Was blieb von den beiden Wiener Auschwitz-Prozessen der siebziger
Jahre?
Impulsreferat von Sabine Loitfellner
Der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Jänner
wurde in Österreich offiziell nicht gedacht. Trotz des ausgerufenen „Gedankenjahres
2005“ gab es keine Festsitzung, keine Gedenkminute im Parlament, keine
Ansprache. Lediglich die Befreiungsfeiern in Mauthausen werden in den Kontext
des offiziellen „Gedankenjahres“ gestellt. „Gewiss, der
Schrecken Mauthausen liegt zumindest geographisch näher“, um Barbara
Tóth im Standard zu zitieren, „aber es ist Auschwitz, das zur
Chiffre für die Einmaligkeit der NS-Verbrechen und der Mittäterschaft
Deutscher und Österreicher geworden ist.“
Dass es in Österreich kein „Auschwitz-Gedächtnis“ gibt,
ist Ausdruck der spezifischen Vergangenheitspolitik und daraus resultierend
– einer mangelhaften Erinnerungskultur. In diesem Kontext möchte
ich aber nicht den bereits viel zitierten Mythos der „Stunde Null“
oder die Mär von Österreich als erstem Opfer Hitlers bzw. die daraus
folgenden Konsequenzen für die Nichtaufarbeitung der NS-Vergangenheit
thematisieren, vielmehr gilt es auf einen Aspekt hinzuweisen, der weitgehend
unbekannt ist: Nämlich auf österreichische Auschwitz-Prozesse, die
hierzulande im Jahr 1972 geführt wurden. Im Unterschied zum Frankfurter
Auschwitzprozess, der zweifelsohne einen Wendepunkt in der deutschen Geschichte
bildete, hatten die Prozesse in Österreich keinerlei Nachhaltigkeit,
sie riefen weder ein breite öffentliche Debatte hervor, noch wurden sie
rezipiert oder fanden Eingang in offizielle Geschichtsbilder. Die Auschwitzprozesse
hierzulande trafen auf ein Rezeptionsklima, das an einer Aufarbeitung der
NS-Verbrechen weitgehend uninteressiert war.
Beschäftigt man sich mit den Verfahrensakten, taucht zudem der Verdacht
auf, dass dieses Desinteresse auch auf die Justiz (als Bestandteil unserer
Gesellschaft) zutrifft. Immerhin gingen die Ermittlungen gegen österr.
TäterInnen nur sehr zögerlich voran, von den ersten Vorerhebungen
bis zum Beginn der Prozesse vergingen fast 12 Jahre. Dies ist umso erstaunlicher,
als die deutschen Ermittlungsbehörden ihre Erkenntnisse und Beweismaterialien
aus dem Auschwitz-Prozess zur Verfügung stellten und auch die Zeugen
bereits bekannt waren.
Die österreichische Justiz leitete gegen insgesamt 53 Personen –
diese Zahl könnte sich durch die laufenden Forschungen noch erhöhen
– Ermittlungen ein. Die ersten Ermittlungen wurden im Jahr 1960 gegen
2 SS-Ärzte begonnen, die im KZ Auschwitz an Selektionen teilgenommen
sowie durch sog. "Abspritzungen" Häftlinge getötet haben
sollen. Es folgten Erhebungen gegen Angehörige der Lager-SS, gegen Technokraten
der Bauleitung in Auschwitz, gegen den Leiter der politischen Abteilung in
Auschwitz (Nachfolger von Maximilian Grabner) und sogar gegen 2 Adjutanten
der Lagerkommandanten von Auschwitz II (Birkenau) und Auschwitz III (Monowitz).
