»EDV-gestützte Erschließung der Volksgerichtsakten
im Oberösterreichischen Landesarchiv«
Zwischenbericht 2002
Übersicht:
1) Das Projekt
2) Das Volksgericht Linz
3) Die Linzer Volksgerichtsakten im OÖLA
4) Die Datenbank / Auswertung mit Hilfe der "Rüter-Kategorien"
5) Erste Ergebnisse der EDV-gestützten Erfassung der
Linzer Volksgerichtsakten
6) Zusammenfassung
1) Das Projekt
Die Vorarbeiten für das Projekt "EDV-gestützte
Erschließung der Volksgerichtsakten im Oberösterreichischen Landesarchiv"
wurden im Jahr 2000 mit Unterstützung der Kulturabteilung des Landes
Oberösterreich begonnen. Grundlage war eine vom Oberösterreichischen
Landesarchiv (OÖLA) dankenswerter Weise zur Verfügung gestellte
Datenbank, die sowohl Personennamen als auch die Geschäftszahlen der
Staatsanwaltschaft Linz beinhaltete. Das vom Bundesministerium für Bildung,
Wissenschaft und Kultur (BM:BWK) in Auftrag gegebene Dokumentationsprojekt
wurde am 1. Oktober 2001 in Angriff genommen. Das Dokumentationsarchiv des
österreichischen Widerstandes (DÖW) stellt den Computer zur Verfügung,
das OÖLA Arbeitsplätze, Mobiliar, Infrastruktur und Beratung.
In der ersten, im Sommer 2002 abgeschlossenen, Arbeitsphase wurden jene Gerichtsakten
erfasst und ausgewertet, die mit einem Urteilsspruch geendet haben. In einem
zweiten Arbeitsschritt sollen gleichzeitig auch jene Fälle EDV-mäßig
erfasst werden, bei denen wegen Verfahrenseinstellung keine Hauptverhandlung
stattfand bzw. kein Urteil ergangen ist.
Aufgrund der günstigen Aktenlage und der engen Kooperationsmöglichkeit
mit dem OÖLA stellt das vom BM:BWK in Auftrag gegebene Forschungsvorhaben
"EDV-gestützte Erschließung der Volksgerichtsakten im Oberösterreichischen
Landesarchiv" ein Pilotprojekt dar, das Kriterien zu erarbeiten hat,
nach denen auch an den Standorten der übrigen österreichischen Volksgerichte
Volksgerichtsakten autopsiert und elektronisch zu erfassen sind. Am 1. 10.
2002 begann ein von der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz
in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte der Universität
Innsbruck sowie dem Institut für Österreichische Rechtsgeschichte
und Europäische Rechtsentwicklung der Universität Graz durchgeführtes
Projektpaket "Justiz und NS-Gewaltverbrechen in Österreich. Regionale
Besonderheiten und Vergleich mit Deutschland", im Zuge dessen die während
der Projektarbeit am OÖLA gemachten Erfahrungen und aufgestellten Richtlinien
praktisch angewendet werden können (Zum Projektpaket siehe http://www.nachkriegsjustiz.at/aktuelles/fwf-bewilligung.php).
Längerfristiges Ziel ist die Erstellung eines "Europäischen
Handbuches der Nachkriegsprozesse", in dem die Informationen aus den
österreichischen Datenbanken Eingang finden sollen.
2) Das Volksgericht Linz
Siehe dazu: Claudia Kuretsidis-Haider / Winfried Garscha,
Das Volksgericht Linz, in: Fritz Mayrhofer - Walter Schuster (Hrsg,), Nationalsozialismus
in Linz, Linz 2001, Band 2, S. 1467 - 1561
Während das Volksgericht Wien seine Tätigkeit bereits
im Sommer 1945 aufnehmen konnte, wurde seitens der westlichen Alliierten die
Einrichtung eines Volksgerichtes erst Anfang 1946 zugelassen. Am 14. Februar
1946 nahm der erste Volksgerichtssenat am Landesgericht Linz seine Tätigkeit
auf. Die Zuständigkeit des Volksgerichts Linz erstreckte sich auf die
gesamte amerikanische Besatzungszone. Für das Mühlviertel, das sich
in der sowjetischen Besatzungszone befand, wurde das Landesgericht "Linz-Nord"
eingerichtet, welches die hier anfallenden Strafsachen nach dem Verbots- bzw.
nach dem Kriegsverbrechergesetz an das Volksgericht Wien weiterleitete. Manchmal
entschied allerdings der Oberste Gerichtshof (OGH), dass wegen Erleichterung
der Beweisführung und auch aus Kostengründen Verfahren an das Linzer
Volksgericht abgetreten werden sollten.
