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Das KZ Lublin-Majdanek und die Justiz. Polnische, deutsche und österreichische Prozesse im Vergleich – eine Bilanz Enquete zum Umgang mit den Über- lebenden vor Gericht
Die von der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz (FStN) in Kooperation mit dem Wissenschaftlichen Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien sowie der Staatlichen Gedenkstätte Majdanek am 29. Oktober 2010 durchgeführte Konferenz "Das KZ Lublin-Majdanek und die Justiz. Polnische, deutsche und österreichische Prozesse im Vergleich – eine Bilanz" war die erste Tagung zu diesem Thema außerhalb Polens. Das ForscherInnenteam der FStN präsentierte dabei, gemeinsam mit internationalen Expertinnen aus Polen, Deutschland und Frankreich, die Ergebnisse einer vom österreichischen Bundesministerium für Justiz 2008 in Auftrag gegebenen Forschungsarbeit. Zentrale Aspekte der Konferenz waren der Beitrag der Justiz zur Aufklärung der Verbrechen in Majdanek, die Methoden und die "Effizienz" der Strafverfolgung in Polen, Deutschland und Österreich vor dem Hintergrund der jeweiligen Rechtslage sowie der politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Eröffnet wurde die Tagung, neben dem Direktor des Wissenschaftlichen Zentrums der Polnischen Akademie der Wissenschaften, BOGUSLAW DYBAS (Wien), und dem Präsidenten der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz, MARTIN F. POLASCHEK (Graz), von der ehemaligen Botschafterin der Republik Polen in Österreich, IRENA LIPOWICZ (Warschau), die nach dem Tod des polnischen Ombudsmanns beim Absturz der Präsidentenmaschine die Leitung der polnischen Volksanwaltschaft übernommen hatte. Ausgehend von der Tatsache, dass den Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager Handlungen von Verwaltungsbeamten vorausgingen, regte Lipowicz an, diese Erfahrung den gegenwärtig tätigen Beamten und Beamtinnen näher zu bringen. Ebenso wie angehende Strafjuristen und juristinnen am Beispiel der Nachkriegsprozesse die Probleme bei der Ahndung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen studieren können, sei es eine europäische Aufgabe, auch Verwaltungsjuristen und juristinnen die Folgen ihrer Handlungen, aber auch Unterlassungen, vor Augen zu halten. Der Leiter der Staatlichen Gedenkstätte Majdanek, TOMASZ KRANZ (Lublin), bot in seinem Einführungsvortrag einen Überblick über die Geschichte und die Verbrechen des Komplexes Lublin-Majdanek. Insbesondere verwies er dabei auf seine in den letzten Jahren auch auf Deutsch erschienenen Analysen der Opferzahlen, die aufgrund neuester Forschungen von ursprünglich angenommenen 200.000 bis 300.000 (im Internet werden auch Zahlen bis zu 1,5 Millionen verbreitet) auf 78-80.000 Personen reduziert werden mussten. Kranz betonte dabei ausdrücklich, dass die Korrektur dieser Zahlen keinesfalls eine Schmälerung des Leidens der Opfer bedeute. WINFRIED R. GARSCHA und ANDRZEJ SELEROWICZ (Wien) von der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz stellten in Panel 1 die in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Polen ab November 1944 durchgeführten Majdanek-Prozesse dar. Die Ahndung der NS-Verbrechen war nicht nur bereits von der Londoner Exilregierung vorbereitet worden, das so genannte August-Dekret von 1944 und der darauf gegründete erste Prozess in Lublin bildeten auch einen Bestandteil des Ringens des kommunistisch geführten Lubliner Komitees und der nach dem Scheitern des Warschauer Aufstandes geschwächten Heimatarmee (Armia Krajowa) um die Hegemonie in der polnischen