Zustande kamen die Verfahren vor allem aufgrund der Tätigkeit und Vehemenz
von Hermann Langbein – Journalist und Auschwitz-Überlebender sowie
Sekretär des internationalen Auschwitzkomitees in Wien. Hermann Langbein,
aber auch Simon Wiesenthal bemühten sich, Zeugen aufzuspüren, Dokumente
zu sammeln und diese den zuständigen Untersuchungsrichtern und Staatsanwälten
zuzuführen. Auffallend ist, dass beispielsweise Simon Wiesenthal seine
Briefe bzgl. des Adjutanten von Höss aber an die Zentrale Stelle in Ludwigsburg
in Deutschland und nicht an das Landesgericht Wien schickte. Der Schluss liegt
nahe, dass dies eine Reaktion auf das Desinteresse der einheimischen Ermittlungsbehörden
war; auch Hermann Langbein kritisierte immer wieder in betont fordernden Briefen
an das Gericht die Untätigkeit und die lange Dauer der Ermittlungen.
Am Beispiel des Prozesses gegen die Erbauer der Auschwitzer Krematorien lässt
sich die zögerliche Vorgangsweise festmachen: Der Haupangeklagte, Walter
Dejaco, wurde im April 1962 vom Untersuchungsrichter das erste Mal einvernommen.
Die Fortsetzung dieser Beschuldigtenvernehmung erfolgte erst im Juni 1971.
Deutlich wird, dass der Komplex Auschwitzprozesse innerhalb der Tätigkeit
der Gerichte und Ermittlungsbehörden eine absolut untergeordnete Rolle
spielte. Erst nachdem 1970 ein Personalwechsel in der Staatsanwaltschaft stattgefunden
hatte, wurden die Ermittlungen ernsthaft geführt. Seit der ersten Anzeige
war aber mittlerweile über 1 Jahrzehnt vergangen.
1972 fanden schließlich vor dem Wiener Landesgericht 2 Hauptverhandlungen
statt:
• Im Jänner jener gegen die Erbauer der Auschwitzer Krematorien,
den bereits erwähnten Walter Dejaco sowie Fritz Ertl wegen der Mitwirkung
an der Vollziehung der Massenmorde durch Planung, Errichtung und laufende
Instandhaltung der Gaskammern und Krematorien.
• Ab Juni standen 2 Angehörige der Lager SS – Otto Graf und
Franz Wunsch - vor Gericht, denen vorgeworfen wurde, zahlreiche Menschen eigenhändig
erschlagen oder erschossen zu haben, an der Rampe bei Selektionen mitgewirkt
und Zyklon B in die Gaskammern geworfen zu haben.
Zu diesem Zeitpunkt waren zahlreiche Zeugen bereits verstorben, die lange
zeitliche Distanz zu den Geschehnissen in Auschwitz - 30 Jahre - bereitete
vielen Zeugen bei der Schilderung der Erlebnisse große Schwierigkeiten.
So wurden die Zeugen von den Verteidigern durch Detailfragen, wie etwa nach
dem Wetter zur Tatzeit oder ob die Häftlinge beim Appell in Reihen oder
im Kreis stehen mussten, bewusst in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert
und diskreditiert. Der eindeutig gesicherte Schuldbeweis war damit in den
Augen der Geschwornen nicht erbracht worden. Sie befanden die Angeklagten
in beiden Prozessen für unschuldig, wenngleich die Beweise teilweise
erdrückend waren und sich die Staatsanwaltschaft bemühte, die Taten,
derer die Angeklagten beschuldigt wurden, in den Gesamtkomplex Auschwitz einzuordnen.
Beispielsweise erläuterte die Anklage, dass die beiden Architekten Dejaco
und Ertl nicht nur die Gaskammern und Krematorien planten, sondern auch für
die katastrophalen Lebensbedingungen der Häftlinge verantwortlich waren.
Die Argumentation der Verteidigung der beiden SS-Aufseher Wunsch und Graf,
dass, wenngleich die Verbrechen in Auschwitz schrecklich gewesen seien, man
nicht 2 kleine Leute dafür verantwortlich machen dürfe, führte
im 2. Auschwitz-Prozess ebenfalls zum Freispruch.
