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ZUM GEDENKEN AN DIE OPFER VON ENGERAU:
Gedenkfahrt 2005 nach Bratislava-Petržalka (Sonntag, 3. April 2005)

Erste Station: Friedhof Engerau
Zweite Station: Matador (ehem. Semperit-Werk)
Dritte Station: Gasthof Leberfinger
Vierte Station: Wolfsthal / Kriegerdenkmal
Fünfte Station: Friedhof Bad Deutsch-Altenburg


Am 3. April 2005 fand zum fünften Mal die vom Verein zur Erforschung nationalsozialistischer Gewalt-verbrechen und ihrer Aufarbeitung durchgeführte "Gedenkfahrt nach Engerau" statt. Im Mittelpunkt dieser Kundgebung zum Gedankenjahr 2005 stand der 60. Jahrestag des Todesmarsches der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter aus dem Lager Engerau (heute Petržalka / Bratislava) über Wolfsthal und Hainburg nach Deutsch-Altenburg am 29. März 1945, bei dem mehr als hundert Menschen erschossen, erschlagen und zu Tode misshandelt wurden.

Die nationalsozialistischen Behörden richteten Ende November 1944 u. a. das Lager Engerau für Schanzarbeiten beim Bau des so genannten
"Südostwalles" ein. Bereits bis zur Evakuierung des Lagers vor der heranrückenden sowjetischen Armee Ende März 1945 kamen Hunderte ungarische Juden aufgrund der unvorstellbaren hygienischen Bedingungen und aufgrund von Misshandlungen ums Leben oder wurden von der Wachmannschaft ermordet.

Zwischen 1945 und 1954 fanden vor dem Landesgericht Wien als Volksgericht
insgesamt sechs Prozesse gegen mehr als 70 der für die Verbrechen verantwortlichen österreichischen SA-Männer und politischen Leiter statt. Neun der Angeklagten wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, ein Angeklagter erhielt eine lebenslange Haftstrafe.

I) Friedhof Engerau

Der Friedhof von Engerau befindet sich im 5. Bezirk der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Engerau (slowakisch Petržalka, ungarisch Pozsonyligetfalu) gehörte während der NS-Zeit zur Ostmark (Gau Niederdonau). Die Donau bildete die Grenze zum "unabhängigen" Staat Slowakei. Engerau war für die deutsche Reichsführung aufgrund der Donaubrücke ein strategisch wichtiger Stützpunkt. In den letzten Kriegsmonaten war Engerau die nördlichste Baustelle der von den Nationalsozialisten zur Verteidigung gegenüber der heranrückenden Roten Armee von Angehörigen des Volkssturms, der Zivilbevölkerung und vor allem ungarischen Juden unter unmenschlichsten Bedingungen errichteten "Reichsschutzstellung", dem so genannten Südostwall.

Die Präsidentin des "Vereins zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Aufarbeitung" berichtete über die Geschichte der ungarischen Juden und Jüdinnen von der Annexion Ungarns im Frühjahr 1944 bis zur Deportation von Tausenden Menschen auf das Gebiet der damaligen Ostmark:
Als der Krieg für die deutsche Reichsführung immer aussichtsloser erschien, ordnete sie in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 den Bau des so genannten "Südostwalls" (oder "Ostwalls") an, die von Nordeuropa bis zur Adria reichen und die Ostgrenze des Deutschen Reiches gegen die Rote Armee verteidigen sollte. An der Grenze des heutigen Österreich verlief der "Südostwall" von Bratislava bis an die südliche Grenze der Steiermark. Für die Bauarbeiten wurden sowohl Angehörige der örtlichen Zivilbevölkerung, Mitglieder der HJ und des Volkssturms, ausländische Arbeitskräfte sowie ungarische Juden herangezogen, Letztere in Lagern "untergebracht".
Dieser Arbeitseinsatz der ungarischen Juden war Bestandteil der Vernichtungsstrategie des NS-Regimes, die in Ungarn mit der deutschen Besetzung am 19. März 1944 begann. Unter der Leitung von Adolf Eichmann und seinem Sondereinsatzkommando begann auch in Ungarn unverzüglich die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Am 15. Mai 1944 fing der systematische Abtransport nach Auschwitz an. Bis zum 10. Juli 1944 waren bereits 437.402 Juden und Jüdinnen deportiert, ca. 300.000 ermordet worden. Dann verbot der ungarische Reichsverweser Miklós Horthy aufgrund der drohenden Niederlage Deutschlands bzw. auf internationalen Druck weitere Deportationen nach Auschwitz. Zu diesem Zeitpunkt waren nur mehr ca. 80.000 "Arbeitsdienstler" der ungarischen Armee sowie die Budapester Juden und Jüdinnen in Ungarn verblieben.
Nachdem Horthy am 15. Oktober 1944 den Waffenstillstand zwischen Ungarn und der Sowjetunion erklärt hatte, rissen die faschistischen "Pfeilkreuzler" unter der Führung von Ferenc Szálasi mit Hilfe der in Ungarn stationierten deutschen Truppen die Macht an sich. Bereits ab 17. Oktober setzte Adolf Eichmann die Maßnahmen zur "Endlösung der Judenfrage", die seit Horthys Deportationsverbot am 9. Juli praktisch zum Stillstand gekommen war, fort. Die "Pfeilkreuzler" erklärten sich bereit, den Deutschen jüdische Arbeitskräfte bis Kriegsende zu "leihen", wobei vor allem an einen Einsatz in der Rüstungsindustrie gedacht war.
Ende Oktober setzten die ungarischen Behörden Juden und Jüdinnen in Richtung Hegyeshalom, dem wichtigsten Bahnübergang an der Grenze zum Deutschen Reich, in Marsch. Außerdem wurden Gruppen jüdischer "Arbeitsdienstler" der ungarischen Armee, die sich auf dem Rückzug von der Ostfront befanden, als "Arbeitssklaven" in das Deutsche Reich verschleppt. Zwischen dem 6. November und dem 1. Dezember 1944 übergaben die "Pfeilkreuzler" den deutschen Behörden 76.209 ungarische Juden und Jüdinnen als "Leihgabe" bis Kriegsende, danach wurden zwar nicht die Deportationen, aber die Zählung der übergebenen "Leihjuden und -jüdinnen" eingestellt. Ein Teil von ihnen wurde in Konzentrations- und Arbeitslager im Deutschen Reich verschickt, die übrigen Männer und Frauen auf österreichische Industriebetriebe, vor allem jedoch auf Lager entlang der Grenze, aufgeteilt, wo sie am "Südostwall" mit "schanzen" mussten.
Am 1. September 1944 wurden die Gauleiter der "Alpen- und Donaureichsgaue" als "Reichsverteidigungskommissare" mit den Befestigungsbauten entlang der Reichsgrenze betraut. Der Stellungsbau oblag strengster Geheimhaltung und unterstand den zu "Reichsverteidigungskommissaren" ernannten Gauleitern Hugo Jury (Niederdonau) und Siegfried Uiberreither (Steiermark), die mit den zuständigen Wehrkreiskommandos zusammenarbeiteten.
Das Kommando über den Stellungsbau hatten die örtlichen "Politischen Leiter" inne, die den Ablauf der Bauarbeiten und die Priorität der einzelnen Bauabschnitte bestimmten. Die technische Planung und Kontrolle oblag der Organisation Todt. Das Bewachungspersonal sowie die Bereitstellung der Schanzarbeiter und deren Unterkünfte fiel in die Kompetenz der Parteidienststellen.
Die "Reichsschutzstellung" entlang der österreichischen Grenze bestand aus zwei Befestigungslinien: Die "Linie Niederdonau" erstreckte sich von Bratislava (Preßburg) über Kőszeg (Güns) bis zum Geschriebenstein und wurde in drei Abschnitte unterteilt. Der Abschnitt Nord, der wiederum in Unterabschnitte gegliedert war, verlief von Hainburg über Preßburg, nach Weiden/See am Nordrand des Neusiedlersees. Die "Linie Steiermark" zog sich vom Geschriebenstein bis zur heutigen österreichisch-ungarisch-slowenischen Grenze und wurde in zwei Abschnitte unterteilt.
Zwischen Engerau und Kőszeg (Güns), also entlang der "Linie Niederdonau", gab es in der Zeit vom November 1944 und Ende März 1945 zwanzig Arbeitslager; ca. 35.000 ungarische Zwangsarbeiter mussten Schanzarbeiten leisten.

