Der Umgang der burgenländischen Nachkriegsgesellschaft mit NS-Verbrechen
bis 1955 am Beispiel der wegen der Massaker von Deutsch-Schützen und
Rechnitz geführten Volksgerichtsprozesse
Die Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit
von politischer und öffentlicher Seite verstärkte sich im Laufe
der Jahre, und die Theorie von Österreich als erstem Opfer des NS-Regimes
wurde geradezu verinnerlicht. Hauptziel der Arbeit war daher, ausgehend von
der Sondergerichtsform der Volksgerichtsbarkeit, den Umgang mit der nationalsozialistischen
Vergangenheit im Burgenland in den unmittelbaren Nachkriegsjahren von politischer
(Parteien) aber auch gesellschaftlicher Seite (Bevölkerung) zu untersuchen
und grundlegende Tendenzen festzuhalten. Die Darlegung eines ausführlichen
geschichtlichen Hintergrundes erwies sich dabei als unerläßlich,
da vor allem die von den burgenländischen Parteien in der Zweiten Republik
gesetzten politischen Prioritäten nicht losgelöst von der Aufteilung
des Burgenlandes während der NS-Zeit gesehen werden können. Der
sofort nach der Annexion Österreichs einsetzenden und bald "abgeschlossenen"
Vertreibung der burgenländischen Juden wurde insofern Bedeutung für
den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im Burgenland der
Zweiten Republik beigemessen, als durch das Fehlen von Überlebenden und
ZeugInnen die Ausgangsbasis für eine gezielte Aufarbeitung dieser Zeit
von vornherein denkbar ungünstig, für ein Verdrängen und Vergessen
dafür umso geeigneter war.
Im Mittelpunkt stehen jedoch die wegen der Ermordung von ungarisch-jüdischen
Zwangsarbeitern im Zuge des "Süd-ostwallbaus" zu Kriegsende
in Deutsch-Schützen und Rechnitz geführten Volksgerichtsprozesse.
Diesen wurden die justiziellen Voraussetzungen für die gerichtliche Verfolgung
der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen und somit auch die vom Gesetz
zur Verfügung gestellten Instrumente zur Ahndung derselben, miteinschliessend
Amnestien und Amnestiebestimmungen sowie die Auflösung der Volksgerichte
im Jahre 1955, vorangestellt. Anhand der Gerichtsakten wurde nicht nur der
Verlauf des jeweiligen Verfahrens, sondern auch die Haltung des "Menschen
von nebenan" untersucht, und zwar in Form der diversen Unterstützungserklärungen,
Leumundschreiben, vor allem aber auch der ZeugInnenenaussagen. Kurz angeschnitten
wurde in diesem Zusammenhang auch das "Phänomen Rechnitz",
welches in der Intensität der Verdrängung des Massakers durch die
Verdächtigen und die Bevölkerung besteht. Am ehesten kann es wohl
durch die erfolgreich durchgeführte Einschüchterung der Ortsbevölkerung
erklärt werden, welche bis hin zur Ermordung zweier vermutlicher Tatzeugen
im Jahre 1946 ging.
Hinsichtlich der Stellungnahmen seitens der Parteien im Burgenland zu Volksgerichtsbarkeit
und Entnazifizierung wurden die einzelnen Parteizeitungen der Jahre 1945 bis
1955 sowie die stenographischen Protokolle der Sitzungen des burgenländischen
Landtages (ebenfalls im Zeitraum 1945 bis 1955) als Quellen herangezogen.
Besonderes Augenmerk wurde dabei auf den Wahlkampf des Jahres 1949 und damit
zusammenhängend auf die Gründung des VdU gelegt, da in diesem Jahr
im Gegensatz zu den Novemberwahlen 1945 die ehemaligen NSDAP-Mitglieder wieder
wahlberechtigt waren.
Der Umgang mit bzw. die Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit
lief auf den vier Ebenen Bundespolitik, Gerichtsbarkeit, Landespolitik (Haltung
der drei burgenländischen politischen Parteien) und Öffentlichkeit
analog zueinander: War in den Jahren nach Kriegsende noch das Bemühen
erkennbar, das NS-Regime und seine Verbrechen aufzuarbeiten, ist ab 1947 die
Tendenz der Verharmlosung, des "Vergessens" erkennbar. Die Gerichtsurteile
der untersuchten Verfahren geben diese Entwicklungstendenz nur allzugut wieder:
Wurden unmittelbar nach Kriegsende im wegen des Massakers von Deutsch-Schützen
geführten Verfahren die Mittäter, die zum Zeitpunkt der Tat erst
17 Jahre alt geworden waren, verurteilt (1), wurde der Haupttäter 10
Jahre später freigesprochen (2). Auch in den Verfahren wegen der Morde
von Rechnitz kamen die Haupttäter ungeschoren davon (3); ein Teil von
ihnen konnte nie ausgeforscht werden, und der ehemalige Kreisleiter von Oberwart,
Eduard Nicka, wurde nur wegen Illegalität und Zugehörigkeit zur
SA im Rang eines Obersturmbannführers verurteilt.
(1) LG Wien Vg 2d Vr 2059/45
(2) LG Wien Vg 8e Vr 661/55 und LG Wien 20a Vr 661/55
(3) LG Wien Vg 12 Vr 2832/45
(4) LG Wien Vg 11d Vr 190/48
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