***
Ist der Bereich der Nachkriegsjustiz in Österreich erst
seit relativ kurzer Zeit Gegenstand von Forschungen, so bildet der Komplex
der Auschwitzverfahren ein besonderes Forschungsdesiderat. Parallel zur Durchsicht
der unzähligen Seiten an Gerichtsakten gilt es auch, einer Reihe offener
Fragen nachzugehen:
• Obgleich der zuständige Staatsanwalt auch nach den beiden
Freisprüchen ermittelte und versuchte Beweismaterialien zu finden, wurde
u.a. die Anzeige gegen den Adjutanten von Hartjenstein (=Kommandant von Auschwitz-Birkenau)
1974 zurückgelegt. Auch die restlichen noch laufenden Verfahren wurden
sukzessive eingestellt.
• Warum die Verfahren eingestellt wurden, unterliegt der Spekulation.
Der Grund dafür dürfte aber wohl in realpolitischen Erwägungen
zu suchen sein - das Scheitern dieser juristischen Aufarbeitungsversuche sollte
nicht vor den Augen der Öffentlichkeit erfolgen – durch Zurücklegung
der Anzeigen und nicht durch Freisprüche, nachdem die beiden Prozesse
in einigen kritischen Medien aber vor allem im Ausland Aufsehen erregt hatten.
• Unklar ist, warum die Ermittlungen gegen die verdächtigen
österreichischen Täter in Auschwitz immer im Stadium der Vorerhebungen
blieben und nie die Voruntersuchung eingeleitet wurde.
• Trotz der Bemühungen der Staatsanwaltschaft, entsteht vielfach
der Eindruck, als seien andere Stellen – wie etwa Botschaften im Ausland,
die bei der Zeugenvernehmung Unterstützung leisten sollten - nicht an
einem Zustandekommen der Prozesse interessiert.
• Die Rolle des Gerichts und der involvierten Richter liegt zudem
bislang völlig im Dunkeln. Was sind die Gründe dafür, dass
die Vorerhebungen und Voruntersuchungen in die Länge gezogen wurden?
Die Verfahrensakten geben hier allerdings nur ungenügende Auskunft. Hier
gilt es neben Recherchen in Akten des Justizministeriums mitunter auch damals
involvierte Richter und Staatsanwälte zu interviewen, um diese Geschichte
aufzuzeichnen.
• Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Geschworenen als
Repräsentanten der Gesellschaft urteilten. Neben der Frage, ob die Laiengerichtsbarkeit
das geeignete Mittel war, um über diese Verbrechen zu urteilen, sind
es aber auch andere Fragen, die gestellt werden müssen, wie etwa jene
danach, ob es ausschließlich pragmatische Gründe waren, warum die
Ratskammer am Landesgericht von Beginn an einen großen Prozess verhindern
wollte? Warum argumentierte sie, es gäbe objektiv als auch subjektiv
keinen Zusammenhang zwischen den einzelnen Verdächtigen und negierte
damit die historische Besonderheit von Auschwitz und der geschehenen Verbrechen?
• Im Diskurs über die Auschwitzprozesse muss jedenfalls beachtet
werden, dass ihr Zustandekommen, ihr Ablauf sowie auch der Umgang damit das
Resultat einer gesellschaftspolitisch spezifischen Situation ist.
Die 2. Verdrängung - also nicht nur die der Verbrechen, sondern auch
ihrer Aufarbeitung - bedingte, dass die Auschwitzprozesse bis heute vollkommen
unbekannt sind. Mit Ausnahme von Neonazis und Holocaustleugnern, die etwa
den Freispruch gegen Dejaco und Ertl in Unkenntnis der Gerichtsakten dazu
benützen, die Existenz von Gaskammern zu leugnen und behaupten, dass
die Architekten Gartenanlagen planten und es daher Erholungsanlagen in Auschwitz
für Häftlinge gegeben haben muss, gibt es keine Rezeption dieser
Prozesse.