Prof. Jonny Moser sprach als Zeitzeuge über seine Mitarbeit bei Raoul Wallenberg und über den Todesmarsch ungarischer Juden und Jüdinnen von Budapest nach Hegyeshalom, bei dem er mithalf Personen das Leben zu retten.

Engerau – ein Lager mit 7 Teillagern
Im Lager Engerau waren zwischen November 1944 und dem 20. März 1945 (dem Zeitpunkt der Evakuierung des Lagers) ca. 2.000 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter "untergebracht", und zwar in Scheunen, Ställen, in einer Meierei, also in unmittelbarer Nähe der Ortsbevölkerung. Es gab sieben Teillager und ein Krankenrevier. Die sanitären Verhältnisse waren unvorstellbar, die Leute mussten unter furchtbaren hygienischen Bedingungen hausen. Von Dezember bis Februar gab es kein Wasser, weil die Brunnen eingefroren waren. Zahlreiche Menschen starben sowohl an den Verhältnissen im Lager als auch aufgrund von Erschöpfung bei der anstrengenden Arbeit des Schanzens sowie, weil sie von der SA-Wachmannschaft bzw. von den sie beaufsichtigenden Politischen Leitern misshandelt und getötet wurden.
Die SA-Wache des Lagers unterstand dem Wiener Edmund Kratky, der später von Wachkommandant Erwin Falkner abgelöst wurde. Kommandant der SA-Wache für den Unterabschnitt war Gustav Terzer. Die SA-Lagerleiter unterstanden dienstrechtlich Terzer, ansonsten dem Ortsgruppenleiter von Engerau Karl Staroscinsky.

Eine unmittelbar nach Kriegsende von der slowakischen Regierung eingesetzte Regierungskommission hob insgesamt 5 Massengräber aus und exhumierte 460 Männer.

Bericht der slowakischen Untersuchungskommission vom 16. 5. 1945 (Auszugsweise Übersetzung aus dem Slowakischen, in: LG Wien Vg 2b Vr 564/45 / 1. Engerau-Prozess, S. 80 - 85)

An das Präsidium des slovakischen Nationalrates in Bratislava (Pressburg)
Im Sinne der Anordnung vom 20. April 1945 erstattet Dr. Bruha, Vorsitzender der Staatskommission, welche die Untersuchung der Beschädigung und Bestialitäten, die an der Zivilbevölkerung in Petržalka durch die deutschen Okkupanten verübt worden sind, nach der an Ort und Stelle durchgeführten Untersuchung folgenden

Bericht:

Die Kommission begab sich in Begleitung des Vertreters des Militärkommandanten der Stadt Bratislava, Oberstleutnant Iljuschin, am 28. April 1945 nach Petrzalka und fing dort mit der Exhumierung der Leichen aus den Massengräbern neben dem neuen Friedhof an, was bis zum 4. Mai 1945 dauerte.
Auf Grund der Besichtigung des Tatortes, der Vernehmung der Zeugen Paul Polesic, Michael Meixner, Johann Bachmajer und Leopold Prepelica, der Feststellung und des Gutachtens der Sachverständigen-Ärzte Univ. Prof. Dr. Karl Koch und Univ. Prof. Dr. Herman Krsek, endlich auf Grund der Nachprüfung des schriftlichen, in den Kleidern der Leichen und in der nächsten Umgebung der Gräber gefundenen Materials sind folgende nähere Umstände des Vorfalles festgestellt worden:
In fünf Massengräbern, welche neben der nordwestlichen Mauer des neuen Friedhofes in Petrzalka gelegen sind, sind im Ganzen 460 Leichen männlichen Geschlechts im reifen und vorgerückten Alter gefunden worden. Nach Beweisen und Schriftsachen, welche in den Kleidern gefunden worden sind, kann man auf die Identität von 19 Personen folgender Namen schließen:

1) Vidor Oskar, geboren am 11. XII. 1899 in Budapest
2) Breier Juraj (Georg), geboren am 15. 5. 1925 in Mezökövesd
3) Jonap Vojtech (Adalbert), geboren am 9. III. 1900 in Tiszaluc
4) Kolmar Paul, geboren am 12. VIII. 1925 in Budapest
5) Einhorn Abraham, geboren am 23. I. 1916 in Uzhorod
6) Szunyog Geiza, geboren am 28. II. 1900 in Felsöireg
7) Mandy Stefan, geboren am 4. VIII. 1901 in Nyirbato
8) Nemenyi Vojtech (Adalbert), geboren am 1. VIII.1899 in Kaschau
9) Wimmer Ernest, nähere Daten unfeststellbar
10) Agai Paul, nähere Daten fehlen
11) Grausz Jakub, geboren in Budapest, nähere Daten fehlen
12) Sonnenfeld Mark (us), geboren am 18. VII. 1899 in Sempt
13) Fekete Mikulas (Nikolaus), geboren am 14. IX.1896 in Miskolcz
14) Major Stefan, geboren am 6. Mai 1927 in Budapest
15) Hecht Josef aus Ujpest, nähere Daten fehlen
16) Neufeld Ludovit (Ludwig), geboren am 2. IX. 1896 in Budapest
17) Weiss Leopold , geboren am 31. V. 1897 in Budapest
18) Foris Dezider (Desiderius), geboren am 29. VI. 1885 in Lucenec
19) Keleti Eugen Tibor, geboren 1899 in Cepel-Budapest

Die Leichen waren verhältnismäßig gut erhalten und befanden sich in ungleichmäßig vorgeschrittenem Stadium der Verwesung, was darauf hinweist, dass dieselben in der Erde einen oder auch einige Monate liegen. Die Bekleidung der Leichen bestand aus verschiedenartigsten nicht zusammenhängenden Teilen. Einige haben auf sich mehrere Männerröcke, Sweaters, Hemden und Tücher gehabt, andere waren gleichmäßig und leicht bekleidet. Auf der Mehrheit der Männerröcke war zugenäht ein gelber Stern mit der Aufschrift „Jude“. Die überwiegende Mehrheit der Leichen wies die Beschneidung der Vorhaut auf dem Geschlechtsglied auf. Beschuhung hat bei allen gefehlt. Die Taschen waren auf verschiedenste Weise umgewendet und leer. Die Kleider wie auch die Leichen waren außerordentlich stark verlaust, die Haare nicht geschnitten, die Bärte nicht rasiert. Die Verletzungen und Wunden waren sichtlich fahrlässig verbunden mit Papierwatte.
Von der allgemeinen Zahl 460 Leichen wiesen 48 Schusswunden des rückwärtigen Körperteiles, der Gurgel, der linken Schulter, des Bauches der Hüften- und Rückengegend auf. In einigen Fällen war der Schädel zerschlagen.
Die Schusswunden in Kopf, Gurgel, Brust und Bauch haben immer den sofortigen Tod zur Folge gehabt. Die Schusswunde in den Rücken war nicht immer tödlich, denn es waren nicht die lebenswichtigen Organe getroffen, man musste somit annehmen, dass in diesen Fällen was anderes den Tod verursachte. Nach den durch die Zeugenaussagen festgestellten Umständen war das langsame Verblutung, Erfrieren, oder aber Ersticken nach der Zuschüttung mit Erde im Grabe.
In zahlreichen Fällen war die Todesursache die Zerschlagung des Schädels am Scheitel mittels eines stumpfen Gegenstandes. Außer den angeführten tödlichen Verwundungen sind in vielen Fällen breite Blutergüsse am Kopfscheitel, am Antlitz und an der Brust, weiters Einbrüche des Nasenknochens, des Ober- und Unterkiefers, der Rippen und der unteren Beinknochen festgestellt worden.
In der Mehrheit der Fälle war die Fettschichte unter der Haut und in der Umgebung kaum zu finden, was auf sehr schlechte Ernährung hinweist. Diese Feststellung stimmt mit den Zeugenaussagen überein, dass der Tod vieler Exhumierten die Folge von Hunger und Überanstrengung war.
Ergänzend können folgende Personen agnosziert werden:

1) Agostan Tibor, geb. 1. 2. 1900 in Budapest
2) Baumgarten Jozef, geb. 13. 7. 1903 in Dunaföldvar
3) Boros Frantisek, geb. 28. 8. 1898 in Budapest
4) Böhm Rudolf, geb. 19. 3. 1924 in Györ
5) Pavel Eichner, geb. 17. 1. 1900 in Budapest
6) Falk Gejza, geb. 16. 1. 1899 in Budapest
7) Fischer Oskar
8) Fleischmann Mor
9) Halasz Imrich,geb. 13. 5. 1902 in Celldömölk
10) Hercfeld Martin
11) Holczer Andrej, geb. 17. 9. 1922 in Szegedin
12) Horvath Stefan, geb. 13. 10. 1906 in Tatabanya
13) Klein Alexander
14) Klein Erwin, geb. 29. 5. 1929 in Budapest
15) Klein Ernest
16) Krakovitz Zigmund
17) Kohn Viliam, geb. 5. 11. 1897 in Simö
18) Meisels Matej
19) Dr. Neumann Ludovit, geb. 6. 11. 1900 in Ujpest
20) Polgar Juraj, geb. 17. 3. 1901 in Budapest
21) Reichenfeld Dezider
22) Rejtö Vojtech
23) Revesz Dezider
24) Sarisi Vojtech
25) Szcaz Juraj
26) Szegedin Zolzan
27) Szekely Alexander, geb. 20. 11. 1897 in Budapest
28) Wachsberger Bernat, geb. 3. 6. 1895 in Nyirják
29) Weiss Oskar
30) Werner Hugo

Anschließend sprach Dr. Tomas Tandlich vom staatlichen Regionalarchiv in Bratislava über die Arbeit der slowakischen Untersuchungskommission und über die Entstehung des Mahnmals auf dem Engerauer Friedhof.

Am Ende der Gedenkkundgebung an diesem Gedächtnisort trug Prof. Moser ein Totengebet vor, es wurden Kerzen angezündet, Blumen niedergelegt und eine Gedenkminute abgehalten.

II) Platz vor der ehemaligen Semperitfabrik (heute Matador)

Die ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter kamen Ende November 1944 auf dem schräg gegenüber liegenden Bahnhof an und wurden auf die verschiedenen Teillager aufgeteilt. Sie wurden in alten Baracken untergebracht, aber auch in Bauernhöfen, Scheunen, Ställen und Kellern. Sie lebten somit auf "Tuchfühlung" mit der Bevölkerung. Das Zwangsarbeitslager Engerau bestand aus mehreren Teillagern. Die Arbeitseinsatzorte befanden sich zwischen der damaligen deutsch-ungarisch-slowakischen Grenze und Berg-Hainburg-Kittsee. Die Teillager hießen Auliesl (Meierei: 300 Juden waren "untergebracht" in Kellern, am Dachboden und im Magazin), Fürst (Besitzer des Anwesens), Schiwanek (Fabrik), Wiesengasse (Scheune), Leberfinger (Gasthaus und große Scheune), Bahnhofstraße (15 kleine Häuser, wo 200 Juden auf den Dachböden untergebracht waren) und Krankenrevier (in der Nähe des Lagers Leberfinger).

Geleitet wurde jedes Teillager von einem "Politischen Leiter" mit einem Gefangenen an der Seite, der Deutsch und Ungarisch sprechen konnte. Die SA-Wache musste vor jedem Teillager Wache schieben. Der Dienst dauerte von 18 Uhr abends bis 6 Uhr morgens, alle zwei Stunden war Ablöse. Die Diensteinteilung erfolgte durch den SA-Kommandanten Edmund Kratky oder seinen Stellvertreter Wilhelm Neunteufel. Die Posten hatten den Befehl, die "eigenmächtige Entfernung" der Häftlinge aus dem Lager zu verhindern. Gegebenenfalls lag von Edmund Kratky der Befehl vor, den Häftling dreimal zum Stehen bleiben aufzufordern und bei Nichtbeachtung zu erschießen. Jeder Posten trug ein Gewehr und 10 Schuss Munition, manche auch Pistolen. Die "Politischen Leiter" holten die Häftlinge am Morgen aus den Teillagern, führten sie zu ihren Arbeitsstätten und bewachten sie dort. Der Abmarsch aus dem Lager erfolgte um 7 Uhr früh, wobei der Ortskommandant zusammen mit den Vertretern der OT entschieden, ob aufgrund der Witterung gearbeitet werden konnte oder nicht. Nach Aussagen vieler Häftlinge gab es allerdings kaum einen Tag, an dem dies nicht der Fall war. Die "Mittagspause" fand um 12 Uhr statt, das "Mittagessen" erfolgte auf der Baustelle.

Der ehemalige Häftling Nikolaus Auspitz schilderte die Lebensbedingungen in Engerau folgendermaßen (Aussage Nikolaus Auspitz / ohne Datum / in ungarischer Sprache mit deutscher Übersetzung; LG Wien Vg 1c Vr 3015/45 / 3. Engerau-Prozess / 5. Band):

"Tagwache beim Morgengrauen um 5 Uhr, um 1/2 6 Uhr mussten wir draußen stehen auf der Chaussee, wo wir 1/2 - 1 Stunde warten mussten, in der schrecklichsten Kälte, mit steifgefrorenen Gliedern, auf den Lagerkommandanten, der angekommen den Mannschaftsstand entgegennahm und wenn es ihm einfiel - leider fast jeden Tag - in die Baracke hineinging, um die Kranken 'zu kontrollieren', deren größten Teil er mit dem Stocke heraus trieb, zumeist befanden sich diese in einem derart schweren Zustand, dass sie nach der Arbeit dieses Tages, nachdem sie sich nach der Arbeit, am Abend zu Bett begeben hatte, nie mehr zum Leben erwachten.
Vom Frühappell mit erfrorenen Füßen und offenen Wunden, im Laufschritt zur Küche, der Begleiter hat während des ganzen Weges, wen er traf, mit den Füßen getreten oder mit dem Stocke geschlagen.
Die Früh-Austeilung für die Menge von 2000 Ausrückenden, das tägliche Brot und die zweitägige Ration von Margarine, in der Größe eines Stückes Würfel-Zucker musste binnen kaum einer halben Stunde erfolgen. Bei der Verteilung haben bei täglicher Ablösung, mehrere Schergen den 'Dienst' versehen, der daraus bestand, dass sie das als 'Schwarzen' bezeichnete schmutzige warme Wasser von 3 Dezi, so einteilten, dass ein Teil davon auf unsere Hände geschüttet werde, wir hatten auch dazu kaum Zeit, um das was in der Essschale zurück blieb zu verzehren, da inzwischen auch die Tages-Ration an Brot (33 Deka) ausgeteilt wurde, so, dass 6 Männer 1 Stück Brot von ca. 200 Dkgr. erhielten und es bedeutete das Leben, dass jeder genau seine Ration erhalte, lieber hat man den Schwarzen ausgeschüttet, nur um bei der Brotverteilung ja nicht zu spät zu kommen und, dass man auch das Margarin erhalte. Dieser traurige Kampf um Leben und Tod hat sich täglich wiederholt, erschwert durch die ständigen Stock- und Knüppel-Schläge der Wache.
Nach dem 'Frühstück', Abgehen zum Arbeitsplatz, der sich ca. 5 - 6 km weiter befand. Die Arbeit musste um 7 Uhr unbedingt begonnen werden, was aus Schanzarbeit und damit zusammenhängenden sehr schweren Erdarbeiten bestand. Wenn Vormittag kein Flieger-Einflug war, so kam in der Zeit von 12 - 15 Uhr der Wagen mit dem Mittagessen. Das Essen bestand aus Suppe aus Futterrüben oder aus Gerstengraupen, sehr selten aber aus einigen ungewaschenen, ungeschälten, verfaulten Stückerln Kartoffeln. Nach der Menge nach erhielten wir etwa 4 Dclt. - auch das wurde mit dem Löffel ausgeteilt, natürlicherweise war der Löffel auch nicht ganz voll. - Falls wir Tagsüber Fliegeralarm hatten, was fast jeden Tag der Fall war, so blieb das Mittagessen überhaupt aus. Die Arbeit dauerte bis 5 Uhr abends, mit einer Mittagsunterbrechung von Maximum einer Halbenstunde, dann kam Vergatterung, Schlägerei, Einrückung, Nachtmahl - dasselbe wie das Mittagessen -. Schlafengehen, richtiger gesagt: zusammenbrechen.
Die Ausrückung zur Arbeit konnte durch kein Gewitter, Regen, keinen Schneesturm verhindert werden. Während der ganzen in Engerau erlittenen Zeit von ungefähr 5 Monaten ist überhaupt nur ein einziges Mal vorgekommen, dass wir elendigen, vom Arbeitsplatz wegen Schneesturm zurückbeordert wurden, sonst aber erstarrten unsere Gliedmaßen vergeblich derart, dass die Krampe, oder die Schaufel durch das Erleiden des ganztägigen Eisregens uns aus der Hand fiel, von einer Einrückung konnte keine Rede sein, unsere Wachmannschaft zwang uns von den geschützten Stellen mit der Waffe weg, zur Fortsetzung der Arbeit. Einen solchen schaurigen Tag wie es der 13. Dezember 1944 war, wird auch derjenige der alles überlebt hat und vergessen kann, niemals vergessen! Als wir am Abend in unsere Kammer gelangten, die ausgerückte Menge etwa 100 Personen, ist wie eine Lumpenmasse niedergefallen, auf die schmutzige, nasse, stinkige Strohlagerstätte und brach in bitteres Schluchzen aus, es kam uns zu Bewusstsein, das das keine Menschen sind, das sind täuflische [sic] Satans und wir können unsere Familien, unsere Lieben, nie mehr wiedersehen, denn aus dieser Hölle ist kein Entrinnen. Wir hätten es als Glück begrüßt, wenn man uns sofort [...] das Leben genommen und so unserem Leiden ein Ende bereitet hätte. Aber dies wäre ein viel zu leichtes Sterben für uns gewesen, das wollten sie nicht!
Ich habe mich am 28. Dezember 1944 zum letzten Male gewaschen, am anderen Tag ist der neben der Baracke befindliche Brunnen zugefroren und ich wäre irgendwann zu Ende März in die Lage gekommen, mich wieder etwas waschen zu können. Inzwischen haben Millionen von Läuse den Menschen befallen, die Arbeit, das Hungern, die Schläge, das ungewisse Schicksal hat den Widerstand der Menschen gebrochen, unsere ersten Toten hatten wir am 16. Dezember, ergriffen standen wir bei der Leiche unseres Kameraden. Am 18. folgte der Nächste, sodann der Dritte, Vierte, die Ergriffenheit fand ein Ende, betroffen sahen wir unser eigenes Schicksal an uns herankommen, alles hat ein Ende! Meine armen Kameraden sind auch mit erfrörten [sic], brandigen Gliedern hinaus zur Arbeit, denn wer nur einmal liegen blieb, der stand nimmer auf und doch wollten wir alle am Leben bleiben, um unseren Folterern, unseren Mördern noch gegenüber zu stehen. Leider wurde dies nur sehr wenigen von uns zuteil, unsere unglücklichen Kameraden sind dort, am Rande des Engerauer Friedhofes, in den Massengräbern liegen sie, wohin sie [...] hineingeworfen wurden und sie alle schreien aus dem Grabe um Gerechtigkeit, um Vergeltung."

