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Informationen zum Projekt-Paket
Justiz und NS-Gewaltverbrechen in Österreich
Aus der Gemeinsamen Einleitung der drei Anträge (Wien/Linz, Graz, Innsbruck) an den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
(FWF-Projekte Nr. 15704 bis 15706)

a) Allgemeines
Die Überzeugung, dass staatlich angeordnete oder geduldete Verbrechen nicht straflos bleiben dürfen, ist – nicht zuletzt durch das Wirken der Nachkriegsgerichte in den »Tätergesellschaften« – zu einem Bestandteil des europäischen Rechtskulturerbes geworden. Um diese historischen Erfahrungen für die aktuellen Diskussionen über die Strafbarkeit von Humanitätsverbrechen produktiv machen zu können, sind allerdings gründlichere Kenntnisse über die damaligen Verfahren erforderlich, als sie für die meisten europäischen Staaten vorliegen.
Unter Humanitätsverbrechen (»Verbrechen gegen die Menschlichkeit«) werden nicht nur Kriegsverbrechen, sondern auch Verbrechen gegen die »eigene« Bevölkerung verstanden. Die Ahndung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen erschöpfte sich nach 1945 nicht in den Kriegsverbrecherprozessen der siegreichen Kriegsgegner (obwohl auch diese erst unzureichend erforscht sind vgl. Cohen/Simon 1999 – vgl. die Liste der zitierten Bücher unten!), sie warf auch in den »Tätergesellschaften« juristische sowie politisch-soziale Fragen auf. Das legt eine interdisziplinäre Herangehensweise bei ihrer Erforschung nahe.
Im Gefolge des Zusammenbruchs der europäischen Nachkriegsordnung nach 1989 und der damit verbundenen Neubewertung der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden seit Anfang der neunziger Jahre auch die justiziellen Bemühungen zur Diktaturfolgenbewältigung Gegenstand wissenschaftlicher Debatten (Judt 1993, Deák/Gross/Judt 2000). Trotz politikwissenschaftlicher und zeitgeschichtlicher Forschungen zur »Vergangenheitsbewältigung durch Strafverfahren« nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland (Weber/Steinbach 1984), sondern auch in Österreich (Meissl/Mulley/Rathkolb 1986, Kuretsidis-Haider/Garscha 1998), wurde bisher allerdings kein auf der Analyse von Strafurteilen beruhender – und damit empirisch abgestützter – Vergleich der justiziellen »Bewältigung« von NS-Verbrechen in den »Nachfolgestaaten« des Dritten Reiches, Deutschland (BRD/ DDR) und Österreich, vorgelegt (Ansätze dazu jedoch in: Steininger 1994).
Die Hauptursache dafür ist der Rückstand der Forschung in Österreich. Es fehlt eine Bestandsaufnahme der österreichischen Prozesse; bis jetzt liegen nur teilweise Regionalstudien (Polaschek 1998a, Kuretsidis-Haider/Garscha 2001) vor. Allerdings wurden seitens der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz, in Fortsetzung zweier vom FWF geförderter Projekte, bis jetzt ca. 640 Verfahren vor dem Volksgericht Wien (1945–1955) und 50 Verfahren wegen NS-Verbrechen vor dem Wiener Straflandesgericht (1955–1975) mikroverfilmt und ausgewertet, außerdem wurde mit der Erstellung einer Datenbank begonnen, die für das hier beantragte Projekt-Paket genützt werden kann (siehe Beilage B). Im Jänner 2001 wurde ein Projekt<1> gestartet, als dessen Ergebnis bis 2003 für Österreich rechts-, politik- und kulturgeschichtliche Vorarbeiten für einen Gesamtvergleich Deutschland/Österreich vorgelegt werden sollen.
Lediglich für die nach der Abschaffung der so genannten Volksgerichte ergangenen Gerichtsentscheidungen (nämlich 38 Urteile der Geschwornengerichte 1956–1975 und 7 in den siebziger Jahren erfolgte Verfahrenseinstellungen) hat das Bundesministerium für Justiz – neben summarischen Statistiken – kurze Beschreibungen publiziert, die als Grundlage für die Analyse des Umgangs der österreichischen Justiz mit NS-Gewaltverbrechen in diesem Zeitraum dienen können (Marschall 1987). Für die Volksgerichtsbarkeit der Jahre 1945–1955 beschränkt sich die Publikation des Justizministeriums auf die Beschreibung jener 64 Prozesse, in denen mindestens ein Angeklagter zum Tode oder zu lebenslänglichem Kerker verurteilt wurde. Eine Einschätzung von Gegenstand und Ausgang der Volksgerichtsverfahren ist auf dieser Basis nicht möglich, da damit nicht einmal 0,1% aller Verfahren vor den vier österreichischen Volksgerichten erfasst wurden.
Für Deutschland hingegen sind neben den Gesamtstatistiken des Bundesministeriums der Justiz bereits detaillierte Übersichten über Gegenstand und Ausgang der Strafverfahren – wenngleich ausschließlich bezogen auf die Ahndung von NS-Tötungsverbrechen – verfügbar (Rüter/de Mildt 1998).
Die Zuständigkeit der bei den Landesgerichten am Sitz der vier Oberlandesgerichte (Graz, Innsbruck, Linz, Wien) installierten Volksgerichte bezog sich auf die im NS-Verbotsgesetz (VG) und im Kriegsverbrechergesetz (KVG) definierten Delikte sowie auf sonstige Straftaten, »sofern der Täter aus nationalsozialistischer Gesinnung oder aus Willfährigkeit gegenüber Anordnungen gehandelt hat, die im Interesse der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder aus nationalsozialistischer Einstellung ergangen sind« (§ 11/2 KVG). Die Bedeutung der Volksgerichtsbarkeit ergibt sich daraus, dass auf diese Form der justiziellen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen 95% aller in Österreich gerichtsanhängig<2> gemachten Ermittlungen wegen NS-Verbrechen (136.829 von einem Gesamtanfall<3> von etwa 142.000 bis 143.000 Sachen) und 99,8% aller Urteile<4> (23.477 von 23.530) entfielen. Diese Zahlen beziehen sich auf vermutlich rund 90.000 Verfahren gegen mehr als 100.000 Personen.
Auf Grund des unterschiedlichen Standes der Vorarbeiten und der regionalen Spezifika der Gerichtsstandorte soll die geplante Arbeit in drei separaten Projekten durchgeführt werden, die jedoch wegen der weitgehend identen Forschungsziele als Projekt-Paket beantragt werden:
