sind, die politischen Interessen folgen und Aussagen treffen über die Intentionen des herrschenden Geistes in einem politischen System. (Pelinka, Umgang, 18) Oder wie Peter Reichel feststellte: "Denkmalsetzung und feierliches Erinnerungsritual, Zerstörung und Veränderung von Denkmälern und Gedenkstätten sind [...] ein wichtiger Bereich symbolischer Politik und der durch sie maßgeblich mitgestalteten pluralistischen Erinnerungskultur. Deren Akteure wollen teils gruppenspezifische, teils gruppenübergreifende Geschichtsbilder festschreiben und möchten den Erinnerungsdiskurs entweder zentralisieren oder gerade dezentralisieren und lokalhistorisch fixieren. Insofern sie also unterschiedliche Strategien anwenden, Interessen und Ziele verfolgen, sagen die von ihnen errichteten Denkmäler weniger aus über das Ereignis oder die Personen, die vergegenwärtigt werden sollen, sondern mehr über die Motive und Geschichtsbilder der Denkmalsetzer. Eben deshalb sind sie aufschlussreiche kulturelle Zeichen, Zeugnisse einer doppelten historischen Zeit. Mittelbar aussagekräftig für die historische Zeit und das Thema, dem sie gewidmet sind, dokumentieren sie unmittelbar die Rezeptions- und Deutungsgeschichte eines Ereignisses, einer Epoche usw." (Reichel, Politik, 33)

Denkmäler reflektieren gesellschaftlichen Hierarchien und Machtverhältnisse, wie bereits der Denkmalkritiker Albert Lichtwark um die Jahrhundertwende bemerkte, da "das Denkmal prinzipiell eine Sache von Gruppen ist, die ihre Leitfiguren, Wertvorstellungen oder ihr Verständnis von nationaler Identität zu etwas für alle Verbindlichem erklären". (Hardtwig, Zeichen, 311)

Erich Fein bezeichnete Erinnerungszeichen als das steingewordene Bewußtsein der Geschichte, wie auch aus dem Titel seiner Dokumentation - "Die Steine reden" - hervorgeht. Stefan Riesenfellner führte dazu aus, dass die Gedächtnisorte ("lieux de mémoire") an denen sie errichtet oder von denen sie entfernt werden, die Überreste eines kollektiven Gedächtnisses vergegenwärtigen. "Die historischen Gedächtnisorte rekonstruieren diese »mémoire collective« als jene symbolische Identität, derer sich die einzelnen sozialen Gruppen bedienen, um gesellschaftliche Hierarchie und Machtverhältnisse öffentlich und zeichenhaft dokumentieren können." Aber: "Denkmäler sind gleichwohl Monumente der identitätsstiftenden Erinnerung. (Assmann, Erinnerungsräume, 132f.) als auch der Verdrängung, ihre Präsentation im öffentlichen Raum hat Symbolwert für den Umgang einer Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit." (Riesenfellner, Steinernes Bewußtsein, 9)

Die Idee der "lieux de mémoire", also der "Orte des Gedächtnisses" oder "Gedächtnisorte" entstand in einem großen historischen Forschungsprojekt in Frankreich, dessen Ziel es war, eine gleichsam enzyklopädische Erkundung all jener "Orte" vorzunehmen, an denen sich das kollektive Gedächtnis der Franzosen angelagert hatte (Stachel, Heldenplatz, 619), wobei unter "lieux" Orte nicht nur im topografischen Sinn verstanden werden, sondern auch im topologischen Sinn, weshalb zu dieser Kategorie neben den "steinernen" Denkmälern, Mahnmalen, Gedenkstätten, Gedenktafeln beispielsweise auch Straßennamen oder Benennungen von Wohnhausanlagen zählen. In Deutschland führte Aleida Assmann diesen Gedanken weiter und stellte eine Doppeldeutigkeit des Begriffes "Gedächtnisort" fest: einerseits handle es sich um ein Gedächtnis an den Ort, andererseits um ein Gedächtnis, das im Ort selbst lokalisiert ist. Der Ort kann selbst zu einem Träger der Erinnerung werden und über ein Gedächtnis verfügen, das über jenes der Menschen hinaus geht. Dann wird der Gedächtnisort zu einem Erinnerungsort. (Assmann, Erinnerungsräume, 299) Auch diesem Umstand wird im Projekt "Gedenken und Mahnen" Rechnung getragen.