Das Lager Schinawek war eine kinotechnische Fabrik in der Holzgasse 14. Dort wurden 450 jüdische Häftlinge auf den Dachböden "untergebracht".Die Tochter des Fabriksbesitzers Berta G. war eine wichtige Zeugin bei den Prozessen: Sie beschrieb die Unterkunft folgendermaßen (Hauptverhandlungsprotokoll, 1. Band, 5. Tag [21. 10. 1946], S. 17f.; LG Wien Vg 1c Vr 3015/45 / 3. Engerau-Prozess / 6. Band):

"Der eine Teil des Dachbodens war 18 m lang und 4 bis 4½ Meter breit und der andere Teil 15 m lang und auch so breit. Diese beiden Dachbodenteile waren links und rechts von der Stiege. Davon war in der Mitte noch 1 m breit ein Laufgang. Ich war einige Male bei den Juden oben. Die waren wie die Heringe zusammengepfercht und sind über und untereinander gelegen. [...]
Durch die Bombenangriffe waren [...] alle Fenster zerschlagen und es hat furchtbar gezogen. Die Leute mußten auf bloßem Beton liegen. Eine Fuhr Stroh war wohl einige Tage, bevor die Juden gekommen sind gebracht worden, doch ist sie im Freien geblieben und naß geworden. Außerdem war diese Menge Stroh für soviel Menschen viel zuwenig. Das Stroh ist auch nie ausgewechselt worden. Da sie mir leid getan haben habe ich den Juden von mir aus Wellpappe zum Drauflegen gegeben."

Der Kommandant des Lagers Schiwanek war zuerst der Gymnasialdirektor Emil P. aus Essling bei Wien, der die Juden "bloß ohrfeigte", nicht aber brutal schlug. Er wurde durch den Ortsgruppenleiter Karl Staroszinsky abberufen, da dieser der Meinung war, er könne "auf diesem Posten keinen Fürsorgerat brauchen". Berta G. schilderte als Zeugin seinen Nachfolger (Zeugenaussage von Berta G. vor dem Untersuchungsrichter am 16. 11. 1945. Das Original befindet sich im 3. Engerau-Prozess / 1. Band / LG Wien Vg 1c Vr 3015/45, ist aber nur sehr schwer lesbar. Eine Abschrift liegt in LG Wien Vg 8e Vr 299/55 / 4. Engerau-Prozess / 1. Band):

"An seine Stelle trat Franz B., Wien XVI., Koppstraße wh. gewesen, ein 23 jähriger Mann, ca. 1.80 groß, sehr mager, graue Augen, brünett, bartlos, mit langem, schmalem Gesicht, langer vorspringender Nase, das Gesicht voller Mitesser und mit großen vorspringenden Ohren. Er war verheiratet und Vater von 2 Kindern. Er war der brutalste Mensch den man sich vorstellen kann. Er schlug die Juden ohne jeden Anlass mit einem dreifinger dicken, ½ m langen Gummiknüttel, u. zw. derart unmenschlich, meist ins Gesicht und auf die Schädeldecke, dass sie wie ein Stück Holz zusammenbrachen und viele von ihnen nach einigen Stunden ihren Verletzungen erlagen. Das ging so Tag für Tag durch Wochen hindurch, wobei jeden Tag 2 od. 3 Juden starben. Am Ende der Lagerzeit waren von den 450 nur mehr 180 oder 190 Juden übrig. Was für ein Sadist der Bertel war, erhellt daraus, dass er, der obschon verheiratet dauernd mit Mädchen zu tun hatte, wenn ihn ein Mädchen beim Randevous [sic] hatte aufsitzen lassen seine Wut darüber an den Juden austobte und sie auf das unmenschlichste Weise schlug. Nicht genug damit, hat er die Juden auch noch bis aufs letzte ausgeplündert, sodass er täglich ein großes Paket mit Kleidungsstücken und Wäsche der Juden forttrug.
Ich habe selbst einmal gesehen, dass einem infolge Schläge verschiedenen Juden das eine Auge fehlte, während das andere bis zur halben Wange herunterhing. Das Kinn war gebrochen. Ob er Juden auch erschossen hat, kann ich nicht sagen."

Das Teillager Bahnhofstraße wurde vom Lagerführer Walter Haury, der als einziger der 21 Angeklagten in den Engerau-Prozessen frei gesprochen worden war, folgendermaßen beschrieben (Hauptverhandlungsprotokoll, 1. Band, 3. Tag / 18. 10. 1946, S. 47f.; LG Wien Vg 1c Vr 3015/45 / 3. Engerau-Prozess / 6. Band):

"Die Lagerinsassen waren auf den Dachböden, die nicht sehr groß waren, untergebracht. Sie mussten ziemlich dicht beieinander auf Stroh liegen. Insgesamt werden es zirka 200 Lagerinsassen gewesen sein, die in der Bahnhofstraße untergebracht waren. Es haben aber alle einen Ofen gehabt. [...] Sie waren aus kleineren Ölfässern angefertigt worden. Das Brennmaterial haben sie sich mitbringen können. [...]
Es hat [...] auch mit den Besitzern der Häuser einen Kampf wegen der Einleitung des Lichtes gegeben, weil sie es nicht bezahlen wollten und sie haben sich erst dazu herbeigelassen, wie ich ihnen gesagt habe, ob es ihnen lieber wäre, wenn durch Kerzenlicht oder Lampen ein Feuer entstünde. Mit dem heißen Wasser für die Leute war es das Gleiche. Sie wollten ihnen keines hitzen [sic] und erst wieder, als ich ihnen sagte, ob sie total verlaust werden möchten, was zwangsläufig der Fall wäre, haben die Hausbesitzer heißes Wasser zur Körperreinigung und zum Wäschewaschen hergegeben. Das Brennmaterial mussten sich die Juden ohnehin selbst bringen."

