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Der Außensenat Salzburg

Aus: Claudia Kuretsidis-Haider / Winfried R. Garscha, Das Linzer Volksgericht. Die Ahndung von NS-Verbrechen in Oberösterreich nach 1945, in: Fritz Mayrhofer/Walter Schuster (Hrsg.), Nationalsozialismus in Linz, Linz 2001, Bd. 2, S. 1490–1494.


Am 26. Februar 1947 verfügte das Präsidium des LG Linz die Einrichtung des Außensenates des Volksgerichts Linz in Salzburg. Zum Vorsitzenden wurde LGR Dr. Ernst Melzer bestellt, sein Stellvertreter war LGR Dr. Guntram Karlhuber.<Anm. 68>
Obwohl dieser Außensenat zur Entlastung der Senate in Linz eingerichtet worden war, verzögerte sich auch hier sehr rasch die Erledigung der Volksgerichtssachen. Da der Außensenat in Salzburg am Stichtag 9. Oktober 1947 106 offene Anklagen zu verzeichnen hatte, wurde vorgeschlagen, Strafsachen, in denen Angeklagte in der Stadt Salzburg bzw. in Fahrtrichtung Linz wohnten und keine Zeugen zu vernehmen waren, zur Durchführung beim LG Linz zu lassen.
<Anm. 69> Am 18. November 1947 war der Rückstand bereits auf 167 Volksgerichtsverfahren angewachsen, weshalb das LG-Präsidium den obengenannten Vorschlag zum Beschluß erhob.<Anm. 70> Wie wenig der Salzburger Außensenat eine Entlastung für die Linzer Senate bedeutete, beweist die Tatsache, daß der Rückstand trotzdem unvermindert anwuchs und am 10. März 1948 erst 49 Fälle erledigt, 263 aber noch anhängig waren. Daraufhin verfügte der Linzer Landesgerichtspräsident, daß Strafsachen, in denen die Beschuldigten auch in anderen Orten Salzburgs wohnten, ebenfalls dem LG Linz zur Durchführung zugewiesen werden sollten, wenn keine Zeugen zu vernehmen waren.<Anm. 71> Damit mußte Linz erst recht wieder die meisten Fälle an sich nehmen und noch dazu die Salzburger Rückstände mit aufarbeiten. Aus diesem Grund wurde ab Mai 1948 der bisherige Stellvertreter von OLGR Dr. Melzer, OLGR Dr. Karlhuber, zum zweiten Vorsitzenden bestimmt.<Anm. 72>
Dennoch zeigt auch die zweite Jahreshälfte 1948 dasselbe Bild. Am 16. November 1948 waren noch 127 Hv-Akten aus dem Jahre 1947 sowie insgesamt 411 Anklagen zu erledigen.

Tabelle 8
Beim LG Salzburg (Volksgerichtssenat) befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch folgende unerledigte Hv-Akten (Statistik des LG Linz, Volksgericht, 18. November 1948):
<Anm. 73>

