Das Massaker
von Stein (6. April 1945)
und damit im Zusammenhang stehende Verbrechen
Tathergang gemäß Anklageschrift und Urteil im Prozess
Im April 1945 befanden sich in der Strafanstalt Stein
rund 1.800 Gefangene. Von diesen waren etwa 70 bis 80 Prozent kriminelle und
20 bis 30 Prozent politische Häftlinge. Der Direktor der Strafanstalt
Kodré, der Verwaltungsinspektor Lang sowie die Justizwachebeamten Bölz (mitunter irrtümlich "Pölz" geschrieben) und Lasky, waren Gegner der grausamen NS-Gewaltherrschaft.
Kodré,
obwohl selbst Parteimitglied, war ebenso wie Lang, Bölz (Pölz) und
Lasky auch bei den politischen Häftlingen wegen seiner humanen, einsichtsvollen
Art allgemein beliebt und geachtet.
Das Gros der übrigen Beamten und
Justizwacheorgane gehörte der NSDAP an. Unter diesen tat sich besonders
ein Kreis fanatischer illegaler Nationalsozialisten hervor, dem die Beschuldigten
Alois Baumgartner, Eduard Ambrosch, Anton Pomassl, Alois Türk und Franz
Heinisch angehörten.
Als die siegreiche Rote Armee im April 1945 Wien befreit hatte und sich im
Vormarsch gegen Westen befand, zogen die Trümmer der geschlagenen deutschen
Wehrmacht durch Krems durch. Gleichzeitig waren auf ihrer Flucht aus Wien
der Gauleiter Jury mit der Reichsstatthalterei Niederdonau, sowie der Generalstaatsanwalt
Stich nach Krems gekommen. In Wien waren entgegen den Weisungen der Generalstaatsanwaltschaft
die kriminellen und leichteren politischen Häftlinge entlassen und nur
die zum Tode verurteilten politischen Häftlinge nach Westen abtransportiert
worden. Hinsichtlich der Strafanstalt Stein hatte der Generalstaatsanwalt
Dr. Stich keine Verfügung getroffen.
Als nun infolge der Kämpfe um Wien und des Vormarsches der Roten Armee
Richtung St. Pölten die Situation in Stein unhaltbar geworden war (infolge
der zurückflutenden Wehrmacht waren die Verpflegungsvorräte in Stein
nicht mehr ergänzt worden), forderte der antifaschistisch eingestellte
Teil der Strafanstaltsbeamten die Freilassung sämtlicher Häftlinge.
Dem widersetzte sich insbesondere Baumgartner, der von Ambrosch, Pomassl und
Heinisch unterstützt wurde.
Baumgartner wendete sich an den Regierungspräsidenten
Gruber, der im Namen des Gauleiters am 5.4.1945 an den Vorstand des Zuchthauses
Stein folgende Verfügung erließ:
"Ich beauftrage Sie, den
Abtransport der Strafgefangenen ihres Zuchthauses sofort durchzuführen.
Nicht asoziale Strafgefangene können entlassen werden, soweit es sich
nicht um schwerere Fälle politischer oder krimineller Art handelt. Der
Transport ist auf dem Wasserweg und falls das nicht ausreichen sollte, per
Bahn oder im Fußmarsch durchzuführen. Bei den Bahndienststellen
haben Sie sich mit diesem Auftrag auszuweisen. Der Transport ist an den Generalstaatsanwalt
in München zu übergeben."
Da dieser Befehl unklar gehalten
war, genügend Transportmittel nicht zur Verfügung standen und nach
der damaligen Kriegslage mit dem Erscheinen der Roten Armee vor Krems in wenigen
Tagen zu rechnen war (tatsächlich kam in der Folgezeit die Front etwa
10 Kilometer vor Krems zum Stehen) entschlossen sich Kodré und Lang,
am 6.4.1945 die gesamte Strafanstalt zu räumen und alle Häftlinge
zu entlassen. Zu diesem Entschluss mag die beiden freiheitsliebenden Beamten
der Umstand bewogen haben, dass die NS-Machthaber zweifellos entschlossen
waren, vor Einmarsch der Roten Armee die Gefangenen, die sie nicht mehr hätten
abtransportieren können, zu ermorden. Wie wenig sämtliche Häftlinge,
seien es politische oder kriminelle, an eine Revolte oder gar an Racheakte
gegen die ihnen als Quäler verhassten Beschuldigen dachten, geht aus den
übereinstimmenden Angaben sämtlicher Zeugen und der Beschuldigten
hervor, die alle nachdrücklich betonen, dass gegen keinen Wachebeamten
irgendeine Gewalttat verübt wurde. Sämtliche Häftlinge dachten
nur daran, möglichst schnell in die Freiheit zu gelangen.
