Nachkriegsprozesse wegen Wahlschwindels
Listen der Staatsanwaltschaft Ried zeigen: Die
Alliierten machten Druck
Die rund 540.000 im Zuge der Entnazifizierung registrierten Mitglieder
der NSDAP waren bis 1949 in Österreich nicht wahlberechtigt. Wer die
Registrierungspflicht für NationalsozialistInnen unterlassen oder falsche
Angaben gemacht hatte, beging ein Verbrechen gemäß § 8 Verbotsgesetz
("Registrierungsbetrug"); wer darüber hinaus unberechtigter
Weise in den Wählerlisten geführt wurde, machte sich außerdem
wegen Wahlbetrugs gemäß § 7 Wahlgesetz strafbar.
Bei der Staatsanwaltschaft Ried blieben einige jener Verzeichnisse der Verfahren
wegen Wahlbetrugs erhalten, die ab dem Frühjahr 1946 an die Alliierten
abzuliefern waren. Der geschichtliche Hintergrund dieser Verzeichnisse, die
nach den Namen der Beschuldigten geordnet waren und zum 20. jeden Monats auf
den jeweils neuesten Stand gebracht wurden, war ein Beschluss der Alliierten
Kommission für Österreich vom 25. April 1946 "über die
Maßnahmen gegen Personen, welche sich ungesetzlich an den Wahlen beteiligt
haben" (Nr. Sekr./236, BKA/Verfassungsdienst/Verbindungsstelle zum Alliierten
Rat, GZ. Verb.Zl.343/XXXIII). Die österreichischen Behörden mussten
demnach den monatlichen Berichten an den Alliierten Rat über Wahlverstöße
zusätzlich alphabetisch geordnete Listen beifügen, aus denen "die
Gesamtzahl der dem öffentlichen Ankläger infolge stattgehabter Untersuchungen
zur Anklage überreichten Fälle" hervorging. (Erlass des BM
für Justiz vom 21. Mail 1946, Zl. 10854/46, von der Oberstaatsanwaltschaft
Linz unter Jv 877/46 am 29. Mai 1946 an die Staatsanwaltschaften in Linz,
Salzburg, Ried, Steyr und Wels weiter gegeben.)
In der amerikanischen Besatzungszone erlaubte die Besatzungsmacht erst am
14. Februar 1946 die Einrichtung eines Volksgerichts, allerdings hatte sie
bereits in den Monaten zuvor schrittweise Agenden an die österreichische
Justiz übertragen. So trat das amerikanische Militärgericht in Ried
im Innkreis ab Anfang Jänner Verstöße gegen das österreichische
Wahlgesetz an das Kreisgereicht Ried ab, mischte sich allerdings anfangs in
Verfahren ein, indem es beispielsweise die Weisung erteilte, ein dem österreichischen
Gericht überantworteten Verfahren an das Militärgericht in Braunau
abzutreten. Außer dem Militärgericht in Ried traten auch die amerikanischen
Gerichte in Schärding und Braunau sowie die Bezirksgerichte Mauerkirchen,
Mattighofen, Schärding und Braunau sowie das Volksgericht Linz Wahlschwindelverfahren
an das Kreisgericht Ried ab, in vielen Fällen wurde seitens der Gendarmerie,
manchmal aber auch von anderen österreichischen Behörden, direkt
bei der Staatsanwaltschaft Ried Anzeige erstattet.
Das nunmehr im Oberösterreichischen Landesarchiv aufliegende Aktenkonvolut
enthält derartige Unterlagen für die Jahre 1946–1948, darunter
ein bereits am 8. Jänner 1946 angelegtes Register-Heft "Verzeichnis
über Straffälle in Wahlsachen", in dem auch der Gang der Verfahren
(z. B. die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Wien über Nichtigkeitsbeschwerden
von Anklage oder Verteidigung) vermerkt wurde. Bis Jahresende 1946 waren 133
Fälle von Wahlschwindel angefallen, bis April 1948 kamen weitere 45 Fälle
dazu.
Diese 178 Personen scheinen in den "Namensverzeichnissen
zum Wahlbericht" für die Monate Mai bis August 1948 auf. Die für
die Besatzungsmacht erstellten Listen ermöglichen eine statistische Auswertung.
Demnach wurden die Verfahren gegen 49 Personen mit Urteil erledigt (20 Schuldsprüche,
29 Freisprüche), in 28 weiteren Fällen wurde das Verfahren nach
Erhebung der Anklage eingestellt, 14 Anklagen waren noch unerledigt. 8 Fälle
wurden an andere Gerichte abgetreten (Vg Linz, LG Innsbruck, LG Wien, KG Wiener
Neustadt), alle übrigen Verfahren wurden eingestellt.
Bis Februar 1949 wurden – teilweise durch Faktenausscheidungen aus anderen
in Ried geführten Verfahren, teilweise durch Anzeigen von Gendarmerieposten
(Engelhartszell, Neukirchen), weitere sechs Untersuchungen geführt. In
zwei Fällen legte Staatsanwaltschaft die Anzeige zurück (§
90 StPO), in drei Fällen trat sie von der Verfolgung zurück und
beantragte die Einstellung der gerichtlichen Voruntersuchung (§ 109 StPO),
in einem Fall wurde das Verfahren an das Landesgericht für Strafsachen
Wien delegiert.
Die Verfahren wegen Wahlschwindel wurden – im Gegensatz
zu jenen wegen Verbrechen nach dem Verbots- und Kriegsverbrechergesetz, die
am Volksgericht Linz anklagereif gemacht und dem Außensenat Ried nur
zur Abhaltung einer Hauptverhandlung zugeteilt wurden – von den Vorerhebungen
bis zum Urteil oder der Verfahrenseinstellung am Kreisgericht in Ried selbst
durchgeführt.
Vergleicht man die Wahlschwindelverfahren mit den Verfahren wegen Verbrechen
nach dem Verbots- und Kriegsverbrechergesetz, so fällt der hohe Anteil
an Anklageerhebungen auf. Während acht von zehn Verfahren, die vor einem
Volksgericht gerichtsanhängig gemacht wurden, eingestellt wurden, erhob
die Staatsanwaltschaft – zumindest in Ried (Zahlen für andere Gerichte
liegen noch nicht vor) – in jedem zweiten Verfahren Anklage; jeder fünfte
Angeklagte wurde verurteilt:
Personen beschuldigt |
178 = 100 % |
Personen angeklagt |
91 = 51,1 % |
Angeklagte verurteilt |
20 = 11,2 % |
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Aufschlüsselung der Schuldsprüche:
Verurteilungen, ohne dass Rechtsmittel ergriffen wurden:
7
Verurteilungen, gegen die berufen wurde: 2
Verurteilungen, gegen die seitens des Angeklagten Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht
wurde: 8
- davon erledigt durch Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde:
4
- davon erledigt durch neuerliche Verurteilung: 3
- davon erledigt durch Freispruch: 1 Verurteilungen nach Nichtigkeitsbeschwerde der
Staatsanwaltschaft gegen Freispruch: 3
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