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Holocaust vor Gericht: Die Deportation der Wiener Juden in den Jahren 1941 und 1942 und die österreichische Justiz nach 1945

Dass der Gedenkkomplex für die rund 65.000 ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden dem Wiener Judenplatz errichtet wurde, lag nicht nur am Namen und an der zentralen Lage des Platzes, sondern vor allem am Bezug dieses Ortes zu den historischen Wurzeln des Judenhasses in Wien: Auf diesem Platz hatte sich die mittelalterliche Synagoge befunden, deren Reste übrigens bei den Vorbereitungsarbeiten für den Gedenkkomplex freigelegt wurden. Im Jahr 1420, während des ersten großen Pogroms, waren Mitglieder der jüdischen Gemeinde in die Synagoge geflüchtet und hatten kollektiven Selbstmord begangen.
Die Auseinandersetzung um das Denkmal – das auf eine Initiative Simon Wiesenthals im Jahre 1994 zurückgeht – und seine Situierung ging quer durch die jüdische Gemeinde Wiens. Sie wurde zeitweise sehr heftig geführt. In der Debatte um die Wahl des richtigen Platzes für ein derartiges Denkmal kamen zwei Orte nicht vor, die weit angemessener gewesen wären, weil sie für die verfolgten Wiener Juden eine ähnliche Rolle gespielt hatten wie der Umschlagplatz in Warschau, die allerdings weitab vom Stadtzentrum liegen. Es waren dies das ehemalige Palais Rothschild in der Nähe des Südbahnhofs, in dem die Nazis die sogenannte "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" untergebracht hatten, und der Aspang-Bahnhof im dritten Wiener Gemeindebezirk. In der "Zentralstelle" wurden die Deportationen geplant, vom Aspang-Bahnhof fuhren sie ab.

