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Justiz und NS-Gewaltverbrechen in Österreich
Regionale Besonderheiten und Vergleich mit Deutschland

Dreijahres-Projekt zur Auseinandersetzung der Justiz mit nationalsozialistischen Verbrechen (mit Teil-Projekten in Wien/Linz, Graz/Klagenfurt und Innsbruck) als Projekt-Paket vom FWF gefördert
Teil-Projekt Wien/Linz wird von der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz durchgeführt

Die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz (FStN), das Institut für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung der Universität Graz und das Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck werden in den nächsten drei Jahren ein gemeinsames Forschungsprojekt durchführen, das folgende vier Ziele verfolgt:
1. Erstellung einer Übersicht sämtlicher Urteile österreichischer Gerichte wegen NS-Gewaltverbrechen. Das von der FStN durchgeführte Teil-Projekt betreffend die Oberlandesgerichtssprengel Wien und Linz (Leitung: Winfried R. Garscha) bezieht sich auf die Bundesländer Burgenland, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Wien; das vom Grazer rechtshistorischen Institut durchgeführte Teil-Projekt (Leitung: Martin F. Polaschek) auf die Bundesländer Kärnten und Steiermark, das vom Innsbrucker Zeitgeschichte-Institut Teil-Projekt (Leitung: Thomas Albrich) auf die Bundesländer Tirol und Vorarlberg.
2. Vergleich der Ahndung von NS-Gewaltverbrechen durch die verschiedenen österreichischen Gerichte – auf der Grundlage der Zusammenführung sämtlicher Daten aus den vier Oberlandesgerichtssprengeln – und zwar sowohl synchron (bezogen auf regionale Unterschiede in der Rechtsprechung, insbesondere im ersten Nachkriegsjahrzehnt, als die vier Volksgerichte jeweils für eine der vier Besatzungszonen zuständig waren) als auch diachron (bezogen auf die Unterschiede zwischen Volks- und Geschworenengerichtsbarkeit).
3. Vergleich der Ahndung nationalsozialistischer Tötungsverbrechen in Österreich und (West- und Ost-)Deutschland.
4. Untersuchung der Anwendung unterschiedlichen materiellen und prozessualen Rechts, um die – auch für heutige Gerichtsverfahren wegen Humanitätsverbrechen relevante – Frage beantworten zu können, welchen Einfluss die angewandten Rechtsnormen auf das Ergebnis der Strafverfolgung derselben oder vergleichbarer Delikte haben.
Die Ergebnisse der Urteilsauswertung werden – unter Berücksichtigung interdisziplinärer Zugänge – in den jeweiligen regionalen historischen und politischen Kontext gestellt. Die Analyse der Rechtsanwendung durch die Gerichte wird auch mit der rechtswissenschaftlichen Diskussion der ersten drei Nachkriegsjahrzehnte in Beziehung gesetzt.

Zusätzlich zur Untersuchung der Urteile werden im Teil-Projekt Wien/Linz sämtliche österreichische Gerichtsverfahren wegen Verbrechen im KZ Mauthausen und seinen Nebenlagern erfasst und ausgewertet sowie mit den deutschen Mauthausen-Prozessen verglichen. Im Rahmen des Grazer Teil-Projekts soll auch die rechtstheoretische Diskussion analysiert werden, wobei vor allem Fragen der Anwendung österreichischen bzw reichsdeutschen Rechts sowie im Zusammenhang mit der Judikatur des OGH auf ihre regionalspezifischen Unterschiede bzw. auf nationale Gemeinsamkeiten hin untersucht werden sollen. Gegenstand dieser Untersuchung sind neben den "reinen" Rechtsfragen vor allem die justizstatistischen, prozesstaktischen und kriminologischen Aspekte der Prozesse wegen NS-Gewaltverbrechen. In Klagenfurt werden auch die nach § 7 KVG (Denunziation) bzw. § 5a KVG ("Vertreibung aus der Heimat") eingestellten Verfahren untersucht. In Graz erfolgt zusätzlich die Aufnahme der Verfahren gegen Gestapobeamte, gegen die zwar wegen NS-Gewaltverbrechen ermittelt wurde, die aber aus verschiedenen Gründen wegen anderer Delikte verurteilt wurden. Das Innsbrucker Teil-Projekt wird neben den mit Urteilen abgeschlossenen Prozessen sämtliche Verfahren, in denen wegen Delikten nach dem Kriegsverbrechergesetz ermittelt wurde, dokumentieren und damit für einen Gerichtssprengel einen Vergleich zwischen eingeleiteten und abgeschlossenen Verfahren ermöglichen.

Hauptfinancier des Projekts ist der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF). Die drei Teil-Projekte wurden am 21. November 2001 beim FWF beantragt und nach einer Prüfung durch fünf internationale GutachterInnen durch das FWF-Kuratorium am 24. Juni 2002 als förderungswürdig anerkannt.
Eine erste Arbeitsberatung zur Koordinierung der drei Teil-Projekte fand am 23. Juli in Wien (im "Springer-Schlössl", dem Sitz der Politischen Akademie auf dem Tivoli) statt. MitarbeiterInnen von allen vorgesehenen Standorten (Wien, Linz, Graz, Klagenfurt, Innsbruck) einigten sich auf die nächsten Arbeitsschritte. Im Teil-Projekt Wien-Linz werden zwei HalbtagsmitarbeiterInnen am 1. Oktober ihre Arbeit aufnehmen, die übrigen zwei am 1. Jänner 2003. Das Teil-Projekt Graz-Klagenfurt beginnt ebenfalls am 1. Oktober, das Teil-Projekt Innsbruck am 1. Jänner.

Informationen zur Antragstellung sowie zum Fortgang des Projekts finden Sie hier.




Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung stellt über 600.000 € bereit
(24. Juni 2002)