3) Gedenkkultur in Österreich nach 1945

Der Diskurs zu "öffentlichem Gedächtnis", "Vergangenheitsbewältigung" und "Gedenkkultur" setzte in Österreich erst in den 80er Jahren, nicht zuletzt im Zuge der Waldheim-Debatte, ein. Ursache war die jahrzehntelange gesellschaftliche Tabuisierung der nationalsozialistischen Verbrechen und des Anteils der ÖsterreicherInnen daran, die im Mythos erstes Opfers des Dritten Reiches gewesen zu sein erstarrte. Gedenken an die Opfer des Holocaust und des österreichischen Widerstandes hatte außerhalb der verschiedenen parteipolitischen Aktivitäten geringen Stellenwert. Es dauerte deshalb auch bis Mitte der 70er Jahre, dass mit der bereits angesprochenen Arbeit von Erich Fein eine Auswahl-Dokumentation von Erinnerungszeichen erschien, obwohl es bereits in den ersten Nachkriegsjahren immer wieder Bemühungen gab, eine bundesweite Erfassung der Gedenkstätten des Widerstandes und der Opfergräber vorzunehmen, um das von den Opferverbänden praktizierte Widerstandsgedenken im Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit zu verankern. Doch erst mit der Darstellung von Heidemarie Uhl in der zusammen mit Stefan Riesenfellner vorgelegten Pionierarbeit "Todeszeichen. Zeitgeschichtliche Denkmalkultur" (Resultat eines Forschungsprojekts an der Karl-Franzens-Universität Graz) über "Denkmäler zur Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs in Graz und in der Steiermark" erfolgte auf der Grundlage empirischer Untersuchungen von Erinnerungszeichen eine Analyse der österreichischen Gedenkkultur der 2. Republik anhand eines Phasenmodells.



a) Das Gedenken an den österreichischen Freiheitskampf in der unmittelbaren Nachkriegszeit

Diese erste Phase war geprägt durch die Errichtung von Gedenkstätten an den Massengräbern von Opfern der NS-Herrschaft, Grabanlagen und Denkmälern der alliierten Armeen (für die im Zuge der Befreiung Österreichs gefallenen Soldaten) sowie Widerstandsdenkmälern. Insbesondere der Freiheitskampf als Grundlage des unabhängigen, demokratischen Österreich wurde in Denkmalerrichtungen für die Opfer des Widerstandes, in Gedenkfeiern und politischen Erklärungen der drei Gründungsparteien der 2. Republik ÖVP, SPÖ und KPÖ gewürdigt. Das Gedenken an die FreiheitskämpferInnen schloss auch das Gedenken an die militärischen Opfer des Krieges nicht aus, und bezog, wie in der Unabhängigkeitserklärung ausgeführt, Opfer der nationalsozialistischen Kriegspolitik mit ein.

Der antifaschistische Konsens wurde allerdings rasch brüchig. Von den politischen Parteien identifizierte sich die KPÖ am weitestgehenden mit dem Widerstandskampf. Der Antikommunismus des Kalten Krieges, damit verbunden die Ausgrenzung der KPÖ, und die Reintegration der ehemaligen NationalsozialistInnen in die österreichische Gesellschaft führten zu einer Distanzierung vom Widerstand. Diese politische Neuorientierung zeigte sich auch in einem Wandel der Denkmallandschaft. Widerstandsgedenken war nur mehr den Opferverbänden, der KPÖ und Teilen der SPÖ zugeordnet, das Bedürfnis der Legitimation des neuen Österreich durch Berufung auf den Widerstand wurde ein immer geringeres Anliegen.

Ende der 40er Jahre fanden laut Uhl auf regionaler Ebene die letzten namhaften Denkmalsetzungen für Regimeopfer statt.(Gedenken und Mahnen , 15)

Während es zwischen der SPÖ und KPÖ immer wieder zu Auseinandersetzungen darüber "Wem der Widerstand gehörte" kam, zog sich die ÖVP bald fast vollständig aus dieser Erinnerungskultur zurück. Der Opferverband der ÖVP beschränkte sich v. a. auf Formen des Gedenkens in Kirchenräumen. (Gedenken und Mahnen, S. 50f und 193) In der sozialdemokratischen Gedenktradition wurde der Februar 1934 in das Zentrum des Gedenkens gerückt. Dass die KPÖ nunmehr die einzige politische Kraft war, die die Erinnerung an den österreichischen Freiheitskampf aufrecht erhielt, wurde ihr als politische Propaganda ausgelegt und trug zur Delegitimierung des Widerstandes bei.



b) Gefallenengedenken als identitätsstiftende Erinnerungskultur

Der bereits angesprochene Wandel in der politischen Kultur Österreichs zeigte sich auch in Form der Errichtung von Gefallenendenkmälern quasi als "Antithese zum Widerstandsgedenken". (Uhl, Transformationen/Transit, 110). Diese Denkmalkategorie fungierte außerhalb Wiens gewissermassen als "Norm kollektiven Erinnerns" (Uhl, Transformationen/Eiszeit, 54), wurde doch im Laufe der Zeit in fast jeder österreichischen Gemeinde ein Kriegerdenkmal errichtet bzw. jenes des 1. Weltkrieges erweitert, eine Tendenz, die nach Abschluss des Staatsvertrages noch verstärkt wurde. Träger dieser Gedenkkultur war der Kameradschaftsbund, Widerstandsgedenken war eine Sache der "Kommunisten". WiderstandskämpferInnen wurden in die Nähe von VerräterInnen gerückt, die Legitimität des Widerstandes nachhaltig in Frage gestellt, während die Pflichterfüllung der Wehrmachtssoldaten zur "Norm ehrenvollen Handelns"(Uhl, Transformationen/Eiszeit, 54) wurde. Diese Situation verweist auf den sozialen Rahmen jeder Erinnerung, wie auch Jan Assmann betont hat: "Wenn ein Mensch - und eine Gesellschaft - nur das zu erinnern imstande ist, was als Vergangenheit innerhalb des Bezugsrahmens einer jeweiligen Gesellschaft rekonstruierbar ist, dann wird genau das vergessen, was in einer solchen Gegenwart keinen Bezugsrahmen mehr hat." (Assmann, Katastrophe, 347)