a) OLG-Sprengel Linz und Wien (Volksgerichte Linz und Wien, Geschwornengerichtsverfahren in Linz, Salzburg, Wels und Wien)
b) OLG-Sprengel Graz (Gerichtsstandorte Graz, Leoben und Klagenfurt),
c) OLG-Sprengel Innsbruck.
Das Projekt-Paket stellt sich zur Aufgabe, die fehlenden empirischen Daten zu erarbeiten sowie – an ausgewählten Fallbeispielen – die Tätigkeit der Staatsanwaltschaften und Gerichte zu analysieren. Die Ergebnisse der drei Forschungsprojekte werden sowohl untereinander als auch mit den vorliegenden Forschungsergebnissen für West- und Ost-Deutschland verglichen werden. Sowohl aus prinzipiellen Überlegungen (staatlich angeordnete bzw. tolerierte Tötungen als Charakteristikum der NS-Diktatur und der von ihr abhängigen Kollaborationsregime) als auch aus Gründen der praktischen Durchführbarkeit ist es erforderlich, den internationalen Vergleich auf NS-Tötungsverbrechen zu beschränken und dafür nur jene Prozesse heranzuziehen, die mit einem Urteil abgeschlossen wurden. Für den innerösterreichischen Vergleich – aber auch zur Beantwortung der Frage nach der »Effizienz« der österreichischen Justiz bei der Ahndung von NS-Verbrechen – ist es darüber hinaus sinnvoll, die Gesamtheit der NS-Gewaltverbrechen in die Untersuchung einzubeziehen.
Als Tötungsdelike werden im Rahmen dieses Projekts Mord und Totschlag (§§ 134–137, 140 des alten österreichischen StG bzw., wenn das Recht zur Tatzeit angewandt wurde, §§ 211–212 RStGB), bestimmte Formen der öffentlichen Gewalttätigkeit (§ 87 StG in Verbindung mit §§ 86, 88 StG) sowie jene durch das Kriegsverbrechergesetz geschaffenen Tatbestände verstanden, in denen entweder eine besondere Sanktion bei Todesfolge des Delikts vorgesehen war (§§ 1/1–5, 3/2–3, 7/3 KVG = Kriegsverbrechen und Verbrechen, die den »natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit widersprechen«, Misshandlung, Denunziation) oder das Delikt bereits als Beihilfe zum Mord definiert war (§ 5a KVG = Deportation, »Vertreibung aus der Heimat«). Wie viele der österreichischen Gerichtsverfahren, in denen wegen NS-Tötungsverbrechen ermittelt wurde, mit einem Urteil endeten, lässt sich beim gegenwärtigen Forschungsstand nur annähernd schätzen. Nach den durch die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz bisher gesammelten Informationen dürfte es sich um maximal zweitausend der insgesamt 23.531 Urteile handeln.
Unter NS-Gewaltverbrechen werden neben den erwähnten Tötungsdelikten auch Misshandlungen ohne tödlichen Ausgang (§ 3/1 KVG), aber auch Verletzungen der Menschenwürde (§ 4 KVG) und Raub (§ 6 KVG = Arisierung, »missbräuchliche Bereicherung«) verstanden. Die Anzahl dieser Urteile ist beträchtlich höher, sie dürfte zwischen 3.500 und 4.000 liegen. Würde man – da sie ja in sehr vielen Fällen eine Form der Beihilfe zur Freiheitsberaubung darstellte – auch die Denunziation ohne Todesfolge (§ 7/1–2 KVG) zu den NS-Gewaltverbrechen rechnen, würde sich die Anzahl der zu analysierenden Urteile mehr als verdoppeln. Daher sollen die Denunziationsprozesse vorläufig nur statistisch erhoben und schwerpunktmäßig an einzelnen Gerichtsstandorten genauer untersucht werden.
Ausgehend von der Kontroverse um Daniel Goldhagens »Hitler's Willing Executioners« (Goldhagen 1996) ist in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre – nach ersten, auf Gerichtsakten gestützten Arbeiten zu Beginn der neunziger Jahre (insbesondere Browning 1992, in Österreich Safrian 1993) – die »Täterforschung« erneut in den Mittelpunkt des historiografischen Diskurses über die NS-Zeit gerückt. Ergebnisse des für Österreich diesbezüglich wichtigsten Forschungsprojekts – eine vom FWF geförderte Kollektivbiografie der österreichischen Täter im Rahmen der »Aktion Reinhard« auf der Basis der Akten des Klagenfurter Prozesses gegen Ernst Lerch und Helmuth Pohl – liegen noch nicht vor. Durch das hier beantragte Projekt-Paket soll nicht nur ein Beitrag zur Verbreiterung der empirischen Basis dieser Debatte geleistet, sondern – durch Fragestellungen, die sich aus dem hier gewählten interdisziplinären Ansatz ergeben – auch ihr methodischer Ansatz verbreitert werden.
Für die Beantwortung der mitunter auch in der tagespolitischen Auseinandersetzung (zuletzt: Feichtlbauer 2000) aufgeworfenen Frage nach den Leistungen und Versäumnissen der österreichischen Justiz ist eine internationale Einordnung sinnvoll, wobei es auf Grund der geschichtlichen Gemeinsamkeiten am zweckmäßigsten erscheint, die österreichische Entwicklung mit der deutschen zu kontrastieren. Ermöglicht wird dies dadurch, dass die für derartige Vergleiche erforderliche Grundlagenforschung für Deutschland bereits in hohem Ausmaß geleistet wurde. Von besonderer Bedeutung für den hier vertretenen Forschungsansatz sind die auf der Urteilssammlung »Justiz und NS-Verbrechen« (Rüter et al. 1968–1981, vgl. auch Reiter 1998) aufbauenden Übersichten der Gerichtsentscheidungen in Verfahren wegen Tötungsverbrechen (Rüter/de Mildt 1998 für Westdeutschland und Westberlin; analoge Übersichten für die DDR-Verfahren sowie für die niederländischen Verfahren gegen Deutsche und Österreicher sind im Internet verfügbar: http://www.uva.nl/ junsv/). Erleichtert wird der Vergleich mit Deutschland auch dadurch, dass hier bereits Ansätze einer Judikaturanalyse (Oppitz 1979, Pauli 1996, Rüping 1997) sowie Darstellungen der Tätigkeit einzelner Staatsanwaltschaften (Rüping 1994) publiziert wurden. Vor allem aber stehen dort der historischen Forschung jene Karteien, Register und Statistiken der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg zur Verfügung, in denen die seit Gründung der Zentralen Stelle 1958 eingeleiteten Ermittlungsverfahren detailliert ausgewertet wurden.