Der erste von insgesamt 45 Zügen wurde am 15. Februar 1941 an der im Frachtenbereich des Aspang-Bahnhof gelegenen Post-Rampe beladen und verließ Wien in Richtung Pulawy in Polen, und fuhr von dort weiter nach Opole im Distrikt Lublin des damaligen "Generalgouvernements". Die 996 Deportierten waren in den drei Jahren zuvor sukzessive aus ihren Wohnungen vertrieben und in sogenannte Judenhäuser gepfercht worden, die meist im zweiten Gemeindebezirk, der Leopoldstadt, gelegen waren. Die zur Deportation bestimmten Personen mussten sich in einem der beiden Wiener Sammellager, die in der Leopoldstadt eingerichtet wurden, einfinden. Für ihre Verpflegung war die Israelitische Kultusgemeinde zuständig.
An ihrem Zielort, in Opole Lubelskie, lebten damals bereits über 7.000 Jüdinnen und Juden. Knapp viereinhalb Tausend hatten vor dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 dort gelebt und die Mehrheit der Bevölkerung gebildet. Ende Dezember 1939 vertrieben die deutschen Besatzer 2.500 jüdische Bewohner der Kreisstadt Pulawy – sie mussten von den Juden Opoles aufgenommen werden. 1940 wurde die Altstadt von Opole in ein Ghetto umgewandelt. Die Zwangsumgesiedelten mussten sich teilweise die Wohnungen mit der örtliche jüdischen Bevölkerung teilen, teilweise wurden Baracken errichtet, und auch eine Synagoge wurde in ein Massenquartier umgewandelt.
In die überfüllten Wohnungen des Ghettos kamen nun, in der zweiten Februarhälfte 1941, über 2.000 Juden aus Wien – 11 Tage nach dem ersten Transport fuhr nämlich ein Zug mit weiteren 1.049 Menschen vom Aspang-Bahnhof in Richtung Pulawy. In Opole trafen in den darauffolgenden Wochen vertriebene jüdische Familien aus verschiedenen polnischen Orten ein, sodass bald weit mehr als 8.000 Menschen in dem übervölkerten und unzureichend mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgten Ghetto lebten. Der Ausbruch von Seuchen war unvermeidlich, in kurzer Zeit starben 1.500 Menschen. Im März 1942 begann die Liquidierung des Ghettos. Polnische Juden wurden in das Vernichtungslager Belzec gebracht, gleichzeitig kamen die letzten Juden aus den umliegenden Dörfern in das Ghetto Opole, aber auch Juden aus der Slowakei wurden hierher deportiert. Im Mai 1942 ging ein Transport mit 2.000 Männern, Frauen und Kindern ins Vernichtungslager Sobibór ab. Im Oktober 1942 wurde das Ghetto geräumt: 500 Menschen wurden an Ort und Stelle erschossen, von den restlichen 8.000 wurden die Arbeitsfähigen ins nahe gelegenen Arbeitslager Poniatowa gebracht, wo sie in den Folgemonaten von ukrainischen Hilfswilligen, den so genannten Trawniki-Männern, zu Tode geschunden oder bei der Liquidierung des Lagers im November 1943 von der SS erschossen wurden. Die Trawiniki-Männer waren sogenannte "fremdvölkische" Einheiten des SS- und Polizeiführers im Distrikt Lublin, Odilo Globocnik, die im SS-Ausbildungslager Trawniki bei Lublin unter der Leitung von Hermann Höfle – übrigens, wie Globocnik, ein Österreicher – für die Ermordung der Juden eingeschult wurden. Die übrigen Bewohner des Ghettos von Opole wurden im Vernichtungslager Sobibór ermordet. Damit hatte auch der Leidensweg der meisten der 2.045 Wiener Jüdinnen und Juden, die im Februar 1941 hierher deportiert worden waren, sein Ende. Einigen Wenigen war in den ersten Tagen ihres Aufenthalts in Opole die Flucht geglückt. Sie waren meist nach Wien zurückgekehrt, von wo einige von ihnen ein zweites Mal deportiert wurden. 28 der 2.045 haben das Jahr 1945 erlebt.
Die erwähnten 45 Züge wurden in nicht einmal zwei Jahren am Wiener Aspang-Bahnhof abgefertigt, zwischen dem 15. Februar 1941 und dem 9. Oktober 1942. Die Zielorte lagen in Tschechien (dem damaligen Reichsprotektorat), in Polen, sowie in Weißrussland und im Baltikum.
* 13 Transporte gingen nach Theresienstadt, von wo viele später weiter nach Auschwitz-Birkenau und Minsk-Maly Trostinec deportiert wurden.
* 10 nach Minsk, davon 1 ins dortige Ghetto, die übrigen 9 zum Landgut Maly Trostinec, einer ehemaligen Kolchose am südlichen Stadtrand der weißrussischen Hauptstadt. Die Ankommenden wurden am Güterbahnhof Minsk selektiert, jeweils 20 bis 50 der kräftigsten Personen wurden für die Arbeit auf dem Landgut ausgesondert, die übrigen auf Lastautos verladen und in einen nahe Maly Trostinec gelegenen Wald gebracht. Dort waren rechtzeitig vor der Ankunft der Transporte große Gruben ausgehoben worden, wo jedesmal 950 bis 980 Menschen erschossen wurden. Ab Anfang Juni wurden im Wald von Maly Trostinec auch Gaswagen eingesetzt. 17 der 9.000 hierher deportierten Wiener Jüdinnen und Juden haben überlebt.
* 5 Züge kamen in Lódz an, das die Deutschen in Litzmannstadt umbenannt hatten,
* 4 Züge fuhren nach Riga,
* 4 weitere zur kleinen Bahnstation Izbica bei Zamosc, wo sie mehrere Tage bis mehrere Monate auf ihre Ermordung im Vernichtungslager Belzec warten mussten. Von den rund 4.000 aus Wien hierher Deportierten hat niemand überlebt.
* Je 1 Deportationszug ging nach Kielce, Modliborzyce und Wlodawa in Polen, 1 Zug ging nach Ostrowiec und wurde von dort auf die beiden Orte Opatów und Lagów aufgeteilt,
* 1 Transport ging nach Kaunas in Litauen (dieser Zug war ursprünglich für Riga bestimmtgewesen);
* 1 Zug wurde direkt bis ins Vernichtungslager Sobibór geführt,
* 1 weiterer nach Auschwitz.
Jeder dieser Züge transportierte jeweils durchschnittlich 990 bis 1.000 Menschen, nur in die Züge nach Theresienstadt wurden bis zu 1.300 Menschen gepfercht.
Insgesamt wurden auf diese Weise innerhalb weniger Monate über 45.000 Jüdinnen und Juden aus Wien abtransportiert. Zum Transport wurden Züge dritter Klasse eingesetzt, nur die Insassen der Transporte nach Minsk und Maly Trostinec wurden unterwegs in Viehwaggons umgeladen, vermutlich beim Übergang von der europäischen Normalspur zum russischen Breitspur-Geleise.
Unter den Deportierten befanden sich kleine Kinder und gebrechliche Greise. Viele haben die unbeschreiblichen hygienischen Bedingungen der mehrtätigen Transporte nicht überlebt, andere haben den Verstand verloren. Sie kennen alle die Bilder und Erinnerungsberichte, ich kann mir ersparen, darüber zu sprechen.
Zusammen mit den beiden Tranporten von rund 1500 Wiener Juden nach Nisko am San im Oktober 1939 und mehreren kleineren Transporten von insgesamt rund 2000 nach Theresienstadt und Auschwitz in den Jahren 1943 und 1944 wurden – und das ist der Wissensstand von Oktober 2000 – 48.593 Menschen direkt aus Wien in die Ghettos und Vernichtungslager deportiert. 2.098 von ihnen haben überlebt. Zusammen mit den über 16.000, die aus anderen Ländern deportiert wurden, in die sie vorher ausgewiesen worden waren oder geflüchtet waren, ergibt das die eingangs erwähnte Zahl von knapp 65.000 – das ist ein Drittel der gesamten jüdischen Bevölkerung.
(Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass im Anschluss an die fünf Transporte von Wiener Jüdinnen und Juden nach Litzmannstadt, die den Aspang-Bahnhof in der zweiten Oktoberhälfte 1941 verließen, fünf Transporte burgenländischer Roma-Familien, ebenfalls mit jeweils 1.000 Menschen pro Deportationszug – allerdings nicht von Wiener, sondern von burgenländischen Bahnhöfen, siehe Anmerkung am Ende dieses Beitrags! – nach Litzmannstadt abgingen, wo sie in einem eigenen Zigeunerlager untergebracht wurden. Über 600 starben bereits kurz nach ihrer Ankunft an Fleckfieber, mit dem sie sich bereits in Lackenbach angesteckt hatten, die übrigen wurden zu Jahresbeginn 1942 mit Hilfe von Gaswagen im nahegelegenen Chelmno, deutsch Kulmhof, ermordet. Mehr dazu auf der DÖW-WebSite: http://doewweb01.doew.at/thema/thema_alt/wuv/roma/geschichte.html.)

