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Anmerkungen zur Arbeit mit gerichtlichen Strafakten in der zeitgeschichtlichen Forschung (Teil 2) Vorbemerkung Da seit der Veröffentlichung des ersten Teiles der »Anmerkungen« doch geraume Zeit verstrichen ist (siehe den Beitrag im Rundbrief 1/1999), erscheint es mir angezeigt, an die vorgenommene Eingrenzung des Themas in sachlicher und zeitlicher Hinsicht zu erinnern: Diese Ausführungen gehen von der Prozessrechtslage aus, wie sie von 1945 bis 1970 in Österreich bestand und behandeln vorwiegend die Verfahren vor den Volksgerichten und den Geschwornengerichten. Zur Gliederung ist anzumerken, dass zunächst noch die im Teil 1 begonnene Vermittlung der fundamentalen Kenntnisse über das gerichtliche Strafverfahren durch Besprechung der bisher noch nicht erörterten Verfahrensgrundsätze fortgesetzt und abgeschlossen werden soll. Die Verfahrensgrundsätze im Strafprozess Fortsetzung 5. Das Prinzip der Öffentlichkeit[1] ist im Art. 90 Abs.(1) BVG festgelegt. Danach sind Verhandlungen[2] in Zivil und Strafsachen vor dem erkennenden Gericht [3] ... öffentlich zu führen, soweit nicht durch einfachgesetzliche Bestimmungen Ausnahmen von diesem Grundsatz angeordnet werden. Mit diesem Grundsatz ist eine Kontrolleinrichtung der Justiz durch die Öffentlichkeit geschaffen und andererseits auch dafür gesorgt, dass der Gegenstand der Verhandlung einschließlich des im Urteil schließlich festgelegten Ergebnisses einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird. Die Verletzung dieses Grundsatzes führt zur Nichtigkeit des Verfahrens[4]. Ein Ausschluss der Öffentlichkeit ist nur aus Gründen der Sittlichkeit oder der öffentlichen Ordnung (§ 229 StPO) sowie (unter gewissen Voraussetzungen) in Strafverfahren gegen Jugendliche (§ 40 JGG 1949) zulässig. Selbst in diesen Fällen darf ein bestimmter Personenkreis weiterhin als Zuhörer an der Verhandlung teilnehmen; dies gilt insbesondere für drei Vertrauenspersonen jedes Angeklagten (§ 230 Abs.2 StPO). Für die Forschungstätigkeit der HistorikerInnen hat dieser Grundsatz eine praktische Bedeutung: Öffentlichkeit bedeutet im Falle von Prozessen, die von allgemeinem Interesse sind oder waren, dass das Verfahren von den Medien verfolgt, beschrieben und kommentiert wird oder wurde. Es stehen daher in der Regel für die Forschungstätigkeit nicht nur die Gerichtsakten zur Verfügung, sondern auch verschiedene Medienberichte. Zeitungsberichte über Strafverfahren verfolgen in der Regel andere Zwecke als z. B. gerichtliche Protokolle über die Hauptverhandlung: Während letztere nur die formal entscheidungswichtigen Verfahrensvorgänge und Aussageninhalte wiedergeben und auch dabei noch genormte Floskel und inhaltliche Verkürzungen verwenden, mag in so manchem Pressebericht einiges über die im Verfahren herrschende Stimmung, mögen manche Hinweise auf den Umgang der am Verfahren beteiligten Gerichtspersonen, Laienrichter, Anklagevertreter und Verteidiger mit Angeklagten, Zeugen und Sachverständigen während des Verfahrens enthalten sein.[5] Die unangemessene Behandlung der zuletzt genannten Personen durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft wird nur in den seltensten Fällen im Protokoll ihren Niederschlag finden, kann aber durchaus für das Verfahrensergebnis, insbesondere im Geschwornenverfahren, (mit) ausschlaggebend gewesen sein. Eine ganze Reihe problematischer Freisprüche von Komplizen und Handlangern bei der Verübung von NSVerbrechen könnte unter diesen Gesichtspunkten betrachtet und zum Gegenstand der Forschung gemacht werden. 