b) Forschungsstand/Vorarbeiten
Die umfangreichsten Vorarbeiten wurden bisher für Wien geleistet, doch entfällt auf Wien vermutlich rund die Hälfte der zu untersuchenden Prozesse. Das Projekt kann auf zwei vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierten Projekten des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) aufbauen: »Die Verfahren vor dem Volksgericht Wien (1945–1955) als Geschichtsquelle« (1993–1996) und »Die Nachkriegsjustiz als nicht-bürokratische Form der Entnazifizierung: Österreichische Justizakten im europäischen Vergleich (strafprozessualer Entstehungszusammenhang und Verwertungsmöglichkeiten für die historische Forschung)« (1996–1998). Im zweiten der beiden Projekte wurden auch für die Gerichtsstandorte Linz, Graz und Innsbruck Ergebnisse erarbeitet, auf die bei der Durchführung des hier beantragten Projekt-Pakets zurückgegriffen werden kann. Ergebnisse der beiden Projekte wurden in einem umfangreichen internationalen Sammelband (Kuretsidis-Haider/Garscha 1998) sowie auf Konferenzen in Österreich, Frankreich und den USA vorgestellt; eine Zusammenfassung der bisherigen österreichischen Forschungsergebnisse wird 2002 unter dem Titel »Nachkriegsprozesse. Die Alliierten, Deutschland und Österreich« veröffentlicht werden. Die Durchführung des Wiener Teil-Projekts wird insbesondere dadurch erleichtert, dass bis zum Sommer 2002 die Forschungsstelle Nachkriegsjustiz für alle mit Urteil abgeschlossenen Wiener Volksgerichtsverfahren Informationen über die Paragraphen, nach denen die betroffenen Personen abgeurteilt wurden, vorlegen wird. Dadurch werden alle wegen NS-Gewaltverbrechen ergangenen Urteile auffindbar gemacht.
Für Linz wird zur Zeit im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie der Kulturabteilung der oberösterreichischen Landesregierung eine Datenbank sämtlicher Volksgerichtsverfahren erarbeitet. Die Datenbank wird noch im Laufe des Jahres 2002 eine komplette Erfassung der Urteile ermöglichen. Außerdem liegt eine Studie über die Arbeitsweise des Volksgerichts Linz vor (Kuretsidis-Haider/Garscha 2001).
Das Grazer Teil-Projekt kann sich für den Bereich des Außensenats Klagenfurt des Volksgerichts Graz auf drei unveröffentlichte (Kohlweg 1981, Pellar 1981, Fera 1985) und eine publizierte Diplomarbeit (Stromberger 1988) sowie auf vorläufige Ergebnisse eines seit 1997 durchgeführten Projekts zur Erfassung und Digitalisierung von Volksgerichtsakten an der Universität Klagenfurt, im Zuge dessen bisher fast 200 Akten detailliert ausgewertet wurden, stützen. Für die Gerichtsstandorte Graz und Leoben baut das hier beantragte Projekt – neben der Arbeit des Projektleiters über das Volksgericht Graz (Polaschek 1998a) – auf einem vom FWF finanzierten Forschungsprojekt der Universität Graz auf: »Die Denunziation in der NS-Zeit im Spiegel der Nachkriegsjustiz. Die Volksgerichtsverfahren nach Paragraph 7 KVG in der Steiermark«. Dieses 1999 begonnene Projekt ist noch im Laufen und endet mit 31. Dezember 2001. Eine wissenschaftliche Verwertung der Ergebnisse des Projektes ist für 2002/2003 geplant.
Die Vorarbeiten im OLG-Sprengel Innsbruck beschränken sich auf Untersuchungen zur französischen Besatzungsgerichtsbarkeit (Eisterer 1991, Stourzh 1998) und zum Presseecho (Kofler 1989). Wegen der Besonderheiten der Registerführung am LG Innsbruck enthalten die Statistiken des Justizministeriums für Innsbruck noch weniger Spezifizierungen als für die übrigen drei Volksgerichte. Der geringe Anfall an NS-Strafsachen im Bereich des OLG-Sprengels Innsbruck erleichtert es, diesen Rückstand so rasch aufzuholen, dass die Durchführung des Projekts gemeinsam mit den beiden anderen Teil-Projekten möglich wird.