Ich möchte in meinem Beitrag dem Schicksal der Täter nachgehen, die diese Menschen auf dem Gewissen hatten.
Die Durchführung der Deportationstransporte war eine anstrengende Aufgabe, die organisatorisches Geschick, Umsicht und Durchsetzungsvermögen innerhalb des Kompetenzdschungels nationalsozialistischer Behörden erforderte.
Schon im März und April 1938, als die nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht eingerichtete Wiener Gestapoleitstelle noch im Aufbau begriffen war, wurden erste Versuche unternommen, die Polizeimaßnahmen gegen die Wiener Juden, immerhin 11 Prozent der Wiener Bevölkerung zu dieser Zeit, zu koordinieren. Besondere Initiative entwickelte der aus Berlin angereisten Gestapo-Beamte Adolf Eichmann, der sich zum Diktator über die Israelistische Kultusgemeinde aufschwang. Im Sommer 1938 gelang es ihm, in Berlin durchzusetzen, dass alle mit der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung Wiens befassten Behörden zu einer "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" zusammengefasst wurden, die – wie Hans Safrian in seinem Buch über "Die Eichmann-Männer" formulierte – so funktionierte, dass "die Antragsteller in einer Art Behörden-Fließband-System abgefertigt" wurden. Zweck dieser bürokratischen Rationalisierungsmaßnahme war es, möglichst viele Juden in möglichst kurzer Zeit zur "freiwilligen" Ausreise zu veranlassen und ihnen dabei möglichst viel Geld abzunehmen. Das Wiener Modell funktionierte so gut, dass es in Berlin und später im besetzten Prag kopiert wurde.
Adolf Eichmann war zwar gebürtiger Deutscher, aber – wie übrigens auch Hitler – im oberösterreichischen Linz aufgewachsen und hier Nationalsozialist geworden. Die meisten sogenannten Eichmann-Männer waren österreichische SA- und SS-Angehörige, viele von ihnen waren vor 1938, als die NSDAP in Österreich verboten war, nach Deutschland gegangen und dort entweder der sogenannten Österreichischen Legion beigetreten oder mit untergeordneten Verwaltungsaufgaben betraut worden. Es gab allerdings auch welche, die erst im März 1938 der NSDAP beitraten. Hans Safrian charakterisiert die "Eichmann-Männer", als "durchschnittliche österreichische Nationalsozalisten". Sie "hatten den Aufstieg von Arbeitslosen oder Landesflüchtigen zu Mitgliedern einer vermeintlichen Elite-Organisation geschafft. Eichmanns Männer genossen ihre Macht [...]. In der schwarzen Uniform konnten die ehemals gescheiterten Existenzen als 'Herrenmenschen' agieren, konnten nach belieben 'jüdische Untermenschen' herumkommandieren, anbrüllen, erniedrigen und misshandeln. Dafür benötigten sie weder Ausbildung noch ideologische Schulung; Antisemitismus musste ihnen nicht erst beigebracht werden."
Diejenigen, denen die Ausreise nicht möglich gewesen war, wurden ab Februar 1941, nach dem Scheitern des so genannten Madagaskar-Plans, in die eroberten Ostgebiete deportiert – zuerst in das Generalgouvernement und den Warthegau, ab dem Herbst 1941 – nach dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion und der Massenmorde der Einsatzgruppen – dann in das sogenannte Reichskommissariat Ostland, d.h. nach Minsk, Riga und Kaunas. Die Durchführung lag in den Händen des bereits eingespielten Apparats der Zentralstelle für jüdische Auswanderung. Von ihrer Ermordung war im Frühjahr 1941 noch nicht die Rede, ab dem Herbst desselben Jahres wurde klar, dass Deportation letztendlich Vernichtung bedeutete, wenngleich die Beteiligten nach dem Krieg behaupteten, sie hätten nicht wissen können, was mit den Insassen der von ihnen zusammengestellten Deportationszüge passiert.
Wofür sich die Gestapo-Beamten hingegen sehr wohl interessierten, waren Möbel, Wäsche und andere Gegenstände, welche die Deportierten in ihren Wohnungen zurücklassen mussten. Dafür wurde eine eigene Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut, besser bekannt unter der Abkürzung "Vugesta", gebildet.
Für die großen Vermögen war schon früher eine andere Einrichtung, die sogenannte Vermögensverkehrsstelle, geschaffen worden, die für die Durchführung der "Arisierungen" zuständig war. Mit deportierten Juden kamen deren Beamte allerdings kaum persönlich in Berührung. Allerdings waren sie in die Abwicklung der Deportationen voll eingebunden. Hatte ein zur Deportation Bestimmter noch Vermögenswerte, und das traf in fast einem Viertel der Fälle zu, so wandte sich die Zentralstelle für jüdische Auswanderung an die die Vermögensverkehrsstelle, die veranlasste, dass die Gestapo den betroffenen Juden und damit sein Vermögen als "volksfeindlich" einstufte, womit ein juristisches Mäntelchen für die Enteignung geschaffen war. Die so genannten Einziehungserkenntnisse für dieses "volksfeindliche" Vermögen wurden in der Parteizeitung der NSDAP, dem "Völkischen Beobachter", veröffentlicht – 10.000 an der Zahl, alle persönlich unterzeichnet vom stellvertretenden Wiener Gestapo-Chef Dr. Karl Ebner.

