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Anmerkungen zur Arbeit mit gerichtlichen Strafakten
in der zeitgeschichtlichen Forschung (Teil 3)[1]
Die Ausführungen in dieser Artikelserie berücksichtigen
im Allgemeinen nur die Prozessrechtslage, wie sie von 1945 bis 1970 in Österreich
bestanden hat. Im Hinblick auf die in den beiden Vereinen bestehenden Forschungsinteressen
wird das Verfahren in Strafsachen, die in die Zuständigkeit der Volksgerichte
und der Schwurgerichte/ Geschwor(e)nengerichte fielen, dargestellt.
Das Erkenntnisverfahren - Vorbemerkungen
Wie bereits im Teil 1 dieser Abhandlung [2]
ausgeführt, wird jener Teil des gesamten Strafprozesses, in welchem festzustellen
ist, inwieweit durch ein bestimmtes menschliches Verhalten ein strafbarer
Tatbestand hergestellt wurde (und welche Rechtsfolgen dies nach sich ziehen
soll), als Erkenntnisverfahren bezeichnet. Das in der Strafprozessordnung
vorgesehene, vollständig durchgeführte Erkenntnisverfahren beginnt
mit der Einleitung des Strafverfahrens und endet mit der Rechtskraft des schließlich
ergangenen gerichtlichen Urteils. Ein solches
idealtypisches Erkenntnisverfahren umfasst die folgenden einzelnen Verfahrensteile:
das Vorverfahren, ein allfälliges Zwischenverfahren,
die Hauptverhandlung und das Rechtsmittelverfahren.
Tatsächlich kam und kommt es aber nur in einem Bruchteil aller angefallenen
Strafverfahren zur vollständigen Abwicklung desselben: In der überwiegenden
Zahl der Fälle gelangt der Strafprozess nicht über den Stand des
Vorverfahrens hinaus[3]. Ein
nicht unerheblicher Teil dieser in einem frühen Verfahrensstadium abgeschlossenen
Verfahren gelangt nicht einmal zu Gericht.
Das Vorverfahren Verfahrensziel
Gemäß dem in Teil 1 besprochenen Anklageprinzip[4]
kann ein Verfahren (auch das Vorverfahren) wegen einer gerichtlich strafbaren
Handlung nur über Antrag eines / einer berechtigten Anklägers /
Anklägerin eingeleitet und gegen seinen / ihren Willen nicht fortgesetzt
werden. Für den uns interessierenden (sachlichen und zeitlichen) Bereich
steht die Berechtigung, Verfolgungsanträge zu stellen, dem Staatsanwalt
/ der Staatsanwältin (StA) zu.
Ziel des Vorverfahrens ist es, einen zur Kenntnis[5]
des öffentlichen Anklägers gelangten Verdacht einer strafbaren Handlung
zu untersuchen, bis dieser Verdacht entweder zerstreut oder soweit konkretisiert
wird, dass gegen eine bestimmte Person Anklage bei Gericht erhoben werden
kann.
Anzeige »spontanes« Einschreiten
der Sicherheitsbehörden
Zur Anzeigeerstattung
ist grundsätzlich jede/r berechtigt,
der/dem eine Straftat bekannt wurde. Die unbedingte
Pflicht zur lückenlosen Anzeigeerstattung wegen aller Offizialdelikte
traf[6] alle öffentlichen
Behörden und Ämter; sie besteht heute noch für die Sicherheitsbehörden.
Der Anzeigeerstattung durch die Sicherheitsbehörden
gingen (und gehen immer noch) auf § 24 StPO gestützte interne Ermittlungen
dieser Behörden[7] voraus.
Meist stellen diese internen Ermittlungen bereits Untersuchungshandlungen
dar, die streng genommen nur über Antrag eines berechtigten Anklägers
vorgenommen werden dürften (wie z. B. die niederschriftliche Befragung
von Verdächtigen oder ZeugInnen). Die Rechtsprechung erweist sich bei
Auslegung dessen, was »interne Ermittlungen« sind, seit jeher
als recht großzügig. Es hat sich solcherart ein »Verfahren
vor dem Vorverfahren« eingebürgert, das
rechtsstaatlich nicht unbedenklich ist und welches geeignet ist, auch Ergebnisse
später folgender (gerichtlicher) Untersuchungshandlungen zu beeinträchtigen.
