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Presse-Echo des Prozesses gegen Walter DEJACO und Fritz ERTL
Die Berichterstattung ausgewählter Zeitungen
zum 1. Wiener Auschwitz-Prozess (1972)
VOLKSSTIMME
Wenngleich die Berichterstattung über den Prozess zwar regelmäßig
ist, wird diesem im Vergleich zu früheren Prozessen gegen NS-Verbrecher
weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Dennoch scheint die VST die einzige Zeitung
zu sein, die für die Verurteilung von Dejaco und Ertl eintritt und aus
diesem Blickwinkel heraus über den Prozess berichtet.
Die VST steigt in ihrer Berichterstattung über den Auschwitz-Prozess
mit der Frage ein, "hat Dejaco auch persönlich gemordet. Anklage
im Auschwitz-Prozess lastet dem Gaskammernerbauer auch Einzelmorde an."
Außer Zweifel steht für die VST hingegen die Schuld der beiden
dahingehend, "dass die beiden SS-Führer […] sehr genau gewusst
haben, dass die von ihnen gebauten Einrichtungen der Vernichtung von Menschen
im Rahmen der 'Endlösung der Judenfrage' dienten" (19.1.1972).
In der Folge nimmt die VST ausführlich Stellung zur Verantwortung des
Angeklagten Dejaco, "nichts gewusst zu haben".
"Bieder und treuherzig bietet dieser ehemalige SS-Obersturmführer
[Anm.: Dejaco] dem Gericht seine Story an. Offenbar hält er Richter und
Geschworene für so naiv, dass sie ihm die Schnulze abkaufen, deren Refrain
lautet: 'der Bischof war's ...'" (gemeint ist damit der Chef der Gesamtenbauleitung
Bischof- 21.1.1972)
Es gibt allerdings keine historische Einführung über den Verfahrensgegenstand;
erst nach und nach werden in der Berichterstattung einige diesbezügliche
Fakten erwähnt; eine Gesamtdarstellung fehlt jedoch. Schließlich
schreibt die VST über "Probevergasungen" und die "Aktion
Reinhard," "in deren Rahmen in Chelmno, Sobibor, Maydanek und Treblinka
Juden ermordet wurden" (21.1.1972), ohne diese aber explizit in einen
breiteren historischen Kontext einzuordnen.
Ausführliche Berichte über die Zeugenaussagen sind hingegen fixer
Bestandteil der Berichterstattung. In diesem Zusammenhang übt die VST
heftige Kritik an der Verteidigung:
"Offensichtlich passen Zeugen, die konkrete Angaben über die grauenhaften
Zustände in der Hölle von Auschwitz machen können, der Verteidigung
nicht, die gegen solche 'Stimmungszeugen' Einspruch erhob. Man möchte
den Fall der beiden Angeklagten am liebsten losgelöst vom Gesamtkomplex
Auschwitz behandeln und den Geschwornen unter denen sich auch Menschen befinden,
die – wenn überhaupt – die NS-Zeit nur vom Hörensagen
kennen, ein von der Auschwitzer Realität möglichst unberührtes,
gewissermaßen keimfreies Bild vermitteln" (27.1.1972).
Entlastungszeugen werden – etwa im Unterschied zu den SN – zum
Teil nicht erwähnt, ebenso wie Widersprüche in den Zeugenaussagen
nicht in die Berichterstattung übernommen werden. Auch die Bewertung
von so mancher Zeugenaussage fällt in den Zeitungen völlig unterschiedlich
aus, wie anhand der Aussage des Zeugen Jakumowski evident wird (siehe Beschreibung
der Berichterstattung in den SN weiter unten).
Die VST nimmt Stellung gegen den Befehlsnotstand und weist anhand eines Sachverständigengutachtens
darauf hin, dass es einem SS-Angehörigen möglich gewesen wäre,
bei der "Endlösung" nicht mitzumachen:
"Befehlsnotstand ist das beliebteste und in vielen NS- und Kriegsverbrecherprozessen
mit Erfolg praktizierte Verteidigungsmittel. Auch die Angeklagten im Wiener
Auschwitzprozess machen darin keine Ausnahme."
Reaktionen auf das Urteil gibt die VST erst 4 Tage nach Bekanntwerden des
Freispruchs in einem Artikel, der mit "Dejaco und die Gegenwart"
tituliert ist.