Für die Schanzarbeiter beim Südostwallbau gab es am 28. März von Kreisleiter Waidmann, der in Bruck an der Leitha gesessen ist, die Weisung, die ungarischen Juden per Bahn abzutransportieren, da die Rote Armee immer näher rückte. Nachdem Weidmann allerdings erfahren hatte, dass die Reichsbahn nur drei Waggons zur Verfügung stellen konnte, wurde lediglich der Abtransport der nicht marschfähigen in Aussicht genommen. Die übrigen Gefangenen sollten zu Fuß nach Bad Deutsch-Altenburg marschieren.
Vor dem Abmarsch wurde aber anscheinend bereits der Befehl des Lagerkommandanten von einem wahrscheinlich von ihm extra dafür bestimmten so genannten Sonderkommando ausgeführt, und zwar wurden sowohl im Lager Wiesengasse als auch im Lager Leberfinger wie angeordnet die "nicht mehr marschfähigen" Häftlinge ermordet.

Der im 1. Engerau-Prozeß zu acht Jahren verurteilte Konrad Polinovsky, der zur Grenzbewachung eingeteilt war, schilderte die letzten Stunden vor dem Aufbruch (Hauptverhandlungsprotokoll, 2. Band, 9. Tag / 25. 10. 1946), S. 14 - 16; LG Wien Vg 1c Vr 3015/45 / 3. Engerau-Prozess / 6. Band):

"Am Gründonnerstag gingen wir vor 12 Uhr an die ungarische Grenze und lösten dort die Grenzposten ab. Um ca. 3 Uhr nachmittags kam ein Melder, der uns den Befehl überbrachte, sofort einzurücken. Unser Posten wurde vom Militär besetzt. Als wir in das Lager kamen, wurde dort bereits gepackt. Es wurde Wein ausgegeben und zwar vier Liter pro Kopf. Die meisten tranken ihren Wein gleich. Einer der politischen Leiter war derart angesoffen, dass er über die Stiegen hinunterfiel und ins Spital transportiert werden mußte. Auch die SA-Männer waren zum Teil ziemlich angetrunken. [...] Zuerst hieß es, dass wir zum Abtransport einen Lastenzug bekommen. Daraus wurde dann nichts. Es kam ein Lastauto und lud unser Gepäck auf. Auf einmal hieß es dann, dass wir marschieren müssen. Wir marschierten zum Bahnhof, wo auch Essen gefasst wurde. Bei der Fabrik erfolgte die Aufstellung der Kolonnen. Es gab Fliegeralarm. Es hieß dann, dass die jüdischen Ärzte an der Spitze gehen und begab ich mich mit ihnen an die Spitze der Kolonne. Dann kam Falkner und sagte: "Wir marschieren nach Deutsch-Altenburg. Wer nicht mitkommt, wird umgelegt! [...] Ca. um 10 Uhr abends sind wir von Engerau wegmarschiert."

Aus unzähligen Aussagen geht hervor, dass schon kurze Zeit später am Ende der Kolonne eine heftige Schießerei begann. Der Sanitäter Johann Zabrs, der sich zunächst nach eigenen Angaben in der Mitte des Zuges aufhielt, hörte "rückwärts Schüsse und Geschrei" und begab sich daraufhin nach hinten. Vor den Semperitwerken erhielt er einen Streifschuss am Oberschenkel, den er sich mit Hilfe Neunteufels, der an den Erschießungen beteiligt war, selbst verband.

III) Teillager Leberfinger

Das Gasthaus Leberfinger an der Donau war bereits seit 300 Jahren eine alte Einkehrstätte und hatte aus der Zeit des Verkehrs mit Pferdefuhrwerken ein Stallgebäude mit einem Boden, um für die Pferde der Reisenden eine Unterkunft zu gewährleisten. Das Gastwirtschaftsgebäude hatte eine Gassenfront von 22 m Länge, dahinter erstreckte sich ein großer Hof, der eine Breite von ca. 20m hatte und anschließend erhob sich das Stallgebäude, das mindestens 20 m vom Gastgebäude entfernt lag. Während der Zeit, in welcher das Lager mit den jüdischen Zwangsarbeitern bestand, hatte die Gastwirtschaft Leberfinger insgesamt 14 Angestellte, darunter 3 Kellner. Die übrigen waren Kellnerinnen und Schankmädchen. Geführt wurde das Geschäft von der alten Frau Leberfinger, die im Jahre 1948 gestorben ist, und ihrer Schwiegertochter (die Männer waren eingerückt). Die Leberfingers sind vor der sowjstischen Armee nach Wien geflüchtet.
Die Juden waren hier in einem großen, langen Schuppen - ein ehemaliger Pferdestall - mit zwei Eingängen "untergebracht". Dieser stand parallel zum Privatgebäude, aus dessen Küche man auf die Eingänge des Schuppens sehen konnte. Im oberen Teil des Schuppens war ein Raum, der wahrscheinlich zur Aufbewahrung von Heu und Stroh gedient hatte. Die sich dort befindlichen Juden mußten über eine Leiter heruntersteigen. Der im 2. Engerau-Prozess zu zwei Jahren Haft verurteilte Karl Hahn beschrieb das Lager als gemauerten "Schupfen" mit einem Dachboden, in dem die Juden "hübsch aufeinander gelegen" seien.

Der 43-jährige Kaufmann Ernö Honig aus Kisvajke beschrieb als Zeuge das Lager im Gasthaus Leberfinger folgendermaßen (Protokoll mit Ernö Honig vom 15. 8. 1945; LG Wien Vg 1a Vr 4001/48 / 2. Engerau-Prozess):

"Wir schliefen dort [...] in einem Stall mit betoniertem Boden ohne jede Unterlage und ohne Heizung, so dass von uns, als wir Engerau verließen nur mehr [wenige] am Leben waren. Die übrigen wurden teils bei der Arbeit erschlagen, teils starben sie an Erschöpfung oder den Folgen von schweren Erfrierungen. Es war uns verboten, sich zu waschen und waren wir deshalb voller Läuse und voll von Furunkel und anderen eiternden Wunden."

Der 41-jährige Budapester Geschäftsführer Ignatz Blau war in der Scheune "untergebracht", deren Dach voll von Löchern war, so dass Regen und Schnee ungehindert durch konnten. Auch die Seitenwände zeigten mächtige Spalten, es fehlten stellenweise die Bretter, so dass die Gefangenen der Zugluft ausgesetzt waren. Es gab zwar Stroh zum Liegen, doch war es vollkommen durchnässt und verfault.

Die tägliche "Verpflegung" beide Zeugen folgendermaßen (Protokoll mit Ignatz Blau und Ernö Honig am 15. 8. 1945); LG Wien Vg 1a Vr 4001/48 / 2. Engerau-Prozess):

"[Sie] bestand aus schwarzem Kaffee, 300 gr Brot und 20 gr Margarine morgens, mittags ½ Liter Rüben- oder Grützesuppe und abends ebenfalls ½ Liter Suppe. Die Arbeit dauerte von 6 Uhr früh bis 5 Uhr abends. [...] Wir hatten dauernd großen Hunger und schauten daher irgend etwas zum Essen zu bekommen. Die, die das Essen in der Küche holen gingen, suchten unter den Küchenabfällen Genießbares, halbverfaulte Kartoffeln, Rübenstücke, und wer dabei [...] ertappt wurde, wurde nicht nur blutig, sondern oftmals buchstäblich tot geschlagen."