Was die JuristInnen unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit
und aus dem Blickwinkel der Einhaltung des Verfahrensprinzips der materiellen
Wahrheit bedenklich stimmen muss, berührt auch die wissenschaftlichen
Interessen der HistorikerInnen, welche sich der Strafakten als Quellen für
ihre Forschung bedienen.[8]
Vorerhebungen Voruntersuchung
Formal bestehen für den / die StA zwei Möglichkeiten, das Vorverfahren
abwickeln zu lassen, nämlich in der Form von Vorerhebungen
(VE) und/oder in der Form der Voruntersuchung
(VU) [9].
Die Stellung des / der StA
im Vorverfahren ist je nach gewählter Vorgehensweise
unterschiedlich stark. Für beide Fälle
gilt aber, dass das Verfahren nur über seinen / ihren Antrag eingeleitet
und abgesehen vom Sonderfall eines Subsidiarantrages[10]
fortgesetzt werden kann. Die prozessuale Stellung
der einer Straftat verdächtigen Person ist je nach gewählter Verfahrensart
extrem unterschiedlich.
Vorerhebungen:
Vorerhebungen dienen dazu, die Klärung eines angezeigten Sachverhaltes
(einschließlich der Feststellung eines / einer Tatverdächtigen)
so weit zu betreiben, dass der / die StA entscheiden kann, ob er / sie mit
Zurücklegung der Anzeige,
mit der sofortigen Einbringung einer Anklage
(eines Strafantrages) oder mit einem Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung
gegen eine bestimmte Person vorgeht.
Die Leitung der Vorerhebungen
liegt ausschließlich beim / bei der StA. Er / sie löst VE nicht
nur durch einen entsprechenden Antrag aus, sondern bestimmt auch im Einzelnen,
welche Erhebungsschritte gesetzt werden sollen und von welchen Stellen (Bundespolizeibehörde,
Gendarmerie oder Gericht) er / sie die Vornahme dieser Erhebungen zur Gänze
oder zum Teil verlangen will. Die angesprochenen Stellen sind verpflichtet,
dem Erhebungsauftrag zu entsprechen, können deren Vornahme in der Regel
nicht ablehnen.
Amtswegiges Einschreiten des / der UntersuchungsrichterIn (UR) bzw. des Bezirksgerichtes
ohne Anträge des / der StA: Die Strafprozessordnung
trifft im § 89 Regelungen für den Fall, dass Straftaten direkt dem
/ der UR des Gerichtshofes oder jenem Bezirksgericht (BG), in dessen Sprengel
die Tat begangen (oder der / die TäterIn betreten und festgenommen) wurde,
zur Kenntnis gelangen[11]:
Während der / die UR ohne Antrag des / der StA nur die wirklich unaufschiebbaren
Amtshandlungen vornehmen darf und dann, nach Verständigung des / der
StA dessen Anträge abzuwarten hat (§ 89 Abs.1 StPO), soll das BG
zwar auch den / die StA sofort verständigen, zugleich aber ohne dessen
/ deren Anträge abzuwarten mit den Vorerhebungen beginnen. Eine Einschränkung
besteht nur insofern, als Untersuchungshandlungen, durch welche Spuren der
Straftat verwischt und einer wiederholten Besichtigung entzogen würden,
nur bei Gefahr im Verzug vorgenommen werden dürfen (§ 89 Abs. 2
StPO).
Vorerhebungen durch Polizei und Gendarmerie: Hält
der / die StA lediglich die Vernehmung von Personen erforderlich, um den Sachverhalt
klären zu können, so kann er / sie sich an die jeweils zuständigen
Sicherheitsdienststellen mit einem entsprechenden Auftrag wenden[12].