Die Richter des Volksgerichts Linz standen von Anfang an vor enormen Problemen,
wie extremem Platzmangel, einer großen Anzahl an Fällen und Personalknappheit,
was die Tätigkeit des Gerichts beeinträchtigte. Der Personalmangel
resultierte aus der starken Verwicklung des Justizapparates in das NS-Regime,
sodass nur sehr wenige "Nichtbelastete" zur Verfügung standen.
Das führte dazu, auch "einfache Parteimitglieder" oder "Parteianwärter"
auf eine Mitgliedschaft in der NSDAP wieder in den Dienst zu nehmen, sofern
sie ansonsten politisch als unbedenklich eingestuft wurden.
Infolge des raschen Anstiegs an Volksgerichtssachen ergab sich Ende Mai 1946
die Notwendigkeit, drei weitere Volksgerichtssenate einzurichten. An der Überlastung
des Volksgerichtes änderte dies allerdings nichts, weshalb schließlich
Außensenate in Salzburg und in Ried im Innkreis installiert wurden.
Schon 1948 war der öffentliche Druck, die Volksgerichtsbarkeit einzustellen,
erheblich. Dem gegenüber stand aber die enorme Zahl an noch unerledigten
Verfahren, weshalb das Justizministerium sich veranlasst sah, die Effektivität
der Tätigkeit des Volksgerichts Linz zu prüfen. 1948 wurden ein
fünfter Senat eingerichtet, später arbeiteten sogar sieben Vg-Senate.
Eine Gerichtsinspektion brachte 1949 das Ergebnis, dass die Spruchpraxis des
Linzer Volksgerichtes in mehrfacher Weise als bedenklich einzustufen sei.
Es überwogen die Freisprüche, die im Verhältnis zu den Schuldsprüchen
60:40 standen.
Der Abzug der Alliierten aus Österreich bedeutete das Ende der Volksgerichtsbarkeit,
auch in Linz.
Insgesamt wurden vom Volksgericht Linz im Zeitraum zwischen 1946 und 1955
gegen 19.928 Personen Verfahren eingeleitet. Anklage wurde gegen 5.958 Personen
erhoben, von diesen wurden 33% verurteilt. Damit lag das Volksgericht Linz
prozentuell gesehen im Vergleich zu den Verurteilungen der österreichischen
Volksgerichte (Wien, Linz, Graz und Innsbruck) insgesamt unter dem Durchschnitt
von 48% Verurteilungen.
3) Die Linzer Volksgerichtsakten im OÖLA
Alle Akten, Karteien und Register sowie die staatsanwaltschaftlichen
Tagebücher des Volksgerichtes Linz werden im Oberösterreichischen
Landesarchiv (OÖLA) aufbewahrt. Für die Gerichtsakten im Oberösterreichischen
Landesarchiv wurde die Grundlage für eine elektronische Erfassung in
dem vom Archivar Franz Scharf erstellten Verzeichnis "Linzer Gerichte
ab 1850", welche auch Angaben über das Linzer Volksgericht enthält,
geschaffen.
Eine Besonderheit der Aktenlage des Volksgerichtes Linz ist die Kennzeichnung
der Volksgerichtsakten als eigener Bestand durch das Gericht. Es wurde außerdem
von Seiten der Staatsanwaltschaft beim Volksgericht Linz eine alphabetische
Namenskartei aller rund 23.000 eingeleiteten Vorerhebungen angelegt. Diese
Kartei enthält Name, Vorname und Geburtsdatum der / des Beschuldigten,
sowie die Geschäftszahl der Staatsanwaltschaft. Das OÖLA hat für
interne Recherchezwecke die bereits erwähnte elektronische Version dieser
Kartei angelegt.