Für ihre schmutzige Arbeit zogen die Gestapo-Beamten auch Juden heran, sogenannte "Ausheber", die die Deportationsbefehle überbrachten und in einigen Fällen auch regelrechte Jagd auf Menschen, die einen gelben Stern tragen mussten, machten, um die jeweiligen Kontingente aufzufüllen. In den beiden Sammellagern wurden die zur Deportation bestimmten Menschen misshandelt, gedemütigt und beraubt; die von Gestapo-Beamten durchgeführte Beraubung nannte sich "Kommissionierung", dabei mussten Wertsachen und Papiere abgegeben werden, das Gepäck wurde durchwühlt.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Transporte vom Aspang-Bahnhof bis zu ihrem Bestimmungsort – sei es nun das Ghetto Theresienstadt, das Vernichtungslager Sobibór oder die Grube im Wald von Maly Trostinec – von Wiener Schutzpolizisten begleitet wurden

Das Schicksal Adolf Eichmanns ist bekannt. Ich möchte nun darauf eingehen, was aus den Eichmann-Männern nach 1945 geworden ist und in welcher Weise die österreichische Justiz ihre Taten geahndet hat.

Eichmanns "rechte Hand" war Alois Brunner. 1941/42,während der Zusammenstellung der großen Deportationstransporte, war er Leiter der Zentralstelle. Er war unter den Wiener Juden als brutaler Schläger gefürchtet. Seine Vorgesetzten im Reichssicherheitshauptamt waren mit seiner Leistung – Abtransport von 7/8 der damals noch in Wien lebenden Jüdinnen und Juden – so zufrieden, dass sie ihn ab Februar 1943 in Griechenland einsetzten, wo er innerhalb von nicht einmal vier Monaten 46.000 Juden nach Auschwitz deportieren ließ. Anschließend setzte er sein Werk in Frankreich und in der Slowakei fort.
Nach dem Krieg gelang ihm die Flucht – vermutlich über Spanien, Italien und Ägypten – nach Syrien.
1954 wurde Brunner in Frankreich in Abwesenheit zweimal (in Marseille und in Paris) zum Tode verurteilt. In Österreich war seit 1947 gegen ihn ein Verfahren anhängig. Da der Tatverdächtige nicht auffindbar war, blieb das Verfahren gemäß § 412 der österreichischen Strafprozessordnung "abgebrochen", d.h. es ruhte bis zu seiner möglichen Verhaftung. Das ist der normale Vorgang in solchen Fällen – vor allem, wenn, wie im Falle Brunners, der mutmaßliche Aufenthaltsort des Beschuldigten bekannt ist, aber keine Möglichkeit besteht, eine Auslieferung zu erreichen. Am 23. Januar 1960 begab sich jedoch Erstaunliches. Die Staatsanwaltschaft Wien gab eine Erklärung nach § 109 der Strafprozessordnung ab, wonach sie keinen Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung des Beschuldigten finde, woraufhin der Untersuchungsrichter das Verfahren gegen Brunner einstellte.
Nach einer derartigen Einstellung kann das Verfahren nur mehr dann wieder aufgenommen werden, wenn neue Beweismittel beigebracht werden, die – wie es in der Strafprozessordnung heißt – "geeignet erscheinen, die Überführung des Beschuldigten zu begründen". Bereits in den ersten Nachkriegsjahren hatten Justiz und Polizei ausreichend Beweise dafür zusammengetragenen, dass Brunner die Ermordung von rund 130.000 bis 140.000 Menschen vorbereitet hatte. Da nicht zu erwarten war, dass 15 Jahre nach Kriegsende zusätzliche Dokumente oder Zeugenaussagen auftauchen würden, war dies wohl der erste Schritt dazu, Alois Brunner die Rückkehr in die Heimat als freier Mann zu ermöglichen. Wir wissen nicht, wer die Fäden für diese zumindest erstaunlich zu nennende Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft zog. Justizminister war damals der Sozialdemokrat Otto Tschadek, der schon in den Jahren zuvor nicht durch einen übergroßen Eifer bei der Verfolgung von NS-Verbrechen aufgefallen war.
Doch bevor die stillschweigende Pardonierung Brunners passieren konnte, wurde sein Chef, Adolf Eichmann, gefasst. Und im Prozess in Jerusalem kamen nun ab April 1961 tatsächlich jene Beweismittel zum Vorschein, auf Grund derer die Staatsanwaltschaft Wien am 10. Mai 1961 einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellte, dem am 8. Juni vom Landesgericht Wien stattgegeben wurde. Da Brunner aber in seinem Zufluchtsort in Damaskus weiter dem Zugriff der österreichischen Justiz entzogen blieb, wurde das Verfahren 1962 formal abgebrochen.