6. Der Grundsatz der Laienbeteiligung an der Rechtsprechung Wie das Prinzip der Öffentlichkeit ist auch das der Laienbeteiligung an der Rechtsprechung in der Verfassung (Art 91 B-VG[6]) festgeschrieben. So wie die normierte Öffentlichkeit des Verfahrens ist auch die Laien(richter)beteiligung am Verfahren als demokratisches Kontrollinstrument der Rechtsprechung gedacht: Es soll verhindert werden, dass die Berufsrichter in Verfahren wegen schwerer und schwerster oder wegen so genannter »politischer« Delikte überhaupt über Schuld und Unschuld von Angeklagten entscheiden (Art 91 Abs.2 B-VG Geschwornengerichtsbarkeit), bzw. über Vorwürfe von einer gewissen Schwere allein eine derartige Entscheidung treffen können (Art 91 Abs.3 B-VG Schöffengerichtsbarkeit). Sonderfälle der Schöffengerichtsbarkeit bestanden in dem hier behandelten Zeitraum mit den Schwurgerichten und in den Volksgerichten. Im Folgenden sollen alle Formen der Laienbeteiligung kurz vorgestellt werden: Geschwornengerichte: Wie bereits im Teil 1 dieser Abhandlung angemerkt, gab es Geschwornengerichte nach 1945 erst wieder mit dem InKraftTreten des Geschwornengerichtsgesetzes (BGBl. Nr. 240/1950) ab dem 1. Januar 1951. Charakteristikum dieser Verfahrensart ist es, dass zwar die Verhandlungsleitung und die Aufbereitung des Prozessgegenstandes bei dem aus drei Berufsrichtern zusammengesetzten Schwurgerichtshof (ein Vorsitzender, zwei beisitzende Richter) liegt, dass jedoch die Entscheidung über die Schuldfrage allein von den acht Laienrichtern, den Geschwornen, nach einer regelmäßig ohne Teilnahme des Schwurgerichtshofes gepflogenen Beratung, getroffen wird. Nur die Festsetzung der verwirkten Strafe erfolgt nach gemeinsamer Beratung durch Geschworne und Berufsrichter gemeinsam. Die sachliche Zuständigkeit der Geschwornengerichte erstreckte sich zunächst auf die im § 14a Strafprozessordnung (StPO) unter Ziffer 1 aufgezählten (vom Gesetzgeber offenbar als »politisch« eingestuften) Vergehen und Verbrechen [7] sowie laut Ziffer 2 auf »alle anderen Verbrechen, die mit mehr als zehnjähriger Kerkerstrafe bedroht [waren], jedoch nur dann, wenn entweder nach dem Gesetz auf lebenslange oder mindestens zehnjährige Kerkerstrafe zu erkennen [war] oder in der Anklageschrift ausdrücklich beantragt [wurde] wegen besonders erschwerender Umstände auf eine mehr als zehnjährige Kerkerstrafe zu erkennen.« [8] Mit dem »Bundesgesetz vom 20. Dezember 1955 über die Aufhebung der Volksgerichte und die Ahndung der bisher diesen Gerichten zur Aburteilung zugewiesenen Verbrechen« BGBl. Nr. 285/1955 wurden die bisher in die Zuständigkeit der Volksgerichte fallenden Verfahren (nach dem Kriegsverbrechergesetz und dem Verbotsgesetz) den Geschwornengerichten übertragen. Für die Verfahren nach dem Kriegsverbrechergesetz blieben die Geschwornengerichte bis zur Aufhebung dieses Gesetzes durch das »Bundesverfassungsgesetz vom 14. März 1957, womit Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes, BGBl. Nr. 25/1947, abgeändert oder aufgehoben werden (NS-Amnestie 1957)« zuständig. Verfahren nach dem Verbotsgesetz fallen auch heute noch in den Zuständigkeitsbereich der Geschwornengerichte. Im Zwiespalt zwischen Demokratie und Rechtstaatlichkeit sind eindeutig rechtstaatliche Grundsätze auf der Strecke geblieben: Die Geschwornen müssen ihren »Wahrspruch«, d.h. ihre Antworten auf die an sie vom Schwurgerichtshof zur Aufarbeitung des Prozessstoffes