Im Oberösterreichischen Landesarchiv befinden sich insgesamt 593 Schachteln,
die je nach Aktenstärke zwischen 12 und 24 Volksgerichtsverfahren beinhalten.
Manchmal können Verfahren aber auch so umfangreich sein, dass ein Gerichtsverfahren
mehrere Schachteln umfasst. Demgegenüber gibt es auch Schachteln mit
einer großen Zahl an Verfahren, die sehr früh, oft noch vor der
Anklagerhebung eingestellt wurden und daher nur wenige Aktenstücke bzw.
Seiten umfassen. Weiters gehören zum Bestand "Volksgerichte Linz"
22 Handschriften (Register) und vier Karteikästen mit ca. 30.000 Karteikarten.
4) Die Datenbank
Die EDV-gestützte Erfassung der Volksgerichtsakten erfolgt
mittels einer Datenbank auf Linux - Basis.
Grundlage für die Auswertung der Verfahren sind die so genannten Rüter-Kategorien
(Verbrechenskomplexe, Opfer, Dienststellen der Täter) zur Urteilsauswertung,
welche für österreichische Verhältnisse adaptiert wurden (Siehe
dazu: C. F. Rüter, D. W. de Mildt, Hrsg., Die Westdeutschen Strafverfahren
wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945-1997. Eine systematische
Verfahrensbeschreibung mit Karten und Registern. Amsterdam, Maarssen, München
1998). Das von Prof. C. F. Rüter geleitete ForscherInnenteam an der Universität
Amsterdam publiziert seit den sechziger Jahren westdeutsche Urteile und gerichtliche
Einstellungsbeschlüsse und hat inzwischen eine analoge Übersicht
der Gerichtsentscheidungen für die DDR-Verfahren von 1956 bis 1990 sowie
niederländischer Verfahren gegen Deutsche und Österreicher erarbeitet
(Siehe dazu: DDR-Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung Ostdeutscher Strafurteile
wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, Verfahrensregister und
Dokumentenband. Bearbeitet von C. F. Rüter mit einer Darstellung der
Ahndung von NS-Verbrechen bin Ostdeutschland von Günther Wieland. Amsterdam,
München 2002 sowie: http://www1.jur.uva.nl/junsv/.).
Für jeden Akt werden fünf verschiedene Datenblätter
angelegt: die Verfahrensseite, die Urteils- bzw. Verhandlungsgegenstandsseite,
die Urteildetailseite, die Detailseite sowie die Personenseite. Die Verfahrensseite
und die Verhandlungsgegenstandseite betreffen das gesamte Verfahren, während
die Urteilsdetailseite, die Detailseite und die Personenseite den einzelnen,
in das Verfahren involvierten Personen zugeordnet sind.
Die Verfahrensseite beinhaltet die formalen Informationen des
Verfahrens. Auf ihr werden die Staatsanwaltschaftszahl, die Geschäftszahl
des Gerichts, sowie der Archivbestand in dem der Originalakt (z.B. OÖLA)
sowie die Nummer der Archivbox in der das Verfahren zu finden ist, eingetragen.
Des Weiteren findet man auf der Verfahrensseite Angaben über den Umfang
des Aktes (Zahl der Aktenstücke und Seitenanzahl) und eine Anmerkung,
falls das Verfahren vor den Außensenaten Salzburg oder Ried verhandelt
wurde. Wurde ein Verfahren vom LG Linz Nord beim LG Linz bearbeitet, so wird
dies ebenfalls an dieser Stelle angeführt. Die Verfahrenszahl dient gleichzeitig
als Signatur. Ist ein Verfahren einem anderen beigelegt, so erhält es
dessen Vr–Zahl als Signatur, um auf diese Weise auffindbar zu bleiben.
Der physischer Aufenthaltsort kann derart eruiert werden.
Die Beschlagwortung erfolgt nach den von Rüter vorgegebenen
Kategorien. Die Verbrechenskomplexe bieten 15 Unterkategorien, wobei 12a bis
12c sowie 13a bis 13d Adaptierungen der Rüter-Kategorien auf österreichische
Verhältnisse darstellen.