Die Kriegerdenkmäler dieser Zeit sind allerdings nicht nur Erinnerungszeichen für die Gefallenen, sondern auch ein öffentliches Bekenntnis zu den Soldaten und eine Rehabilitierung der Kriegsteilnehmer - insbesondere auch der Überlebenden. Die Soldaten wurden nun nicht mehr als Opfer des Krieges, sondern als "Helden der Pflichterfüllung und der Tapferkeit" dargestellt. Die Durchsetzung repräsentativer Denkmäler bewies, dass die ehemaligen Wehrmachtssoldaten nicht nur rehabilitiert waren, sondern auch die Hegemonie in der Geschichtsinterpretation einnahmen.

"Dennoch erschöpft sich die integrative Wirkung des Gefallenengedenkens nicht in der Forderung nach Rehabilitierung auf der einen und wahltaktischen Überlegungen auf der anderen Seite, sie entspricht auch dem konsensbetonten politischen Klima der Nachkriegsjahre und dem weitverbreiteten Bedürfnis nach Versöhnung und Überwindung jener Gegensätze der NS-Vergangenheit, die noch lange nach Kriegsende weiterwirkten. Die Erinnerungswelt der Kriegerdenkmäler kann als Beitrag zum oft geforderten »Schlussstrich« unter die Gegensätze der NS-Vergangenheit gesehen werden, denn sie war in erster Linie davon bestimmt, kontroversielle Themen der Vergangenheit auszublenden und in einem integrativen, »von Harmoniestreben und positiver Sinngebung geprägt(en)« Geschichtsbild aufgehen zu lassen. (Uhl, Todeszeichen, 150f.)

Der Grund, weshalb die österreichische Denkmallandschaft so stark von der Gefallenengedenkkultur geprägt wurde, liegt nach Anton Pelinka an einem "nahezu beliebigen Pluralismus [...] "gegenüber jeder Form politischer Symbolik". (Pelinka, Umgang, 17) und damit verbunden an einer Laissez-faire Geschichtspolitik. Das geht Uhl aber zu wenig weit. Sie vertritt die These, dass diese Form der Denkmalkultur gar nicht im Widerspruch zur Geschichtsauffassung in Österreich nach 1945 steht, sondern das direkte Ergebnis ihrer widersprüchlichen Geschichtspolitik ist, wobei politische Interessen zu den bestimmenden Faktoren des spezifisch österreichischen Umgangs mit der Vergangenheit zählten.

Ein politischer Wandel zeichnete sich Mitte der 60er Jahre ab - allerdings nur in beschränktem Ausmaß und vor allem in der Bundeshauptstadt Wien. Dieser zeigte sich beispielsweise in den öffentlichen Reaktionen auf die Affäre Borodajkewycz und des Totschlags eines ehemaligen - kommunistischen - Widerstandskämpfers im Zuge einer Gegendemonstration.

In den nachfolgenden Jahren wurden seitens des offiziellen Österreich Erinnerungszeichen gesetzt, die dem Dominieren des Geschichtsbildes der Veteranenverbände ein anderes Geschichtsverständnis entgegensetzen sollten. So wurde mit der Einrichtung eines Weiheraums (zunächst befand sich hier nur eine Gedenktafel [Gedenken und Mahnen, 48]) für den österreichischen Freiheitskampf im Äußeren Burgtor der Wiener Hofburg (das erste staatliche, von der Republik Österreich errichtete Widerstandsdenkmal) "den politischen Opfern des NS-Regimes erstmals die gleiche offizielle Ehrung zuteil wie den gefallenen Wehrmachtssoldaten". (Uhl, Transformationen/Transit, 113) In der breiten Öffentlichkeit - vor allem auch außerhalb Wiens - wurde aber dieser Wandel kaum nachvollzogen. In der österreichischen Historiografie existierten ab nun zwei getrennte Gedächtniskulturen nebeneinander: das Gedenken an den Freiheitskampf und das Gedenken an die Gefallenen, die - laut Uhl - das öffentliche Gedächtnis bis heute strukturieren. Allerdings war die Geschichtsdeutung nach wie vor so ausgerichtet, dass die Täterschaft alleine bei den "Deutschen" zu suchen war - ganz im Sinne der Opfertheorie.