Weniger Glück hatte Alois Brunners Namensvetter Anton Brunner, zur Unterscheidung von seinem zeitweiligen Chef auch "Brunner II" genannt. Anton Brunner war Sachbearbeiter für die erwähnten "Kommissionierungen" in der Zentralstelle. Wegen der unzähligen Übergriffe bei der Durchsuchung der zur Deportation bestimmten Menschen in den Sammellagern in der Leopoldstadt 1941/42 wurde im September 1945 gegen ihn vor dem Volksgericht Wien ein Verfahren nach dem Kriegsverbrechergesetz eingeleitet, und zwar wegen Quälereien und Misshandlungen, teilweise mit Todesfolge, und wegen Verletzung der Menschenwürde. Wegen seiner Mitwirkung an den Deportationen wurde darüber hinaus gegen ihn Anklage gemäß Paragraph 5a Kriegsverbrecherrgesetz erhoben. Dieser Paragraph stellte die Vertreibung aus der Heimat unter Strafe – wer daran führend mitgewirkt hatte, war mit dem Tode zu bestrafen. Nach einwöchiger Hauptverhandlung wurde Anton Brunner am 10. Mai 1946 vom Volksgericht Wien zum Tode verurteilt und 14 Tage später hingerichtet.
Gemeinsam mit Anton Brunner wurde auch das Verfahren gegen den zeitweiligen Kommandanten des Ghettos Theresienstadt, Siegfried Seidl, eingeleitet. Seidl war für den Weitertransport der aus Wien nach Theresienstadt deportierten Juden in die Vernichtungslager verantwortlich. Er wurde am 3. Oktober 1946 zum Tode verurteilt und am 4. Februar 1947 hingerichtet.

Ein anderer Stellvertreter Alois Brunners, nämlich Ernst Girzick, war zeitweilig ebenfalls in Theresienstadt eingesetzt und organisierte in der "Zentralstelle für die Regelung der Judenfrage in Böhmen und Mähren" die Deportation von Juden aus dem Reichsprotektorat, bevor er nach Ungarn abkommandiert wurde und dort von März bis Dezember 1944 mithalf, fast eine halbe Million Menschen in die Gaskammern von Auschwitz-Birkenau zu verfrachten. Gegen Girzick wurde Ende 1946 ein Verfahren vor dem Volksgericht Wien eingeleitet, das sich bis zum 3. September 1948 hinzog. Damals wurden keine Todesurteile mehr verhängt.
Mit ziemlicher Sicherheit hat Girzick auch davon profitiert, dass die österreichischen Volksgerichte in der Regel keine ausländischen Zeugen vorluden und nur in Ausnahmefällen auf ausländische Beweismittel zurückgriffen, weshalb Verbrechen außerhalb Österreichs meist, wenn überhaupt, wesentlich milder bestraft wurden als solche, die gewissermaßen vor der Haustüre der österreichischen Bevölkerung begangen worden waren. Die Begleitumstände seiner Tätigkeit im Protektorat und in Ungarn blieben daher im Dunklen. Eine "führende" Rolle im Sinne des Gesetzes wollte das Gericht nicht erkennen. Dass er an Deportationen "in größerem Umgange" mitgewirkt hatte, stand außer Zweifel. Das Gesetz sah hierfür einen Strafrahmen von 10 bis 20 Jahren schweren Kerkers vor. Girzick wurde zu 15 Jahren verurteilt, fünf Jahre später wurde er begnadigt.