Als das Lager Ende März 1945 vor der Herannahenden Roten Armee geräumt werden sollte veranstaltete ein "Sonderkommando" ein furchtbares Massaker:
Der Gendarm des Gendarmeriepostens Hainburg Karl Brandstetter, der am nächsten Tag zufällig im Gasthaus Leberfinger war, (Protokoll vom 13. 7. 1945; LG Wien Vg 2b Vr 564/45 / 1. Engerau-Prozess):

"Wir gingen in das Gasthaus Leberfinger in Engerau um dort einen warmen Kaffee zu trinken. Die Wirtin, Frau Leberfinger sagte zu uns, heute bekommt ihr noch etwas, aber morgen nicht mehr. Denn erstens sind die meisten Angestellten evakuiert worden und zweitens bleibe sie nicht länger in dieser Leichenkammer. Frau Leberfinger sagte uns nun, dass in ihrem Haus 13 erschossene Juden liegen. Wir ersuchten sie nun uns die Leichen zu zeigen, was Frau Leberfinger mit der Bemerkung ablehnte, sie könne so etwas Grauenvolles kein zweites Mal ansehen. Sie sagte uns, wir sollen uns die Leichen alleine besichtigen. Wir gingen nun in das ehemalige Stallgebäude, wo sich das Lager für die Juden befand. Dort lagen Habseligkeiten der Juden verstreut umher. Im Hintergrund sahen wir schon einige Leichen liegen. Die Leichen hatten Kopfschüsse und lagen in einer Blutlache. Sämtliche Leichen trugen den Judenstern. Im Hofraum lag auf einer Pritsche eine Leiche, die mehrere Schüsse, teils im Kopf, teils in der Brust aufwies. Diese Leiche war nur mit einem Hemd und einer langen Stoffhose bekleidet. Auch in der Nähe der Latrine, die im Hofe war und eigens für die Juden bestimmt war, lagen zwei der drei Leichen, ebenfalls durch Kopfschüsse getötet. Der Anblick der Leichen war grauenhaft. Wir gingen noch im Hofe umher und sprachen dann mit der Gastwirtin wie sich die Ermordung zugetragen hat. Frau Leberfinger erzählte uns nun, dass am 29. März 1945 (Gründonnerstag) um ca. 22 Uhr die politischen Leiter die Juden zum Abmarsch antreten ließen. Es meldeten sich eben diese 13 Juden, dass sie krank seien und nicht marschieren können. Darauf sagten die politischen Leiter diese 13 Juden werden später abgeholt werden. Als nun die marschfähigen Juden aus dem Hause marschierten, kamen schon einige politisch Leiter oder SA. Männer, die Uniformen kenne ich nicht so genau, zum Tor herein, gingen in das Stallgebäude wo sich die nicht marschfähigen Juden befanden und in wenigen Minuten hörten wir schon eine wilde Schießerei sowie verzweifelte Hilferufe. Ich konnte dies nicht anhören und lief in das Haus zurück. Weiter Angaben konnte Frau Leberfinger nicht machen."

Ganz in der Nähe des Lagers Leberfinger befand sich das Krankenrevier. Die Behandlung der Häftlinge aus Engerau erfolgte nämlich nur in den wenigsten Fällen im Spital. Unter den Gefangenen befanden sich auch drei jüdische Ärzte, die die Erstversorgung der Erkrankten und Verletzten vornahmen. Die meisten litten an Ruhr und hatten Hungerödeme am ganzen Körper. Verantwortlich in diesem "Krankenrevier" war der Sanitätstruppführer Johann Zabrs, der die dortigen Verhältnisse folgendermaßen beschrieb (Hauptverhandlungsprotokoll, 1. Band, 3. Tag / 18. 10. 1946, S. 35f.; LG Wien Vg 1c Vr 3015/45 / 3. Engerau-Prozess / 6. Band):

"Dieses [...] befand sich zwischen den Teillagern Schiwanek und Leberfinger in einer Fabrik. Es bestand aus einem einzigen Raum, in welchem ein Holztisch als Operationstisch diente und in welchem Raum auch gleich Eingriffe vorgenommen wurden. Ein ärztliches Instrumentarium war vorhanden. Dr. Glück, Dr. Kraus und Dr. Benedikt waren jüdische Ärzte, die im Krankenrevier Dienst zu machen hatten. Für Verbandsmaterial war gesorgt. Betäubungsmittel bei Eingriffen hat es allerdings nicht gegeben. Ob auch Amputationen bei Erfrierungen von Gliedmaßen vorgenommen wurden, weiß ich nicht. Operiert hat Dr. Kraus. Narkosemittel konnte ich keine hergeben, weil keine vorhanden waren. Zuerst sind die Kranken auf Stroh gelegen, später erhielten sie so genannte Zweistockbetten. Leintücher hat es nicht gegeben, nur Decken. Polster hat es im allgemeinen auch nicht gegeben, nur wenn sich jemand selbst einen gemacht hatte. Als Pflegepersonal waren 2 Juden eingeteilt, sowie drei Ärzte, die auch dort geschlafen haben.
Im Krankenrevier vorgeführt wurden die Leute um zirka ½ 5 Uhr nachm. nach der Arbeit durch die Politischen Leiter. Im Tag wurden so durchschnittlich 50 bis 60 Kranke vorgeführt. Die Schwerkranken konnten gleich im Revier bleiben und die leichteren Kranken mussten wieder ins Lager zurückgehen, weil im Krankenrevier nicht so viel Platz war. Es befand sich auch in jedem Teillager ein jüdischer Arzt, der nach Möglichkeit Verbandszeug mitbekommen hat. Verbandszeug hat es immer gegeben, zum Schluss nicht mehr so viel, wie im Anfang. Außer mir war bei der Krankenbeschreibung auch noch ein Politischer Leiter da. Ich musste darauf achten, dass die Leute nicht ohne krank zu sein, zuhause bleiben."

IV) Die Strecke Engerau - Wolfsthal - Hainburg - Bad Deutsch-Altenburg

Die Geschehnisse während des Todesmarsches sind nachträglich nur mehr schwer rekonstruierbar. Ein großes Verdienst bei der Aufdeckung der Verbrechen während des Marsches kommt dem niederösterreichischen Gendarmerieinspektor Johann Lutschinger zu, der im Zuge der bereits Ende Juni 1945 laufenden gerichtlichen Untersuchungen den Auftrag bekommen hat, vor Ort zu ermitteln.
In seinem Protokoll schrieb er, dass die Juden in zerfetzten Kleidern, zerrissenen Schuhen oder barfuß gingen, obwohl die Witterungsverhältnisse nicht sehr günstig waren. Zahlreiche Augenzeugen bestätigten, dass sie "einen jämmerlichen Eindruck" machten.

Der Abmarschplatz der Juden befand sich in Engerau beim Industriegeleise der Fabrik Semperit. Von dort führt ein Karrenweg über eine Wiese zur Reichsstraße, über welche der Transport geführt wurde. Hier fanden auch die ersten Erschießungen statt.
Auf der Bezirksstraße wurde dann der Transport über Wolfsthal, Hainburg bis zur Donau nach Deutsch-Altenburg geführt. Insgesamt fand Lutschinger im Zuge seiner Ermittlungen auf dieser Marschstrecke 47 jüdische Leichen..

Über die tatsächlichen Geschehnisse während des Marsches wissen ist wenig bekannt, da die meisten tot sind, die wenigen Überlebenden aufgrund der schrecklichen Erlebnisse (Schock) teilweise nur vage Angaben machen konnten, und die dazu einvernommenen Täter kein Interesse hatten allzu detailliert ihre Verbrechen zu schildern.
So schilderte der im 5. Engerau-Prozess zu 10 Jahren verurteilter Heinrich Trnko, der dem Gericht Glauben machen konnte, dass er nur einen Gnadenschuss abgegeben hatte Folgendes (Hauptverhandlungsprotokoll (12. / 13. 4. 1954); LG Wien Vg 1 Vr 99/53 / 5. Engerau-Prozess / 1. Band, 1. Tag, S. 15):

"Wie ich 2-300 Meter nach rückwärts gegangen bin, habe ich diesen Juden am Boden liegen gesehen. Er wollte auf, da bin ich hingegangen und wollte ihm helfen, ich habe ihn schon in der Höhe gehabt, da ist er wieder hingefallen, da habe ich ihn mit der Taschenlampe angeleuchtet und da habe ich gesehen, dass das Auge heruntergehängt ist. Da ist Neunteufel gekommen, ich habe ihm den Juden gezeigt, dass er sieht, wie sie die Leute hergerichtet haben, ich wollte dass er nach vorne kommt, aber er konnte nicht mehr. Darauf hat Neunteufel gesagt, ich soll ihn liegen lassen, er geht ohnehin drauf. Ich bin weggegangen, dann ist mir der Gedanke gekommen, ich kann den Menschen doch nicht liegen lassen, dann ist er erledigt, Hilfe gibt es nicht; daraufhin bin ich zurückgegangen und habe ihm mit meiner Pistole in die Schläfe einen Schuss gegeben; er war sofort tot."