"Dieser Freispruch reiht sich an die Freisprüche, die in Österreich
in solchen Prozessen als normalerweise gefällt werden und die unser Land
in den Ruf gebracht haben, einen Naturschutzpark für nazistische Massenmörder
zu sein" (15.3.1972).
Angemerkt wird, dass in Österreich noch 42 Mann Wachpersonal aus dem
KZ Auschwitz frei und ohne gerichtlich belangt worden zu sein, lebten. "Sie
können nach dem Dejaco-Prozess der Zukunft relativ ruhig ins Auge blicken."
Überraschend ist allerdings, dass die VST für Ertl Partei ergreift
und man in diesem Zusammenhang an diesem Prozess Kritik üben müsse,
"denn es war von vorneherein klar, dass einer der Angeklagten, der sich
von Auschwitz an die Front gemeldet hatte, weil er an den Verbrechen nicht
teilhaben wollte, überhaupt nicht auf die Anklagebank gehört hätte."
An der Notwendigkeit von Prozessen gegen KZ-Mörder hegt die VST allerdings
keinen Zweifel, sie seien auch noch nach 27 Jahren "durchaus noch angebracht,
"weil man der jungen Generation die Gräuel des Hitler-Faschismus
vor Augen führen sollte." Schließlich erfolgt auch ein Angriff
auf Justizminister Broda und die SPÖ, die sich durch solche Prozesse
lediglich ein antifaschistisches Alibi schaffen möchte und gleichzeitig
einen SS-Obersturmführer koalitionsreif mache.
NEUER KURIER
Der Umfang der Berichterstattung über den Prozess gegen Dejaco und Ertl
ist im Vergleich zu den anderen Medien gering.
Der NK weist auf das geringe Zuschauerinteresse hin beim Prozess gegen die
"Baumeister des Massenmordes." (19.1.1972). Immerhin ginge es um
den größten Massenmord der Geschichte. Ansonsten folgen keine geschichtlichen
Informationen, die weiteren Berichte über den Prozess sind kurz und oberflächlich
gehalten. Der NK weist auf die Schwierigkeiten im Beweisfahren hin. Die Rede
ist hierbei davon, dass das Beweismaterial wenig Konkretes zu Lasten der Angeklagten
gebracht habe, wenngleich zahlreiche Dokumente über die Massenvernichtung
Grauen erregten. Positiv hervorgehoben wird die Rolle des vorsitzenden Richters
(27.1.1972).
Die Berichterstattung wird im Laufe der Verhandlung immer dürftiger,
das Urteil ("Auschwitz-Prozess: Zwei Freisprüche") als Randnotiz
abgedruckt; jeglicher Kommentar zum Freispruch fehlt (11.3.1972).
SALZBURGER NACHRICHTEN
Die SN beginnt ihre teilweise mit unschlüssigen Aussagen gekennzeichnete
Berichterstattung über den ersten Auschwitz-Prozess auch mit dem Hinweis
auf die leeren Zuschauerbänke.
Die Anklageschrift wird ausführlich thematisiert und schließt mit
der Feststellung, "in Auschwitz waren rund drei Millionen Männer,
Frauen und Kinder durch das Blausäurepräparat 'Zyklon B' vergast
worden" (19.1.1972). Insgesamt geht es in der Berichterstattung aber
nie um die Thematisierung der historischen Ereignisse und hintergründe,
es erfolgt keine explizite Einbettung in den Holocaust oder in die "Endlösung".
Das Gutachten des Gerichtsgutachters Buchheim zum Befehlsnotstand wird thematisiert,
dennoch treffen die SN keine klaren Aussagen hierzu (29.1.1972). Merkmal der
Darstellung ist, Fakten und Aussagen sehr vage zu halten. Die SN enthält
sich jeglicher Meinung und zieht keine eigenen Schlüsse aus verfahrensbezogenen
Aussagen oder Geschehnissen. Als Beispiel dazu dient ein Artikel über
die Vorführung eines Auschwitz-Filmes ("Auschwitz-Film vor Geschworenen"):
"Der Streifen wurde gestern gegen den Einspruch der Verteidigung gezeigt,
'weil er einen Eindruck über Größe und Umfang des Lagers vermittle'.
Auf den Ton wurde jedoch verzichtet, um eine Aversion gegen die Angeklagten
auszuschalten." (2.2.1972)
Zeitweise weicht die Berichterstattung vom Prozessverlauf ab und wendet sich
andere Themen zu, wie etwa anhand der Zeugenaussage von Otto Locke, eines
"siebenfachen Mörder im Zeugenstand" ausführlich über
dessen Vorhaben, politisches Asyl in Österreich zu beantragen, geschrieben
wird. Die eigentliche Prozessthematik tritt in den Hintergrund (1.3.1972).
