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Einleitung


Die Grundlage für die Ausschaltung des Nationalsozialismus und die Ahndung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Österreich bildeten das Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP ("Verbotsgesetz", VG) vom 8. Mai 1945 und das Kriegsverbrechergesetz (KVG) vom 26. Juni 1945. Für die Verfolgung der durch diese Gesetze neu geschaffenen strafrechtlichen Tatbestände wurde eine besondere Gerichtsbarkeit in Form der sogenannten Volksgerichte geschaffen. Diese Ausnahmegerichtsbarkeit wurde bereits in der Regierungserklärung vom 27. April 1945 angekündigt, wo unter anderem angeführt wird, dass "nur jene, welche aus Verachtung der Demokratie und der demokratischen Freiheiten ein Regime der Gewalttätigkeit, des Spitzeltums, der Verfolgung und Unterdrückung über unserem Volke aufgerichtet und erhalten, welche das Land in diesen abenteuerlichen Krieg gestürzt und es der Verwüstung preisgegeben haben und noch weiter preisgeben wollen, [...] auf keine Milde rechnen können [sollen]. Sie werden nach demselben Ausnahmsrecht behandelt werden, das sie selbst den anderen aufgezwungen haben und jetzt auch für sich selbst für gut befinden sollen." Bereits hier wurde gleichzeitig aber auch für die sogenannten "Mitläufer" eine mildere Behandlung in Aussicht gestellt: "Jene freilich, die nur aus Willensschwäche, infolge ihrer wirtschaftlichen Lage, aus zwingenden öffentlichen Rücksichten wider innere Überzeugung und ohne an den Verbrechen der Faschisten teilzuhaben, mitgegangen sind, sollen in die Gemeinschaft des Volkes zurückkehren und haben somit nichts zu befürchten." Die konsequente Verfolgung dieser Linie wurde in der Folge am Verlauf der Gesetzgebung und der immer größer werdenden Bedeutung der Amnestiegesetze bis hin zur Aufhebung der Volksgerichtsbarkeit im Jahre 1955 deutlich sichtbar und fand ihren Abschluss im Amnestiegesetz des Jahres 1957, durch welches das Kriegsverbrechergesetz aufgehoben wurde. Das Verbotsgesetz, das mit Beschluss des Nationalrates vom 6. Februar 1947 in einer weitgehenden Neufassung das I. Hauptstück des Nationalsozialistengesetzes bildete, ist nach wie vor in seinen wesentlichsten Bestimmungen geltendes Recht und wurde zuletzt im Februar 1992 novelliert.

Die Volksgerichte waren durch Artikel V (§§ 24-26) des VG in der Fassung 1945, StGBl. 13/1945 (in der Fassung 1947, BGBl. 198/1947) als neuer Gerichtstyp geschaffen worden, der gemäss § 13 Abs.1 KVG auch für die Ahndung der im KVG benannten Straftatbestände zuständig war. Die besonderen Verfahrensbestimmungen wurden sowohl in diesen beiden Gesetzen als auch in einem eigenen Gesetz, dem Volksgerichtverfahrens- und Vermögensverfallsgesetz, festgehalten. Das Volksgericht setzte sich jeweils aus zwei Berufsrichtern, von denen einer den Vorsitz führte, und drei Schöffen zusammen. Die Bestimmungen der Strafprozessordnung über die ordentlichen Rechtsmittel (Einspruch gegen die Anklageschrift, Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde sowie Beschwerde gegen Beschlüsse des Gerichts) wurden in den Volksgerichtsverfahren, in denen die Volksgerichte grundsätzlich in erster und einziger Instanz entschieden, außer Kraft gesetzt. Die verhängten Strafen waren sofort zu vollstrecken. Auch die Bestimmungen über das außerordentliche Milderungsrecht und über die Umwandlung der Strafe fanden in Volksgerichtsverfahren keine Anwendung. Gemäß § 26 Abs. 2 VG konnte auf Antrag des Anklägers gegen Personen, deren Verfolgung nicht durchführbar oder deren Verurteilung nicht möglich war, ein selbständiges Verfahren vor dem Volksgericht auf Verfall des gesamten Vermögens der betreffenden Person geführt werden. Um allfällige krasse Fehlurteile pro oder contra zu vermeiden, wurde mit 30.11.1945 noch von der Provisorischen Staatsregierung ein Verfassungsgesetz beschlossen (kundgemacht im BGBl. 4/1946, " Überprüfungsgesetz"), durch welches dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes (OGH) ermöglicht wurde, im Falle erheblicher Bedenken gegen das Urteil dasselbe zur Überprüfung einem Dreirichtersenat des OGH zu übergeben. Der Senat konnte das Urteil aufheben und zur neuerlichen Verhandlung an das gleiche oder an ein anders zusammengesetztes Volksgericht verweisen. Gemäß § 3 Absatz 1 des Volksgerichts- und Vermögensverfallsgesetzes konnte das Volksgericht seine Unzuständigkeit hinsichtlich eines Tatbestandes mit Urteil aussprechen und die Strafsache in das ordentliche Verfahren verweisen.