Impulsreferat von Claudia Kuretsidis-Haider (krankheitshalber vorgetragen von Winfried R. Garscha)
"Denn man soll aus Auschwitz Lehren ziehen": Überlegungen
zum Projekt "Auschwitzausstellung in Wien"
Mit der Eröffnung der Strafsache 4 Ks 2/63 des Landgerichts
Frankfurt am Main gegen Robert Mulka, ehemaliger Adjudant des Lagerkommandanten
Rudolf Höß, und Andere, am 20. Dezember 1963 im Schwurgericht Frankfurt
am Main wurde - nicht nur der deutschen - Öffentlichkeit erstmals der
Name Auschwitz als Synonym für den nationalsozialistischen Völkermord
vor Augen geführt. In dem bis 20. August 1965 dauernden, bis dahin größten,
Prozess in der deutschen Nachkriegsgeschichte zeigte sich zum ersten Mal ein
vollständiges Bild der nationalsozialistischen Judenverfolgung, wurde
der deutschen Bevölkerung, vor allem aber der historischen Wissenschaft,
deren Wahrheit bewusst gemacht (Hans Buchheim). Auschwitz wurde zum Symbol
für die Ermordung von mehr als sechs Millionen Menschen unter dem NS-Terrorregime.
"Seit dem Auschwitz-Prozess war [somit] die Vergangenheit ein Stück
näher gerückt."
Maßgeblichen Anteil an der Ermittlung und Anklage von 17 SS-Funktionären
des Konzentrationslagers Auschwitz und des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau
hatte der hessische Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer, der als Betroffener
der Nürnberger Gesetze, nachdem er bereits 1933 im KZ Heuberg inhaftiert
gewesen war, nach Dänemark und später nach Schweden emigrieren musste.
Diesem ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess - ihm folgten bis 1976 drei weitere
nach -, der mit sechs lebenslangen Urteilen, drei Freisprüchen und acht
Haftstrafen zwischen drei und vierzehn Jahren wegen mehr als 15.000 Morden
endete, widmet das Frankfurter Fritz-Bauer-Institut eine umfangreiche Gedenkausstellung,
in der sowohl der historische Hintergrund als auch die vielfältigen Folgen
des Verfahrens und dessen juristische, politische und kulturelle Wirkung dargestellt
sind.
Beschreibung der Frankfurter Ausstellung
Eine Chronik der "Endlösung der Judenfrage" führt in die
Ausstellung ein, gefolgt von einem Überblick der Geschichte der juristischen
Aufarbeitung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nach 1945. Von den
Nürnberger Prozessen (gegen die Elite des NS-Regimes vor dem Internationalen
Militärtribunal), dem Prozess gegen den ersten Kommandanten von Auschwitz
Rudolf Höß in Warschau, dem Eichmann-Prozess in Jerusalem und dem
so genannten Ulmer Einsatzgruppenprozess (gegen Angehörige der Einsatzgruppe
A) erstreckt sich der Bogen bis zur unmittelbaren Vorgeschichte des Auschwitz-Prozesses.
Den Mittelpunkt stellt der Prozessverlauf, am Beispiel von sechs Angeklagten,
dar. In sechs Abteilen werden die BesucherInnen OhrenzeugInnen der Vernehmungen
der Angeklagten sowie der Aussagen von ZeugInnen. Von der 183 Tage dauernden
Hauptverhandlung wurden insgesamt 340 Stunden als akkustisches Verhörprotokoll
aufgezeichnet. Auf Stellwänden in den Kabinen erfährt man Biografisches
über die Angeklagten, liest Auszüge aus der Beweisaufnahme, aus
den Plädoyers und aus dem Urteil ebenso wie zeitgenössische Presseberichte.
Insbesondere der Zeugenschaft von 211 Auschwitz-Überlebenden aus 18 Ländern
wird breiter Raum eingeräumt, denn ohne deren Aussagen hätte der
Prozess nicht durchgeführt werden können. Unter ihnen befanden sich
auch die ÖsterreicherInnen Hermann Langbein, Dr. Rudolf Vrba und Dr.
Ella Lingens. Hermann Langbein hatte in seiner Funktion als Generalsekretär
des Internationalen Auschwitz Komitees die Ermittlungsarbeit von Generalsstaatsanwalt
Fritz Bauer unterstützt. Rudolf Vrba machte Hermann Langbein in einem
Schreiben aus dem Jahr 1963 auf die Rolle des SS-Unterscharführers Otto
Graf im Zusammenhang mit dem Sonderkommando in Auschwitz-Birkenau aufmerksam,
gegen den in der Folge 1972 zusammen mit Franz Wunsch ein Prozess vor einem
österreichischen Gericht stattfand (Sabine Loitfellner hat in ihrem Beitrag
darüber berichtet).
