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15 St 6724/45_5
LG Wien Vg 2b Vr 564/45 (1. Engerau-Prozess)
Seiten 230 - 237

Auszüge aus der

Anklageschrift

Die Staatsanwaltschaft Wien erhebt [u. A.] gegen:

a) Rudolf Kronberger, geb. am 22. 3. 1905 in Ferschnitz Bez. Melk, N. Ö., zuständig nach Wien, gottgläubig, verheiratet, Fleischhauer und Selcher, wohnhaft Wien 3. [...], in Haft,
b) Alois Frank, geb. am 22. 1. 1896 in Wien, dahin zuständig, römisch-katholisch, verheiratet, Koch, wohnhaft in Wien 3. [...], in Haft,
c) Wilhelm Neunteufel, geb. am 7. 10. 1901 in Wien, dahin zuständig, gottgläubig, verh., Maler- und Anstreicher, wohnhaft in Wien 5. [...], in Haft,

die

A n k l a g e :

Sie haben

A) in Engerau (slowakisch Petržalka) und zwar:

1) Rudolf Kronberger in der Zeit vom Dezember 1944 bis März 1945 als Verbindungsmann zwischen dem Kommandanten des Judenlagers Engerau und der Außenstelle Engerau der Gestapo gegen wenigstens sieben Lagerinsassen durch Abgabe von Schüssen aus nächster Nähe in der Absicht, sie zu töten, — und zwar in einem Fall in tätigem Zusammenwirken mit Wilhelm Neunteufel — auf eine solche Art gehandelt, dass daraus deren Tod erfolgte;

2) Rudolf Kronberger in der Zeit vom Dezember 1944 bis März 1945 in gleicher Eigenschaft gegen zwei Lagerinsassen durch Abgabe von Schüssen aus nächster Nähe in der Absicht sie zu töten zur wirklichen Ausführung führende Handlung unternommen, es sei die Vollbringung des Verbrechens nur durch Zufall unterblieben; hieraus sei in einem Fall eine schwere, im anderen Fall eine leichte Verletzung der Angeschossenen erfolgt;

3) Alois Frank am 20. Februar 1945 als Wachposten gegen einen Lagerinsassen durch Abgabe eines Schusses, in der Absicht, ihn zu töten, auf eine solche Art gehandelt, dass daraus dessen Tod erfolgte;

4) Wilhelm Neunteufel in der Zeit vom Dezember 1944 bis März 1945 als Angehöriger der Lagerwache des Judenlagers Engerau gegen zwei Lagerinsassen durch Abgabe von Schüssen aus nächster Nähe, in der Absicht, sie zu töten, — davon in einem Fall in tätigem Zusammenwirken mit dem Angeklagten Rudolf Kronberger — auf eine solche Art gehandelt, dass daraus deren Tod erfolgte;

B) Am Abend des 29. März 1945 in Engerau und zwar

1) Alois Frank als Angehöriger eines aus Mitgliedern der Lagerwache des Judenlagers gebildeten Sonderkommandos gegen eine größere Zahl nichtmarschfähiger Lagerinsassen durch Abgabe von Schüssen aus nächster Nähe und durch Kolbenhiebe, in der Absicht, sie zu töten, auf eine solche Art gehandelt, dass daraus deren Tod erfolgte;

2) Wilhelm Neunteufel als Angehöriger des unter Punkt 1) erwähnten Sonderkommandos zur Ausübung des dort bezeichneten Verbrechens des Alois Frank und des gleichartigen Verbrechens weiterer Mitglieder des Sonderkommandos, Hilfe geleistet und zu seiner sicheren Vollstreckung beigetragen;

C) In der Nacht vom 29. zum 30. März 1945, sohin zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, auf der Strecke von Engerau nach Bad Deutsch-Altenburg und zwar