Bevölkerung. Garscha/Selerowicz konnten bei ihren Recherchen feststellen, dass die frühen polnischen Prozesse auf lokaler Ebene viel mehr Parallelen zu den österreichischen Volksgerichtsprozessen der ersten Nachkriegsjahre als zu den alliierten Prozessen oder den NSG-Verfahren seit den 1960er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufwiesen. In der anschließenden lebhaft geführten Diskussion wurden vor allem Fragen nach der Rechtstaatlichkeit der polnischen Prozesse, ihre Wirkung auf die polnische Gesellschaft und ihre Rezeption im heutigen politischen Diskurs in Polen aufgeworfen. Das zweite Panel widmete sich der Ahndung der Verbrechen im KZ Lublin-Majdanek durch die deutsche Justiz. Diese fand – ausgehend vom Beginn der Ermittlungen in den 1960er Jahren – mit dem Düsseldorfer Majdanek-Prozess von 1975 bis 1981, der mit einer Verurteilung zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe gegen die Österreicherin Hermine Ryan (geb. Braunsteiner) endete, ihren Höhepunkt. CLAUDIA KURETSIDIS-HAIDER (Wien) von der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz verwies in ihrem Vortrag auf die Konzentration der deutschen Justizbehörden auf die Verbrechen der Angehörigen der Dienststelle Majdanek, während das am 3./4. November 1943 durchgeführte Massenvernichtungsverbrechen im Rahmen der sogenannten Aktion „Erntefest“ (die Ermordung von 18.000 Juden und Jüdinnen in Majdanek und von weiteren 24.000 in Lagern wie Poniatowa und Trawniki) nahezu ungesühnt blieb. Darüber hinaus strich sie in einem Rechtsvergleich mit Österreich die Rolle der deutschen Zentralstellen hervor, zu denen es in Österreich kein Pendant gab, und kam resümierend zum Schluss, dass es in Österreich über Jahrzehnte hinweg am politischen Willen fehlte, NS-Gewaltverbrechen gründlich zu ahnden. Besonders eindrucksvoll erwies sich im Anschluss an diese Überblicksdarstellung der Auftritt des im Düsseldorfer Majdanek-Prozesses als Anklagevertreter tätig gewesene Staatsanwalts i. R. WOLFGANG WEBER (Köln), der einen anschaulichen Eindruck über die von ihm maßgeblich mitgeprägte Vorbereitung dieses Prozesses gab. In einem weiteren Vortrag widmete sich ELISSA MAILÄNDER KOSLOV (Paris) vom CIERA/Paris der Person von Hermine Ryan und zeigte dabei die Schwächen der österreichischen Justiz bei der Ahndung der in Majdanek begangenen Verbrechen auf. JULIA HARTUNG (Wien/Braunschweig) von der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz analysierte abschließend die Rolle der Überlebenden von Majdanek vor Gericht am Beispiel des Dokumentarfilms von Eberhard Fechner über den Düsseldorfer Prozess. Dabei strich sie die besondere Form des Umganges des Gerichts mit den Zeuginnen und Zeugen hervor, die in der anschließenden Diskussion auch vom zweiten Staatsanwalt des Düsseldorfer Prozesses, Dieter Ambach, näher erläutert wurde. Im Zentrum der Konferenz standen die in Österreich durchgeführten umfangreichen Untersuchungen der Staatsanwaltschaft Graz 1963 bis 1973 gegen 64 Personen (v.a. männliche und weibliche Angehörige des SS-Wachpersonals und Kapos), die bis dato einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt waren. Keine der Vorermittlungen führte allerdings zu einer Anklage, das Verfahren wurde schließlich durch "Zurücklegung der Anzeige" gegen sämtliche Beschuldigte eingestellt. SIEGFRIED SANWALD (Wien) von der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz zeichnete die zunächst durchaus ambitionierten Untersuchungen der Grazer Staatsanwaltschaft nach und gab einen Überblick über die – nicht immer funktionierende – Zusammenarbeit mit den