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Informationen zum Pilot-Projekt
für eine gesamtösterreichisch vernetzte elektronische Erfassung der Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen:
»EDV-gestützte Erschließung der Volksgerichtsakten im Oberösterreichischen Landesarchiv«


Übersicht:


Volksgerichtsakten, Akten der Geschwornengerichte nach 1955

Zwischen 1945 und 1955 wurden in Österreich 136.829 gerichtliche Voruntersuchungen gegen vermutlich 110.000 bis 120.000 Personen wegen des Verdachts nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und Verbrechen nach dem NS-Verbotsgesetz eingeleitet. 23.477 Urteile wurden gefällt, davon 13.607 Schuldsprüche. Die Anzahl der Hauptverhandlungen ist ebenso wenig bekannt wie die Gesamtzahl der Verfahren – es dürfte sich um 30.000 bis 40.000 Prozesse gehandelt haben. Allerdings wurde seitens des Bundesministeriums für Justiz 1977 (2. Aufl.: 1987) eine Darstellung jener Verfahren, in denen Angeklagte zum Tode oder zu lebenslänglichem Kerker verurteilt worden waren, publiziert: Karl Marschall, Volksgerichtsbarkeit und Verfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Österreich. Eine Dokumentation, Wien ²1987. Die 72 Angeklagten sind anonymisiert, doch sind die Beschreibungen der Verfahren nach Verbrechenskomplexen gruppiert, sodass die Publikation bis heute ein wertvolles Findhilfsmittel zum Gegenstand von Volksgerichtsverfahren darstellt.
Die Verfahren wurden vor so genannten »Volksgerichten« durchgeführt, die bei den Landesgerichten am Sitz der Oberlandesgerichte in Wien, Graz (mit ständigen Außensenaten in Leoben und Klagenfurt), Linz und Innsbruck eingerichtet wurden.
Die Akten dieser Gerichtsverfahren wurden in Innsbruck und Linz bereits zur Gänze, in Graz bis einschließlich 1947 an die jeweiligen Landesarchive abgegeben, in Wien sowie in Klagenfurt und Leoben befinden sie sich noch in den Aktenlagern der Gerichte.
Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen wurden auch in den Jahren 1955 bis 1975 durchgeführt. Die vermutlich rund 5.000 staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren führten bei 48 Personen zu einer Anklageerhebung. Zwischen 1956 und 1975 wurden in 41 Hauptverhandlungen vor österreichischen Gerichten (davon 38 vor einem Geschworenengericht und 3 vor einem Schöffengericht) 41 Personen abgeurteilt. Eine weitere Hauptverhandlung (gegen 2 Angeklagte) wurde ohne Entscheidung des Gerichts abgebrochen. Gegen eine Person wurde zwar Anklage erhoben, das Verfahren jedoch vor Ansetzung einer Hauptverhandlung eingestellt. Die Anklageerhebungen erfolgten in 36 Prozessen, von denen 30 mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossen wurden. 23 Hauptverhandlungen (davon 2 vor einem Schöffengericht) fanden in Wien statt, 9 in Graz, 3 in Klagenfurt, 2 in Salzburg und je 1 in Leoben (Schöffengerichtsverhandlung), Linz, Wels und Innsbruck. Die Akten der Verfahren in Linz, Wels und Innsbruck wurden bereits an die jeweiligen Landesarchive abgegeben, die übrigen befinden sich noch in den Aktenlagern der Gerichte.
Die Prozessdokumente waren bis vor wenigen Jahren eine kaum genutzte Quelle für die zeit- und justizgeschichtliche Forschung. Dies hat sich – sowohl infolge internationaler Forschungstrends als auch als Resultat des Wirkens jenes Arbeitsteams am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), das 1998 die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz gegründet hat – in den letzten Jahren geändert. Allerdings sind die Dokumente nach wie vor nur unzureichend erschlossen, da die Gerichtsregister von den Namen der Beschuldigten ausgehen und neben der Geschäftszahl nur die Paragraphen enthalten, nach denen die gerichtliche Voruntersuchung eingeleitet wurde. Kein Gerichtsregister enthält Angaben über die Art, Zeitpunkt, Ort und Opfer des Verbrechens. Daher ist – trotz maßgeblicher Verbesserung des Informationsstands vor allem zu Prozessen wegen Verbrechen an Jüdinnen und Juden – die Eruierung von Akten zu einem bestimmten historischen Tatkomplex (NS-Euthanasie, »Arisierung«, Zwangsarbeit) immer noch von Zufallsfunden abhängig.
Eine wesentliche Hilfe für die Auffindung von Prozessen, die mit einem Urteil abgeschlossen wurden, bildet die Presseberichterstattung. Mehr als 800 Verfahren vor dem Volksgericht Wien, über die in den Wiener Zeitungen zumindest eine Meldung erschien, wurden im Rahmen eines in den achtziger Jahren begonnenen Projekts des Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (FWF) durch den Journalisten Hellmut Butterweck erfasst. Der Autor hat zugesagt, nach Veröffentlichung des Buches die darin angeführten Fälle der wissenschaftlichen Forschung als Daten-File zur Verfügung zu stellen. Die seit mehreren Jahren überfällige Publikation der Ergebnisse dieses Forschungsprojekts ist allerdings nicht absehbar.