Über die bereits weiter oben erwähnte Zeugenaussage von Tadeusz
Jakumowski berichtet die VST, dass der Zeuge gesehen habe, wie Dejaco im Krematorium
feststellte, wie lange das Verbrennen der Leichen dauerte und sagte über
eine "Kommission" von SS-Männern aus, die bei der Vergasung
und Verbrennung zusah (der Titel des Artikels lautet "Sah Dejaco bei
Vergasung zu? Ein polnischer Zeuge belastet ihn" – VST, 1.3.1972).
Die SN hingegen stellen die Frage, ob Jakumowski "Ein glaubwürdiger
Zeuge?" sei.
"Dr. Mörth [Anm: der Verteidiger] befragte nun den Zeugen, ob er
nicht falsche Ansprüche auf eine Wiedergutmachung gestellt habe und damals
angegeben hatte, in den Buna Werken gearbeitet zu haben. Der Zeuge gab dies
zu."
Damit endet der Artikel. Über die belastenden Aussagen des Zeugen erfahren
die LeserInnen nichts.
Insgesamt liegt der Schwerpunkt im Beweisverfahren auf der Zitierung der Aussagen
der Entlastungszeugen. Nur wenige
Belastungszeugen werden erwähnt; sie werden allerdings durchwegs mit
der Frage unterlegt, ob sie denn überhaupt glaubwürdig seien.
Interessant ist zudem, dass fast ausschließlich dem Schlussplädoyer
der Verteidiger Platz in der Berichterstattung geboten wird (10.3.1972).
Der Bericht über das Urteil beschränkt sich auf die Wiedergabe des
Votums der Geschworenen: "Baumeister freigesprochen und enthaftet. Geschworene
im 'Auschwitz-Prozess' verneinten einstimmig Hauptfrage. Ankläger nicht
einverstanden" (11.3.1972).
ARBEITER ZEITUNG
Vor dem Beginn des Prozesses berichten die AZ über die von Simon Wiesenthal
und Hermann Langbein anberaumte Pressekonferenz anlässlich des Auschwitz-Prozesses.
Darin wird darauf hingewiesen, dass lange Zeit das Untersuchungsverfahren
gegen die Angeklagten im Sande verlief (18.1.1972). Die AZ setzt sich ausführlich
mit diesem Prozess auseinander. Sie zeigt sich in der Berichterstattung über
diesen Prozess um einiges "kommentarfreudiger" als in früheren
Prozessen. Sie weist auch darauf hin, dass sich kaum jemand mehr für
diesen ersten Auschwitzprozess interessiere.
"Wäre es einer der üblichen Mordprozesse, wären mehr Leute
gekommen. Doch die Öffentlichkeit hat – so scheint es – die
Frage Auschwitz, die Frage Endlösung und die Frage des Mordes an drei
Millionen Juden aus ihrem Gewissen verdrängt."
Der Artikel ist gleichsam ein Einwand gegen das Ansinnen, mit diesen Prozessen
endlich Schluss zu machen:
"Man bringt vor allem emotionelle mitunter auch rationale Argumente aufs
Tapet: Nach einem Vierteljahrhundert ist vieles vergessen, leben viele Zeugen
nicht mehr, können Zeugen Angeklagte nicht mehr erkennen. Doch vergisst
man dabei gern die Funktion solcher Verfahren: Auschwitz steht als Symbol
für jenen Zeitgeist, der damals herrschte, man kann daraus lernen."
In Anspielung – offenbar auf den Kalten Krieg – schreibt die AZ
dann weiter "Doch man möchte andrerseits wieder verzweifeln, wenn
man weiß, was die Russen und Amerikaner, die Hauptankläger des
Nürnberger Prozesse, aus der Geschichte 'gelernt' haben." Und dennoch
könne man diese Verbrechen auch nach 27 Jahren nicht ungestraft lassen.
Die AZ misst diesen Prozessen also auch eine friedenserzieherischen Aufgabe
und Funktion bei (19.1.1972).
Die beiden Angeklagten bezeichnet die AZ als "zwei prominente Auschwitz-Österreicher."