deutschen und polnischen Justizbehörden. In einer abschließenden Analyse des Schlussberichts der Grazer Staatsanwaltschaft vom Jänner 1973 über die Einstellung sämtlicher Verfahren wies er bemerkenswerte Mängel hinsichtlich der Kenntnis des damals bereits ersichtlichen zeitgeschichtlichen Forschungsstandes zu Majdanek, darüber hinaus aber generell hinsichtlich des Funktionierens der NS-Diktatur und ihrer Methoden zur Vertuschung der Verbrechen nach, die einen offenkundigen Unwillen der österreichischen Justiz bei der Verfolgung der Verbrechen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern wie Lublin-Majdanek verdeutlichen. Im Gegensatz zu Auschwitz und Mauthausen – den anderen beiden Konzentrationslagern, in denen Österreicher einen relevanten Teil der Wachmannschaften stellten – wurde zu Majdanek kein österreichisches Strafverfahren mit Urteil abgeschlossen. Nicht zuletzt durch die Übernahme der Kleidung und Schuhe der in den Vernichtungslagern Belzec und Sobibor Ermordeten fungierte das KZ Lublin-Majdanek als eine Art "Relais-Stelle" für den Massenmord der Aktion Reinhardt unter dem Kommando des österreichischen SS- und Polizeiführers Lublin Odilo Globocnik. In die Verbrechen waren neben der Lagerwache und Kapos des Konzentrationslagers auch österreichische Staatsangehörige der in Lublin stationierten SS- und Polizeieinheiten involviert. BERTRAND PERZ (Wien) vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien zeigte in seinem Vortrag über die Verbrechen im Raum Lublin und ihre strafrechtliche Ahndung in Österreich auf, dass nach dem Selbstmord von Hermann Höfle, des "Stabchefs" der Aktion Reinhardt, kurz vor Beginn seines Prozesses 1962, sämtliche weitere Ermittlungen im Sand verliefen oder – im Falle von Ernst Lerch und Helmut Pohl, ebenfalls Angehörige des Stabs des Höheren SS- und Polizeiführers Odilo Globocnik in Lublin – im Mai 1972 nach nur zwei Verhandlungstagen auf Antrag der Staatsanwaltschaft eingestellt und nie wieder aufgenommen wurden. Im Zuge der 2007 eingeleiteten Vorerhebungen der Staatsanwaltschaft Wien gegen die ehemalige Aufseherin des KZ Majdanek,
Erna Wallisch, die nach dem Tod der Beschuldigten im Februar 2008 eingestellt werden mussten, wurde erneut die Frage der Beteiligung
österreichischer Tatverdächtiger an den Verbrechen in Majdanek evident. Der im Bundesministerium für Justiz tätige leitende Staatsanwalt VIKTOR EGGERT (Wien) gab abschließend einen Überblick über die Ahndung der NS-Verbrechen in Österreich und kontextualisierte die Ermittlungen der österreichischen Justiz im Zusammenhang mit dem Komplex Lublin-Majdanek. In der resümierenden Schlussdiskussion der ReferentInnen mit den zahlreich erschienenen TeilnehmerInnen der Veranstaltung wurde vor allem die Bedeutung weiterer Forschungen zum Thema NS-Justiz betont und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen der Justiz und HistorikerInnen bei der Ausforschung von NS-TäterInnen sowie der Ahndung der Verbrechen hervorgestrichen. Am Vorabend der Konferenz, am 28. November 2010, fand im Bundesministerium für Justiz im Rahmen der vom Kulturamt der Stadt Wien kuratierten Veranstaltungsreihe "Wiener Vorlesungen" die Enquete "Gegenüberstellung: Die Konfrontation von Opfern und TäterInnen in Kriegsverbrecherprozessen" statt. ZeitzeugInnen und ExpertInnen diskutierten die Rolle der Zeugenschaft vor Gericht aus rechtshistorischer und völkerrechtlicher Sicht. Dabei wurde die Konfrontation von TäterInnen und Opfern in Gerichtsverfahren wegen NS-Gewaltverbrechen wie auch der Umgang mit ZeugInnen in gegenwärtigen Prozessen