Die Erschließung der Wiener (Volks-)Gerichtsakten seit 1993

Der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützte seit 1993 zwei Projekte zur österreichischen Nachkriegsjustiz am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: »Die Verfahren vor dem Volksgericht Wien (1945–1955) als Geschichtsquelle« (1993–1996) und »Die Nachkriegsjustiz als nicht-bürokratische Form der Entnazifizierung: Österreichische Justizakten im europäischen Vergleich (strafprozessualen Entstehungszusammenhang und zu den Verwertungsmöglichkeiten für die historische Forschung)« (1996–1998).
Als Ergebnis der beiden FWF-Projekte wurden eine Reihe der bedeutendsten Verfahren wegen NS-Verbrechen vor dem Volksgericht Wien (1945–1955) und Wiener Geschwornengerichten (1956–1975) formal und inhaltlich ausgewertet sowie mikroverfilmt. Die Arbeit wurde nach dem Ablauf der beiden Projekte aus Mitteln des DÖW fortgesetzt. Seit 1999 beteiligt sich auch Yad Vashem (Jerusalem) an den Kosten; die Auswahl der zu verfilmenden Akten wurde auf Verfahren wegen Verbrechen an Jüdinnen und Juden konzentriert. Die für die Auswahl erforderlichen Informationen wurden aus der Presseberichterstattung über die Prozesse sowie aus polizeilichen Fahndungslisten zusammengetragen. Außerdem konnten in vielen Fällen in den bereits verfilmten Akten Verweise auf weitere Verfahren zum selben Prozessgegenstand entnommen werden.
Die bei der Vorbereitung der Akten für die Verfilmung erstellten und mitverfilmten Kurzbeschreibungen enthalten die Namen der Angeklagten (bzw., bei Ermittlungsverfahren ohne Anklageerhebung, der Hauptbeschuldigten), eine Kurzbeschreibung des Tatvorwurfs und den geographischen Bezug dazu. Weiters wird der Verlauf des Verfahrens (Ausscheidung, Abbruch, Einstellung, Anklageerhebung – jeweils mit Datumsangabe, auf die einzelnen Beschuldigten bezogen) dargestellt. Fehlende Aktenstücke werden in einem (mitverfilmten) Aktenvermerk aufgezählt. Die Kurzbeschreibungen von mittlerweile 620 Gerichtsverfahren dienen seit mehreren Jahren auch zur Auskunfterteilung über Geschäftszahlen und/oder den Gegenstand von Prozessen wegen NS-Verbrechen. Da die Mikroverfilmung der Verfahren gemäß den Bestimmungen des § 82a StPO erfolgt, werden nur nicht-personenbezogene Auskünfte erteilt. Auf Grund der inneren Logik von Justizakten (Gerichtsverfahren werden gegen Personen geführt), ist es unerlässlich, eine – ausschließlich interne, Dritten nicht zugängliche – personenbezogene Auswertung zwischenzuschalten, um Findhilfsmittel für nicht-personenbezogene Abfragen (nach Paragraphen, Tatkomplex, Opferkategorie usw.) erstellen zu können.