Durch befristete Bundesverfassungsgesetze war nach Kriegsende die Todesstrafe auch im ordentlichen Verfahren für zulässig erklärt worden; mit Ablaufen des letzten dieser Bundesverfassungsgesetze am 30. Juni 1950 (BGBl. 100/1948) wurde die Abschaffung der Todesstrafe durch die Verfassung wieder wirksam. Durch ein weiteres Gesetz (BGBl. 130/1950) musste daher bestimmt werden, dass die Strafe des lebenslangen schweren Kerkers an die Stelle der vom Gesetz angedrohten Todesstrafe tritt. Durch die Strafrechtsänderungsgesetze 1965 (BGBl. 79/1965) und 1968 (BGBl. 74/1968) wurde die Streitfrage der Verjährung dahingehend gelöst, dass Verjährung bei Verbrechen, die ursprünglich mit dem Tod bestraft wurden, insbesondere bei Mord, weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft eintritt. Bereits im Jahr 1963 war die Frist für die Verjährung von NS-Verbrechen verlängert worden (die Verjährung beginnt frühestens mit dem 29. Juni 1945).

Der schrittweise Übergang zur ordentlichen Gerichtsbarkeit war zum Teil bereits durch Amnestiebestimmungen eingeleitet worden, zu welchen das Bundesverfassungsgesetz vom 21.4.1948 (BGBl. 99/1948) über die vorzeitige Beendigung der im Nationalsozialistengesetz vorgesehenen Sühnefolgen für minderbelastete Personen, das Bundesverfassungsgesetz vom 22.4.1948 (BGBl. 70/1948) über die vorzeitige Beendigung der im Nationalsozialistengesetz vorgesehenen Sühnefolgen für jugendliche Personen, das Bundesverfassungsgesetz vom 17.12. 1951 über die Befreiung der Spätheimkehrer von der Verzeichnungs- und Sühnepflicht sowie die Einstellung von Strafverfahren und die Nachsicht von Strafen gegen dieselben (BGBl. 159/1953) sowie das Bundesverfassungsgesetz vom 18.7.1956, Vermögensverfallsamnestie, durch welches Gruppen ehemaliger Nationalsozialisten in Ansehung der Strafe des Vermögensverfalls amnestiert werden (BGBl. 155/1956, mehrfach novelliert, zuletzt am 13.6.1962, BGBl. 173/1962).

In der österreichischen Öffentlichkeit wurde bereits ab Juni 1948, als der damalige Justizminister Josef Gerö im Nationalrat die Abschaffung der Volksgerichte angekündigt hatte, über die Zweckmäßigkeit weiterer Volksgerichtsverfahren diskutiert. Gerö wollte bis Ende des Jahres 1948 sämtliche schwebenden Verfahren nach KVG und VG abschließen. Die Frist wurde später bis Ende 1949 verlängert. Am 22. November 1950 beschloss der Nationalrat ein Verfassungsgesetz über die Aufhebung der Volksgerichte, doch versagte der Alliierte Rat am 15. Dezember 1950 dem Gesetz seine Zustimmung, sodass es nicht in Kraft treten konnte." Nach Wiederherstellung der vollständigen staatlichen Souveränität Österreichs, was gleichzeitig bedeutete, dass Verfassungsgesetze nicht mehr der Zustimmung des Alliierten Rates bedurften, fasste der Nationalrat am 6.12.1955 einstimmig eine Entschließung, in welcher die Bundesregierung um rasche Einbringung eines Entwurfs für ein Bundesgesetz über die Aufhebung der Volksgerichte ersucht wurde, damit diese Sondergerichtsbarkeit ihre Tätigkeit mit 31.12.1955 einstellen könne. Mit Beschluss des Nationalrates vom 20.12.1955 wurden die Volksgerichte aufgehoben und die Verfolgung von NS-Verbrechen, mit Ausnahme der nicht mehr strafbaren Delikte Registrierungsbetrug und "missbräuchliche Bereicherung", für welche Verbrechen das Schöffengericht zuständig wurde, den Geschworenengerichten übertragen. Die weiterhin verfolgten Delikte "Vorsätzliche Gefährdung von Leben, Gesundheit, körperlicher Sicherheit oder fremden Eigentums", "Mord, Anstiftung und Beihilfe dazu" sowie "Totschlag" waren nach den Bestimmungen des Strafgesetzes zu verfolgen. Verhandelt wurde dabei nach dem neuen Geschworenengesetz, das seit 1. Jänner 1951 in Kraft war und welches den acht Geschworenen die Pflicht auferlegte, im Falle eines Schuldspruchs gemeinsam mit den Berufsrichtern über die Strafe zu beraten und abzustimmen.

Den Abschluss der Amnestiebestimmungen stellte das Bundesverfassungsgesetz vom 14. März 1957 dar, "womit Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes, BGBl. Nr. 25/1947, abgeändert oder aufgehoben werden (NS-Amnestie 1957)". Dieses Gesetz enthält Bestimmungen über die Aufhebung der Registrierpflicht, über die Beendigung der Sühnefolgen sowie strafrechtliche Bestimmungen. Letztere normierten, dass ein Strafverfahren wegen Tatbeständen nach dem VG und anderen Spezialgesetzen nicht einzuleiten bzw. ein bereits eingeleitetes Verfahren grundsätzlich einzustellen sei. § 13 Absatz 2 hebt das KVG (BGBl. 198/1947) auf; fällt aber eine nach diesem Gesetz mit Strafe bedroht gewesene Handlung auch unter eine andere strafgesetzliche Vorschrift, so ist sie nach dieser zu verfolgen. Durch die nachfolgenden Paragraphen wurde in gewissen Fällen Strafnachsicht erteilt bzw. die Tilgung der Verurteilung ausgesprochen
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Claudia Kuretsidis-Haider
(2001)