Die weitgehend unerforschte Wirkungsgeschichte des Prozesses in Literatur,
Philosophie, Publizistik und Theater bildet einen weiteren Schwerpunkt der
Ausstellung. So ist z. B. dem Drama "Die Ermittlung" von Peter Weiss
ein eigener Raum gewidmet.
Installationen von 12 KünstlerInnen aus verschiedenen Ländern stellen
den Versuch der dokumentarischen Vergegenwärtigung dar, und zwar mit
Hilfe der Fotografie, von Film, Video, Ton, interaktiver Installationen und
architektonischer Interventionen. Beabsichtigt ist damit, durch interaktive
Räume die ZuschauerInnen durch eigene Aktivitäten in die Ausstellung
zu integrieren. So können beispielsweise in der Diskussionsplattform
des "Club BRD" inmitten von "ZeugInnen" und "Angeklagten"
Gespräche mit anderen BesucherInnen über die Schuld- und Verjährungsproblematik,
eine Frage, die im Umfeld des Auschwitz-Prozesses in Deutschland kontroversiell
diskutiert worden ist, geführt werden.
Die Zielsetzung von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und seinem
Ermittlungsteam war es, die Vergegenwärtigung des Grauens nicht auf den
Gerichtssaal zu beschränken. Der Auschwitz-Prozess sollte ungleich stärker
als frühere NS-Prozesse nach "draußen" wirken, das heißt,
"für die Gegenwart wie auch die Zukunft ein Exempel statuieren"
und exemplarisch auf die deutsche Justiz, die nach Bauers Überzeugung
noch in vielen Fällen vom nationalsozialistischen Geist geprägt
war, einwirken.
Die wichtigste Auswirkung des Auschwitz-Prozesses in Deutschland
und über seine Grenzen hinaus war es, dass über die literarische,
wissenschaftliche, philosophische und künstlerische Auseinandersetzung
in den Folgejahren in immer breiterem Ausmaß in das öffentliche
Bewusstsein eindrang, was Auschwitz bedeutete. Auch in Österreich ist
Auschwitz mit seinem Konglomerat aus Internierungs-, Arbeits- und Vernichtungslager
und der Ermordung von Millionen Menschen zum Synonym für die Shoa geworden.
In der öffentlichen Debatte allerdings völlig ausgeblendet wurde
die von österreichischer Seite - wenngleich unzulängliche - justizielle
Auseinandersetzung mit diesem Verbrechenskomplex sowie der Anteil der österreichischen
Opfer, vor allem aber der Anteil der österreichischer Täter an den
Verbrechen.
Zwar ist in der Brockhaus-Enzyklopädie in der Ausgabe aus dem Jahr 1967,
also zwei Jahre nach der Urteilsverkündung, beim Eintrag "Auschwitz-Prozess"
zu lesen, dass auch in Österreich "ein Auschwitz-Verfahren in Vorbereitung"
sei , zwar hat die österreichische Justiz, wie Sabine Loitfellner skizziert
hat, gerichtliche Ermittlungen geführt, die in vier Fällen zu einem
Freispruch geführt haben, aber einen breiteren öffentlichen, sowie
wissenschaftlichen Diskurs gab es darüber nicht. Wie sehr Auschwitz auch
heute noch ein abstrakter Begriff im offiziellen österreichischen Gedächtnis
ist, zeigen die erst jüngst zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations-
und Vernichtungslagers hierzulande nicht erfolgten Erinnerungsfeiern. Sabine
Lotfellner hat darauf schon hingewiesen.