Bei Gefahr im Verzug kann der / die StA auch einen Augenschein durch die Sicherheitsdienststellen
vornehmen lassen. An solchen Vorerhebungshandlungen kann der / die StA teilnehmen,
er / sie darf sie jedoch nicht selbst durchführen. Untersuchungshandlungen,
welche darüber hinausgehen, können nur im Zuge von
Vorerhebungen durch die Gerichte[13]
erfolgen. Immer dann, wenn z. B. ein/e Sachverständige/r bestellt und
vernommen werden soll, wenn eine gerichtliche
Zeugeneinvernahme notwendig scheint (etwa weil ein
/ eine Zeuge / Zeugin voraussichtlich zum Zeitpunkt einer möglichen Hauptverhandlung
nicht vor dem erkennenden Gericht einvernommen werden kann), wenn Zwangsmittel
wie z. B. Verhaftung, Haus und Personsdurchsuchung oder Beschlagnahmen vorzunehmen
sind, muss sich der / die StA an das zuständige Gericht (UntersuchungsrichterIn
des Gerichtshofes oder Bezirksgericht) wenden. Den Weg gerichtlicher Vorerhebungen
wird der / die StA im Allgemeinen auch dann einschlagen, wenn der Sachverhalt
oder die im Einzelnen vorzunehmenden Erhebungshandlungen so kompliziert erscheinen,
dass die Organe der Sicherheitsdienststellen damit überfordert sein könnten.
»Zurücklegung der Anzeige«
»Einstellung der Vorerhebungen«: Findet
der / die StA nach Durchführung der von ihm beantragten Vorerhebungen,
dass kein Grund zur Strafverfolgung einer bestimmten Person besteht, so
legt er die an ihn gelangte Anzeige mit kurzer Aufzeichnung der ihn dazu bestimmenden
Erwägungen[14] zurück
(§ 90 StPO, 2. Satz, 1. Halbsatz). Haben keine gerichtlichen Vorerhebungen
stattgefunden, so gelangt der Akt in der Regel nicht zu Gericht, sondern wird
bei der Staatsanwaltschaft abgelegt. Im Falle vorangegangener gerichtlicher
Vorerhebungen übersendet der / die StA hingegen den Akt dem / der UR,
mit der Bemerkung, dass er keinen Grund zur
weiteren Verfolgung finde. (§ 90 StPO, 2.Satz,
2. Halbsatz). Der Untersuchungsrichter hat
in diesem Falle die Vorerhebung einzustellen (§
90 StPO, letzter Satz)[15].
»Unmittelbare Anklage«: Die Einbringung
einer Anklage ohne vorangegangene Einleitung der Voruntersuchung
ist gem. § 91 (1) StPO ausgeschlossen, wenn die Aburteilung dem Geschwor(e)nengericht
(bis 1950: Schwurgericht) zukommt bzw. zukam. Gemäß § 3 (4)
Volksgerichts und Vermögensverfallsgesetz galten - soweit nicht abweichende
Regelungen getroffen worden waren - im Verfahren
wegen strafbarer Handlungen, die in die Zuständigkeit des Volksgerichtes
[fielen], die Bestimmungen der Strafprozessordnung
über das Verfahren in Straffällen, deren Aburteilung dem Schwurgericht
obliegt.
In den anderen Fällen gilt: Hält der / die StA die Sache schon auf
Grund der Anzeige oder im Hinblick auf gerichtliche oder sicherheitsbehördliche
Vorerhebungen für »anklagereif«, so bringt er / sie sogleich
die Anklage bei Gericht ein. (Bis zum StPÄG 1993 erfolgte die Einbringung
einer unmittelbaren Anklage beim Vorsitzenden / bei der Vorsitzenden der Ratskammer,
seither wird auch die unmittelbare Anklage so wie die Anklageschrift nach
durchgeführter VU beim / bei der UR eingebracht.
Abbrechung des Verfahrens:
Gelingt es nicht, die unbekannten TäterInnen
eines angezeigten Deliktes auszuforschen oder kann die als TäterIn in
Betracht kommende Person nicht vor Gericht gestellt werden, so erfolgt die
Abbrechung des Verfahrens nach § 412 StPO[16].