1) Rudolf Kronberger, Alois Frank und Wilhelm Neunteufel als Angehörige der Eskorte der Insassen des ehemaligen Judenlagers Engerau, die von ihnen eskortierten Gefangenen aus politischer Gehässigkeit und unter Ausnützung ihrer Gewalt als Wachmannschaften in einen qualvollen Zustand versetzt; es seien dadurch die Menschenwürde und die Gesetze der Menschlichkeit aufs gröbste verletzt worden und es habe die Tat in wenigstens einem Fall den Tod des Betroffenen zur Folge gehabt;

2) Alois Frank als Angehöriger der unter Punkt 1) bezeichneten Eskorte gegen drei Männer durch Abgabe von Schüssen, in der Absicht, sie zu töten, auf eine solche Art gehandelt, dass daraus deren Tod erfolgte;

3) Wilhelm Neunteufel als Angehöriger der unter Punkt 1) bezeichneten Eskorte gegen zwei Gefangene durch Abgabe von Schüssen, in der Absicht, sie zu töten, auf eine solche Art gehandelt, daß daraus deren Tod erfolgte;

4) Alois Frank in Wien vom Jahre 1935 bis 13. März 1938 der NSDAP und der SA angehört und habe als Illegaler in Verbindung mit seiner Betätigung für die NSDAP und die SA Handlungen begangen, die den Gesetzen der Menschlichkeit gröblich widersprechen.

B e g r ü n d u n g :

Im Winter 1944 ließen die deutschen Behörden in Engerau (slowakisch Petržalka) ein Lager für ungarische Staatsbürger israelischer Konfession errichten, die zu Zwangsarbeiten beim Bau des so genannten Ostwalles verwendet wurden. Das Lager zerfiel in mehrere Teillager und zwar:

1.) Teillager Auliesl,
2.) Teillager Fürst,
3.) Teillager Schinawek,
4.) Teillager Wiesengasse,
5.) Teillager Leberfinger,
6.) Teillager Bahnhofstraße,
7.) Krankenrevier

Im ganzen wurden anfangs Dezember 1944 gegen 2000 Männer dort angehalten. Das Lager stand zunächst unter dem Befehl des nunmehr flüchtigen Blutordensträgers und als besonderen Fanatiker beschriebenen Edmund Kratky, der später durch den gleichfalls flüchtigen allgemein als besonders brutal und fanatisch geschilderten Falkner abgelöst wurde. Ortskommandant von Engerau war ein ebenfalls noch nicht aufgefundener politischer Leiter namens Staroszinsky. Abschnittsleiter im Stellungsbau des Ostwalles war ein gewisser Dr. Hopp, der steckbrieflich verfolgt wird; den SA-Teilabschnitt Kittsee befehligte ein gewisser Terzer. Die Bewachung des Lagers oblag SA-Männern, die größtenteils zur Standarte 84, zum geringeren Teil zur Marine-SA-Standarte 12 gehörten. Tagsüber scheint das Kommando über die einzelnen Lagerwachen jeweils ein politischer Leiter geführt zu haben.