<1> Denunziation mit Todesfolge
<2> Euthanasie
<3> Justizverbrechen
<4> Kriegsverbrechen
<5> Massenvernichtungsverbrechen durch Einsatzgruppen
<6> Massenvernichtungsverbrechen in Lagern [nur für Massentötungen
in Vernichtungslagern]
<7> Massenvernichtungsverbrechen (andere)
<8> NS-Gewaltverbrechen in Haftstätten
<9> Schreibtischverbrechen mit Todesfolge
<10> Verbrechen der Endphase (mit Todesfolge)
<11> Andere NS-Tötungsverbrechen
<12> Humanitätsverbrechen ohne Todesfolge
<12a> Denunziation ohne Todesfolge [gemäß § 7 KVG]
<12b> Raub (Arisierung) [gemäß § 6 KVG]
<12c> Misshandlung, Verletzung der Menschenwürde [gemäß
§§ 3, 4 KVG]
<13> Verratsdelikte
<13a> Hochverrat ("Illegalität", Unterstützung der
illeg. NSDAP)
[gemäß §§ 10, 11, 12 VG und § 8 KVG bzw. §
58 StG]
<13b> Funktion im NS-Regime [gemäß § 11 VG und §
1/6 KVG]
<13c> Propaganda für das NS-Regime ("Kriegshetze") [gemäß
§ 2 KVG]
<13d> Registrierungsbetrug [gemäß § 8 VG]
<14> Nachkriegsdelikte ("Wiederbetätigung")
<15> NS-Gewaltverbrechen vor 1938
In einem Anmerkungsfeld wird der Tatverlauf in kurzen, standardisierten
Formulierungen beschrieben, etwa in folgender Weise:
"Denunziation des Karl A. durch die Anna B. wegen Abhörens
ausländischer Sender, worauf dieser von der Gestapo verhaftet wurde und
für 2 Monate in das Polizeigefangenenhaus Linz verbracht wurde, wo er
mehrmals schwer misshandelt wurde."
Beziehungsweise, wenn es sich um einen für das Volksgericht
Linz typischen Fall der Kategorie "Hochverrat" handelt:
"Illegalität, SA, Österreichische Legion"
Der zweite Block umfasst die Kategorie der "Opfer".
Auch deren Nationalität und Anzahl wird ausgewertet. In den meisten Fällen
handelt es sich um Einzelpersonen. Von Denunziationen oder Misshandlungen
waren oftmals mehr Personen betroffen. Auch die meisten Verbrechen in Haftstätten
oder bei Todesmärschen hatten eine größere Anzahl von Opfern
zur Folge.
<1> Psychisch Kranke und in anderen Anstalten Festgehaltene
<2> Juden / Jüdinnen
<3> Roma und Sinti
<4> Widerstand / Opposition
<5> Alliierte Kriegsgefangene in deutschem Gewahrsam
<6> Ausländische ArbeiterInnen
<7> Hilfswillige
<8> Angehörige des Volkssturms
<9> Soldaten der Deutschen Wehrmacht
<10> Deutsche und österreichische Polizeibeamte
<11> Angehörige der SA
<12> Angehörige der HJ (Hitlerjugend)
<13> Häftlinge (in Lagern, KZ-Lagern oder Zuchthäusern)
<14> ZivilistInnen
Der dritte Block beinhaltet die Dienststellen, durch welche
die Tat begangen wurde.
<1> Einsatzkommandos und Sonderkommandos
<2> NS-Euthanasie-Aktion
<3> Haftstätten
<4> Industrie
<5> Justizapparat
<6> NSDAP
<7> OT (Organisation Todt)
<8> Polizei
<9> Selbstschutz
<10> SS
<10a> SA
<11> Volkssturm
<12> Wehrmacht
<13> Werwolf
<14> Zivilverwaltung
<15> Zollgrenzschutz
<16> Übrige Dienststellen
<17> Privatperson
<18> Unbekannt
Zusätzlich werden Tatort, Tatland und Tatzeit ausgewertet.
Auf der Verhandlungsgegenstandseite findet man das Datum des
Urteilsspruches, sowie Angaben über den Verhandlungsgegenstand. Alle
Einträge zum Verhandlungsgegenstand werden automatisch auf die oben beschriebene
Verfahrensseite kopiert, da sie jedenfalls Teile des Verfahrens bilden. Eintragungen
auf der Verfahrensseite werden hingegen nicht dupliziert, da nicht jedes Verfahren
zu einer Verhandlung geführt hat, sondern auch eingestellt werden konnte.