c) Gemeinsame Ziele der drei Projekte
Gemeinsame thematische Schwerpunkte der drei Forschungsprojekte sind:
* Empirische Untersuchungen des zeitlichen Verlaufs und regionaler Unterschiede hinsichtlich der Ermittlungsschwerpunkte von Polizei und Staatsanwaltschaften (welche Verbrechen, welche TäterInnengruppen, geschlechtsspezifische Verteilung der untersuchten Delikte) sowie der Ergebnisse der Strafgerichtsbarkeit (Urteile, Strafausmaß, Verfahrenseinstellungen, Begnadigungen und Amnestien, einschließlich der Rückstellung verfallener Vermögen).
* Auswirkungen der Gerichtsverfahren auf die Auseinandersetzung der Gesellschaft mit Kriegs- und Humanitätsverbrechen. Diese wurden am gründlichsten in der Bundesrepublik Deutschland erforscht (Steinbach 1981, 1994, 1997, 1998, Weber/Steinbach 1984). Ergebnisse eines Forschungsprojekts über die politischen, juristischen und kulturellen Auswirkungen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses auf die deutsche Nachkriegsgesellschaft hat das Fritz Bauer Institut in seinem Jahrbuch 2001 vorgelegt (Wojak 2001). Auch im Bereich der Wirkungsgeschichte kann auf die für 2002 und 2003 zu erwartenden Ergebnisse des erwähnten Jubiläumsfondsprojekts zurückgegriffen werden, das u.a. die politischen Auseinandersetzungen im Gefolge von spektakulären Gerichtsverfahren dokumentiert und die Presseberichterstattung in den zentralen Parteiorganen über ausgewählte Volksgerichtsverfahren 1945–1955 sowie über sämtliche Prozesse der Jahre 1956–1975 analysiert. Diese Forschungsergebnisse sollen durch regionale Untersuchungen ergänzt und mit den publizierten Forschungsergebnissen für die Bundesrepublik Deutschland (v.a. Kröger 1973) verglichen werden. Besonderes Gewicht ist dabei auf die mediale, politische, juristische und historiografische Auseinandersetzung um den »Befehlsnotstand« zu legen.
* Der Einfluss gesellschaftlicher Entwicklungen auf die justizielle Ahndung von NS-Verbrechen. Dabei soll nicht nur die innen- und außenpolitische Entwicklung mit der Ahndung von NS-Verbrechen in Beziehung gesetzt, sondern auch versucht werden, Wandlungen im politisch-gesellschaftlichen »Umfeld« der Prozesse wegen NS-Gewaltverbrechen mit kommunikations- und kulturwissenschaftlichen Methoden zu analysieren, wobei an die bisher in Österreich kaum rezipierten breiten Forschungsansätze von Tony Judt (Judt 1997, Deák/Gross/Judt 2000) und Norbert Frei (Frei 1996) angeknüpft wird. Grundlagen hierfür werden zur Zeit im Rahmen des eingangs erwähnten OeNB-Projekts erarbeitet, im Zuge dessen – entlang der Entwicklung der rechtlichen Grundlagen der Ahndung von NS-Verbrechen – die mit dem Gesetzgebungsprozess verbundenen politischen Auseinandersetzungen dokumentiert sowie text- und kontextbezogen analysiert werden. Die dabei gewonnenen Forschungsergebnisse sind im dritten Projekt-Jahr – auf der Basis der vorliegenden Literatur (Bibliografie: Pollmann 2000) – den Forschungsergebnissen zur Entwicklung in West- und Ost-Deutschland gegenüberzustellen. Ein besonderer Analyse-Schwerpunkt wird dabei die unterschiedliche Handhabung der Verjährungsfrage in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich und ihre möglichen Einflüssen auf das »gesellschaftliche Klima«, in dem die Täterverfolgung stattfand, sein.

Im rechtsgeschichtlichen bzw. strafrechtlichen Bereich bezweckt das nachfolgend beschriebene Forschungsvorhaben:
* die bisher im Zuge von Forschungsprojekten, Diplomarbeiten und Dissertationen sowie im Rahmen der Tätigkeit der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz gesammelten Informationen über österreichische Gerichtsverfahren wegen Kriegs- und Humanitätsverbrechen zu komplettieren und detaillierte Statistiken zur Ahndung der verschiedenen Kategorien von NS-Verbrechen durch die österreichische Justiz zu erarbeiten;
* die mit Urteil abgeschlossenen Verfahren wegen Tötungsdelikten derart auszuwerten, dass ein österreichisches Pendant zu den deutschen und niederländischen Verfahrensübersichten von Rüter/de Mildt vorgelegt werden kann;
* die Spezifika der Täterverfolgung in Österreich hinsichtlich der Rechtslage und der Arbeitsweise von Staatsanwaltschaften und Gerichten zu untersuchen, wobei – auf der Grundlage eines Vergleichs ausgewählter österreichischer und deutscher Gerichtsverfahren, insbesondere wegen der Verbrechenskomplexe NS-Euthanasie und Massenvernichtungsverbrechen an Jüdinnen und Juden – der Frage nachgegangen werden soll, ob unterschiedliche Rechtsgrundlagen zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der justiziellen »Bewältigung« der gleichen (nationalsozialistischen) Verbrechen führten;
* unter Verwendung der von C. F. Rüter entwickelten Kategorien (Verbrechenskomplexe, Opfer, Dienststellen der Täter) die Schwerpunkte der Täterverfolgung durch die österreichische Justiz herauszuarbeiten und Erklärungsmodelle für die Unterschiede zur Bundesrepublik Deutschland und zur DDR vorzuschlagen;
* am Beispiel von Prozessen wegen Tötungsdelikten die wechselseitige Abgabe von Strafverfahren wegen NS-Verbrechen an andere Staatsanwaltschaften/Gerichte zu untersuchen, und zwar jeweils in Kooperation zwischen den Teil-Projekten, in deren regionale Zuständigkeit die Verfahren fallen;
* regionale Unterschiede in Österreich, insbesondere zur Zeit der vierfachen Besetzung 1945– 1955, herauszuarbeiten, wobei die Arbeitsweise von Staatsanwaltschaften und Gerichten nach folgenden Kriterien analysiert werden soll:
> Beispiele unterschiedlicher Anwendung der nach 1945 geschaffenen besonderen Gesetze zur Ahndung von NS-Verbrechen (VG und KVG),
> Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Handhabung der Bestimmungen dieser Gesetze (z. B. Konkurrenzen zwischen § 11 VG, §§ 1, 3 und 4 KVG und §§ 134 ff. StG) durch Staatsanwaltschaften und Gerichte,
> Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Spruchpraxis der Gerichte, vor allem hinsichtlich der faktischen Durchbrechung des rückwirkenden Charakters von VG und KVG (mit der Einführung des »Rechts zur Tatzeit« durch Anwendung von §§ 211, 212 RStGB anstelle des – in Verbindung mit §§ 1 bzw. 3 KVG angewandten – § 134 StG) sowie hinsichtlich des Unterlaufens der im Nationalsozialistengesetz vom 6. Februar 1947 erfolgten Ausdehnung von § 1 Abs. 6 KVG auf die NSDAP-Kreisleiter in zahlreichen Volksgerichtsurteilen,
> Aufhebungen von Volksgerichtsurteilen durch den OGH (untersucht auch hinsichtlich der – möglicherweise unterschiedlichen – Begründungen der Aufhebung von Urteilen der einzelnen Gerichte und etwaiger Unterschiede in der Häufigkeit derartiger Urteilsaufhebungen zwischen den OLG-Sprengeln) sowie Rechtsmittelentscheidungen ab 1956 (OLG, OGH).