Die Behandlung, die den in diesem Lager Angehaltenen widerfuhr, läßt sich kurz kaum schildern. Dass diese Unglücklichen nur mit Fetzen bekleidet waren, dass sie auf das Mangelhafteste verpflegt wurden, dass viele an Erschöpfung und Erfrierung starben, war noch das Mindeste. Dazu kamen Misshandlungen aller Art, Ohrfeigen, Faustschläge, Fußtritte, die oft schwere Verletzungen zur Folge hatten. Wiederholt wurden die Lagerinsassen auch noch ihrer armseligen Habseligkeiten beraubt. Wer zu flüchten versuchte, war aufzugreifen, wenn er nicht dabei sofort erschossen wurde. Die wieder Eingebrachten wurden zunächst zur Gestapo geschleppt, die in Engerau eine Außensstelle hatte. Die Hauptfunktionäre derselben sind noch flüchtig. Bei der Gestapo wurden die Opfer aufs Grausamste misshandelt.
Wieviele Menschen auf gewaltsame Weise ums Leben gebracht wurden, kann nicht genau angegeben werden. Tatsache ist, dass eine große Zahl bei so genannten Fluchtversuchen erschossen wurde, dass eine sehr beträchtliche Zahl "liquidiert" wurde, was meistens auf dem Ortsfriedhof oder neben demselben zur Nachtzeit vor sich ging und dass zahlreiche Menschen durch Hunger, Kälte und Erschöpfung schon zu einer Zeit zugrunde gingen, solange die Front noch ferne von Engerau war. Schon Anfang Dezember 1944 war außerhalb der Friedhofsmauer ein Massengrab angelegt worden, dass so ersonnen war, dass immer vier Leichen übereinander gelegt und mit der Erde aus dem schon für die nächsten vier bestimmten Grab zugedeckt wurden. Auf diese Weise entstand ein buchstäblich Tag für Tag wachsendes Massengrab.
Waren die Zustände im Lager Engerau an und für sich entsetzlich, so stand den unglücklichen Insassen das Grauenhafteste bevor, als sich russische Truppen Engerau näherten. Die Gewalthaber und Hauptschuldigen an den im Lager begangenen Verbrechen wollten natürlich vermeiden, dass die von ihnen seit Monaten gepeinigten Lagerinsassen von den Russen befreit würden und so ihre Schandtaten bekannt würden. Es wurde daher verfügt, dass das Lager nach Mauthausen verlegt werden sollte. Da sich der ursprünglich vorgesehene Transport mit der Bahn nicht bewerkstelligen ließ, wurde ein Fußmarsch von Engerau über Wolfsthal und Hainburg nach Bad Deutsch-Altenburg vorgesehen, von wo dann die Lagerinsassen zu Schiff weiter Donau aufwärts weggebracht werden sollten.
Da offenkundig war, dass eine große Zahl von Gefangenen nicht mehr marschfähig war, beschlossen die Gewalthaber, die Unglücklichen von vorne herein zu beseitigen. Zunächst verfiel man auf die Idee, die Baracken, in denen sich die Marschunfähigen befanden anzuzünden. Man kam aber von diesem Plan dann doch ab und begnügte sich damit, die Marschunfähigen in der üblicheren Weise des Erschießens zu liquidieren, wozu einige der grausamsten Fanatiker, sozusagen als Mordkommando, ausersehen wurde. Diese führten denn auch am Gründonnerstag (29. März 1945) abends diesen Plan in und bei den einzelnen Unterkünften buchstäblich aus: sie brachten mit Schüssen, aber auch mit Stichen und Kolbenhieben alles ums Leben, was nicht mehr marschieren konnte. Es handelte sich um über 100, wenn nicht Hunderte Menschen.

Die tschechoslowakische Untersuchungskommission hat aus dem Massengrab in Engerau, das heute wieder tschechoslowakisches Staatsgebiet ist, nicht weniger als 460 Leichen exhumieren und obduzieren lassen. Obwohl sich diese Leichen teilweise schon in stark verwestem Zustand befanden, konnten an 48 Körpern Schussverletzungen und hievon an fünf zweifache Schussverletzungen festgestellt werden. Die Schüsse waren auf Kopf, Hals, Brust, Bauch, Rücken abgegeben worden, teilweise von vorn nach hinten, teilweise von hinten nach vorn. In einigen Fällen waren die Schussverletzungen nicht unmittelbar tödlich gewesen. Der Tod dieser Opfer muß durch Verblutung, Erfrierung, vielleicht auch durch Erstickung eingetreten sein, nachdem sie noch lebendig begraben worden waren. In einigen Fällen waren die Schädel eingeschlagen.
Wie die Engerauer Bauern, welche von den nationalsozialistischen Gewalthabern gezwungen worden waren, die Leichen zum Friedhof zu den oben erwähnten Massengrab zu führen, bestätigen, waren gerade die nach dem Abmarsch der Lagerinsassen vorgefundenen zahllosen Leichen besonders grauenhaft verstümmelt.