Anschließend beschreibt sie die Rolle der Erbauer der Krematorien für
den "von Himmler gegebenen Befehl zur völligen Vernichtung der Juden
Europas" und stellt einen Konnex zum Frankfurter Auschwitz-Prozess her:
"Die Verantwortung Dejacos und Ertl erinnert an die Verantwortung der
Angeklagten im großen Frankfurter Auschwitzprozess gegen Kaduk, Bogner,
Mulka und fünfzehn andere" (19.1.1972).
Über die Verantwortung Dejacos gibt die AZ zu denken:
"Dejaco hat aber auch jene Vorteile, die ein Auschwitzangeklagter 1972
haben muss. Er stellt sich als Rädchen hin, in einem großen unmenschlichen
System. Ein Rädchen, das wie sehr viele andere Rädchen, das wie
sehr viele andere Rädchen erst sehr spät über die unmenschlichen
Taten nachgedacht hat. Das war nicht zuletzt der Grund, warum es zu einem
Auschwitz gekommen ist" (20.1.1972).
Auch Ertl "der kleinere Fall" habe sich wie Dejaco gut auf den Prozess
vorbereitet – "Auschwitzangeklagte im Jahre 1972 haben dazu 27
Jahre Zeit gehabt" (22.1.1972).
Aufgrund der Befragung von Hermann Langbein als Zeugen durch den Verteidiger
– er fragte, was dieser denn eigentlich selbst gesehen habe in Auschwitz
und bekrittelt die Aussagen Langbeins, zumal dieser lediglich über den
Komplex Auschwitz allgemein aussage – thematisiert die AZ die prinzipielle
Frage der Verteidigung bei NS-Prozessen:
"Die Verteidigung in NS-Prozessen entbehrt nicht gewisser Problematik:
Ist sie zu verteufeln, weil sie auch solche Menschen, die in unseren Horizont
des 'normalen Verbrechens' nicht hineinpassen, verteidigt? Der Rechtsstaat
– er ist auch bei uns ohnehin nicht immer sattelfest – gebietet
auch die Verteidigung von NS-Angeklagten. Oftmals, aber nicht immer, herrscht
ein weltanschaulicher Konsens zwischen Verteidiger und Angeklagtem in solchen
Prozessen. Doch eines ist nicht zu verleugnen: Verteidiger in NS-Prozessen
kollidieren oft mit der Wirklichkeit" (26.1.1972).
Die AZ weist zudem immer wieder darauf hin, dass es nicht möglich sei,
das Faktum gegen Dejaco und Ertl isoliert vom Verbrechenskomplex Auschwitz
zu betrachten.
Die Entlastungsaussagen betreffend, gibt sich die AZ zurückhaltend bzw.
erwähnt, dass einer dieser Zeugen – ein ehemaliger Kapo –
ein Betrüger sei, "er habe sich im Frankfurter Auschwitzprozess
der Verteidigung gegen Geld als Entlastungszeuge angeboten" (4.2.1972).
Zum Urteil stellt die AZ die Frage "Wen wundern die Freisprüche?"
und moniert: "Sie wurden also auch freigesprochen. Soll man, weil es
in Österreich nichts Neues ist, in Nazi- und Kriegsverbrecherprozessen
Freisprüche zu hören, hier über das Gericht gleich quasi zu
Gericht sitzen?" Die AZ ist aber der Meinung, dass der Prozess korrekt
geführt wurde und auch den Freispruch für Ertl wertet sie als durchaus
gerechtfertigt, zumal er sich an die Front gemeldet hatte als er "nicht
mehr mitmachen" wollte – "was viel andere nicht getan hatten".
Bei Dejaco sei die Sachlage allerdings anders. Der Urteilsspruch sei hier
noch zu prüfen.
"Aber wen nimmt es wunder, wenn Geschworene nach lückenhaften, einander
widersprechenden Zeugenaussagen so urteilen? Man hat mit diesem Prozess bis
1972 gewartet und dann vom Zeugen verlangt, dass sie sich noch genau erinnern"
(11.3.1972).
An wen diese Kritik gerichtet ist, ist allerdings nicht klar; wer dafür
von der AZ verantwortlich gemacht wird, bleibt offen. Abschließend bemerkt
wird, dass selbst Freispruche nicht vergessen machen könnten, dass es
Auschwitz und den Naziterror gegeben habe.
NEUE FRONT
Die einzige Meldung zum Prozess in der NF lautet – erneut in der Rubrik
"Wochenstenogramm": "Erster österreichischer Auschwitzprozess
endete mit Freispruch der Angeklagten Ertl und Dejaco" (18.3.1972).
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