Die Leitung der Wiener Gestapo war selbstverständlich an der Organisierung der Deportationen beteiligt. Gestapochef Franz Josef Huber gelang es nach 1945 alle Spuren zu verwischen und in seiner Heimatstadt Nürnberg sogar "entnazifiziert" zu werden. Sein Stellvertreter Karl Ebner war Wiener. Doch auch dieser hatte vorgebaut: Seit der deutschen Niederlage in Stalingrad hatte er gezielt Gestapohäftlingen – nach Möglichkeit Prominenten, von denen er sich nach Kriegsende Hilfe erwarten konnte – geholfen; auch einige Juden waren darunter. Der Lohn blieb nicht aus: Auf Grund der Beweislage stellte die Staatsanwaltschaft im Oktober 1948 das Verfahren wegen Paragraph 5a Kriegsverbrechergesetz, also Vertreibung aus der Heimat, ein. Aus unserer heutigen Kenntnis der Sachlage, ist nicht einsichtig, dass die Person, die allein 10.000 Enteignungsdekrete von Deportierten unterschrieben hat, keine führende Rolle bei der Deportation gespielt haben soll. Allerdings wurde Ebner am 11. Dezember 1948 wegen seiner sonstigen Verbrechen zu 20 Jahren schweren Kerkers verurteilt.
Im so genannten Judenreferat der Wiener Gestapo arbeitete Johann Rixinger. Gegen ihn wurde wegen Teilnahme am Verbrechen der Vertreibung, der Quälerei und Misshandlung sowie wegen missbräuchlicher Bereicherung ermittelt, das Volksgericht Wien verurteilte ihn dafür am 11. Oktober 1947 zu 10 Jahren schweren Kerkers.

Einem der Leiter der Sammellager in der Leopoldstadt, Alfred Slawik, wurde neben seiner Mitwirkung an den Deportationen in Wien auch "missbräuchliche Bereicherung" sowie Misshandlungen in Wien, Budapest, der Slowakei und Bayern zur Last gelegt. Trotz der langen Liste der Delikte kam er mit 5 Jahren davon – der Hauptgrund hierfür war wohl das späte Datum seiner Verurteilung: Der 20. September 1949. 1953 wandten sich die griechischen Behörden an die österreichische Justiz und legten umfangreiches Beweismaterial gegen Wiener Polizisten vor, die sich in Griechenland an Massenhinrichtungen, willkürlichen Morden sowie an Deportationen beteiligt hatten – unter ihnen war auch Alfred Slawik. Zu einer Untersuchung dieser Tatvorwürfe konnten sich, wie die Akten zeigen, Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter nie durchringen. Anfang 1957 wurde dieses – nie wirklich ernsthaft geführte – Verfahren eingestellt.
Gegen einen anderen Lagerleiter, Ernst Brückler, wurde wegen der "Arisierung" einer Wohnungseinrichtung in der Wiener Innenstadt sowie wegen Misshandlung unter Ausnützung seiner dienstlichen Gewalt als interimistischer Leiter der so genannten Bemessungsabteilung in der Zentralstelle für jüdische Auswanderung ermittelt, die gerichtliche Voruntersuchung gegen ihn wurde allerdings erst 1951 eingeleitet. Im Oktober 1955 wurde die Anzeige von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt, weil die Beweismittel nicht ausreichten.

Die erwähnten jüdischen "Ausheber" wurden von einem SS-Mann, der sich besonders hervortat, kommandiert: Josef Weiszl [Anm.]. Er war nach Wien auch in Prag und Paris eingesetzt worden. Wegen seiner Rolle im Lager Drancy bei Paris wurde er 1949 durch den ständigen Militärgerichtshof in Paris zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Strafe wurde 1952 auf 20 Jahre Zuchthaus herabgesetzt. Im Hinblick auf diese Verurteilung wurde er in Österreich außer Verfolgung gesetzt.

Wer die deportierten Juden nicht misshandelt, sondern nur beraubt hatte, durfte mit Milde rechnen. Zwar wurden gegen die Beamten der "Vugesta", der Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo Wien, gerichtliche Voruntersuchungen eingeleitet, aber nur wenige wurden verurteilt.
Von einem Verfahren gegen auch nur einen der vielen Schutzpolizisten, die während der Begleitung der Transporte ja nur ihre Pflicht erfüllten, ist mir nichts bekannt.

Einer der wichtigsten Unterschieden zwischen der Volksgerichtsbarkeit zwischen 1945 und 1955 und den Verfahren vor Geschworenengerichten ab 1956 zeigte sich auch in den Verfahren gegen Verantwortliche für die Deportation von fast 50.000 Wiener Jüdinnen und Juden: Wer bis zur Auflösung der Volksgerichte im Dezember 1955 nicht verurteilt worden war, hatte gute Chancen, unbestraft davonzukommen. Und wem bis Mitte der siebziger Jahre nichts passiert war, der brauchte nichts mehr zu fürchten. Die letzte Verurteilung wegen eines Nazi-Verbrechen erfolgte in Österreich 1972, der letzte Prozess fand 1975 statt.