Gemeinsame Aufgabe des ersten Arbeitsschrittes in allen drei Teil-Projekten ist es, alle SachbearbeiterInnen mit der Methodendiskussion und dem Forschungsstand in Deutschland (u. a. in Form einer Auswertung der deutschen Urteilssammlung »Justiz und NS-Verbrechen«) vertraut zu machen, die Urteile an den einzelnen Gerichtsstandorten zu erheben, inhaltlich auszuwerten und in den jeweiligen regionalen politischen Kontext zu stellen. Zu Beginn dieser Arbeitsphase erfolgt die Einschulung für die gemeinsamen Datenbank (Eingabe und Abfrage/Auswertung) und die Überprüfung der bisher erfolgten Adaptionen der »Rüter-Kategorien« an die österreichischen Besonderheiten. Der intensive Kontakt zwischen den SachbearbeiterInnen der drei Projekte, der auf elektronischem Wege (Mailing-Listen) und über die weiter unten beschriebenen Workshops erfolgen soll, hat auch die wechselseitige interdisziplinäre Weiterbildung durch den Austausch individuell erworbener Kompetenzen zum Ziel. Die regionale Kontextualisierung dient zudem einer Bestandsaufnahme des am Standort verfügbaren Wissens, wobei auch regionale ExpertInnen wie mit solchen Verfahren befasste Richter, Staatsanwälte und Kriminalbeamte, Fachleute für internationales Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie und Kommunikationswissenschaften eingebunden werden sollen.
In der zweiten Phase werden die Gerichte selbst (personelle Zusammensetzung, Funktionsweise) untersucht und Besonderheiten in der Judikatur herausgearbeitet. Die Schlussphase des Projekts dient dem interregionalen Vergleich und der Herstellung von Bezügen zur allgemeinen politischen Entwicklung in Österreich sowie der Kontrastierung der österreichischen Forschungsergebnisse mit dem Befund für die Bundesrepublik Deutschland und die DDR.
Die beiden von der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz betreuten Datenbank-Projekte erlauben es, das Teil-Projekt Wien/Linz mit einer relativ geringeren personellen Ausstattung durchzuführen als die Forschungsprojekte an den Gerichtsstandorten Graz/Klagenfurt und Innsbruck, wo der Großteil der Datenerfassung (die die Grundvoraussetzung für einen empirisch abgestützten Vergleich darstellt) erst im Rahmen des hier beantragten Projekt-Pakets geleistet werden muss. Außerdem können dadurch die Software-Kosten gering gehalten werden, weil nur mehr Adaptionen einer in Wien und Linz bereits erprobten Datenbank-Struktur und deren Implementierung an den übrigen Gerichtsstandorten sowie die Durchführung der laufenden Updates der Gesamtdatenbank erforderlich sind.

d) Zusammenwirken der drei Teil-Projekte und europäische Perspektive des Projekt-Pakets
Die Vernetzung zwischen den Arbeitsteams soll in erster Linie durch die insgesamt neun – an unterschiedlichen Orten durchgeführten – Workshops gefördert werden, die in der Anfangs- und Schlussphase des Projekts konzentriert werden. In der ersten Phase sollen die Workshops die Einheitlichkeit der Datenerfassung und der inhaltlichen Auswertung der Urteile garantieren und die MitarbeiterInnen der jeweils anderen Projekte mit der Problematik vor Ort (d.h. dem jeweiligen Archiv und/oder Gericht) vertraut machen und so die Voraussetzung für einen Erfahrungsaustausch und für Synergie-Effekte schaffen. Das gemeinsame Aktenstudium vor Ort während der ersten Workshops dient dem Erwerb von gesamtösterreichischen Kompetenzen aller Beteiligten. Durch die Einbindung regionaler ExpertInnen aus den Bereichen Gerichtswesen und Wissenschaft in die Workshops sollen standortspezifische Vorteile für die Weiterbildung der MitarbeiterInnen aller drei Teil-Projekte genutzt werden. In der Abschlussphase sollen die Workshops den interregionalen Vergleich ermöglichen und – insbesondere durch die interdisziplinäre Struktur und die verschiedenen methodischen Ansätze des Projektes – wechselseitigen Anregungen dienen.

Vorläufig umfasst der Arbeitsplan folgende gemeinsame Beratungen und Workshops:
* Juli 2002 (Wien, 1 Tag): Startup, erster Meinungsaustausch über Zeitabläufe sowie Lösungsmöglichkeiten für die durch die Kürzungen gegenüber den projektierten Mitteln erforderlichen Umplanungen; Festlegung von Datum und Programm des ersten Workshops
gemeinsame Durchsicht von Wiener Gerichtsakten.
* November 2002 (Linz, 2½ Tage): Einführung in spezielle Fragestellungen durch einzelne MitarbeiterInnen, Erfahrungsaustausch über methodische Probleme; erster umfangreicher Erfahrungsaustausch bezüglich des Umgangs mit Gerichtsakten und der Arbeit mit den Datenbanken; Diskussion über die vorhandene Literatur zu Österreich und Deutschland; gemeinsame Durchsicht von Linzer Gerichtsakten.
* 2003 (Innsbruck, 1½ Tage): Review der Eingabetätigkeit, Diskussion von Problemen bei der Auswertung von Gerichtsakten und -registern während der vergangenen Monate; gemeinsame Durchsicht von Innsbrucker Gerichtsakten.
* 2003 (Graz, 1½ Tage): 2. Review der Eingabetätigkeit, Abstimmung des jeweiligen Beginns der zweiten Arbeitsphase; gemeinsame Durchsicht von Grazer und Leobener Gerichtsakten.
Themenstellung weiterer Beratungen (in Wien, Klagenfurt und ev. Graz):
* Review der ersten Arbeitsphase (Datenerfassung) in allen drei Projekten; Abstimmung und Review der zweiten Phase (Judikaturanalyse).
* Koordinierung der dritten Arbeitsphase (interregionaler und internationaler Vergleich); erste Vorstellung und Diskussion der statistischen Auswertung der Datenbank; Diskussion der Forschungsergebnisse mit JuristInnen, HistorikerInnen und PolitikwissenschaftlerInnen über den Vergleich Österreich/Deutschland; Vorbereitung des Endberichts.