Erst nach dem nachhaltigen Paradigmenwechsel in der österreichischen Geschichtsschreibung, im Zuge der Waldheim-Debatte, wurden im Rahmen einer "neuen Erinnerungskultur" (Uhl) erstmals auch in verstärktem Ausmaß nicht nur Opfern des Widerstandes, sondern auch der Verfolgung Denkmäler errichtet.



c) Zeichensetzungen einer neuen Erinnerungskultur seit den 80er Jahren

Diese Phase ist vor allem geprägt durch die Entwicklung neuer Tendenzen in der Erinnerungskultur, die sich für Heidemarie Uhl bereits in deren Inkubationsphase, der SPÖ-Alleinregierung (Uhl, Vorwort, 9) in den 70er Jahren, abzeichneten - vor allem durch Initiativen von Gruppierungen abseits des Kameradschaftsbundes oder der Verbände der politisch Verfolgten. Nunmehr erlangte auch in der regionalen Öffentlichkeit die bereits "vergessene" Widerstandsgeschichte und vor allem die Vertreibung und Ermordung der Juden und Jüdinnen eine breitere Bedeutung, was in der Erweiterung der Zeichensetzung auch für die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen seinen Niederschlag fand. Bis dahin hatte das Gedenken an die ermordeten Jüdinnen und Juden nur eine marginale öffentliche Präsenz - vorwiegend auf Friedhöfen -, gestiftet in den meisten Fällen von der Israelitischen Kultusgemeinde.

Aktivitäten zur Erinnerung an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus blieben also nach dem Krieg fast ausschließlich jüdischen Initiativen überlassen. Der Grund liegt auf der Hand: Die Denkmalsetzung für jüdische Opfer passte nicht in das österreichische Selbstbildnis, selbst Opfer des Nationalsozialismus gewesen zu sein. Die damit verbundene zwangsläufige Erinnerung an die in Österreich verübten nationalsozialistischen Verbrechen wurde als störend empfunden. Nach wie vor vorhandene antisemitische Vorurteile und Einstellungen spielten sicherlich ebenfalls eine Rolle.(Seiler, Labyrinth, 282f.)

Zusammenfassend kann also gesagt werden, daß die Paradigmenwechsel in der Geschichtspolitik ihren sichtbaren Niederschlag auch in der Änderung der Denkmalkultur fanden. So wurde die kurzfristige Orientierung am österreichischen Freiheitskampf unmittelbar nach Kriegsende in den 50er Jahren von der Rehabilitierung der gefallenen und überlebenden Wehrmachtssoldaten abgelöst. Ab Mitte der 60er Jahre war zumindest auf offizieller Ebene eine Distanzierung von der Identifizierung mit den (ehemaligen) Soldaten feststellbar. Seit den 80er Jahren, insbesondere im Zuge der Waldheim-Debatte wurde schließlich die Frage nach der österreichischen Verantwortung für die Verbrechen der Jahre 1938 - 1945 gestellt, weshalb erst zu diesem Zeitpunkt auch Erinnerungszeichen für die Opfer der NS-Verbrechen in stärkerem Ausmaß in die österreichische Gedächtniskultur aufgenommen wurden. (Uhl, Transformationen/Transit, 101f.)



4) Das Projekt "Gedenken und Mahnen" in Niederösterreich und in der Steiermark (Quellenlage, methodische Vorgangsweise, Durchführung)

Das Projekt "Gedenken und Mahnen" ist ein Dokumentationsprojekt. Zwar sind seit dem Erscheinen der Pionierarbeit von Erich Fein mehrere Arbeiten durchgeführt worden (siehe Literaturliste), die die Darstellung von Erinnerungszeichen zu Widerstand und Verfolgung zum Inhalt hatten, doch bezogen sich diese zumeist nur auf Wien und weisen außerdem nicht den - wie noch darzustellen ist - umfassenden Charakter von "Gedenken und Mahnen" auf, wo heutige Gedächtnistheorien und kulturwissenschaftliche Zugangsweisen berücksichtigt werden.

Umfasst wird der Zeitraum 1934 bis 1945, also sowohl die Zeit des autoritären "Ständestaates" als auch die Zeit der NS-Herrschaft in Österreich. Während die Zeit von 1938 bis 1945 definitorisch klar abgrenzbar ist und in Österreich praktisch Einigkeit darüber herrscht, wer zu den Opfern zu zählen ist, unterliegt die Zeit von 1934 bis 1938 einer schwierigeren Beurteilung. Hier spielen nach wie vor politische Einschätzungen eine große Rolle. So gibt es Gruppen, die den austrofaschistischen Ständestaat nicht berücksichtigt haben wollen, andere wieder reklamieren die Berücksichtigung aller Opfer des Ständestaates, also auch der NationalsozialistInnen. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes hat allerdings in seinen Publikationen seine diesbezügliche Positionierung immer wieder dargelegt, weshalb das Projekt "Gedenken und Mahnen" den bisher gewählten Kriterien folgen wird, auch in Anlehnung an die Zielsetzung der Dokumentation von Erich Fein, eine "Mahnung für kommende Generationen [zu] sein, niemals wieder Faschismus entstehen zu lassen, sich seiner Opfer zu erinnern und ihrer zu gedenken" (Fein, Steine, 14), allerdings unter Berücksichtigung neuer theoretischer und methodischer Erkenntnisse.

Zudem handelt es sich bei "Gedenken und Mahnen" nicht nur um eine Dokumentation der Denkmäler, sondern auch um eine Dokumentation des Gedächtnisortes und der Gedenkkultur.