1946

1947 1948 Gesamt
0 127 284 411


Am 15. September 1950 wurde das LG Salzburg einer Amtsuntersuchung unterzogen. Es wurde festgestellt, daß seit 1947 der Präsident des LG Linz dem Außensenat Salzburg insgesamt 827 Anklagen zur Durchführung der Hauptverhandlung zugewiesen hatte, wovon am Stichtag 20. Juni 1950 noch 484 anhängig waren, sodaß insgesamt 343 Fälle durch den Außensenat Salzburg erledigt worden waren. Die größten Rückstände gab es bei den sogenannten Formaldelikten nach §§ 8, 10, 11 VG (Registrierungsbetrug, Illegalität). Zum Zeitpunkt der Berichterstattung wurden nur Anklagen nach dem KVG (meistens Verbrechen der Denunziation) verhandelt. Es gab großteils Freisprüche, da laut Gerichtsinspektor der Vorsitzende Dr. Karlhuber mitteilte, daß die Salzburger Schöffen bei Anklagen gegen Auszeichnungsträger, gegen die österreichischen Legionäre und gegen Funktionäre der NSDAP schwer zu bewegen sind, für einen Schuldspruch zu stimmen. Deshalb und aufgrund der Tatsache, daß der Außensenat Salzburg nur eine geringe Leistung aufzuweisen hatte, entschloß sich der Präsident des LG Linz mit Genehmigung des OLG-Präsidenten Linz, die dem Außensenat Salzburg zugewiesenen Strafsachen wieder an das Volksgericht Linz zurückzunehmen. Es sollten nur mehr die Anklagen nach dem KVG in Salzburg verhandelt werden. Das waren zum Zeitpunkt des Berichtes rund 40 Fälle.<Anm. 74>
Im Jänner 1950 ersuchte OLGR Melzer, der seit 26. Februar 1947 Vorsitzender des Volksgerichtssenates in Salzburg war, um die Entlassung aus seinem Amt. Da ich also mit 1. März 1950 drei aufeinanderfolgende Jahre in gleicher Verwendung stehe und, wie allgemein bekannt ist, diese Tätigkeit in Volksgerichtssachen von Jahr zu Jahr immer unzeitgemäßer [sic!] wird, sodaß dem Volke und damit auch den Schöffen das Verständnis für politische Delikte erheblich geschwunden ist, bitte ich [...] meine Bestellung zum Vorsitzenden eines Volksgerichtssenates zu widerrufen.<Anm. 75> Diese Eingabe ist wohl das beste Spiegelbild dafür, welchen Stellenwert die Volksgerichtsbarkeit in der österreichischen Öffentlichkeit mittlerweile hatte. Bedenklich ist allerdings die Tatsache, daß diese Einstellung auch bei Gericht vorhanden war. Es dürfte sich dabei jedoch um einen extremen Ausnahmefall gehandelt haben. Außer Diskussion stand nämlich, daß die Volksgerichtsbarkeit ordnungsgemäß zu einem Abschluß gebracht werden sollte, was durch einen Rückzug sämtlicher Richter, die in der justiziellen Aufarbeitung der NS-Verbrechen keinen Sinn mehr sahen, wohl kaum gewährleistet gewesen wäre. OLGR Melzer ging sogar noch einen Schritt weiter und legte, für den Fall, daß seine Bitte um Widerruf seiner Vorsitztätigkeit nicht stattgegeben werden würde, gleich Beschwerde gegen die Ablehnung ein. Er wurde im März 1950 durch LG-Vizepräsident Dr. Mayerhofer abgelöst.<Anm. 76>
Die Maßnahmen, die ergriffen wurden, um den Rückstand an Volksgerichtssachen am Außensenat beim LG Salzburg zu bewältigen, zeigten jedoch 1950 nur dahingehend ihre Wirkung, daß der Anfall ab 1948 um mehr als die Hälfte gesenkt wurde (was für das LG Linz natürlich nicht die erhoffte Entlastung brachte). Die Anzahl der unerledigten Fälle verdoppelte sich allerdings, obwohl ohnehin nur mehr ganz wenige und spezielle Fälle in Salzburg verhandelt wurden.

Tabelle 9
Geschäftsgang des Landesgerichts Salzburg als Volksgericht (Stichtag 20. Juni 1950):
<Anm. 77>

Jahr

Anfall davon unerledigt geblieben Anteil der nicht erledigten Fälle

1947

247 123 49 % *)

1948

386 229 59 % *)

1949

161 105 65 % *)

bis 20.6.1950

33 27 82 % *)

*) = gerundet

Bereits ein Jahr nach der letzten Amtsuntersuchung wurde das Salzburger Landesgericht neuerlich überprüft. Der Anfall in Volksgerichtssachen betrug 1950 45 Fälle (das heißt, es waren seit dem 20. Juni 1950 nur 12 Fälle dazugekommen) und bis zur Untersuchung im Juni 1951 8 Fälle. Von diesen waren noch 10 Strafsachen (davon 5 aus dem Jahre 1950) offen. Es handelte sich dabei um KVG-Sachen, da die VG-Sachen bereits ausschließlich beim Volksgericht in Linz erledigt worden waren.<Anm. 78>

Tabelle 10
Übersicht über die beim Volksgerichtssenat Salzburg anhängigen Verfahren (Stand 29. Juni 1950):
<Anm. 79>

1947

1948 1949 1950 Gesamt
124 222 116 32 494

Für die Jahre 1951/52 konnten keine Zahlen eruiert werden. 1952 wurde in Salzburg nur mehr gegen 5 Personen verhandelt, die alle freigesprochen wurden.<Anm. 80> 1954 wurde in Salzburg gegen 1 Person verhandelt, die ebenfalls freigesprochen wurde.<Anm. 81> Es kann also gesagt werden, daß nach 1950 der Volksgerichtssenat in Salzburg endgültig bedeutungslos geworden ist. Eine Entlastung für das Volksgericht Linz ist er wohl nie wirklich gewesen.