Das dritte Datenblatt ist die so genannte Urteilseite. Hier
ist verzeichnet, ob auf Freispruch erkannt bzw. eine Haft- oder Todesstrafe
verhängt wurde. In einem "objektiven Verfahren" wurde entschieden,
ob bei einer schon verstorbenen Person das gesamte Vermögen zu Gunsten
des Staates für verfallen erklärt wurde.
Vermerkt wird die Dauer der Haftstrafe in Monaten, ob das Urteil rechtskräftig
war oder vom Obersten Gerichtshof aufgehoben und zur neuerlichen Verhandlung
an das zuständige Gericht zurückgewiesen wurde. Auch der etwaige
Entscheid auf Vermögensverfall wird hier ausgewertet. Dies kommt bei
Hochverratsdelikten sehr häufig vor - fast immer, wenn der Angeklagte
Mitglied der Österreichischen Legion war.
Schließlich werden die Paragraphen aufgelistet, gemäß denen
der oder die Angeklagten für schuldig befunden wurden. (KVG, VG, StG,
Wahlgesetz etc.)
Die Detailseite gibt einen Überblick über den Verlauf
des Verfahrens. Festgehalten wird, wann und aus welchen Gründen das Verfahren
eingeleitet wurde, ob es ein Auslieferungsverfahren gab, ob es zu einer Faktenausscheidung
oder Verbindungen mit anderen Verfahren kam - beziehungsweise wann und wegen
welchen Paragraphen der entsprechenden Gesetze die Anklage erhoben wurde.
Die Detailseite ist von besonderer Bedeutung für jene Verfahren, bei
welchen es zu keiner Hauptverhandlung kam, und somit kein Urteil ergangen
ist, da hier auch die Gründe eines Abbruches oder einer Unterbrechung
samt den dazugehörigen Paragraphen der Strafprozessordnung verzeichnet
werden.
Das fünfte Datenblatt ist die sogenannte Personenseite,
in welcher anonymisiert das Geburts-, wenn bekannt auch das Sterbedatum, das
Geschlecht und wenn vorhanden die Mitgliedschaften bei NSDAP, SS, SA oder
anderer der NSDAP angegliederten Organisationen verzeichnet werden. Auch so
genannte Ehrentitel wie "Alter Kämpfer", "Altparteigenosse",
sowie Auszeichnungen wie die Ostmarkmedaille, die 10 bzw. 15-jährige
Dienstauszeichnung der NSDAP finden hier ihren Eintrag. Das Programm listet
an dieser Stelle sämtliche Verfahren auf, in denen diese Person als Beschuldigte/r
bzw. als Angeklagte/r eingetragen wurde, mit Angaben über das Gericht,
die Geschäftszahlen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft sowie über
allfällige Verbindungen zwischen diesen Verfahren (Verfahrensausscheidung,
Vereinigung, Rückdelegierung etc.).
5) Erste Ergebnisse der EDV-gestützten Erfassung der
Linzer Volksgerichtsakten
5, 1) Vorbemerkungen
Der Sachbearbeiter Mag. Konstantin Putz konnte erste Ergebnisse
des Projekts "EDV-gestützte Erschließung der Volksgerichtsakten
im Oberösterreichischen Landesarchiv" im Zuge des Symposiums "Entnazifizierung
in Österreich", das Anfang April 2002 im Linzer Rathaus stattgefunden
hat, präsentieren. Neuere Auswertungen werden in dem zu Jahresende erscheinenden
Sammelband zum Symposium veröffentlicht werden.
Winfried R. Garscha schrieb in der Zeitschrift "Justiz
und Erinnerung", unter Heranziehung der Datenbank im OÖLA, einen
zweiteiligen Aufsatz "Mauthausen und die Justiz". Teil I erschien
in der Ausgabe von Jänner 2002 ("Ein Recherchebericht zur Ahndung
von Verbrechen im KZ Mauthausen durch österreichische, deutsche und alliierte
Gerichte"; siehe dazu: http://www.nachkriegsjustiz.at/service/archiv/Rb5.pdf),
Teil II wurde in der im September 2002 veröffentlichten Nr. 6 publiziert
("Zur Ahndung von Morden und Misshandlungen außerhalb des KZ Mauthausen
sowie von Verbrechen in KZ-Nebenlagern durch österreichische Gerichte";
siehe dazu: http://www.nachkriegsjustiz.at/service/archiv/Rb5.pdf).