Die drei Teil-Projekte des Projekt-Pakets sind:
1. Die Auseinandersetzung der Justiz mit nationalsozialistischen Verbrechen – eine Untersuchung der Volksgerichtsbarkeit und der ordentlichen Gerichtsbarkeit in den Oberlandesgerichtssprengeln Wien und Linz. Projektleiter: Dr. Winfried Garscha (Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz, Wien).
Zusätzlich zur Analyse der Urteile wegen NS-Gewaltverbrechen werden im Rahmen dieses Projekts sämtliche österreichische Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen im KZ Mauthausen und seinen Nebenlagern erfasst und ausgewertet sowie mit den amerikanischen und deutschen Mauthausen-Prozessen verglichen werden. Ein zweiter Schwerpunkt ist die Erfassung und Analyse der nicht mit Urteil abgeschlossenen Verfahren gemäß § 5a KVG wegen der Beteiligung an der Deportation von 41.000 Wiener Jüdinnen und Juden in die Ghettos und Vernichtungslager. Zusätzlich zur Analyse der Ahndung von NS-Gewaltverbrechen sollen im OLG-Sprengel Linz alle Urteile wegen § 11 VG ausgewertet werden, die sich auf die Zugehörigkeit der Angeklagten zur »Österreichischen Legion« in Deutschland zwischen 1934 und 1938 bezogen.
2. Die Auseinandersetzung der Justiz mit nationalsozialistischen Verbrechen – eine Untersuchung der Volksgerichtsbarkeit und der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Oberlandesgerichtssprengel Graz. Projektleiter: ao.Univ.-Prof. Dr. Martin F. Polaschek (Institut für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung an der Karl-Franzens-Universität Graz).
Schwerpunkt des Grazer Projekts ist die Analyse der oben genannten juristischen Fragestellungen. Die Verfahren gegen Gestapobeamte sollen nach Möglichkeit komplett, d. h. unabhängig von ihrem Ausgang (Urteil, Abbruch, Einstellung) erfasst werden. In Klagenfurt werden auch die nicht mit Urteil abgeschlossenen Verfahren gemäß § 5a KVG wegen Beteiligung an der »Umsiedlung« slowenischer Familien erfasst und analysiert, womit ein Vergleich mit den Wiener Deportationsverfahren ermöglicht wird.
3. Die Auseinandersetzung der Justiz mit nationalsozialistischen Verbrechen im Oberlandesgerichtssprengel Innsbruck. Projektleiter: ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Albrich (Institut für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck).
Zusätzlich zur Analyse der Ahndung von NS-Gewaltverbrechen sollen im OLG-Sprengel Innsbruck alle Urteile wegen § 11 VG ausgewertet werden, die sich auf NS-Gewaltverbrechen beziehen. Ferner werden alle Voruntersuchungen wegen NS-Gewaltverbrechen dahingehend ausgewertet werden, nach welchen Kriterien die Staatsanwaltschaft Innsbruck Anklage erhob.

Die österreichischen Forschungen waren von Anfang an in die seit Mitte der neunziger Jahre verstärkt geführte internationale Diskussion zur Nachkriegsjustiz eingebunden, in erster Linie im Rahmen des von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Projekts des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) »Legalität und Legitimation. Politische Justiz im Zeichen des Zweiten Weltkrieges« (Projektleitung: Tony R. Judt, István Deák, Jan T. Gross, Drago Roksandic). Der Leiter eines der drei hier beantragten Projekte, Winfried Garscha, war wissenschaftlicher Koordinator in der Endphase des IWM-Projekts, dessen Abschlussbericht an die Volkswagen-Stiftung er gemeinsam mit Prof. Judt verfasste. Seit 1999 wird – vorläufig zwischen niederländischen, polnischen und österreichischen ForscherInnen – die Vernetzung von Justiz-Datenbanken und der Austausch der darauf aufbauenden Forschungen vorbereitet. Das vernetzte Arbeiten an dislozierten Gerichtsstandorten innerhalb Österreichs mittels einer gemeinsamen Datenbank dient auch der Erprobung derartiger Techniken für das geplante europäische Großprojekt, das weitere – insbesondere ostmitteleuropäische – Staaten in den internationalen Vergleich mit einbeziehen soll.
Durch die hier beantragten Projekte sollen die innerösterreichischen Voraussetzungen für eine derartige Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, insbesondere aber für ein gemeinsames Projekt mit deutschen Forschungseinrichtungen geschaffen werden, das neben vorwiegend juristischen und historischen auch sozialwissenschaftliche Kategorien wie die Stichprobengröße u.ä. in den Vergleich mit einbezieht und durch die Berücksichtigung regionaler Differenzierungen in der Bundesrepublik Deutschland eine vertiefende kulturwissenschaftliche Untersuchung ermöglicht.
Das hier beantragte Projekt-Paket bedient sich einer interdisziplinären Herangehensweise, die Synergieeffekte des Arbeitens an verschiedenen Gerichtsstandorten und in unterschiedlich zusammengesetzten Arbeitsteams (HistorikerInnen, PolitologInnen, JuristInnen) zu nutzen versucht. Geplant ist die Konzentration der juristischen Analyse in Graz, der Datenbankanalyse in Wien und Linz, des politikwissenschaftlichen Zugangs in Wien, der Einbettung der Gerichtsbarkeit in einen regionalhistorischen Kontext in Klagenfurt und Innsbruck, des gesellschafts- und kulturgeschichtlichen Vergleichs mit Deutschland in Wien und des rechtsdogmatischen Vergleichs mit Deutschland in Graz. Dies verspricht die optimale Ausschöpfung der vorhandenen Personalressourcen und die Einsparung von Kosten, da durch das gegenseitige »Zuarbeiten« der Teams und durch den laufenden Austausch ihrer Forschungsergebnisse Parallelarbeiten vermieden werden und die erwähnte wechselseitige Qualifizierung gewährleistet wird. Dadurch soll ein zentrales Anliegen des Projekt-Pakets verwirklicht werden: Die Zusammenführung der unterschiedlichen ForscherInnenteams, die sich bisher mit der österreichischen Nachkriegsjustiz beschäftigten, zu einer gesamtösterreichischen Arbeitsgruppe, die einerseits den Kern eines interdisziplinären Forschungsbereichs »Auseinandersetzung mit Kriegs- und Humanitätsverbrechen in Vergangenheit und Gegenwart« an mehreren österreichischen Universitäten bilden und andererseits die Kompetenz entwickeln kann, in internationalen Projekten initiativ und innovativ mitzuwirken. Aus dem bisherigen Rückstand der österreichischen Forschung soll ein neues Modell entstehen, das über Österreich hinaus neue Impulse für Forschung und Lehre (auch für Diplomarbeiten und Dissertationen) vermitteln und für Forschungsvorhaben auf internationaler Ebene eine Vorreiterrolle einnehmen kann.

Zitierte Literatur:

Browning 1992:
Christopher R. Browning, Ordinary Men. Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland, New York 1992 (Neuauflage mit einem Nachwort zur Goldhagen-Debatte, New York 1998); dt.: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die »Endlösung« in Polen, Reinbek bei Hamburg 1993).