Ein einziges Deportations-Verfahren konnte nach der Abschaffung der Volksgerichte von der Staatsanwaltschaft anklagereif gemacht werden – das gegen Eichmanns Transportoffizier Franz Novak. Auch dieses Verfahren war erst durch den Eichmann-Prozess in Jerusalem veranlasst worden. Ich möchte abschließend auf dieses Verfahren näher eingehen, weil kein anderes Gerichtsverfahren das Unverständnis der österreichischen Justiz der sechziger Jahre für die Dimensionen und Besonderheiten der NS-Gewaltverbrechen deutlicher machte als dieser Prozess, der zudem den Rekord von drei Urteilsaufhebungen und vier Hauptverhandlungen vor einer Geschworenen-Jury aufzuweisen hat.
Es gab Prozesse, in denen die Wahrsprüche der Geschworenen skandalöser ausfielen als im Novak-Prozess. Das Besondere des Novak-Prozesses ist, dass er verdeutlicht, dass das weitgehende Versagen der österreichischen Justiz bei der Verfolgung von NS-Verbrechen in den sechziger Jahren nicht ausschließlich auf das Unvermögen der Geschworenen zurückgeführt werden kann.
Franz Novak, dem es nach dem Krieg gelungen war unterzutauchen, wurde 1961 verhaftet. Die Staatsanwaltschaft beschuldigte ihn des Mordes, begangen durch die Organisierung des Transportes von Juden aus verschiedenen Teilen Europas und deren Übergabe zum Zwecke der Behandlung im Sinne der "Endlösung der Judenfrage" an die Organe von Konzentrationslagern in den vom Deutschen Reich besetzten Ostgebieten, sowie der vorsätzlichen Veranlassung von Angehörigen des Ordnungspolizei, durch Sicherung und Begleitung der Transporte bis zu den Konzentrationslagern unmittelbar an der Vollziehung der Morde auf eine tätige Weise mitgewirkt zu haben.
Am 26. Februar 1963 stellte ein Drei-Richter-Senat, eine sogenannte Ratskammer, am Landesgericht Wien die Voruntersuchung gegen Novak ein, da kein Beweis erbracht wurde, daß er persönlich einen Juden getötet habe. Die Staatsanwaltschaft erhob dagegen umgehend Beschwerde, woraufhin das Oberlandesgericht Wien am 5. April 1963 den Einstellungsbeschluss wieder aufhob.
Die Auseinandersetzung zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft drehte sich um die Anwendbarkeit unterschiedlicher gesetzlicher Bestimmungen. Die Ratskammer sah in Novak einen "entfernten Mitschuldigen", nämlich jemanden, der – wie es im damals gültigen Strafgesetz hieß – "ohne unmittelbar bei der Vollziehung des Mordes selbst Hand anzulegen und auf eine tätige Weise mitzuwirken, auf eine andere [...], entferntere Art zur Tat beigetragen" hat. Das Strafausmaß hierfür betrug zehn bis zwanzig Jahre, was unter anderem bedeutete, dass inzwischen Verjährung eingetreten war. Die Staatsanwaltschaft stellte sich hingegen auf den Standpunkt, dass auf Novak die Bestimmung zutraf, wonach "sowohl der unmittelbare Mörder als auch jeder, der ihn etwa dazu bestellt oder unmittelbar bei der Vollziehung des Mordes selbst Hand angelegt oder auf eine tätige Weise mitgewirkt hat, mit lebenslangem schwerem Kerker bestraft" werden soll. Straftaten, die mit lebenslangem Kerker bedroht waren, waren von der Verjährung ausgeschlossen, d.h. die Strafsache gegen Novak sei wegen Mordes zu führen. Anträge der Staatsanwaltschaft auf Ergänzung der Voruntersuchung wies die Ratskammer am 18. April 1963 ab. Nach der Anklageerhebung am 30. Juni 1964 verlangte die Israelitische Kultusgemeinde den Beitritt zum Verfahren als Privatbeteiligte, was die Ratskammer ablehnte. Die Anklage erfolgte jedoch nicht nur wegen Mord, sondern auch wegen öffentlicher Gewalttätigkeit durch boshafte Handlungen und Unterlassungen unter besonders gefährlichen Verhältnissen beim Betrieb von Eisenbahneinrichtungen, begangen durch die unmenschliche Art der Durchführung der Deportationstransporte. Falls der Täter bei Begehung einer derartigen boshaften Handlung oder Unterlassung den Tod von Menschen vorhersehen konnte, sah das Gesetz lebenslangen schweren Kerker vor, womit dieses Delikt nicht verjährt war.
Nach 21tägiger Hauptverhandlung sprachen die acht Geschworenen am 17. Dezember 1964 Novak mit 5 zu 3 Stimmen schuldig, das Gericht verurteilte ihn zu 8 Jahren schweren Kerkers. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung, die Verteidigung Nichtigkeitsbeschwerde ein. Von der Anklage der Anstiftung zum Mord wurde Novak mit 8 zu 0 Stimmen von den Geschworenen freigesprochen.
Am 15. Dezember 1965 gab der Oberste Gerichtshof der Nichtigkeitsbeschwerde Novaks Folge. Die Laienrichter verstanden die Botschaft des Höchstgerichts auf ihre Weise. Nach einer weiteren Hauptverhandlung, in der nur mehr die Durchführung der Deportationstransporte verhandelt wurde, bejahten sie am 6. Oktober 1966 zwar mehrheitlich die Schuldfrage, sprachen den Angeklagten aber wegen angeblichen Befehlsnotstandes frei und billigten ihm einen Anspruch auf Entschädigung für die Untersuchungshaft zu. Dagegen erhob die Staatsanwaltschaft Nichtigkeitsbeschwerde, der durch den Obersten Gerichtshof am 12. Februar 1968 stattgegeben wurde. Bei der dritten Hauptverhandlung, im Dezember 1969, trat unter anderem der deutsche Sachverständige Dr. Wolfgang Scheffler auf. Das einstimmige Urteil der Geschworenen vom 18. Dezember 1969 lautete auf 9 Jahre schweren Kerkers. Da die Geschworenen jedoch die Zusatzfrage des Gerichts nicht beantworteten, ob Novak vielleicht irrtümlich Befehlsnotstand angenommen hat, was einen Schuldausschließungsgrund dargestellt hätte, erhob die Generalprokuratur "Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes". Dieser – und nicht der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen die niedrige Strafe bzw. der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten – wurde am 8. März 1971 durch den Obersten Gerichtshof stattgegeben. Zwischen 20. März und 13. April 1972 fand eine neuerliche Hauptverhandlung vor einem Wiener Geschworenengericht statt. 7 der 8 Geschworenen befanden Novak für schuldig, im Jahre 1944 (ich zitiere jetzt sinngemäß aus dem Urteil) in Wien und in Ungarn durch die – in Kenntnis der Ziele der "Endlösung der Judenfrage" vorgenommene – Organisierung zahlreicher Transporte jüdischer Männer, Frauen und Kinder aus Ungarn und durch die Veranlassung der Transporte dieser Menschen ohne zureichende Nahrung und ohne zureichendes Trinkwasser, in überfüllten Güterwaggons eingepfercht, aus Bosheit eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit und körperliche Sicherheit von Menschen herbeigeführt zu haben, wobei die Handlungen den Tod einer sehr großen Anzahl von jüdischen Männern, Frauen und Kindern bei den Transporten zur Folge hatten und dies vom Angeklagten vorhergesehen werden konnte.
Das Urteil des Gerichts vom 13. April 1972 lautete auf 7 Jahre schweren Kerkers, der neuerlichen Berufung der Staatsanwaltschaft wurde durch den Obersten Gerichtshof nicht Folge gegeben, die Nichtigkeitsbeschwerde Novaks wurde verworfen. Am 18. Oktober 1974 wurde Novak bedingt begnadigt, 1978 erfolgte die endgültige Strafnachsicht.
Wie der Gang des Verfahrens zeigt, waren nicht nur ein Teil der Geschworenen, sondern Anfang der sechziger Jahre auch einige Richter bereit, Novaks Rechtfertigung für seine Behauptung zu glauben, über das Schicksal der von ihm Deportierten nicht Bescheid gewusst zu haben. Auf die Frage des Richters, ob er sich nie Gedanken gemacht hatte, warum so viele Züge gerade nach Auschwitz fahren würden, antwortete er: "Auschwitz war für mich ein stark frequentierter Bahnhof".