Der 43jährige Kaufmann Bela Klein schilderte als Überlebender die Strapazen aus seiner Sicht (Abschrift des Protokolls des Volksgerichts Kaposvar mit Bela Klein vom 4. 7. 1946; LG Wien Vg 1a Vr 4001/48 / 2. Engerau-Prozess):

"Das ganze Lager [wurde] vor den Russen von Engerau nach Mauthausen verlegt. Am Abend [...] gingen wir von Engerau weg und marschierten bis in der Früh nach Deutsch-Altenburg, wo wir auf Schleppern untergebracht und nach Mauthausen gebracht wurden. Während des Marsches sah ich, dass der Mann mit dem Ledermantel Emmerich und Alexander Gottlieb aus meiner Kompagnie, die derart schwach waren, dass sie etwas zurückblieben, derart schlug, dass sie ganz blutig waren. Während des weiteren Marsches mussten wir sie stützen. Während des Marsches schlug auch mich dieser Mann mit dem Ledermantel. Vor Deutsch-Altenburg musste ich meine Notdurft verrichten, da kam er zu mir und sagte: 'schnell, schnell!' Ich nahm schnell meinen Rucksack ab und da versetzte er mir von der Seite mit seinem Stock einen Schlag ins Gesicht, sodass mein linkes Augenlid verletzt und ich blutüberströmt war. Stehen bleiben konnte man nicht, denn ein jeder der rasten wollte, wurde erschossen."

Es gab aber auch zahlreiche Ohrenzeugen aus der Ortsbevölkerung von Wolfsthal, Hainburg und Bad Deutsch-Altenburg:

"Protokoll (in LG Wien Vg 2b Vr 564/45 / 1. Engerau-Prozess) aufgenommen mit dem Mechanikergehilfen Florian Z., Wolfsthal Reichsstraße Nr. 11 wohnhaft, gibt dem Revierinspektor Johann Lutschinger und Hilfsgendarm Friedrich Deutsch des Postens Hainburg an:

"Ich bin seit dem Jahre 1944 im Leichtmetallwerk Bernhard Berghaus in Berg beschäftigt gewesen und zwar bis zum Einmarsch der Russen. Jeden Tag fuhr ich mit meinem Fahrrad von Wolfsthal die Bezirksstraße entlang zur Arbeitsstätte. So auch am 30. März 1945 um 7 Uhr 30 Min. Zirka 200 Schritte von Wolfsthal entfernt sah ich einen toten Juden quer über der Straße liegen. Am Straßengeländer hing ein grüner Mantel. Bis zur Bahnstation Berg habe ich teils auf der Straße teils im Straßengraben 15 tote Juden liegen gesehen. Manche Leichen lagen am Rücken und andere wieder am Bauch. Die am Rücken liegenden Leichen trugen den Judenstern. Gegen 7 Uhr traf ich an meiner Arbeitsstätte ein und von meinen Arbeitskameraden wurde mir mitgeteilt, dass in der vergangenen Nacht die Juden aus den Lagern in Engerau hinausgetrieben und sehr viele gleich erschossen wurden. Nun teilte auch ich meinen Kameraden meine Wahrnehmungen mit, worauf mir der in Engerau wohnhafte Hilfsmagazineur Ludwig Modry erwiderte ‚dies sei noch gar nichts, das musst dir erst in Engerau anschauen, wie es dort aussieht.‘ Gegen 10 Uhr 30 Min. vormittags war Fliegeralarm und ich fuhr mit Modry nach Engerau und musste tatsächlich feststellen, dass es viel ärger war, wie auf der Straße. An der Planke der Semperitwerke und auf der vorbeiführenden Straße sowie am Feldweg der Reichsstraße lagen sehr viele jüdische Leichen. Die meisten waren blutig und fürchterlich zugerichtet. Viele bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Wieviele Leichen es waren, kann ich nicht sagen. Nach dem Alarm fuhren Mudry und ich wieder in die Fabrik zurück. Meinen Arbeitskameraden gegenüber verurteilte ich diese Schandtaten und bemerkte, dass sich dies einmal bitter rächen werde. Ebenso sagte ich ihnen, so etwas nennt sich ‚deutsche Kultur‘. Alle Kameraden stimmten mir zu und waren über die Erschießungen äußerst erregt. Als ich am Abend nach Hause kam, fragte mich gleich meine Gattin ob ich schon von den Erschießungen der Juden in der vergangenen Nacht gehört habe, worauf ich ihr antwortete, dass ich nicht nur gehört, sondern sogar gesehen habe, was die Nazi verbrochen haben. Erwähnen will ich noch, dass mir Imker Alois Indra, Wolfsthal Nr. 39 wohnhaft, mitteilte, beim Kriegerdenkmal in Wolfsthal sei am 28. 4. 1945 vormittags ein toter Jude gelegen und ein Erschöpfter neben ihm gesessen. Mehr kann ich nicht angeben."

Wolfsthal, am 13. 7. 1945"

"Protokoll (in LG Wien Vg 2b Vr 564/45 / 1. Engerau-Prozess) aufgenommen mit Alois I., Imker, in Wolfsthal Nr. 39 wohnhaft, gibt dem Revierinspektor Johann Lutschinger in Beisein des Hilfsgendarmen Friedrich Deutsch des Postens Hainburg an:

„Ich wohne auf der Reichsstraße neben dem Kriegerdenkmal. In der Nacht vom 29. 3. zum 30. 3. 1945 wurde ein Trupp Juden an unserem Haus vorbeigeführt, was ich vom Fenster aus beobachtete. Gegen 8 Uhr früh hörte ich auf der Straße einen Krawall und ging aus dem Haus. Auf der Straße stand eine Gruppe ungarischer Häftlinge und beim Kriegerdenkmal ein Wachtmeister, der mit einem Juden, der beim Kriegerdenkmal saß, schrie. Ich ging auf den Wachtmeister zu und dieser fragte mich, was ich wolle. Nun sah ich, dass auch ein Jude neben dem Kriegerdenkmal auf der Erde lag und am Kopf ganz blutig war. Nun bat ich den Wachtmeister, er möge die beiden Juden auf den Leiterwagen aufladen und mitnehmen. Dieser schrie mich gleich an: "Was wollen sie? Das sind ja Juden, die gehören niedereschossen.‘ Hierauf erwiderte ich ihm, das sind ja auch Menschen, der Wachtmeister begann aber mit mir noch mehr zu schreien, und aus Angst lief ich davon. Gegen 10 Uhr vormittags erzählten mir Kinder, dass der beim Kriegerdenkmal liegende Jude bereits gestorben sei. Da die Gruppe mit den Gefangenen bereits weg war, ging ich abermals zum Kriegerdenkmal und fand die Leiche des einen Juden mit einem Mantel zugedeckt, vor. Ich hob den Mantel etwas auf und sah, dass aus Mund und Nase Blut geflossen war. Ich ging dann wieder nach Hause und nachmittags gegen 15 Uhr kamen Soldaten die im Ort kampierten mit einem Streifenwagen, den sie ohne Pferdegespann zogen, luden den Juden auf und fuhren Richtung Engerau weiter. Auch meine Gattin Anna hat die Leiche beim Kriegedenkmal liegen gesehen.“

Wolfsthal, am 13. 7. 1945

"Protokoll (in LG Wien Vg 2b Vr 564/45 / 1. Engerau-Prozess) aufgenommen mit dem Gemeindekutscher Franz B., Hainburg, Babenbergerstraße 29 wohnhaft, gibt dem Ausforschungsbeamten Johann Lutschinger und dem Gendarm Karl Brandstetter des Gendarmeriepostens Hainburg, folgendes an:

