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Das KZ Lublin-Majdanek und die Justiz
Strafverfolgung und verweigerte Gerechtigkeit: Polen, Deutschland und Österreich im Vergleich

 

In der unmittelbaren Nachkriegszeit galt das KZ Lublin-Majdanek als Inbegriff einer nationalsozialistischen "Mordfabrik". Später standen andere Konzentrationslager im Mittelpunkt der historischen Forschung. Erst mit dem Düsseldorfer Majdanek-Prozess setzte Mitte der 1970er Jahre wieder ein verstärktes Interesse an diesem Lager ein, das – ähnlich wie Auschwitz – sowohl ein Konzentrationslager als auch Teil der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie war. In den letzten Jahren rückte die Multifunktionalität von Majdanek, insbesondere auch auf Grund der in deutscher Sprache erschienenen Arbeiten von Tomasz Kranz, Leiter des Staatlichen Museums Majdanek, in den Blickpunkt der KZ-Forschung.

Im Zusammenhang mit der Klärung der Rolle dieses Lagers bei der Durchführung der "Aktion Reinhardt" und der Verwertung des geraubten Eigentums der Ermordeten konnte Tomasz Kranz die in vielen Publikationen verwendeten Opferzahlen korrigieren.

Majdanek war das erste Konzentrationslager, das die Alliierten befreiten. Als am 23. Juli 1944 sowjetische und polnische Soldaten das Lagergelände betraten, fanden sie Beweise für einen Massenmord von bis dahin unvorstellbarem Ausmaß vor. Die erste Kommission zur Untersuchung nationalsozialistischer Verbrechen wurde noch im August eingerichtet, ihre Ermittlungsergebnisse wurden noch vor Kriegsende in mehreren Sprachen verbreitet. Ebenfalls im August 1944 erließ die polnische Übergangsregierung das erste Gesetz zur Ahndung von NS-Verbrechen.

Der erste KZ-Prozess fand von 27. November bis 2. Dezember 1944 vor dem Sonderstrafgericht Lublin statt. Bis Anfang der 1950er Jahre hatten sich Angehörige des Wachpersonals, die von den Alliierten ausgeliefert worden waren, vor polnischen Gerichten zu verantworten. Danach unterstützte die Hauptkommission zur Untersuchung von NS-Verbrechen in Polen bis in die jüngste Vergangenheit deutsche und österreichische Strafverfolgungsbehörden bei den Bemühungen zur Ahndung der in Majdanek begangenen Verbrechen.

In der Bundesrepublik Deutschland führten diese Ermittlungen zu mehreren Prozessen; das letzte Urteil erging 1999. Das wichtigste Verfahren war der Düsseldorfer Majdanek-Prozess (1975–1981). Dieser größte Strafprozess der deutschen Rechtsgeschichte setzte hinsichtlich des Umgangs mit den in den Zeugenstand gerufenen Opfern von Kriegs- und Humanitätsverbrechen Maßstäbe, die bis in die Gegenwart fortwirken.

Der in Graz vorbereitete österreichische Majdanek-Prozess fand hingegen nicht statt. Nach fast zehnjährigen Ermittlungen gegen 64 Tatverdächtige beantragte die Staatsanwaltschaft Graz im Oktober 1972 die Einstellung des Verfahrens. Die Zustimmung des Bundesministeriums für Justiz lässt sich in die damaligen Bestrebungen einordnen, potentiell zweifelhafte Freisprüche mutmaßlicher NS-Täter zu vermeiden, indem Verfahren ohne Anklageerhebung beendet wurden. Der Verlauf der weiteren Ermittlungen deutscher Staatsanwälte für den Düsseldorfer Majdanek-Prozess bewies, dass zum Zeitpunkt der Einstellung des Grazer Verfahrens noch nicht hinlänglich geklärt war, ob einige der österreichischen Beschuldigten strafrechtlich relevante Taten begangen hatten.

Aus der Einleitung

 

Zwar gelang es dem aus Österreich stammenden SS- und Polizeiführer von Lublin, Odilo Globocnik, nicht, das 1941 als Lager für sowjetische Kriegsgefangene eingerichtete "KL Lublin" zu einem Konzentrationslager mit den geplanten gigantischen Ausmaßen auszubauen, dennoch erfüllte der Lagerkomplex Lublin-Majdanek zentrale Funktionen für den Massenmord der Aktion Reinhardt.

In diesem Buch wird unter anderem der Frage nachgegangen, in welchem Ausmaß Staatsanwaltschaften und Gerichte in Österreich, Deutschland und Polen dazu beigetragen haben, die Verbrechen im KZ Lublin-Majdanek aufzuklären. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Analyse der Methoden und "Effizienz" der Strafverfolgung in den drei Ländern.

Die ab November 1944 geführten polnischen Prozesse werden in dieser Publikation zum ersten Mal in deutscher Sprache ausführlich dargestellt und mit den bereits 1943 einsetzenden Bemühungen polnischer Juristen zur Kodifikation und praktischen Anwendung von strafrechtlichen Normen zur Verfolgung des nationalsozialistischen Völkermordes in Beziehung gesetzt.

Sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in Österreich war der Komplex Lublin-Majdanek seit den 1960er Jahren Gegenstand umfangreicher staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen.

In der Bundesrepublik Deutschland führten diese Ermittlungen zu mehreren Prozessen; das letzte Urteil erging 1999. Das wichtigste Verfahren war der Düsseldorfer Majdanek-Prozess (1975–1981). Dieser größte Strafprozess der deutschen Rechtsgeschichte setzte hinsichtlich des Umgangs mit den in den Zeugenstand gerufenen Opfern von Kriegs- und Humanitätsverbrechen richtungsweisende Maßstäbe, die bis in die unmittelbare Gegenwart fortwirken.

Das große, in Graz geplante österreichische Majdanek-Verfahren wurde hingegen 1973 ohne Anklageerhebung eingestellt. Für die Überlebenden bedeutete dieses besonders deutlich gewordene Unvermögen der österreichischen Justiz, lange zurückliegende Massenverbrechen zu ahnden, die Verweigerung von Gerechtigkeit.

 

Das Buch ist Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz, dem Wissenschaftlichen Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien und dem Staatlichen Museum Majdanek in Lublin.

 

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Veröffent- lichungen der Forschungs- stelle Nachkriegsjustiz Band 4

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