Erfasst werden Erinnerungszeichen sowohl zu Widerstand und Verfolgung als auch zu Exil und Befreiung. So weit es sich um personenbezogene Erinnerungszeichen handelt, wird als Definitionsgrundlage der § 1 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes herangezogen, welcher lautet: "Als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Personen anzusehen, die in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai 1945 aus politischen Gründen oder aus Gründen der Abstammung, Religion oder Nationalität durch Maßnahmen eines Gerichtes, einer Verwaltungs- (im besonderen einer Staatspolizei-) Behörde oder durch Eingriffe der NSDAP einschließlich ihrer Gliederungen in erheblichem Ausmaße zu Schaden gekommen sind."

Dies ist jedoch nur eine erste Orientierungshilfe, denn der "Opfer"begriff hat sich - wie der "Widerstands"begriff - in den letzten Jahren verändert. In der als Endresultat des Projekts vorgesehenen Publikation ist es daher vorgesehen, in einem ausführlichen Erläuterungsteil - trotz des Dokumentationscharakters - auf damit verbundene methodische Probleme hinzuweisen, beispielsweise auf die Schwierigkeit, in manchen Fällen eine scharfe Trennung zwischen Opfern und Tätern durchzuführen. Zudem soll auch auf den Diskurs in den 40er bis 60er Jahren sowie in den 80er und 90er Jahren über die verschiedenen Opferbegriffe eingegangen und das Spezifische aus den verschiedenen Gedenkkulturen dargelegt werden. Wichtig wird auch der exemplarische Hinweis auf Desiderata an Gedächtnisorten sein, beispielsweise wo nachweislich Verbrechen verübt und bislang keine Erinnerungszeichen angebracht oder andere Formen des Gedenkens durchgeführt wurden.

"Gedenken und Mahnen" stellt es sich allerdings nicht zur Aufgabe festzuschreiben, wer Opfer ist. Gegenstand der Recherchen ist vielmehr die Beschreibung der Gedenkkultur in Österreich nach 1945. Die Hauptfrage ist: Was ist aus der Sicht der 2. Republik erinnernswert? Worin erfolgt öffentliches Gedenken in welcher Form? Welche gruppenspezifische bzw. ideologisch segmentierte Erinnerungskultur prägte die 2. Republik.

Der Aufbau der Dokumentation erfolgt lexikalisch. Zweck der Recherchen ist die Leistung wissenschaftlicher Grundlagenarbeit, ergänzt durch Informationen zu Personen sowie Art und Entstehung des Erinnerungszeichen. Hauptaufgabe der Recherchearbeiten vor Ort ist die Erfassung der Erinnerungszeichen nach vorgegebenen Kriterien und auf der vom ProjektkoordinatorInnenteam aufbereiteteten Grundlagen der bereits vorhandenen Daten- und Dokumentensammlung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes sowie von Dokumenten der Abteilung Zeitgeschichte an der Universität Graz, die großteils in zwei vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank geförderten Projekten 1991 - 1993 über die "Zeitgeschichtliche Denkmalkultur in Graz und in der Steiermark vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart" gesammelt wurden.

Erfasst werden sollen jegliche Arten von Erinnerungszeichen, die unter die beschriebene Kategorisierung fallen, also Mahnmale, Gedenkstätten, Denkmäler, Gedenkstellen, Gedenkräume, Gedenksteine, Gedenktafeln, Gedenkkreuze, Kapellen, Grabdenkmale, Synagogen, Museen, Benennungen von Wohnhausanlagen und Verkehrsflächen etc. "Gedenken und Mahnen" geht damit weit über bisher geleistete Arbeiten hinaus.

Im Sinne der genannten Kriterien werden durch die Dokumentation nicht erfasst: Kriegerdenkmäler, Bombenopfer und Opfer von Vertreibungen aus Nachbarländern (bspw. des "Brünner Todesmarsches"). Die Problematik der Kriegerdenkmäler sollen allerdings in einem eigenen Abschnitt diskutiert werden, zumal sich diese Form der Gedenkkultur in den letzten Jahren zumindest teilweise verändert hat und verschiedentlich auch anderen Intentionen unterliegt, als der Verehrung "unserer gefallenen Helden für das Vaterland". Auch auf die beiden anderen genannten Kategorien soll eingegangen werden.



Die Dokumentation wird in folgender Weise durchgeführt:

Erfassung der Erinnerunsgzeichen:

+ "zeilenidentes" Abschreiben des Textes (wie er auf dem Erinnerungszeichen geschrieben steht)
+ Fotografieren des Erinnerungszeichens


Die Darstellung der Erinnerungszeichen gliedert sich in zwei Unterabschnitte:

1. Abschnitt:

* Form des Gedenkens (Gedenktafel, Mahnmal, Stele, Büste, Verkehrsfläche, Wohnhausanlage, Grabstätte etc.)
* Inschriften
* StifterIn
* GestalterIn der Gedenkstätte
* Datum und Ablauf der Enthüllungs- bzw. Benennungsfeier.


