Symposion
Der erste Prozess wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen
an ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern in Österreich
Hintergründe und Wirkungsgeschichte
17. August 2005, Österreichisches
Staatsarchiv
Begrüßung
durch Hon.-Prof. HR Dr. Lorenz Mikoletzky
Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs
Begrüßung
durch Dr. Ingo Zechner
namens der IKG
Ich bedanke mich für die Einladung, im Namen
der Israelitischen Kultusgemeinde Wien einige einleitende Worte zu sprechen
und darf Ihnen die persönlichen Grüße von Präsident Dr.
Ariel Muzicant und Generalsekretär Dr. Avshalom Hodik übermitteln.
Dr. Hodik hätte diese Aufgabe sehr gerne selbst übernommen, hat
mich als Leiter der Anlaufstelle für jüdische NS-Verfolgte jedoch
aus gesundheitlichen Gründen gebeten, für ihn einzuspringen.
Die Frage nach der juristischen Verfolgung von NS-Verbrechen berührt
das Selbstverständnis der Zweiten Republik. In ihrem Zentrum steht nicht
die Genugtuung der Opfer, sondern die Struktur des Rechtsstaates, die alle
angeht. Umso bemerkenswerter ist es, dass es eines Ausnahmerechtes bedurfte,
um auf den siebenjährigen nationalsozialistischen Ausnahmezustand eine
juristisch angemessene Antwort zu geben. Das Verbotsgesetz und das Kriegsverbrechergesetz
von 1945, die beide den Rang von Verfassungsgesetzen hatten, bildeten die
rechtliche Grundlage für jene Volksgerichte, die zwischen den markanten
Jahreszahlen 1945 und 1955 mit der Ahndung von NS-Verbrechen befasst waren.
Ein Vergleich der so genannten Engerau-Prozesse, die den Auftakt der Volksgerichtsverfahren
bildeten, mit Prozessen nach der NS-Amnestie von 1957 macht deutlich, wie
unangemessen das herkömmliche Strafrecht den NS-Verbrechen war.
Dass solche Vergleiche möglich sind, ist der Arbeit der Zentralen österreichischen
Forschungsstelle Nachkriegsjustiz zu verdanken. Die Mikroverfilmung und die
damit einhergehende Beschlagwortung und Auswertung von über tausend Gerichtsakten
bilden die Grundlage für eine Forschungsarbeit, die erst am Beginn steht.
Mit dieser Forschung begonnen zu haben, ihre Fragen skizziert, erste Antworten
gegeben und die Desiderata so präzise wie möglich umrissen zu haben,
ist ein Verdienst, das den begleitenden wissenschaftlichen Publikationen der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Forschungsstelle zuzurechnen ist.
In den Zeugenaussagen von Opfern, Tätern und Zuschauern und in den Dokumenten
der Engerau-Prozesse werden die oft allzu abstrakt beschworenen Gräuel
nationalsozialistischer Gewaltverbrechen konkret. Die Tatorte haben einen
Namen, die Täter ein Gesicht, auch wenn sie nicht immer ausgeforscht
werden konnten. Die Prozessakten bewahren das Gedächtnis jener ungarischen
Juden, die im Lager Engerau inhaftiert in den letzten Monaten der nationalsozialistischen
Herrschaft beim „Südostwall“-Bau Zwangsarbeit leisten mussten.
Von ihnen sind über 500 ums Leben gekommen. Claudia Kuretsidis-Haider
hat zu zeigen versucht, dass die rund 8.800 Seiten Prozessakten der sechs
Engerau-Prozesse zwischen 1945 und 1954 zugleich in exemplarischer Weise ein
Studium der österreichischen Volksgerichtsbarkeit ermöglichen, das
den Veränderungen in der Rechtssprechung und in den politischen Verhältnissen
dieses ersten Nachkriegsjahrzehnts Rechnung trägt.
Die Arbeit der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz
ist eine Herausforderung für das kollektive Gedächtnis. Der Israelitischen
Kultusgemeinde Wien ist es ein wichtiges Anliegen, dass diese Herausforderung
angenommen wird. Will man die Volksgerichtsbarkeit in ihrem Kontext beurteilen,
wird es notwendig sein, neben den Gerichtsakten auch andere Aktenbestände
und Dokumente – von den Akten der Staatsanwaltschaft und des Justizministeriums
über jene des Innenministeriums bis zu Zeitungsberichten – systematisch
einzubeziehen. Diese Arbeit zu leisten, erfordert Zeit und Mittel. Ich möchte
deshalb mit einem Appell an die politisch Verantwortlichen schließen,
diese wichtige Auseinandersetzung mit den Grundlagen des österreichischen
Rechtsstaates auch in Zukunft möglich zu machen. Dem heutigen Symposion
wünsche ich einen guten Verlauf.
Zurück zum Bericht
|