5, 2) Die Höchsturteile des Volksgerichts Linz
Mit Hilfe der Datenbank konnten die Informationen zu den in
der Dokumentation von Karl Marschall angeführten Todesurteile und lebenslangen
Haftstrafen ergänzt werden:
A) 15. Jänner 1947 (Anklageschrift 30. 10. 1946)
Prozess (LG Linz Vg 6 Vr 2370/47 [vorher Vg 8 Vr 2103/46] / StA Linz 3 St
1902/46) gegen Johann Ludwig (25. 11. 1919), Handelsangestellter, Unterkapo
im KZ Auschwitz, Häftling im KZ Gusen
Todesurteil (mit Vermögensverfall) wegen der Misshandlung von Häftlingen
des KZ Gusen (Oberösterreich) in seiner Funktion als Stubenältester
im Frühjahr 1945, in mindestens sechs Fällen mit Todesfolge.
Am 15. 2. 1947 beschloss der Oberste Gerichtshof die Wiederaufnahme des Verfahrens
(2 Os 48/47).
Am 4. 11. 1947 wurde Johann Ludwig neuerlich zum Tode (mit Vermögensverfall)
verurteilt.
Das Todesurteil wurde am 25. 2. 1948 vollstreckt.
Abgeurteilte Personen: 1
Verurteilung wegen §§ 3/1, 3/2 KVG
Rüter-Kategorie: 8 (NS-Gewaltverbrechen in Haftstätten), 12c (Misshandlung,
Verletzung der Menschenwürde)
Opfer: Juden/Jüdinnen, Häftlinge (KZ, Lager, Zuchthäuser)
Dienststelle: Personal von Haftstätten (KZ, Lager, Zuchthäuser)
Tatland: Oberösterreich
Tatort: Gusen
Tatzeit: 1945
Anmerkung: Mauthausenprozess
Quellen:
Marschall Nr. 58
Akt teilweise kopiert im DÖW (Signatur: 14.898)
OÖLA, Sondergerichte Linz, Schachtel 245
Neue Zeit (Linz), 20. 1. 1947
B) 27. Jänner 1947 (Anklageschrift 11. 10. 1946)
Prozess (LG Linz Vg 8 Vr 1209/46) gegen Franz Strommer (geb. 22. 12. 1893),
Abteilungsleiter der Landwirtschaftskasse, Zellenleiter, Blockleiter, Scharführer
der Technischen Nothilfe, Gruppenführer der Gau-Wehrmannschaft im Bezirk
Rohrbach (Oberösterreich)
Todesurteil (mit Vermögensverfall) wegen der am 30. 4. 1945 in Schwarzenberg
(Oberösterreich) erfolgten Erschießung eines gefangen genommenen
bayrischen Gendarmeriebezirksoberwachtmeisters, der amerikanischen Truppenteilen
den Weg gewiesen und die Bevölkerung aufgefordert hatte, die Häuser
weiß zu beflaggen,.
Das Todesurteil wurde mit Entschließung des Bundespräsidenten am
19. 4. 1947 in eine lebenslange Kerkerstrafe umgewandelt.
Am 19. 9. 1949 wurde die Haftstrafe auf 20 Jahre reduziert, am 22. 12. 1953
wurde Strommer bedingt entlassen.
Abgeurteilte Personen: 1
Verurteilung wegen §§ 1/4 KVG; 134 StG
Rüter-Kategorie: 10 (Verbrechen der "Endphase" mit Todesfolge)
Opfer: Deutsche und österreichische Polizeibeamte
Dienststelle: Volkssturm
Tatland: Oberösterreich
Tatort: Schwarzenberg
Tatzeit: 30. April 1945
Anmerkung: Endphaseverbrechen
Quellen:
Marschall Nr. 54
Akt teilweise kopiert im DÖW (Signatur: 14787/A, 19189/1)
OÖLA, Sondergerichte Linz, Schachtel 1013
Neue Zeit (Linz), 21. 1. 1947
C) 28. Februar 1947 (Anklageschrift 22. 8. 1946)
Prozess (LG Linz Vg 8 Vr 539/46 [StA Linz 3 St 423/46]) gegen Franz Bartik,
Ignaz M., Wilfried P. und Alois D.