2. Abschnitt:

Biografischen Angaben (Geburtsdatum, beruflicher Werdegang) über Widerstand bzw. Verfolgung der betroffenen Personen (Art des Widerstandes und der Verfolgung, Todesdatum und Todesart oder bei Überlebenden deren weiteres Schicksal)


Die Recherchen vor Ort beinhalten auch:

+ Kontaktaufnahme mit örtlichen Behörden zur Eruierung weiterer Erinnerungszeichen (Gemeindeämter, Pfarrämter, Museen und andere Institutionen)
+ Recherche vor Ort über die auf den Erinnerungszeichen angeführten Personen
+ exemplarische Durchsicht von lokalen Zeitungen (in Absprache mit dem KoordinatorInnenteam)
+ Regelmässige Berichterstattung an das KoordinatorInnenteam und Ablieferung von aufgrund der Recherche verfassten Texten. Diese werden vom KoordinatorInnenteam durch Recherchen in Wien ergänzt.


Die Arbeit gliedert sich in zwei große Teilbereiche:

a) regionale Basisarbeit vor Ort
b) wissenschaftliche Beratung der KollegInnen, die die regionalen Basisarbeiten durchführen, Koordinierung der Recherchearbeiten, EDV-mäßige Texterfassung, wissenschaftliche Begleit-Recherche, Photodokumentation


Aufgrund der beschriebenen Erfassung und Darstellung der Erinnerungszeichen zeigt "Gedenken und Mahnen" sowohl die Perspektive auf die Vergangenheit als auch den zeitgeschichtlichen Kontext der kollektiven Erinnerung auf und beinhaltet somit beide Dimensionen der Denkmalstiftung. Die Dokumentation umfasst jene Personen und Orte, auf die sich historische Ereignisse beziehen, durch Anführung biografischer Hinweise zu den namentlich genannten Opfern des NS-Regimes (Angaben über Alter, Beruf, politische Aktivitäten, erlittene Verfolgungsmaßnahmen). Dadurch werden Namen mit konkreten Einzelschicksalen verknüpft, die in ihrer Gesamtheit u. a. Einblick in den politischen und sozialen Hintergrund des Widerstandes ermöglichen. Durch die Kenntlichmachung der Stätten nationalsozialistischer Gewaltausübung entsteht auch eine "Topografie des Terrors". Erst mit der Dokumentation von Einzelschicksalen werden die Dimensionen der Gewaltherrschaft konkret und nachvollziehbar, und es eröffnet sich die Möglichkeit der Identifikation mit den Opfern, was eine Voraussetzung für die Tradierung und das Weiterleben der Erinnerungskultur darstellt.

Ein großes Anliegen von "Gedenken und Mahnen" ist auch der Gegenwartsbezug, in dem die einzelnen regionalen "Gedächtnisräume" als Orte der gesellschaftlichen Erinnerung erschlossen werden. TeilnehmerInnen der Enthüllungsfeier lassen Rückschlüsse darauf zu, welche gesellschaftliche Gruppierung welche Formen des Gedenkens pflegte. In der Wiedergabe der Textierung auf den Erinnerungszeichen sind die "Sprachen der Erinnerung" und ihr Bedeutungswandel ablesbar (hier ist insbesondere beim Gedenken an den Widerstand feststellbar: "Wem gehört der Widerstand?", "Welche gesellschaftliche Bedeutung hatte der Widerstand?"). Durch die Darstellung des Entstehungsprozesses lassen sich Denkmäler zeitlich einordnen und politisch verorten. Die Situierung im öffentlichen Raum ermöglicht Rückschlüsse auf den Stellenwert eines Erinnerungszeichens und machen kenntlich, ob es sich um eine Gedenkstätte von lokalem Bezug oder um ein für die ganze Gemeinschaft konzipiertes Denkmal handelt. Dadurch ist ein differenziertes Bild der Gedächtniskultur und ihrer Entwicklungsphasen der 2. Republik dokumentierbar.

"Das Denkmal als regloses Stück Stein birgt seine eigene Vergangenheit als wohlbehütetes Geheimnis in sich, es weist von seiner eigenen Geschichte fort, hin zu den Ereignissen und Bedeutungen, die wir als Besucher in es hineintragen. Es scheint, als ob Denkmäler uns an alles mögliche erinnern, nur nicht an ihre eigene Vergangenheit, ihre eigene Entstehung.
Deshalb [gilt es], dem Denkmal die Erinnerung an sich selbst wiederzugeben, an die Tatsache seiner Errichtung, an seine Ursprünge. Dabei [...] können wir dem Denkmal [...] zu neuem Leben verhelfen.
Deshalb müssen wir [...] auch die Zeit und den Ort seiner Planung mit einbeziehen, den Prozess seiner Errichtung innerhalb bestimmter historischer und politischer Realitäten, seine fertige Gestalt auf einem öffentlichen Platz, seine Stellung im Gesamtkontext des nationalen Erinnerns [...] (Young, Textur).
Allerdings fügt "Gedenken und Mahnen" dem noch eine weitere Dimension hinzu, indem es durch die umfassende Recherche von Einzelschicksalen selbst ein "Denkmal" darstellt, nämlich ein Denkmal an einem "Nicht-Ort" (Schöllhammer, Kunst, 34), an dem Erinnerungsarbeit direkt in der Gesellschaft geleistet und dadurch neben den großen und bekannten Gedenkstätten sowie Personen deren Leidensweg unzähliger, bis jetzt in Vergessenheit geratenen Menschen dargestellt wird. Durch die elektronische Erfassung der Rechercheergebnisse sowie durch die Erstellung einer Photodokumentation ist es möglich, das von Jan und Aleida Assmann apostrophierte "kulturelle Langzeit-Gedächtnis", das nach ihrer These nur mehr über vielfältige Medien der Schriftlichkeit, des Bildes oder der elektronischen Medien gespeichert werden kann und das "kommunikative Kurzzeit-Gedächtnis", welches hauptsächlich durch die Erinnerung von ZeitzeugInnen lebendig gehalten wird, allerdings aufgrund der größer werdenden zeitlichen Distanz immer mehr hinter das Langzeitgedächtnis tritt, zu ergänzen. (Assmann, Gestern, 199ff.)
Möchte man die bereits in der Einleitung angesprochene These von Pierre Nora über die "lieux de mémoire" weiterspinnen, die nicht nur konkret räumlich aufgefasst sind, sondern auch topologisch konstituiert werden, so ist die Konservierung dieses Langzeitgedächtnisses - beispielsweise in der Form der geplanten Dokumentation "Gedenken und Mahnen" - ebenfalls ein Kristallisationspunkt historischen Gedächtnisses.