Voruntersuchung
»Die Voruntersuchung hat den Zweck,
die gegen eine bestimmte Person erhobene Anschuldigung einer strafbaren Handlung
einer vorläufigen Prüfung zu unterwerfen und den Sachverhalt soweit
ins klare zu setzen, als es nötig ist, um die Momente festzustellen,
die geeignet sind, entweder die Einstellung des Verfahrens herbeizuführen
oder die Versetzung in den Anklagestand und die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung
[HV] vorzubereiten.«
(§ 91 Abs.2 StPO.)
Die VU dient daher zur Klärung der Frage, ob die gegen
konkrete Tatverdächtige (nicht aber gegen »unbekannte
Täter [UT]«) wegen bestimmter gerichtlich strafbarer Handlungen
bestehende Verdachtslage zur Erhebung der Anklage
ausreicht oder ob mit Einstellung des Verfahrens
vorgegangen werden muss.
Ein zunächst vielleicht noch zu vager Tatverdacht wäre vorher durch
VE soweit zu verdichten, dass schließlich genügend Gründe
vorliegen, ein Strafverfahren einzuleiten (§ 90 Abs. 1 StPO.).
Die Einleitung der Voruntersuchung erfolgt über
Antrag des / der StA[17]
mit Beschluss des / der UR. [18]
Er wurde dem / der Beschuldigten regelmäßig erst bei seiner / ihrer
Einvernahme kundgemacht. Der Einleitungsbeschluss war mit einem Rechtsmittel
nicht bekämpfbar[19].
Hatte der / die UR [hingegen] Bedenken, einem
Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung beizutreten [20],
so [war] darüber
der Beschluss der Ratskammer einzuholen (§
92 Abs. 3 StPO, alte Fassung).
Durch den Einleitungsbeschluss
wird ein Prozessrechtsverhältnis
begründet. StA und Beschuldigter sind Parteien
[21]. Die Leitung
der Voruntersuchung liegt beim / bei der UR. Er
/ sie entscheidet, welche Beweisaufnahmen er /sie durchführen will, um
den Sachverhalt zu klären. Der / die StA
hat lediglich das Recht, Beweisanträge zu stellen. Dieses Antragsrecht
steht auch dem / der Beschuldigten
zu.
Die Voruntersuchung wird in der Regel vom
Untersuchungsrichter persönlich[22]
und unmittelbar geführt. Doch kann er die Bezirksgerichte
[...] um die Vornahme einzelner gerichtlicher
Handlungen ersuchen. (§ 93 Abs.1 StPO). Dieses
»Rechtshilfeersuchen« (RHE) des
/ der UR an ein BG um Vornahme einzelner gerichtlicher Handlungen
[23] ist von der bis zum
Strafprozessänderungsgesetz 1993 möglich gewesenen Übertragung
der VU an ein BG durch die Ratskammer[24]
des Gerichtshofes gem. § 95 StPO[25]
zu unterscheiden.
Beendigung der VU: Sobald
der / die UR der Meinung ist, er / sie habe den zu untersuchenden Sachverhalt
soweit geklärt, dass eine Anklageerhebung möglich ist, schließt
er / sie die Voruntersuchung mit (jederzeit widerrufbaren) Beschluss (§
111 StPO). Anschließend übermittelt er / sie die Akten dem / der
StA gem. § 112 Abs.1 StPO zur Endantragstellung. Der / die StA ist verpflichtet,
binnen 14 Tagen nach Empfang der Akten, entweder die Anklageschrift einzubringen,
allenfalls eine Ergänzung der VU zu verlangen oder die Akten mit der
Erklärung zurückzustellen, dass er / sie keinen Grund zur weiteren
gerichtlichen Verfolgung des / der Beschuldigten finde. Der / die UR stellt
in diesem letzteren Fall die VU mittels Beschluss nach § 109 (1) StPO
ein. Einzustellen ist die VU auch dann, wenn der / die StA, ohne Schließung
der VU durch den / die UR, seinen / ihren Verfolgungsantrag zurückzieht
und / oder die Einstellung der VU beantragt. Mit Rechtskraft des Einstellungsbeschlusses
ist das Vorverfahren und das in diesem begründete Prozessrechtsverhältnis
zum / zu der Beschuldigten endgültig beendet; das Verfahren gegen ihn
/ sie kann nur unter besonderen Bedingungen im Wege der »Wiederaufnahme«
fortgesetzt werden.