Am 31. 10. 1945 verurteilte die Strafkammer des LG Linz (LG Linz 6 Vr 554/45)
gemäß § 211 RStGB und § 5 StG Franz Bartik zu 15 Jahren
Haft, Ignaz M., Wilfried P. und Alois D. erhielten Haftstrafen zwischen 3
und 12 Jahren. Nach erfolgreicher Nichtigkeitsbeschwerde hob der OGH (2 OS
7/46-3) das Urteil am 13. 2. 1946 auf und verwies die Strafsache an das mittlerweile
eingerichtete Volksgericht Linz.
Verurteilung von Franz Bartik (geb. 23.2.1900), Bergmann, Ortsgruppenleiter
von Ottnang, zu einer lebenslangen Haftstrafe (mit Vermögensverfall)
wegen der Ermordung eines serbischen Kriegsgefangenen in Manning (Oberösterreich)
am 17. 4. 1945.
Franz Bartik wurde am 12. 2. 1953 bedingt begnadigt.
Wegen Beihilfe an der Beteiligung an der Erschießung eines serbischen
Kriegsgefangenen in Manning (Oberösterreich) am 17. 4. 1945 wurden Ignaz
M. (geb. 7. 4. 1901) zu 11 Jahren Haft, Wilfried P. (geb. 6. 5. 1908) zu 12
Jahren Haft und Alois D. (geb. 3. 2. 1909) zu 10 Jahren Haft verurteilt.
Abgeurteilte Personen: 4
Verurteilung wegen §§ 1/1, 1/4 KVG
Rüter-Kategorie: 10 (Verbrechen der "Endphase" mit Todesfolge)
Opfer: Alliierte Kriegsgefangene in deutschem Gewahrsam (serbische)
Dienststelle: NSDAP-Funktionäre (Ortsgruppenleiter Manning)
Tatland: Oberösterreich
Tatort: Manning
Tatzeit: 17. April 1945
Anmerkung: Endphaseverbrechen
Quellen:
Marschall Nr. 30 (Bartik)
Akt teilweise kopiert im DÖW (Signaturen: 798, 14.789)
Widerstand und Verfolgung Oberösterreich Bd. II, S. 443
OÖLA, Sondergerichte Linz, Schachtel 1011
D) 21. Oktober 1947 (Anklageschrift 26. 8. 1947)
Prozess (LG Linz Vg 6 Vr 1696/53; StA Linz 3 St 103/53 [vorher Vg 8 Vr 5039/46])
gegen Anton Leitner (II), geb. 6. 4. 1918, Lehrer, Leiter eines HJ-Ausbildungslagers
Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe (mit Vermögensverfall)
wegen der Erschießung von zwei zu Aufräumarbeiten in Attnang-Puchheim
(Oberösterreich) eingesetzten Häftlingen aus dem KZ Ebensee am 23.
4. 1945
Im Zuge eines Wiederaufnahmeverfahrens (stattgegeben am 19. 10. 1953; Anklageschrift
12. 11. 1953) wurde Anton Leitner am 21. 12. 1953 zu 10 Jahren schweren Kerkers
(Freispruch bezüglich der Ermordung eines der beiden KZ?Häftlinge)
verurteilt und am 23. 12. 1953 entlassen.
Abgeurteilte Personen: 1
Verurteilung wegen § 1/1 KVG
Rüter-Kategorie: 10 (Verbrechen der "Endphase" mit Todesfolge)
Opfer: Häftlinge (KZ, Lager, Zuchthäuser)
Dienststelle: Volkssturm
Tatland: Oberösterreich
Tatort: Attnang-Puchheim
Tatzeit: 23. April 1945
Anmerkung: Endphaseverbrechen
Quellen:
Marschall Nr. 31
Akt teilweise kopiert im DÖW (Signatur: 14.788), Zeitungsbericht DÖW
19.188/3
Widerstand und Verfolgung Oberösterreich Bd. II, S. 508
OÖLA, Sondergerichte Linz, Schachtel 581
E) 22. März 1948 (Anklageschrift 11. 11. 1947)
Prozess (LG Linz Vg 8 Vr 868/47 [StA Linz 3 St 244/47]) gegen Franz Kreil
(geb. 7. 7. 1913), Lokomotivheizer, Volkssturm- und SA-Mann.