Der Abmarsch erfolgte am Gründonnerstag abends um etwa 22 Uhr von einem Sammelplatz zunächst dem Industriegeleise der Semperitfabrik. Der Zug bestand aus vermutlich ungefähr 1600 Gefangenen, die von etwa 30 SA-Männern und etwa 70 politischen Leitern eskortiert wurden; das Kommando führte der schon erwähnte Staroszinsky, welcher sich zunächst an der Spitze des Zuges aufhielt. Es gab - ob aus Eigenem oder über höhere Weisung, ist noch ungeklärt - den Auftrag und der schon erwähnte Falkner, welcher sich am Ende des Zuges befand, gab ihn weiter, dass jeder, der nicht mitkomme "umgelegt" werden solle. Kaum dass die Kolonne, welche die Länge von einem Kilometer gehabt haben dürfte, sich in Bewegung gesetzt hatte, fielen auch schon die ersten Schüsse. Es fehlen der menschlichen Sprache beinahe die Worte, um zu schildern, was sich nun abspielte. Es begann eine Schießerei, welche einer der Angeklagten im Zuge der Voruntersuchung mit dem Wort "Hasenjagd" bezeichnete.
Die Männer der Eskorte - sie waren zum Teil alkoholisiert - trieben die Gefangenen erbarmungslos weiter, hetzten sie unter wüstesten Beschimpfungen und Drohungen ununterbrochen an, hieben mit Stöcken und Kolben auf sie ein und beschränkten sich nicht nur darauf, etwa solche, die tatsächlich nicht mehr weiterkamen, zu töten, sondern stießen auch die noch Marschierenden aus der Einteilung, brachten sie von rückwärts zu Fall und schossen sie zusammen, wobei nicht nur Pistolen, sondern auch Gewehre verwendet wurden. Die Schießerei wurde so wild, dass sogar ein Angehöriger der Eskorte verwundet wurde. Sie hatte auch mit den Auftrag, dass niedergemacht werden solle, wer nicht mehr mitkomme, sogar nach dem Empfinden des berüchtigten Staroszinsky so wenig zu tun und nahm solche Formen an, dass der an der Spitze befindliche Staroszinsky den Befehl rückwärts sandte und, da dies nicht half, auch noch selbst überbrachte, die Schießerei müsse eingestellt werden. Dies wurde freilich nur kurze Zeit eingehalten. Denn als einige Zeit später Staroszinsky und Falkner einen Mann, der angeblich nicht mehr weiterkam, durch einen Schuss töteten, lebte weiter vorne in der Kolonne die Schießerei sofort wider auf und dauerte bis ans Marschziel Deutsch-Altenburg an. Insgesamt dürften auf diesem Marsche 102 Menschen den Tod gefunden haben.

Die Opfer dieses nächtlichen Todesmarsches wurden am nächsten Tag (Karfreitag) teils von Fuhrleuten zu Massengräbern gebracht, teils einzeln eingescharrt. Eines dieser Massengräber am Ortsausgang von Hainburg in der Richtung gegen Engerau gelegen, konnte festgestellt und die darin begrabenen Leichen exhumiert und obduziert werden.
Ein zweites Massengrab befindet sich in Deutsch-Altenburg, wo nach den Erhebungen auch ein Mann begraben liegen dürfte, dem der Schädel eingeschlagen worden war.
Die Überlebenden des Transportes wurden 2 Tage später, das ist am Ostersonntag, dem 1. April 1945 in Deutsch-Altenburg auf Schiffe gebracht und in Richtung Mauthausen abgefertigt.

Dies ist der Sachverhalt, welcher der Anklage zugrunde liegt. Die jetzt Beschuldigten waren wohl nicht die Rädelsführer dabei, sie haben aber an den Untaten mitgewirkt, zum Teil mit besonderer Grausamkeit oder in besonderer Funktion.

Dr. Eugen Prüfer
Staatsanwaltschaft Wien,
am 31. Juli 1945.



StA Wien
31. Juli 1945