Die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz hat es
sich zum Ziel gesetzt, die vom Fritz-Bauer-Institut erstellte Ausstellung
zum Frankfurter Auschwitz-Prozess in der ersten Jahreshälfte 2007 nach
Wien zu bringen, um damit einen Anstoß für die Auseinandersetzung
vor allem mit der Frage der österreichischen TäterInnen in Auschwitz
zu geben. Dazu muss die deutsche Ausstellung inhaltlich mit einem "Österreich-Teil"
ergänzt werden. Einerseits sollen die zwei Wiener Auschwitz-Prozesse
aus dem Jahr 1972 sowie weitere Verfahren im Zusammenhang mit Auschwitz, wie
beispielsweise die vier Prozesse gegen den Eichmann-Mitarbeiter und "Fahrdienstleiter
des Todes" Franz Novak in Form von Dokumenten und Bildmaterial dargestellt
werden. Zudem ist die bereits begonnene Grundlagenforschung zu anderen österreichischen
Auschwitz-Verfahren seit 1945 fortzuführen. Andererseits sollen die Verdienste
von Hermann Langbein, aber auch beispielsweise von Rudolf Vrba, um den Frankfurter
Auschwitz-Prozess, sowie um die österreichischen Ermittlungen hervorgestrichen,
dokumentiert und gewürdigt werden.
Ein besonderes Augenmerk über die wissenschaftliche Auseinandersetzung
hinaus muss der Vermittlung des Themas in einer breiteren Öffentlichkeit
gewidmet werden. In zahlreichen Initiativen, vor allem im pädagogischen
Bereich, wurden in den letzten Jahren sowohl das Schicksal der vertriebenen
und ermordeten Juden und Jüdinnen als auch der Lern- und Gedächtnisort
Mauthausen österreichischen SchülerInnen nahe gebracht. Die Tatsache,
dass Tausende österreichische Juden und Jüdinnen entweder direkt
oder über den Umweg über das Ghetto Theresienstadt nach Auschwitz
deportiert und dort - unter Mithilfe österreichischer Täter - ermordet
worden sind, blieb bisher aus der Auseinandersetzung mit den Holocaust-Verbrechen
weitgehend ausgeblendet.
Der Frankfurter Auschwitz-Prozess in der Mitte der 60er Jahre fand vor den
Augen der Söhne- und Töchter-Generation statt. In vielen Fällen
war daher eine Betroffenheit aufgrund eines persönlichen Naheverhältnisses
(sei es als Angehörige, sei es als NachbarInnen) gegeben. Den Nachgeborenen
wurde dramatisch vor Augen geführt, "die Mörder sind wie Du
und ich" (wie der Titel einer Spiegel-Serie vom Frühjahr 1965 lautete).
Heute existiert eine derartige persönliche Betroffenheit so gut wie gar
nicht mehr. Wir stehen nunmehr vor der Aufgabe, der UrenkelInnen-Generation
die Dimension der Verbrechen und des Anteils von ÖsterreicherInnen daran
zu vermitteln. Heute geht es daher nicht mehr nur um das Gedächtnis von
Verfolgung von Leid. Heute geht es auch darum, die Frage des Genozids, seiner
juristischen Bewältigung und seiner Prävention anzusprechen. Micha
Brumlik, der Leiter des Fritz-Bauer-Instituts skizziert diese Aufgabe in seinem
Geleitwort zum Katalog der Ausstellung folgendermaßen: "Der Patriot
Fritz Bauer konnte in seiner Situation nicht anders, als sich der neuen Verbrechenskategorie
des Genozids im Horizont der deutschen Geschichte zu stellen und sie mit allen
Mitteln zu bekämpfen. Heute, in einer globalisierten Welt, sehen wir
deutlicher, dass die Nürnberger Prozesse, der Jerusalemer Eichmann-Prozess
und eben auch die 'Strafsache gegen Mulka und andere' in ihrem objektiven
Geltungsanspruch schon damals über nationale Grenzen hinaus wiesen."
Sich dieser Herausforderung zu stellen wird eine lohnende Aufgabe bei der
Konzeptualisierung der österreichischen Variante Ausstellung sein.
Uni Campus Altes AKH
10. Februar 2005
Impulsreferate von Sabine Loitfellner und Claudia Kuretsidis-Haider (Wien)