Das Projekt "Gedenken und Mahnen" soll jedoch nicht nur in die Vergangenheit gerichtet sein. Es ist eine durchaus erwünschte Auswirkung, wenn dieses Vorhaben Anstoß zu weiteren Initiativen der Zeichensetzungen darstellen würde, wie es bereits nach Erscheinen der Dokumentation "Gedenken und Mahnen in Wien" feststellbar ist oder zu SchülerInnenprojekten, beispielsweise zur Erhaltung und Sicherung von Erinnerungszeichen. Über derartige Initiativen wird in nächster Zeit ein Ergänzungsband zu "Gedenken und Mahnen in Wien" erscheinen.



5) Kooperationspartner

Das Projekt "Gedenken und Mahnen in Niederösterreich und in der Steiermark" wird vom "Verein zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Aufarbeitung" zusammen mit der Abteilung Zeitgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz durchgeführt. Projektleiterin ist Frau Dr. Heidemarie Uhl. Als wichtigster Kooperationspartner fungiert das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, das für die Gesamtkoordination des Projekts die Infrastruktur zur Verfügung stellt.

Das Projekt wird in zwei regionalen Teilprojekten durchgeführt, wobei Mag. Claudia Kuretsidis-Haider vom "Verein zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Aufarbeitung" und vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes die Gesamtkoordination inne hat. Mag. Heimo Halbrainer von der Karl-Franzens-Universität Graz hat die Betreuung des Teilprojekts Steiermark übernommen. Prof. Herbert Exenberger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes sowie Dr. Heinz Arnberger, als Personalsubvention vom Amt der niederösterreichischen Landesregierung ebenfalls im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes beschäftigt, sind - neben ihren Tätigkeiten im DÖW - für das Teilprojekt Niederösterreich verantwortlich. Die Recherchearbeiten in Niederösterreich werden durchgeführt von Mag. Peter Mähner, Dr. Franz Weisz, Mag. Martin Neubauer und Mag. Walter Baumgartner.

Die Publikation, die länderweise erfolgen soll, wird vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstand durchgeführt werden.



6) Finanzierung

Neben dem Dokumentationsarchiv, das sowohl die Infrastruktur als auch MitarbeiterInnen zur Verfügung stellt haben sich bis jetzt an der Finanzierung des Projekts beteiligt:

Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, Amt der NÖ Landesregierung (Abteilung Kultur und Wissenschaft), Amt der Steiermärkischen Landesregierung (Abteilungsgruppe FoKu-, Abteilung für Wissenschaft und Forschung), Stadt Graz, Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus.


7) Verwendete Literatur

Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999.

Jan Assmann, Die Katastrophe des Vergessens. Das Deuteronomium als Paradigma kultureller Memotechnik, S. 337-355, in: A. Assmann/D. Harth (Hrsg.), Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt/Main 1991.

Aleida Assmann/Jan Assmann, Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis, in: Klaus Merten/Siegfried Schmidt/Siegfried Weischenberg (Hrsg.) Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Opladen 1994

Erich Fein, Die Steine reden. Gedenkstätten des österreichischen Freiheitskampfes - Mahnmale für die Opfer des Faschismus. Eine Dokumentation, Wien 1975.

Maurice Halbwachs, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Berlin-Neu Wied 1966.

Wolfgang Hardtwig, Zeichen der Erinnerung. Zum Stand und zur Geschichte der Denkmalsdebatte, in: ders., Geschichtskultur und Wissenschaft, München 1990.

Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München-Wien 1995.

Stefan Riesenfellner/Heidemarie Uhl (Hrsg.), Todeszeichen. Zeitgeschichtliche Denkmalkultur, Wien-Köln-Weimar 1994.