Die Zustellung der Anklage
veranlasst der / die UR und zwar an einen nicht durch einen / eine VerteidigerIn
vertretene/n Beschuldigte/n direkt an diese/n, sonst an dessen / deren Verteidiger.
Einem / einer in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten wird die Anklageschrift
vom / von der UR übergeben; über Verlangen des / der Beschuldigten
auch seinem / ihrem Verteidiger bzw. seiner / ihrer Verteidigerin zugestellt.
Gegen die Anklage kann Einspruch
erhoben werden, über den das Oberlandesgericht entscheidet.
[26] Wird auf Einspruch verzichtet, unterbleibt
der Einspruch innerhalb der dafür offenen Frist oder wird der erhobene
Einspruch vom OLG verworfen und der Anklage Folge gegeben, ist der / die Beschuldigte
rechtskräftig in den Anklagestand versetzt. Das Vorverfahren ist damit
beendet.
Im Verfahren vor dem Volksgericht war allerdings
ein Einspruch gegen die Anklage ausgeschlossen (§
24 VerbotsG.).
Anmerkungen
[Anm.
1]
Teil 4 wird sich mit der Hauptverhandlung, Teil 5 mit der Aktenbildung und
der Registerführung beschäftigen. Der abschließende Teil 6
ist dann dem Rechtsmittelverfahren gewidmet.
[Anm. 2]
»Rundbrief « 1/1999, S. 5. (Die Web-Fassung finden Sie
hier.)
[Anm. 3]
So kam es während der Tätigkeit der Volksgerichte (1945 - 1955)
bei einem Gesamtanfall von fast 137.000 Verfahren nur in etwa 28.000 Fällen
zur Anklageerhebung. (Quelle: Karl Marschall, Volksgerichtsbarkeit und Verfolgung
von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Österreich, 2. Aufl.,
Wien 1987, S. 14 f.)
[Anm. 4]
»Rundbrief « 1/1999, S. 6. (Die Web-Fassung finden Sie
hier.)
[Anm. 5]
Im Allgemeinen erlangt der / die StA vom Verdacht einer strafbaren Handlung
durch eine Strafanzeige Kenntnis. Es löst jedoch jede Kenntniserlangung
die Pflicht (»Legalitätsprinzip« - siehe »Rundbrief«
1/1999, S. 6) des / der öffentlichen Anklägers / Ankägerin
aus, dem Verdacht nachzugehen. Die Strafanzeige ist an keine Formalvorschriften
gebunden. Sie kann schriftlich oder mündlich, ja sogar fernmündlich
erstattet werden.
[Anm. 6]
Heute ist diese unbedingte Anzeigepflicht durch die Neufassung des §
84 StPO mehrfach durchbrochen.
[Anm. 7]
§ 24 StPO: »Die Sicherheitsbehörden [...] haben allen Verbrechen
und Vergehen [...] nachzuforschen und, wenn das unverzügliche Einschreiten
des Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden kann, die keinen Aufschub gestattenden
vorbereitenden Anordnungen zu treffen, die zur Aufklärung der Sache dienen
...«
[Anm. 8]
Hauptsächlich rühren die vorstehend geäußerten Bedenken
davon her, dass die Vernehmungen bei der Polizei oder Gendarmerie regelmäßig
nicht in Gegenwart dritter Personen stattfinden, dass sich die zu vernehmende
Person also allein einem / einer oder mehreren Vernehmenden gegenübersieht.