wegen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen thematisiert. Besonders hervorgehoben wurde in der Diskussion mit Staatsanwalt i.R. DIETER AMBACH (Düsseldorf) und der ehemaligen Zeugenbetreuerin HILDEGARD SCHLACHTER (Kaarst) die gelungene Einbindung der Erfahrung der Zeuginnen und Zeugen in die Beweisaufnahme der fast sechsjährigen Hauptverhandlung des Düsseldorfer Majdanek-Prozesses 1975 bis 1981. Richter Günther Bogen und die beiden Staatsanwälte Dieter Ambach und Wolfgang Weber gingen dabei bis an die Grenzen der Strafprozessordnung, um die Überlebenden zu Wort kommen zu lassen. GABRIELE MISCHKOWSKI (Köln) von "Medica Mondiale" Köln und der ehemalige Richter beim Jugoslawien- Kriegsverbrechertribunal FRANK HÖPFEL (Wien) arbeiteten in ihren Stellungnahmen diese Aufwertung der Rolle der Opfer als einen der wichtigsten Unterschiede zwischen den Kriegsverbrecherprozessen der Gegenwart und jenen nach dem Zweiten Weltkrieg heraus. Die Perspektive der ZeitzeugInnen konnte durch Video- und Audioeinspielungen von Inter-views mit Überlebenden des NS-Terrors eingebracht werden: die Warschauer Majdanek-Überlebende und Prozesszeugin Danuta BRZOSKO-MĘDRYK (Warschau), deren Aussage maßgeblich für die Auslieferung der im Düsseldorfer Majdanek-Prozess angeklagten Hermine Ryan, geb. Braunsteiner, durch die amerikanischen Justizbehörden war, und HANS MARŠÁLEK (Wien, Ehrenvorsitzender des österr. KZ-Verbands, ehemaliger Lagerschreiber des KZ Mauthausen, Zeuge in alliierten und österreichischen Mauthausen-Prozessen) nahmen dabei zu ihren Erfahrungen in Prozessen wegen NS-Verbrechen Stellung. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Konferenz – die erste ausschließlich dem KZ Majdanek gewidmete Veranstaltung außerhalb Polens – eindrücklich die herausragende Stellung des Düsseldorfer Prozesses belegte, und zwar nicht nur hinsichtlich der in Vorbereitung und Durchführung dieses längsten Strafprozesses der deutschen Rechtsgeschichte erfolgten umfassenden historischen und juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in diesem Konzentrations- und Vernichtungslager, sondern auch hinsichtlich des beispielhaften Umgangs mit den Überlebenden. Der Düsseldorfer Gerichtshof nahm damit Erkenntnisse vorweg, die maßgeblich für den Umgang der in den 1990er Jahren eingerichteten internationalen Strafgerichtshöfe zur Ahndung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen mit Zeuginnen und Zeugen, beispielsweise den Opfern von Vergewaltigungen, geworden sind. Ebenfalls von Bedeutung für die Ahndung von gegenwärtigen Verbrechen ist die Erkenntnis, dass sich eine möglichst rasche Aburteilung der Straftaten – insbesondere in Situationen des gesellschaftlichen Umbruchs – zwar negativ auf die juristische Qualität der Strafverfahren auswirken kann, dass aber die zeitliche Nähe der Ahndung zu den begangenen Verbrechen insbesondere bei der Sicherung der Beweismittel und der Qualität von Zeugenaussagen Vorteile bringt, die mit zunehmendem zeitlichen Abstand auch durch noch so akribische Prozessvorbereitung nicht mehr wettzumachen sind. Die Ergebnisse der zweitägigen Veranstaltung werden unter dem Titel "Das KZ Majdanek und die Justiz. Strafverfolgung und verweigerte Gerechtigkeit in Polen, Deutschland und Österreich" publiziert und am 30. Juni 2011 anlässlich des 30. Jahrstages des Urteilsspruches im Düsseldorfer Majdanek Prozess in der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf präsentiert.
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28./29. Oktober 2010
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