In den Vormittagsstunden
des 6.4.1945 hatten sich also die Entlassungen reibungslos vollzogen und es
war weder von Seite des Generalstaatsanwaltes, des Gauleiters oder der Kreisleitung
gegen die Freilassung irgend etwas unternommen worden. Es ist daher zweifellos,
dass das spätere Einschreiten der Kreisleitung und der SA sowie der Wehrmachts-
und Volkssturmeinheiten nur durch eine Intervention aus der Strafanstalt selbst
hervor gerufen wurde. Dies geht eindeutig aus der Aussage des Zeugen Franz
Hahn hervor, der angibt, er sei als Chef der Schutzpolizei in den ersten Nachmittagsstunden
vom Kreisorganisationsleiter Fischer (zur Zeit des Prozesses flüchtig) mit dem Bemerken
verständigt worden, in der Strafanstalt sei eine Revolte ausgebrochen.
Ebenso behauptet der Beschuldigte Leo Pilz, er habe auf der Kreisleitung drei
Justizwachebeamte getroffen, die von einer Revolte und einer Bewaffnung der
Sträflinge sprachen.
In rascher Folge trafen nun in der Strafanstalt
Stein verschiedene Gruppen bewaffneter Einheiten ein. So wurde Hauptmann der
Schutzpolizei Hahn durch die Kreisleitung mit zwei Autos voll Polizisten zur
Strafanstalt beordert. Weiters erschien eine Abteilung Pioniere unter dem
Kommando des Major Prybil, ferner SS unter Kreisstabsführer des Volkssturmes
SA-Standartenführer Pilz mit einer Reihe von SA- und Volkssturmmännern.
Als Anführer war nebst Pilz auch der NS-Führungsoffizier und Blutordensträger
Oberleutnant Dr. Sonderer erschienen, der nach seiner Behauptung von Hitler
einen Sonderauftrag hatte.
Dass die Weisung der Kreisleitung nicht etwa nur
auf die Niederschlagung einer angeblichen Revolte in der Strafanstalt hinzielte,
geht daraus hervor, dass gleichzeitig durch die Kreisleitung der Befehl erging,
alle in der Umgebung von Krems aufgegriffenen entlassenen Häftlinge wieder
einzufangen und zu töten. So wurden nicht nur zahlreiche Häftlinge
im Stadtgebiet von Krems ermordet, auch in der weiteren Umgebung so in Hadersdorf
am Kamp, Theiß, Hörfarth, Paudorf und an anderen Orten wurden Massenerschießungen
vorgenommen.
Am 8.4.1945 wurden die in der Anstalt verbliebenen 800 Häftlinge mittels
eines Kohlenschleppers nach Passau und von dort weiter in bayrische Strafanstalten
verschleppt. Bei diesem Transport, der unter den menschenunwürdigsten
Bedingungen vor sich ging, mussten die Häftlinge in den Kohlenraum des
Schleppers gepfercht infolge Fehlen von Luftzufuhr schwerste Qualen erdulden.
Die Brutalität der NS-Wachebeamten, die scheinbar gesiegt hatten, tobte
sich nun so wie in den ärgsten Zeiten der NS-Gewaltherrschaft an den
Wehrlosen aus.
Quellen zum "Stein-Prozess" vor dem Volksgericht Wien (Aufbewahrungsort des Originalakts, Kopien, Publikationen) Zurück zur Übersicht über den "Stein-Prozess" (einschließlich Urteilsdetails zu den 15 Angeklagten)