Auch wenn sonst keine Unkorrektheiten unterlaufen, entsteht bereits aus der
beschriebenen Situation heraus ein nicht unbeträchtlicher Druck auf die
zu vernehmende Person. Ob dieser Druck zur wahrheitsgemäßen Aussage
oder zu unzutreffender Selbst- oder Fremdbezichtigung führt, hängt
weitgehend von der Erfahrung und vor allem auch vom Berufsethos des / der
Vernehmenden ab.
Da der / die Vernehmende die Niederschrift selbst zu Papier bringt (und nicht
einer weiteren Person in die Maschine diktiert), kann der / die Vernommene
nicht sofort mithören, was niedergeschrieben wird. Das Durchlesen der
gesamten Niederschrift nach Beendigung des Verhörs überfordert häufig
die vernommene Person. Nicht besser ist der Weg, dass die Niederschrift nach
Beendigung der Vernehmung (meist in raschem Tempo) vorgelesen wird. Irrtümer
des / der Vernehmenden über das von dem / der Vernommenen mit einer Aussage
Gemeinte bleiben so vorerst unbemerkt und werden in die folgenden Verfahrensabschnitte
»mitgeschleppt«. Spätere Versuche des / der Vernommenen,
den Inhalt der Aussage richtig zu stellen, den Irrtum aufzuklären, treffen
dann auf den Vorhalt. »Aber bei Ihrer ersten Einvernahme haben Sie etwas
anderes gesagt.« ZeugInnen, manchmal auch Beschuldigte reagieren auf
solche Vorhalte häufig mit Resignation. Protokolliert wird zudem auch
gar nicht der anfänglich vorgebrachte Einwand, sondern lediglich das
Ergebnis der resignativen Zustimmung, nämlich, dass der / die Vernommene
seine / ihre vor der Polizei/Gendarmerie gemachten Angaben aufrecht erhält.
[Anm. 9]
An Stelle der Worte »Vorerhebung« und »Voruntersuchung«
werden in den Akten von Gericht und Staatsanwaltschaft fast ausschließlich
die Abkürzungen VE und VU verwendet.
[Anm. 10]
Wenn der / die StA nach durchgeführten VE die Verfolgung eines /einer
Verdächtigen
einstellt oder diese/n, ohne VE durchzuführen, gar nicht verfolgt, so
kann der / die durch die dem / der Verdächtigen angelastete Tat Geschädigte
(der / die Privatbeteiligte - PB) die Einleitung der VU beantragen (§
48 Abs. 1 StPO). Erfolgt der Rücktritt des / der StA von der Verfolgung
des / der Beschuldigten
während der VU,
so kann der / die PB die Erklärung abgeben, dass e r / s i e die Verfolgung
aufrecht erhalte (§ 48 Abs.2 StPO). Über die Zulassung des Subsidiarantrages
entscheidet im ersten Fall die Ratskammer des Gerichtshofs (GH) erster Instanz,
im zweiten Fall der GH zweiter Instanz.
[Anm. 11]
Diese Regelungen haben heute, angesichts der bestehenden hervorragenden Kommunikationsmöglichkeiten
viel von ihrer praktischen Bedeutung verloren; sie waren aber in dem hier
interessierenden zeitlichen Bereich von großer Bedeutung für eine
funktionierende Strafrechtspflege.
[Anm. 12]
Es gelten auch in diesem Fall die oben (siehe Fußnote 7) geltend gemachten
Bedenken.
[Anm. 13]
Die Akten über gerichtliche Vorerhebungen werden beim GH in das Vr und
Ur-Register eingetragen und erhalten auch entsprechende Geschäftszeichen
vor den (laufenden) Aktenzahlen. Beim BG werden die Akten in das Z-Register
eingetragen und mit dem entsprechenden Geschäftszeichen versehen.