Anmerkungen

<Anm. 68>
Oberlandesgericht Linz, Justizverwaltungsakt "Volksgericht", Verfügung des Präsidiums des LG Linz (26. Februar 1947), Jv 2499-3/47.

<Anm. 69>
Oberlandesgericht Linz, Justizverwaltungsakt "Volksgericht", Präsidium des LG Linz an das Präsidium des OLG Linz (10. November 1947), Jv 1967-3/47.

<Anm. 70>
Oberlandesgericht Linz, Justizverwaltungsakt "Volksgericht", Präsidium des LG Linz an das Präsidium des OLG Linz (18. November 1947), Jv 2024-3/47.

<Anm. 71>
Oberlandesgericht Linz, Justizverwaltungsakt "Volksgericht", Präsidium des LG Linz an das Präsidium des OLG Linz (12. März 1948), Jv 703-7/48.

<Anm. 72>
ÖStA/AdR, BMJ, Sektion III/Kanzlei A, Karton Nr. 121, Amtsuntersuchung Linz G3, Post 4 (1950), Bericht des Gerichtsinspektors über die Amtsuntersuchung des Landesgerichts Salzburg (15. September 1950).

<Anm. 73>
ÖStA/AdR, BMJ, Sektion III/Kanzlei A, Karton Nr. 120, Amtsuntersuchung Linz G3, Post 8 (1946-1949), Bericht des Gerichtsinspektors über die Amtsuntersuchung des LG Linz (19. 1. 1949).

<Anm. 74>
ÖStA/AdR, BMJ, Sektion III/Kanzlei A, Karton Nr. 121, Amtsuntersuchung Linz G3, Post 4 (1950), Bericht des Gerichtsinspektors über die Amtsuntersuchung des Landesgerichts Salzburg (15. September 1950).

<Anm. 75>
Oberlandesgericht Linz, Justizverwaltungsakt "Volksgericht", OLGR Dr. Melzer an das Präsidium des OLG Linz betreffend Antrag auf Enthebung als Vorsitzender eines Volksgerichtssenates (31. Jänner 1950), Jv 472-3I/5.

<Anm. 76>
ÖStA/AdR, BMJ, Sektion III/Kanzlei A, Karton Nr. 121, Amtsuntersuchung Linz G3, Post 4 (1950), Bericht des Gerichtsinspektors über die Amtsuntersuchung des Landesgerichts Salzburg (15. September 1950).

<Anm. 77>
Oberlandesgericht Linz, Justizverwaltungsakt "Volksgericht", Tabelle über den Geschäftsgang des Landesgerichts Salzburg (Stichtag 20. Juni 1950); Punkt 18: Volksgerichtssachen (Außensenat Salzburg).

<Anm. 78>
Amtsuntersuchung des Landes-, Bezirks- und Arbeitsgerichtes Salzburg (4. bis 7. Juni 1951), Bericht, in: ÖStA/AdR, BMJ, Sektion III/Kanzlei A, Karton Nr. 121, Amtsuntersuchung Linz G3 (1950/51).

<Anm. 79>
Oberlandesgericht Linz, Justizverwaltungsakt "Volksgericht", Präsidium des LG Linz an das Präsidium des OLG Linz (30. Juni 1950), Jv 5933-3I/50.

<Anm. 80>
Oberlandesgericht Linz, Justizverwaltungsakt "Volksgericht", Tätigkeitsbericht des Volksgerichtssenates Salzburg für die Zeit vom 1. Jänner bis 31. Dezember 1952 (8. Jänner 1953), Jv 58-3I/53.

<Anm. 81>
Oberlandesgericht Linz, Justizverwaltungsakt "Volksgericht", Tätigkeitsbericht des Volksgerichtssenates Salzburg für die Zeit vom 1. Jänner bis 31. Dezember 1953 (14. Jänner 1954), Jv 130-3I/54.

 






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