Todesurteil (mit Vermögensverfall) wegen der Ermordung von ungarischen
Juden und Jüdinnen als Begleiter eines aus der Steiermark kommenden Transportes
in Ternberg (Oberösterreich) Mitte April 1945.
Das Todesurteil wurde am 16. 7. 1948 mit Entschließung des Bundespräsidenten
(Zl. 10.498-Pr.K./48) in eine lebenslange Kerkerstrafe umgewandelt. Franz
Kreil wurde am 22. 12. 1953 begnadigt.
Abgeurteilte Personen: 1
Verurteilung wegen §§ 1/2 KVG; 134 StG
Rüter-Kategorie: 10 (Verbrechen der "Endphase" mit Todesfolge)
Opfer: Juden/Jüdinnen (ungarische)
Dienststelle: Volkssturm, SA
Tatland: Oberösterreich
Tatort: Ternberg
Tatzeit: April 1945
Anmerkung: Endphaseverbrechen
Quellen:
Marschall Nr. 27
OÖLA, Sondergerichte Linz, Schachtel 202
Akt teilweise kopiert im DÖW (Signatur: 14795 [Anzeige und Erhebungsbericht],
14796)
Widerstand und Verfolgung Oberösterreich Bd. II, S. 403
Neue Zeit (Linz), 16. 4. 1947
F) 1. März 1949 (Anklageschrift: 14. 12. 1948)
Prozess (LG Linz Vg 10 Vr 5149/47 [StA Linz 3 St 641/47]) gegen Johann Haller
(geb. 5. 3. 1913), Sachbearbeiter der Gestapo, Kriminalassistent.
Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe (mit Vermögensverfall)
wegen der Misshandlung von 13 Personen von Oktober 1940 bis Mai 1945 in Linz
und Freistadt (Oberösterreich) sowie der Verletzung der Menschenwürde
von 24 Personen als Sachbearbeiter der Gestapo.
Abgeurteilte Personen: 1
Verurteilung wegen §§ 34, 58 StG ; 10, 11 VG; 3/1, 3/2, 4 KVG
Rüter-Kategorie: 12c (Misshandlung, Verletzung der Menschenwürde)
Opfer: Widerstand und Opposition
Dienststelle: Polizei (Gestapo)
Tatland: Oberösterreich
Tatort: Linz, Freistadt
Tatzeit: Oktober 1940 - Mai 1945
Anmerkung: Gestapo-Prozess
Quellen:
Marschall Nr. 64
OÖLA, Sondergerichte Linz, Schachtel 1016
6) Zusammenfassung
Das Pilotprojekt "EDV-gestützte Erschließung
der Volksgerichtsakten im Oberösterreichischen Landesarchiv" läuft
seit nunmehr zwei Jahren - das erste Jahr mit finanzieller Unterstützung
der Kulturabteilung des Landes Oberösterreich, das zweite Jahr im Auftrag
des BM:BWK. Die erste Arbeitsphase (Erfassung aller mit Urteil abgeschlossenen
Verfahren des Volksgerichts Linz) wurde im Sommer 2002 abgeschlossen. In der
zweiten Arbeitsphase werden die Auswertungen der mit Urteil abgeschlossenen
Fälle einer Revision unterzogen sowie die nicht mit Urteil abgeschlossenen
Volksgerichtsverfahren, deren Anteil gegenüber den Urteilen weitaus größer
ist, in der Datenbank erfasst. In den nächsten Wochen soll daher eine
weitere Person mit der Aktenauswertung befasst werden. Voraussichtliches Projektende
ist Oktober/November 2003.
Endbericht
2003 (aktualisiert) pdf-Download (101KB)
Claudia Kuretsidis-Haider
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