gestellten Fragen, nicht begründen. Wesentliche Grundlagen des letztlich ergehenden Urteils sind damit im Instanzenzug nicht überprüfbar. Die Laienrichter werden nicht dazu angehalten sich im Zuge einer Begründungspflicht sich ernsthaft, objektiv und konkret mit den für ihre Entscheidung maßgeblichen Gründen auseinanderzusetzen, so dass es auch an einem »inneren« (während des Entscheidungsprozesses wirksamen) Korrektiv für die der Rechtsprechung durch Laien allgemein und grundsätzlich anhaftenden Schwächen fehlt. Der Ausgleich zwischen demokratischer Mitwirkung an der Rechtsprechung und optimaler Wahrung der Rechtsstaatlichkeit gelingt der Schöffengerichtsbarkeit im weitesten Sinn deutlich besser. Der wesentliche Unterschied der Schöffen zu den Geschwornen besteht darin, dass diese Laienrichter das Richteramt in der Hauptverhandlung im vollen Umfang ausüben und gemeinsam mit den Berufsrichtern über Schuld und Straffrage entscheiden. Für die gemeinsam gefundene Entscheidung besteht Begründungspflicht. Auch wenn die Beweiswürdigung in der Regel im Instanzenzug nicht bekämpfbar ist, können Begründungsfehler (wie z. B. Aktenwidrigkeit, Verstoß gegen die Denkgesetze, Undeutlichkeit und Unvollständigkeit von Feststellungen) sehr wohl aufgegriffen werden. Als Schöffengericht (d.h. in Versammlungen von zwei Richtern, von denen einer den Vorsitz führt und zwei Schöffen) werden die Gerichtshöfe erster Instanz (Landesgerichte und Kreisgerichte) zur Durchführung der Hauptverhandlung und zur Entscheidung über Anklagen wegen aller nicht vor die Geschwornengerichte gehörenden Verbrechen und Vergehen tätig (§ 13 Abs.(1) Z.1 und Abs.(2) StPO). Mit dem »Bundesgesetz vom 19. Juni 1934 über die Wiedereinführung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren und die Umgestaltung der Geschwornengerichte (Strafrechtsänderungsgesetz 1934)« BGBl. II Nr. 77/1934 wurden »Schwurgerichte« an Stelle der bis dahin bestehenden Geschwornengerichte eingeführt. Diese Gerichte, welche im Wesentlichen die Zuständigkeit der Geschwornengerichte übernahmen, übten ihre Tätigkeit in Versammlungen von drei Richtern, von denen einer den Vorsitz führte und drei Schöffen aus. Die Schwurgerichte bestanden in Österreich nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit im Jahre 1945 noch bis zum 31. Dezember 1950 und wurden sodann wieder von den Geschwornengerichten abgelöst. Die Volksgerichte, welche ihre Tätigkeit in Versammlungen von zwei Richtern, von denen einer den Vorsitz führte und drei Schöffen ausübten, wurden durch Art. V (§§ 24 26) des »Verfassungsgesetzes vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz)« StGBl. Nr. 13/1945 als Sondergerichte zur Ahndung von Verbrechen nach diesem Gesetz eingerichtet. Durch § 13 des »Verfassungsgesetzes vom 26. Juni 1945 über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz)« StGBl. Nr. 32/1945 wurde die Zuständigkeit der Volksgerichte nicht nur auf die besonderen Tatbestände des Kriegsverbrechergesetzes ausgedehnt (§ 13 Abs.1 KVG) sondern generell auf alle »aus nationalsozialistischer Gesinnung oder aus Willfährigkeit gegenüber Anordnungen ... die im Interesse der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder aus nationalsozialistischer Einstellung ergangen sind« begangenen Straftaten, die mit der Todesstrafe oder mit mindestens 10 Jahren Kerker bedroht waren, erstreckt (§13 Abs.2 KVG). Für das Verfahren vor den Volksgerichten galten die Bestimmungen der Strafprozessordnung mit einigen wesentlichen Einschränkungen die Verteidigungsrechte und die Rechtsmittelbefugnis betreffend. Diese von der Strafprozessordnung abweichenden Verfahrensvorschriften sind teilweise im VG und im KVG, teils im »Verfassungsgesetz vom 19. September 1945 über das Verfahren vor dem Volksgericht und den Verfall des Vermögens (Volksgerichtsverfahrens und Vermögensverfallsgesetz)« StGBl. Nr. 177/1945 und den Novellen zu diesen Gesetzen enthalten. 