Anmerkung

Zu Josef Weiszl siehe:
a) Gabriele Anderl, Die "Umschulungslager" Doppl und Sandhof der Wiener Zentralstelle für jüdische Auswanderung, Teil 2, in: David. Jüdische Kulturzeitschrift, 16. Jg., Nr. 60 (März 2004), S. 29-48, zu Weiszl: S. 43-44 (in der Internet-Ausgabe der Zeitschrift nach Anmerkung 90 zu finden). Auf der DÖW- WebSite erschien ein Auszug aus diesem Aufsatz, der auch auch die biografischen Angaben zu Weiszl enthält.
b) Doron Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938-1945. Der Weg zum Judenrat, Suhrkamp: Berlin 2001 (Internet-Leseprobe zu Weiszl)

Dieser Aufsatz spiegelt den Wissensstand von 2002 wieder. Inzwischen hat das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zahlreiche Forschungsergebnisse zu allen in diesem Aufsatz angesprochenen Themen vorgelegt!
Über die Abfahrtsbahnhöfe der obenerwähnten Deportation von 5.007 österreichischen Roma in das "Zigeunerghetto Litzmannstadt" (Łódź) schrieb die Informations-Zeitung des Kulturvereins österreichischer Roma, "Romano Kipo" in ihrer Ausgabe 3/2016 (S.4): "Zwischen 4. und 8. November 1941 fuhr täglich ein Eisenbahnzug von den Bahnhöfen Mattersburg, Pinkafeld und Fürstenfeld mit meist burgenländischen Roma nach Lodz."


Winfried R. Garscha auf der 24. Jahrestagung der German Studies Association (5. - 8. 10. 2000 in Houston/Texas), Panel 86: Verfolgung und Ermordung österreichischer Juden in österreichischen Nachkriegs-prozessen

Eine englische Version erschien 2002 in:
Günter Bischof/ Anton Pelinka (eds.), Austria and the EU. Contemporary Austrian Studies, Volume 10, pp. 288-297
("Holocaust On Trial – The Deportation of the Viennese Jews Between 1941 and 1942 and the Austrian Judiciary After 1945")

Aktualisiert am 7.11.2016