Cohen/Simon 1999:
David Cohen/Dieter Simon, Kriegsverbrecherprozesse gegen Deutsche und Japaner. In: Rechtshistorisches Journal 18 (1999), S. 345–353.

Deák/Gross/Judt 2000:
István Deák/Jan T. Gtross/Tony Judt (eds.), The Politics of Retribution in Europe. World War II and Its Aftermath, Priceton 2000.

Eisterer 1991:
Klaus Eisterer, Französische Besatzungspolitik. Tirol und Vorarlberg 1945/46 (=Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte, Bd. 9), Innsbruck 1991.

Frei 1996:
Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996.

Goldhagen 1996:
Daniel Jonah Goldhagen, Hitler's Willing Executioners, New York 1996; dt.: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996.

Feichtlbauer 2000:
Hubert Feichtlbauer, Der Fall Österreich. Nationalsozialismus – Rassismus. Eine notwendige Bilanz Wien 2000; engl.: The Austrian Dilemma. An Inquiry into National Socialism and Racism, Wien 2001.

Fera 1985:
Wolfgang Fera, Die Volksgerichtsbarkeit in Kärnten und Osttirol nach dem Zweiten Weltkrieg. Analyse des Aktenmaterials über die in den Jahren 1948/49 eingeleiteten Verfahren des Volksgerichtes Graz, Senat Klagenfurt, Diplomarbeit Klagenfurt 1985.

Judt 1993:
Tony Judt, Die Vergangenheit ist ein anderes Land. Politische Mythen im Nachkriegseuropa, in: Transit. Europäische Revue, Nr. 6 (August 1993), S. 87–120.

Judt 1997:
Tony Judt, Remembering, Adapting, Overcoming: The Legacy of World War Two in Europe, in: Institut für die Wissenschaften vom Menschen, Newsletter 57 (März–Juni 1997), S. 6–9.

Kofler 1989:
Christa Kofler, Die Tagespresse der SPÖ und der KPÖ im Land Tirol von 1945 bis 1950 unter besonderer Berücksichtigung ihrer Darstellung des Nationalsozialismus, Diss., Innsbruck 1989.

Kohlweg 1981:
Patrick Kohlweg, Die Volksgerichtsbarkeit in Kärnten und Osttirol nach dem Zweiten Weltkrieg. Analyse des Aktenmaterials über die im Jahre 1946 eingeleiteten Verfahren des Volksgerichtes Graz, Senat Klagenfurt, Diplomarbeit Klagenfurt 1981.

Kröger 1973:
Ulrich Kröger, Die Ahndung von NS-Verbrechen vor westdeutschen Gerichten und ihre Rezeption in der deutschen Öffentlichkeit 1958 1965 unter besonderer Berücksichtigung von »Spiegel«, »Stern«, »Zeit«, »SZ«, »FAZ«, »Welt«, »Bild«, »Hamburger Abendblatt«, »NZ« und »Neuem Deutschland«, Diss., Hamburg 1973.

Kuretsidis-Haider/Garscha 1998:
Claudia Kuretsidis-Haider/Winfried R. Garscha (Hrsg.), Keine »Abrechnung«: NS-Verbrechen, Justiz und Gesellschaft in Europa nach 1945, Leipzig-Wien 1998.

Kuretsidis-Haider/Garscha 2001:
Claudia Kuretsidis-Haider/Winfried R. Garscha, Das Linzer Volksgericht. Die Ahndung von NS-Verbrechen in Oberösterreich nach 1945. In: Fritz Mayrhofer/Walter Schuster (Hrsg.), Nationalsozialismus in Linz, Linz 2001, Bd. 2, S. 1467–1561.

Marschall 1987:
Karl Marschall, Volksgerichtsbarkeit und Verfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Österreich. Eine Dokumentation, 2. Aufl., Wien 1987

Meissl/Mulley/Rathkolb 1986:
Sebastian Meissl/Klaus-Dieter Mulley/Oliver Rathkolb, Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Österreich 1945–1955. Symposium des Instituts für Wissenschaft und Kunst, Wien 1986

Oppitz 1979:
Dieter Oppitz, Strafverfahren und Strafvollstreckung bei NS-Gewaltverbrechen. Dargestellt und überprüft an Hand von 430 erstinstanzlichen unveröffentlichten Urteilen deutscher Gerichte aus der Zeit von 1945 bis 1969, 2. Aufl., Ulm 1979.

Pauli 1996:
Gerhard Pauli, Ein hohes Gericht – Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone und seine Rechtsprechung zu Strafsachen im Dritten Reich, in: Juristische Zeitgeschichte, hrsg. vom Justizministerium des Landes NRW, Bd. 5: 50 Jahre Justiz in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1996, S. 95–120.

Pellar 1981:
Renate Elfriede Pellar, Volksgerichtsbarkeit in Kärnten und Osttirol nach dem Zweiten Weltkrieg. Analyse des Aktenmaterials des Volksgerichtes Graz, Senat Klagenfurt, über die eingeleiteten Verfahren aus dem Jahre 1947, Diplomarbeit Klagenfurt 1981.

Polaschek 1995:
Martin F. Polaschek, Probleme der Verwendung von Strafakten in der zeitgeschichtlichen Forschung. Ein Diskussionsbeitrag, in: Mitteilungen des Steiermärkischen Landesarchivs, Folge 44/45, Graz 1995, S. 225–244.

Polaschek 1998a:
Martin F. Polaschek, Im Namen der Republik Österreich! Die Volksgerichte in der Steiermark 1945 bis 1955, Graz 1998.

Polaschek 1998b:
Martin F. Polaschek, Rechtliche Fragen im Umgang mit Gerichtsakten als historischer Quelle, in: Claudia Kuretsidis-Haider/Winfried R. Garscha [Hrsg.], Keine »Abrechnung«. NS-Verbrechen, Justiz und Gesellschaft in Europa nach 1945, Leipzig-Wien 1998, S. 285–302.

Pollmann 2000:
Viktoria Pollmann, NS-Justiz, Nürnberger Prozesse, NSG-Verfahren. Auswahl-Bibliographie (=Fritz Bauer Institut [Hrsg.], Verzeichnisse Nr. 4), Frankfurt/Main 2000.