7. Das Prinzip der Mündlichkeit Nur was in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen wurde, darf als Prozessstoff bei Fällung des Urteils verwendet werden. Die Verantwortung des Angeklagten, die Aussagen von Zeugen und die Gutachten von Sachverständigen sind in der Hauptverhandlung grundsätzlich mündlich und direkt (§ 252 Abs.1 StPO) und nur in den in den §§ 245 Abs.1; 252 Abs. 1 Z 1 bis 4 StPO angeführten Ausnahmsfällen durch Verlesung von Protokollen über früher gemachte Aussagen vorgetragen. Augenscheins und Befundaufnahmen, Vorstrafakten sowie andere Urkunden und Schriftstücke, die für das Verfahren von Bedeutung sind, müssen in der HV vorgelesen werden, wenn nicht beide Teile darauf verzichten. Im Falle des Verzichts auf Verlesung gelten allerdings die betreffenden Aktenteile als verlesen, d.h. ihr Inhalt kann im Urteil verwendet werden. Für die zeitgeschichtliche Forschungspraxis ist anzumerken, dass die mündlich in der HV gemachten Angaben in den HV-Protokollen nicht 1 : 1 ihren Niederschlag finden, denn »der Antworten des Angeklagten und der Aussagen der Zeugen oder Sachverständigen geschieht [im Protokoll] nur dann eine Erwähnung, wenn sie Abweichungen, Veränderungen oder Zusätze der in den Akten niedergelegten Angaben enthalten oder wenn die Zeugen oder Sachverständigen in der öffentlichen Sitzung das erstemal vernommen werden« (§ 271 Abs. 3 StPO). Im Protokoll finden sich dann häufig die Floskeln: »Der Angeklagte verantwortet sich wie vor dem Untersuchungsrichter ...« oder »Die Zeugin gibt an wie vor der Polizei (dem Untersuchungsrichter)...«. Meistens wird dann noch Ordnungsnummer und/oder Seitenzahl jenes Aktenteils, auf welchen Bezug genommen wird hinzugefügt. Gelegentlich erscheint der Hinweis auf Bezugsstellen auch in der Form direkter Rede, wie z. B.: »Ich verantworte mich wie vor dem UR...« oder »Ich erhebe [sic!] meine Angaben vor der Polizei (Gendarmerie) zu meiner Aussage als Zeuge vor Gericht« und dergleichen mehr. 8. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit Unmittelbarkeit bedeutet, dass für die Urteilsschöpfung nur das verwendet werden darf, was in der Hauptverhandlung unmittelbar vor dem erkennenden Gericht, d.h. in Anwesenheit aller Richter vorgekommen ist. Diese Grundsatz ist mit Gültigkeit für die Hauptverhandlung aller besprochenen Verfahrensarten im § 258 Abs. (1) StPO festgelegt und stellt in engster Verflechtung mit dem oben dargestellten Grundsatz der Mündlichkeit dreierlei sicher: Erstens, dass der/die Angeklagte vor dem erkennenden Gericht ausführlich mit seinen/ihren Erklärungen (Einlassungen) Gehör findet; zweitens, dass die vom Verfahren betroffenen Parteien und die das Verfahren beobachtende Öffentlichkeit tatsächlich über alle Entscheidungsgrundlagen informiert werden und dass drittens alle an der Urteilsfällung beteiligten Richter über das gleiche auf unmittelbarem Eindruck beruhende Faktenwissen verfügen. Anmerkungen [Anm.
1] |
Heinrich Gallhuber erschienen in "Justiz und Erinnerung" Nr. 3 |
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