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Justiz und NS-Verbrechen: Band 29 der westdeutschen Urteilssammlung erschienen
C. F. Rüter / D. W. de Mildt (Hrsg.), Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1999. Bd. XXIX: Die vom 11.05.1968 bis zum 28.06.1968 ergangenen Strafurteile (Lfd. Nr. 677–685), Amsterdam-München 2003, 720 Seiten.
Amsterdam University Press/K.G.Saur Verlag München, Preis: 235.– €


Seit der Wiederaufnahme der Publikation der westdeutschen Strafurteile und gerichtlichen Einstellungsbeschlüsse wegen NS-Tötungsverbrechen durch das Strafrechtsinstitut der Universität Amsterdam (die Bände I–XXII waren 1968 bis 1981 erschienen) legte das von Prof. Christiaan Frederik Rüter geleitete internationale Herausgeberteam 1998, 2001, 2002 und 2003 jeweils ein bis zwei umfangreiche Bände dieser einmaligen Publikationsreihe vor.
Die in den Bänden dokumentierten Urteile stellen zu einigen NS-Verbrechen umfangreiche, in einigen Fällen sogar einmali-ge, Untersuchungen auf der Grundlage von zeitgenössischen Dokumenten, Vernehmungsprotokollen im Zuge der oft jahrelangen Ermittlungen sowie historischen Gutachten dar. Das gilt für den in diesen Tagen herausgekommenen Band 29 in besonderem Maße für die „Aktion 1005“. Diese „Ent-erdungsaktion“ hatte bereits im Frühjahr 1943 bei Treblinka und anderen Vernichtungsstätten in Polen begonnen und war im Herbst 1943 mit der Exhumierung der Massengräber der Erschießungsaktionen in den ersten Monaten des „Russlandfeldzuges“ fortgesetzt worden. Im Zuge der „Aktion 1005“ wurden Tausende halbverweste Leichen ausgegraben und verbrannt, anschließend wurden mit Knochenmühlen die letzten Spuren der Verberchen beseitigt – durch eigens zu diesem Zweck zusammengestellte jüdische Arbeitskommandos, deren Angehörige anschließend selbst ermordet wurden. Hauptquelle für diese Aktion waren bisher Dokumente des „Falls 9“ der Nürnberger Nachfolgeprozesse, des so genannten Einsatzgruppenprozesses gegen Otto Ohlendorf und Andere.
Der vorliegende Band der Serie „Justiz und NS-Verbrechen“ enthält nun eine weitere wichtige Quelle zu dieser Aktion: Die Massenmorde des Polizeibataillons 316 – deren Mit-glieder meist aus dem Ruhrgebiet stammten, dem aber, wie erst unlängst bekannt wurde, auch Österreicher angehörten (Marianne Enigl in „profil“ Nr. 43/2003) – in Weißrussland 1941/42 sowie der mit neuerlichen Massenerschießungen verbundene Versuch zur Vertuschung dieser Verbrechen, als die Front näher rückte, waren Gegenstand eines Prozesses vor einem Schwurgericht am Landgericht Bochum, der am 12. Dezember 1966 begann und am 6. Juni 1968 mit dem Freispruch aller 10 Angeklagten endete. Das 378 Druckseiten umfassende Urteil füllt mehr als die Hälfte des vorliegenden Bandes und dokumentiert eindrucksvoll, dass der Quellen-wert von Justizdokumenten nicht vom Ausgang des Pro-zesses abhängt, sondern von der Qualität der staatsanwalt-schaftlichen und gerichtlichen Untersuchungen.

Links zur Aktion 1005:
Eidesstattliche Erklärung von Paul Blobel, Chef des Sonderkommandos 4 A der Einsatzgruppe C, vom 18. Juni 1947 (im Nürnberger Einsatzgruppenprozess am 9. April 1948 zum Tode verurteilt und am 7. Juni 1951 hingerichtet)
Dauerausstellung im Haus der „Wannseekonferenz“
Yad Vashem / Shoah Resource Center



Winfried R. Garscha