[Anm. 14]
Diese Aufzeichnung erfolgt im so genannten »Tagebuch«
der Staatsanwaltschaft. Das »Tagebuch« besteht aus einem gefalteten,
vier A4-Seiten umfassenden Papierbogen, mit der erforderlichen Zahl von (mit
fortlaufenden Zahlen versehenen) Einlageblättern. Im Tagebuch werden
a l l e internen Entscheidungen des / der StA, alle Anträge/Aufträge
an Gerichte und Sicherheitsbehörden und alle Prozesserklärungen,
samt den dafür ausschlaggebenden Gründen vermerkt. Es bleibt bei
den staatsanwaltschaftlichen Behörden und gelangt nicht zu Gericht. Das
Tagebuch ist eine wichtige Quelle für die
zeitgeschichtliche Forschung, wenn es darum geht,
das Verhalten der StA im Verfahren zu beleuchten.
[Anm. 15]
Die Formulierung des entsprechenden Beschlusses (B) lautet in der Praxis meist
»B. auf Einstellung des Verfahrens gegen [...] wegen § [...] gemäß
§ 90 StPO.« bis »B. § 90 StPO.«
[Anm. 16]
§ 412 StPO verwendet auch für diese v o r l ä u f i g e Beendigung
des Verfahrens den Ausdruck »Einstellung«. In der Praxis wird
jedoch fast ausschließlich der Ausdruck »Abbrechung des Verfahrens«
verwendet. Ein solcherart vorläufig beendetes Verfahren kann jederzeit
fortgesetzt werden.
[Anm. 17]
Dem Antrag des / der StA muss entnehmbar sein, welche Person wegen welcher
Straftat in Untersuchung gezogen werden soll. In der Praxis geschieht dies
unter gleichzeitiger Übersendung der Anzeige (einschließlich allfälliger
weiterer Erhebungsergebnisse) etwa in folgender Form: »Akt dem Herrn
UR, mit dem Antrag auf Einleitung der VU gegen [...] wegen § [...] StG(B)«.
Der / die UR ist an
die vom / von der StA vorgenommenen rechtlichen Beurteilung der Tat nicht
gebunden. Er / sie darf aber die VU nur wegen
des in der übersandten Anzeige geschilderten Sachverhaltes führen.
Sollte im Zuge der VU eine weitere oder andere Straftat bekannt werden, muss
der / die StA die Ausdehnung der VU
auf dieses Faktum ausdrücklich beantragen.
[Anm. 18]
§ 92. (1): »Der Untersuchungsrichter darf die Voruntersuchung nur
wegen solcher strafbarer Handlungen und nur gegen Personen einleiten, bei
denen ihm ein darauf abzielender Antrag des Staatsanwaltes vorliegt.«
[Anm. 19]
Seit dem Strafprozessänderungsgesetz (StPÄG)
1993, BGBl. 1993 / 526, ist dieser Beschluss mit
Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz (Oberlandesgericht - OLG) bekämpfbar.
[Anm. 20]
Etwa weil kein ernsthafter Tatverdacht vorliegt oder die »Tat«
kein strafbares Verhalten darstellt.
[Anm. 21]
Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu den
Vorerhebungen: Der / die einer Straftat Verdächtige
hat in der VE keine Parteienstellung und daher kein Recht Beweisanträge
zu stellen, über welche ja das mit den VE beauftragte Gericht ohnehin
nicht entscheiden könnte, da über Art und Umfang der VE nur der
/ die StA entscheidet.
[Anm. 22]
Häufig zieht der / die UR zur Durchführung von Vernehmungen RechtspraktikantInnen
(Rp) oder RichteramtsanwärterInnen (RiAA) als Hilfspersonen heran. In
den Protokollen wird diese Tatsache so vermerkt, dass im Formular bei Aufzählung
der bei der Vernehmung Anwesenden unter »Richter:« vermerkt wird:
»Rp. Mag. ...(RiAA. Mag. ...) unter
Anleitung von Ri. Dr. ...« Gelegentlich (wenn
nicht auch noch zusätzlich ein / eine SchriftführerIn der Vernehmung
beigezogen wird) scheint dann der / die an der Vernehmung nicht teilnehmende
UR als RichterIn und der / die die Vernehmung tatsächlich durchführende
Rp. oder RiAA als SchriftführerIn auf.
