www.nachkriegsjustiz.at
   
 

Die Verfolgung von NS-Verbrechen durch westdeutsche Justizbehörden seit 1945 - Inventarisierung und Teilverfilmung der Verfahrensakten. Ein neues Projekt des Institut für Zeitgeschichte
Zwischenbericht von Andreas Eichmüller erschienen

Im Heft 3/2002 der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte hat Andreas Eichmüller, Mitarbeiter am Münchner Institut für Zeitgeschichte, das von ihm gemeinsam mit Edith Raim und weiteren ForscherInnen bearbeitete Datenbank- und (Teil-)Verfilmungsprojekt »Die Verfolgung von NS-Verbrechen durch westdeutsche Justizbehörden seit 1945 - Inventarisierung der Verfahrensakten« vorgestellt und eine erste Zwischenbilanz des seit Sommer 1999 laufenden Projekts gegeben, das vom deutschen Außenministerium finanziert wird.

Einige Zahlen aus Eichmüllers Beitrag:
Laut Mitteilung des deutschen Bundesministeriums der Justiz wurden bis zum 1. 1. 2000 durch die westdeutsche Justiz gegen 106.496 Personen Verfahren wegen NS-Verbrechen eingeleitet und 6.497 Personen rechtskräftig verurteilt. Die bisherigen Projektarbeiten ergaben, dass die amtlichen Zahlen mit Sicherheit korrigiert werden müssen.
Die Anzahl der Verurteilten dürfte geringfügig, die Anzahl der Personen, gegen die ermittelt wurde, beträchtlich (10-20%) höher liegen. Die Anzahl der Verfahren, in denen gegen diese Personen ermittelt wurde, dürfte 35.000 bis 40.000 betragen (das sind fast 10.000 mehr als bei Begrinn des Projekts angenommen). Die Inventarisierung dieser Verfahren ist Gegenstand des Projekts, da bis heute ein zentrales Findhilfsmittel für diese Verfahren fehlt.

Wichtigster Sammelort der Justizakten zu NS-Verbrechen ist die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg (ZStL), wo jedoch Akten von Verfahren, die vor der Gründung der ZStL (1958) oder ohne ihre Einschaltung geführt wurden, nur in geringem Maße vorhanden sind, was für dier Forschung beträchtliche Probleme mit sich bringt, weil bei den Staatsanwaltschaften die Akten vieler derartiger Verfahren aus der unmittelbaren Nachkriegszeit bis Mitte der 1960er Jahre ausgesondert und vernichtet wurden. Selbst Verfahren, die mit Urteil abgeschlossen wurden, sind in vielen Fällen »ausgedünnt« worden, sodass mitunter nur Urteile und Vollstreckungshefte übrig blieben. Andererseits überschreitet der Umfang nicht weniger Verfahrensakten 10.000 Blatt.

Ziel des Projekts:
Systematische Erfassung aller Strafverfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, die von Staatsanwaltschaften und Gerichten seit 1945 in Westdeutschland und West-Berlin geführt wurden, die Feststellung des Aktenstandorts und des Aktenumfangs.

Datenbankstruktur:

  • Staatsanwaltschaft/Gericht + Aktenzeichen, ev. ZStL-Aktenzeichen
  • Tatort/Tatland
  • Tatzeit
  • Opfergruppe(n)
  • Einheiten/Dienstellen
  • Beschuldigte (Name, Geburtsdatum, Geburtsort, Funktion/Dienstgrad)
  • Verfahrenschronologie (Datum von Einstellung-Anklage-Urteil-Revision, jeweils mit Kurz-Begründung)
  • Verfahrenspersonal (Staatsanwälte, Richter, Verteidiger, wichtige Zeugen, Gutachter)
  • Aktenüberlieferung (Archiv/Staatsanwaltschaft, Band-/Blatt-Zahl, Kurzbeschreibung des Inhalts)
  • Zuordnung des Verfahrens zu einem Verbrechenskomplex

    Die zur Analyse verwendeten Kategorien für die Zuordnung zu Verbrechenskomplexen orientieren sich an den 11 Tatkomplexen für nationalsozialistische Tötungsverbrechen, die von C. F. Rüter für die Sammlung »Justiz und NS-Verbrechen« entwickelt wurden, »sie wurden jedoch zur besseren Unterscheidung sowie zur Erfassung von Vorkriegs- und Nichttötungsverbrechen auf insgesamt 20 Komplexe erweitert«.

    Vorgangsweise:
    Katalogisierung der Verfahren anhand der archivalischen Findhilfsmittel in den 31 einschlägigen Archiven. Alle dort nicht vorhandenen Akten werden - anhand der mit Unterstützung der ZStL elektronisch erfassten Verfahrenslisten - bei den 95 zuständigen Staatsanwaltschaften angefragt und (wenn vorhanden) eingesehen.
    Mit der Fertigstellung der Datenbank ist im Jahre 2004 zu rechnen.
    Mit Hilfe dieser Datenbank wird erstmals die Gesamtzahl aller Verfahren und aller darin Beschuldigten feststellbar sein. »Und es werden präzise Angaben über das Zahlenverhältnis der Verfahren, die mit Verurteilungen, Freisprüchen oder Einstellungen beendet wurden, über die Höhe der ausgesprochenen Strafen sowie über zeitliche und regionale Schwerpukte der Strafverfolgung - um nur einige Beispiele zu nennen - getroffen werden können.«

    Die ausgewählte Mikroverfilmung von Verfahrensakten auf der Basis dieses Erfassungsprojekts erfolgt in Zusammenarbeit mit Yad Vashen, Jerusalem.

    Zusammenfassung: W. R. Garscha

     


  • VjZ 50 (2002) S. 507-515