Reiter 1998:
Raimond Reiter, 30 Jahre Justiz and NS-Verbrechen. Die Aktualität einer Urteilssammlung. Mit Texten von Jennifer Neumann und Desislava Tzvetkova-Gerken (Kap. 4), Frankfurt/Main-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien 1998.

Rüping 1994:
Hinrich Rüping, Staatsanwälte und Parteigenossen. Haltungen der Justiz zur nationalsozialistischen Vergangenheit zwischen 1945 und 1949 im Bezirk Celle ( = Fundamenta Juridica. Hannoversche Beiträge zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung, Bd. 27), Baden-Baden 1994.

Rüping 1997:
Hinrich Rüping, Denunziation im Dritten Reich und ihre Bewertung nach 1945, in: Gerhard Köbler/Hermann Nehlsen (Hrsg.), Wirkungen europäischer Rechtskultur. Festschrift für Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag, München 1997. S. 953–971.

Rüter et al. 1968–1981:
C. F. Rüter (Hrsg., Bd. I–V gemeinsam mit Adelheid L. Rüter-Ehlermann, Bd. VII–XII gemeinsam mit Adelheid L. Rüter-Ehlermann und H. H. Fuchs, Bd. XIII–XXI gemeinsam mit Irene Sagel-Grande und H. H. Fuchs, Bd. XXII gemeinsam mit Adelheid L. Rüter-Ehlermann, Irene Sagel-Grande und H. H. Fuchs), Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1966, Band I–XXII, Amsterdam 1968– 1981 (Neuauflage mit Registerband und CD-ROM, Amsterdam-München 1998).

Rüter/de Mildt 1998:
C. F. Rüter/D. W. de Mildt (Hrsg.), Die westdeutschen Strafverfahren wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1997. Eine systematische Verfahrensbeschreibung mit Karten und Registern, Amsterdam-Maarssen-München 1998.

Safrian 1993:
Hans Safrian, Die Eichmann-Männer, Wien-Zürich 1993 (Neuauflage unter dem Titel: Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt/Main 1997).

Schulte-Nölke 1998:
Hans Schulte-Nölke, Rheinische Judikatur im frühen 19. Jahrhundert - Justizforschung mit Hilfe einer Datenbank, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 20 (1998), Heft 1/2, S. 84–111.

Steinbach 1981:
Peter Steinbach, Nationalsozialistische Gewaltverbrechen. Die Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit nach 1945, Berlin 1981 (=Beiträge zur Zeitgeschichte, 5).

Steinbach 1994:
Peter Steinbach, Vergangenheitsbewältigung in vergleichender Perspektive. Politische Säuberung, Wiedergutmachung, Integration, Berlin 1994.

Steinbach 1997:
Peter Steinbach, NS-Prozesse nach 1945. Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – Konfrontation mit der Wirklichkeit, in: Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Heft 13 (1997, »Gericht und Gerechtigkeit«), S. 3–26.

Steinbach 1998:
Peter Steinbach, NS-Prozesse in der Öffentlichkeit, in: Claudia Kuretsidis-Haider/Winfried R. Garscha (Hrsg.), Keine »Abrechnung«. NS-Verbrechen, Justiz und Gesellschaft in Europa nach 1945, Leipzig-Wien 1998, S. S. 397–420.

Steininger 1994:
Rolf Steininger (Hrsg., unter Mitarbeit von Ingrid Böhler), Der Umgang mit dem Holocaust. Europa–USA–Israel ( = Schriften des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck und des Jüdischen Museums Hohenems, Bd. 1), Wien-Köln-Weimar 1994.

Stourzh 1998:
Katharina Stourzh, Aspekte des französischen Justizwesens in Tirol und Vorarlberg 1947–1950 unter besonderer Berücksichtigung der Kriegsverbrecherfrage, Dipl. Wien 1998.

Stromberger 1988:
Helge Stromberger, Die Ärzte, die Schwestern, die SS und der Tod. Die Region Kärnten und das produzierte Sterben in der NS-Periode (=Disertacije in razprave / Dissertationen und Abhandlungen, 13), Klagenfurt/Celovec 1988.

Weber/Steinbach 1984:
Jürgen Weber/Peter Steinbach (Hrsg.), Vergangenheitsbewältigung durch Strafverfahren?, München 1984.

Wojak 2001:
Irmtrud Wojak (Hrsg., im Auftrag des Fritz Bauer Instituts), »Gerichtstag halten über uns selbst…«. Geschichte und Wirkungsgeschichte des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses (=Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Bd. 5), Frankfurt/Main-New York 2001.


Anmerkungen


<1> Justiz und NS-Gewaltverbrechen. Die justizielle »Bewältigung« nationalsozialistischer Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland und Österreich im Vergleich, Teil-Projekt »Gesellschaft und Justiz – Entwicklung der rechtlichen Grundlagen, öffentliches Echo und politische Auseinandersetzungen um die Ahndung von NS-Verbrechen in Österreich«. Finanzierung: Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), Projektleitung: Winfried Garscha.

<2> Entsprechend den Kriterien für die Eintragung in die gerichtlichen »Vr-Register« sowie für die Aufnahme in die amtlichen Statistiken werden unter »gerichtsanhängig gemachten Verfahren« nicht nur die – durch Anklageerhebung, Einstellung wegen Rücktritts der Staatsanwaltschaft von der Verfolgung (§ 109 StPO) bzw. Tods des Beschuldigten (§ 224 StG) oder durch vorübergehenden Abbruch (§ 412 StPO) abgeschlossenen – gerichtlichen Voruntersuchungen verstanden, sondern auch Vorerhebungen, sofern die Staatsanwaltschaft vor der Zurücklegung der Anzeige (§ 90 StPO) den Untersuchungsrichter mit Ermittlungen beauftragt hat.

<3> Die amtliche Statistik rechnet jede Person in einem Verfahren als »Anfall«. Ein Verfahren gegen drei Personen, das vorübergehend abgebrochen und dann unter einer neuen Geschäftszahl fortgeführt wurde, ergibt daher einen Gesamtanfall von sechs Volksgerichtssachen. Die tatsächliche Anzahl der Voruntersuchungen und Hauptverhandlungen wurde bisher nicht erfasst.

<4>Die amtliche Statistik zählt jede abgeurteilte Person in einem Verfahren als Urteil. (Unter abgeurteilten Personen werden sowohl Verurteilte als auch Freigesprochene verstanden.)




Gemeinsame Einleitung für die Anträge der drei Teil-Projekte Wien/Linz, Graz und Innsbruck (Nov. 2001)