[Anm. 23]
Es kann sich dabei um Einvernahme der im Sprengel des ersuchten BG wohnhaften
ZeugInnen oder Beschuldigten, aber auch um Abhaltung eines Augenscheines an
einem Ort, der im Sprengel des ersuchten Gerichts liegt, allenfalls verbunden
mit der Vernehmung eines / einer Sachverständigen, handeln.
[Anm. 24]
Die Ratskammer tagt und entscheidet in einer Versammlung von drei RichterInnen,
von denen einer / eine den Vorsitz führt. Die Ratskammer war bis zum
StPÄG 1993 generell dazu berufen, über alle Voruntersuchungen und
Vorerhebungen im Gerichtshofsprengel die Aufsicht zu führen und entsprechend
den Bestimmungen der StPO darauf Einfluss zu nehmen. Heute dient sie nur mehr
als Beschwerdeinstanz gegen bestimmte Beschlüsse und Verfügungen
des / der UR, aber auch gegen dessen / deren Untätigkeit. Ihr wurde auch
die Beschlussfassung über eine Telefonüberwachung übertragen.
[Anm. 25]
Die Übertragung der VU war nur an ein Gericht
im Sprengel des Gerichtshofes möglich, bei dem der / die an sich zuständige
UR tätig ist. Im Falle der Übertragung
der VU nahm das BG alle Funktionen des / der UR wahr und konnte daher selbstständig
entscheiden, welche Untersuchungshandlungen notwendig wären, welche Rechtshilfeersuchen
an andere Stellen gerichtet wurden etc. Der Akt über diese VU wurde im
»Z-Register«
des BG eingetragen. Er erhielt ein »Z« als Geschäftszeichen
vor der Aktenzahl. Rechtshilfeersuchen können
hingegen an jedes BG gerichtet werden, welches für die Vornahme der Untersuchungshandlung
örtlich zuständig ist. Anders als bei
Rechtshilfeersuchen an die Sicherheitsbehörden (welche streng im Rahmen
des an sie gerichteten Ersuchens zu bleiben haben) trifft das ersuchte BG
die Pflicht, auch noch solche in seinen Sprengel fallenden Untersuchungshandlungen
sofort (ohne weiteres Ersuchen) vorzunehmen, deren Notwendigkeit sich bei
Erledigung des ursprünglichen RHE ergibt (§ 93 Abs.2 StPO). Häufig
wird dem RHE nicht der ganze Strafakt angeschlossen, sondern nur die zur Erledigung
benötigten Aktenteile. Rechtshilfesachen werden beim ersuchten Gericht
in ein »Hs-Register« eingetragen
und bekommen dort auch eine eigene Aktenzahl mit dem Geschäftszeichen
»Hs«. Beim ersuchenden Gerichtshof unterscheidet sich die kanzleimäßige
Behandlung, je nachdem der gesamte Akt oder nur ein Teilakt mit dem RHE übersendet
wird: Im ersten Fall wird der Akt in ein »Abgangsverzeichnis«
(AV) eingetragen und solcherart das Rücklangen des Aktes überwacht,
im zweiten Fall wird die Erledigung des Ersuchens, nach Setzen eines »Kalenders«
durch den / die UR (z. B. Kal. 25. VI.), von der Kanzlei in Evidenz gehalten.
[Anm. 26]
Einen verspätet eingebrachten oder wegen Rechtsmittelverzichts des Beschuldigten
unzulässigen Einspruch weist der GH zweiter Instanz zurück. Wurde
die Anklage bei einem unzuständigen Gericht eingebracht, überweist
das OLG die Sache dorthin. Falls der Anklage die im § 213 (1) Z. 1. -
4. aufgezählten Gründe entgegenstehen, entscheidet das OLG, der
Anklage werde keine Folge gegeben und das Verfahren eingestellt. In den übrigen
Fällen lautet die Entscheidung des OLG, der Anklage werde Folge gegeben.
|
Heinrich Gallhuber
erschienen in "Justiz und Erinnerung"
Nr. 4
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