Stefan Riesenfellner (Hrsg.), Steinernes Bewußtsein I. Die öffentliche Repräsentation staatlicher und nationaler Identität Österreichs in seinen Denkmälern, Wien-Köln-Weimar, 1998 (Mit Beiträgen von: Peter Stachel, Der Heldenplatz. Zur Semiotik eines österreichischen Gedächtnis-Ortes; Heidemarie Uhl, Erinnern und Vergessen. Denkmäler zur Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs in Graz und in der Steiermark).

Dietmar Seiler, Im Labyrinth der Geschichtspolitik. Die Erinnerung an die Shoa im öffentlichen österreichischen Gedächtnis, in: Zeitgeschichte, 24. Jg., September/Oktober 1997, Heft 9/10.<

Jochen Spielmann, Stein des Anstoßes oder Schlussstein der Auseinandersetzung? Bemerkungen zum Prozess der Entstehung von Denkmalen und zu aktuellen Tendenzen, in: Ekkehard Mai/Gisela Schmirber (Hrsg.), Denkmal - Zeichen - Monument. Skulptur und öffentlicher Raum heute, München 1989.

Spurensuche im 20. Jahrhundert. Anregungen für Schülerinnen- und Schülerprojekte (Hrsg. vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Abteilung für Politische Bildung), Wien 1993. Mit Beiträgen von: Hubertus Adam, Denkmäler und ihre Funktionsweise; Anton Pelinka, Vom Umgang mit der Geschichte. Denkmäler und historische Erinnerung in der Zweiten Republik; Georg Schöllhammer, Kunst - Denkmal - Öffentlicher Raum;

Heidemarie Uhl, Vorwort zu: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.), Gedenken und Mahnen in Wien 1934-1945. Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Exil, Befreiung. Eine Dokumentation. Wien 1998.

Heidemarie Uhl, Transformationen des österreichischen Gedächtnisses. Erinnerungspolitik und Denkmalkultur in der Zweiten Republik, in: Institut für die Wissenschaften vom Menschen (Hrsg.), Transit - Europäische Revue, Vom Neuschreiben der Geschichte. Erinnerungspolitik nach 1945 und 1989, Heft 15 / Herbst 1998, S. 100 - 119.

Heidemarie Uhl, Transformationen des österreichischen Gedächtnisses. Geschichtspolitik und Denkmalkultur in der Zweiten Republik, in: Ulf Brunnbauer (Hrsg.), Eiszeit der Erinnerung. Vom Vergessen der eigenen Schuld, Wien 1999, S. 49-64.

Heidemarie Uhl, Erinnerung als Versöhnung: zur Denkmalkultur und Geschichtspolitik in der Zweiten Republik, in: Zeitgeschichte (1996) Heft 5/6, S. 146 - 160.

Heidemarie Uhl, The Politics of Memory: Austria´s Perception of the Second World War and the National Socialist Period, in: Günter Bischof/Anton Pelinka (Ed.), Contemporary Austrian Studies, Volume 5, London 1997.

James Edward Young, Die Textur der Erinnerung, in: Günter Morsch (Hrsg.), Von der Erinnerung zum Monument. Die Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen (Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Band Nr. 8), o. O. 1996.


Auswahlbibliografie zu Arbeiten über Erinnerungszeichen zu Widerstand und Verfolgung in Österreich (neben jenen von Heidemarie Uhl):


Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung (Hrsg.), Denkmäler der Arbeiterbewegung, Wien 1993.

Herbert Exenberger, Antifaschistischer Stadtführer (Wiener Bildungsausschuss der SPÖ, Hrsg.), Wien 1985.

Herbert Exenberger / Helge Zoitl, Februar 1934 in Wien, Wien 1984.

Kommunistische Partei Österreichs (Hrsg.), Die Guillotinierten. Namensliste der durch das Fallbeil im Wiener Landesgericht durch die Nazihenker Ermordeten, Wien 1946.

Wolfgang Lauber, Wien. Ein Stadtführer durch den Widerstand, Wien 1987.

Kurt Stimmer (Hrsg.), Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer, Wien 1988.

Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien (Hrsg.), Wiener Stationen zum Gedenken an das Jahr 1938 (Redaktion Hans Wenzl), Wien 1988.

Bundesverband Österreichischer Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus - KZ-Verband (Hrsg.), Zum Tode verurteilt, Wien o. J.

Borut Marjan Sturm / Crtomir Zorec, Den Gefallenen für die Freiheit. Gedenkstätten des antifaschistischen Kampfes in Kärnten, Klagenfurt 1987.

Herbert Aichmaier, Mahnmale für die Opfer des Faschismus 1934 - 1945, (SPÖ Bezirksorganisation Leoben), Leoben o. J.

Sozialdemokratische und antifaschistische Gedenkstätten in Niederösterreich (Zusammenstellung: Bund sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus, Landesgruppe Niederösterreich), o. J.

Komitee Mauthausen Aktiv Steyr (Hrsg.), Sprechende Steine. Steyr Stadt & Land 1934 - 1945. Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Steyr 1990.

Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (Hrsg.), Gedenken & Mahnen. Zeitgeschichtlich bedeutende Orte in Niederösterreich 1944/45, Wien 1995.

 


Antrag an den Jubiläumsfonds der OeNB, Februar 2000 (überarbeitet)