Am 30. März 1945 (Karfreitag) um 3 Uhr früh weckte mich Herr Hartl auf und sagte ich solle sofort einspannen, was ich auch tat. Als ich mit den Pferden aus dem Stall ging teilte mir Hartl mit, daß ich tote Juden von der Straße (Hainburg und Wolfsthal) wegführen müsse. Im Hof standen auch zwei Männer in brauner Uniform, der eine war Pribil, den anderen kannte ich nicht. Beide setzten sich zu mir auf den Wagen und wir fuhren zum Ostarbeiterlager in der Plenkerstraße. Dort stiegen zehn Ostarbeiter in Zivil, mit Schaufeln und Krampen ausgerüstet, dazu. Ich erhielt den Befehl auf der Reichsstraße in Richtung Wolfsthal zu fahren. An der Straßengabelung beim Dreieckigen Kreuz lag die erste Leiche. Ich bemerke, dass es zu dieser Zeit noch finster war. Vier Ostarbeiter luden die Leiche am Wagen. Wir fuhren hernach nach Wolfsthal weiter. Zehn Meter weiter lag im Straßengraben die zweite Leiche, die ebenfalls die Ostarbeiter auf den Wagen luden. Nun fuhren wir weiter zu den am Stadtrand von Hainburg befindlichen Scheunen wo sich der Panzergraben befindet. Bei diesen blieb ich stehen und die Leichen wurden abgeladen. Sechs Ostarbeiter blieben beim Panzergraben zum Grabschaufeln zurück, während ich, die beiden politischen Leiter und vier Ostarbeiter gegen Wolfsthal weiterfuhren. Wir fuhren ca. 2 km auf der Straße entlang und haben hiebei sechs im Straßengraben liegende Leichen aufgeladen. Mit diesen Leichen fuhren wir zurück zum Panzergraben, wo sie abgeladen wurden. Es war bereits Tageslicht und ich konnte die Leichen sehen. Bei allen sah ich Blut im Gesicht, bei einigen Juden sah ich Wunden im Gesicht, die auf Ausschüsse schließen lassen. Nun fuhr ich mit meinem Fuhrwerk ca. 50m entfernt zu einer Scheune wo ich stehen blieb. Ich beobachtete nun wie die zehn Ostarbeiter die Juden eingegraben haben

Hainburg, den 13. Juli 1945"

Am 19. Juli um 7 Uhr morgens begab sich eine Gerichtskommission, bestehend aus dem ermittelnden Staatsanwalt Dr. Wolfgang Lassmann, Landesgerichtsdirektor Richter Dr. Schulz, zwei Gerichtsärzten, einer Schriftführerin, dem Dolmetsch der Radiosendung "russische Stunde" Dr. Johann Wolanski und dem Gendarmen Brandstetter sowie einem Laboranten als Gerichtszeugen nach Hainburg. Unverzüglich suchten sie mit dem vom Gendarmeriepostenkommando Hainburg zur Verfügung gestellten Kraftwagen die etwa 2 km außerhalb der Stadt gelegene Auffindungsstelle eines Massengrabes auf, das sich an der von Hainburg nach Wolfsthal, Berg und Engerau führenden Straße befand, und zwar in der Nähe eines Panzergrabens (nur oberflächig zugeschüttetes Grab) festgestellt, und nach dessen Freilegung ein Protokoll über die in diesem Grab befindlichen Leichen angelegt. Aufgrund der vorhandenen Verletzungen (Schuss- und Stichwunden an Kopf und Hals) erklärte der Gerichtsmediziner Prof. Dr. Leopold Breitenecker jedoch, eine genaue Untersuchung an Ort und Stelle nicht vornehmen zu können, weshalb er die Überführung der Toten in das Gerichtsmedizinische Institut in Wien anregte. Nach Rücksprache mit der sowjetischen Ortskommandantur wurde ein russisches Transportauto mit Anhänger zur Verfügung gestellt, auf dem die Leichen samt den vorgefundenen Papieren und Dokumenten nach Wien überführt wurden, wo der Transport um 17.30 Uhr eintraf.

Im Institut für Gerichtliche Medizin der Universität Wien, IX, Sensengasse 2 wurden die Leichen obduziert.

Zusammenfassendes Gutachten vom 25. 7. 1945 (in LG Wien Vg 2b Vr 564/45 / 1. Engerau-Prozess):

I. Die südöstlich der Reichsstraße zwischen km 46 und 47 auf freiem Felde ausgegrabenen 10 Leichen, konnten ausnahmslos durch die bei ihnen vorgefundenen Dokumente agnosziert werden.
Es sind dies die Leichen
Nr. 1 Dr. Rudolf Pevny,
Nr. 2 Arnold Herz,
Nr. 3 Ernö Lendler,
Nr. 4 Alfred Steiner,
Nr. 5 Isidor Lehner,
Nr. 6 Elemer Hartslein,
Nr. 7 Laszlo Szekely,
Nr. 8 Jakob Klein,
Nr. 9 Kalman Grohsz,
Nr. 10 Tibor Gold.

II. Die Leichen lagen mehr als 1m tief in festem Erdreich in mehreren Lagen, wobei die oberen Schichten Kopf gegen Fuß in nordsüdlicher Richtung meist am Rücken nebeneinanderlagen, während in den unteren Schichten die Leichen sich vielfach z. T. überkreuzt z. T. in der Bauchlage befanden.

III. Auffallend krankhafte Veränderungen fanden sich nur bei der Leiche 1 des Dr. Rudolf Pewny. Wie weit bei den anderen 9 Leichen solche krankhaften Veränderungen bestanden, konnte an den stark verwesten Leichen nicht mehr festgestellt werden.

IV. Nach den aufgefundenen krankhaften Veränderungen muß angenommen werden, dass Dr. Rudolf Pewny infolge der krankhaften Veränderungen des Herzens an Herzlähmung eines natürlichen Todes gestorben ist, wobei die Strapazen den Eintritt des Todes begünstigt haben können.

V. Bei den Leichen 2-10 konnte ein gewaltsamer Tod durch Erschießen festgestellt werden.
Die Leichen Arnold Herz, Alfred Steiner, Isidor Lehner, Laszlo Szekely und Tibor Gold wiesen Kopfdurchschuss auf. Die Leichen Ernö Lendler, Elemer Hartslein, Jakob Klein und Kalman Grohsz wiesen Halsdurchschüsse auf, wobei bei den Leichen 6, 8 und 9 der Schuss gegen den aufgestellten Mantelkragen entweder mit angesetzter Mündung oder aus unmittelbarer Nähe abgefeuert worden ist, da sich hier am Stoff Pulverreste chemisch nachweisen ließen.

VI. Die Verletzungen waren derart, dass mit dem Eintritt des Todes kurz nach Erhalt des Schusses in allen Fällen gerechnet werden kann."

V) Friedhof Bad Deutsch-Altenburg

Auf dem Friedhof (neben der Pfarrkirche auf einer Bergkuppe außerhalb des Ortes) befindet sich ein Massengrab mit Gedenkstein für 11 ermordete Juden (Gruppe 3, Reihe 1, Grab 16 und 17 an der Friedhofsmauer)

Text:
Kriegsgrab
1939-1945
11 unbekannte Israeliten
1945

Stifter: Israelitische Kultusgemeinde Wien

Errichtet im Sommer 1945

Die Anzahl der hier bestatteten Opfer ist nicht genau bekannt. Die Quellenangaben schwanken zwischen 15 oder 16 Personen, obwohl auf der Grabsteininschrift nur 11 "unbekannte Israeliten" angeführt werden. Die hier bestatteten ungarischen Juden waren knapp vor der Befreiung in den letzten Märztagen des Jahres 1945 aus dem Lager für ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Engerau (heute Bratislava/Petrzalka, Slowakei) in einem "Todesmarsch" zu Fuß durch Hainburg und Bad Deutsch-Altenburg zur Schiffsverladestation nahe dem Kurpark getrieben worden. Die vor Erschöpfung Zurückgebliebenen wurden von der Begleitmannschaft erschossen und blieben auf der Straße liegen. Der damalige Bürgermeister von Bad Deutsch-Altenburg ließ die Opfer auf dem Ortsfriedhof von Kriegsgefangenen in einem Schachtgrab beerdigen.

Die Gedenkfahrt wurde hier mit einer Ansprache von Dr. Eleonore Lappin abgeschlossen.

 

Bericht über die Gedenkfahrt nach Engerau 2004

Bericht über die Gedenkfahrt nach Engerau 2003

Bericht über die Gedenkfahrt nach Engerau 2002

DIE NÄCHSTE GEDENKFAHRT NACH ENGERAU FINDET 2006 STATT
Kontakt: info@nachkriegsjustiz.at

Bericht von Claudia Kuretsidis-Haider
Fotos von Friedl Garscha, Claudia Kuretsidis-Haider und Willi Wagner




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Gedenk-kundgebung beim jüdischen Massengrab auf dem Friedhof von Engerau: Tomas Tandlich und Claudia Kuretsidis-Haider (links), Jonny Moser (Mitte)



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Eleonore Lappin, Claudia Kuretsidis-Haider

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Jonny Moser

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Friedl Garscha verliest den Bericht der slowakischen Untersuchungs-kommission 1945


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Tomaš Tandlich

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Totengebet


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