Die Datenbank »Wiener Volksgerichtskartei«

Bei der Einlaufstelle des Wiener Straflandesgerichts existiert eine phonetische Namenskartei der 52.600 gerichtliche Voruntersuchungen am Volksgericht Wien (1945–1955), die in der überwiegenden Zahl der Fälle auch Vornamen und Geburtsdaten der Beschuldigten sowie, neben den Geschäftszahlen der gegen die betreffende Person geführten Verfahren, auch den Gesetzesparagraphen, unter dem die jeweilige Voruntersuchung eingeleitet wurde, enthält. Darüber hinaus sind Ausscheidungen und Einbeziehungen zu bzw. von anderen Volksgerichtsverfahren sowie Faktenausscheidungen zu sonstigen Gerichtsverfahren (z.B. bei Wahlbetrug durch Verheimlichung der Zugehörigkeit zur NSDAP, die den Ausschluss vom Wahlrecht zur Folge hatte) vermerkt. Bei Auslieferungsverfahren ist das Land, das den Auslieferungsantrag gestellt hatte, angegeben.
Die Kartei enthält etwa 39.000 Karteikarten (gegen viele Personen wurden mehrere Verfahren geführt). Wegen Schreibfehlern, Namensgleichheiten u.ä. führt sie in vielen Fällen nicht zum richtigen Akt. Das Hauptproblem stellt die phonetische Ordnung der Kartei dar. Aus diesem Grund wurde 1999 – im Einvernehmen mit dem Präsidium des Landesgerichts – die EDV-Erfassung der Kartei begonnen. Die phonetische anstatt der alphabetischen Ordnung war bis vor wenigen Jahren noch bei den österreichischen Sicherheitsbehörden üblich und wurde erst im Zuge des Einsatzes der elektronischen Datenverarbeitung durch die alphabetische ersetzt. In einer phonetisch geordneten Kartei befinden sich beispielsweise die Karteikarten für die Namen Faber, Veverka, Voprálek, Wabel, Waffenschmied, Weber und Wiewiorka in derselben Lade, weil sie mit F/V/W beginnen, dann ein Vokal und anschließend wieder F/V/W (oder B/P) folgt. Die Reihung innerhalb der Lade erfolgt nach den – ebenfalls phonetisch geordneten – Vornamen, also Paul Weber vor Berta Faber (weil »B/P-a« vor »B/P-e« kommt), und beide nach Ulrike Wiewiorka, weil das phonetische »Alphabet« mit den Vokalen beginnt
Die Datenbank enthält die oben erwähnten Angaben auf den Karteikarten. Ein Anmerkungsfeld ermöglichte es, zusätzliche Informationen aufzunehmen, für die keine Datenbank-Felder vorgesehen sind (z.B. Vermerke auf den Karteikarten über die Haft oder abweichende Zuordnungen von Paragraphen zu den einzelnen Verfahren gegen eine Person).
Für die Durchführung des Projekts verantwortlich ist der Verein zur Förderung justizgeschichtlicher Forschungen. An der Finanzierung der Arbeit beteiligten sich öffentliche Subventionsgeber und private Spender, darunter das Bundesministerium für Justiz, das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und Yad Vashem, Jerusalem. Die Datenbank liegt in einer öffentlich noch nicht zugänglichen Rohfassung bereits vor; z. Zt. wird – mit Hilfe der Vr- und Hv-Register – die Revision durchgeführt. Als erstes Ergebnis kann eine überraschende Vollständigkeit der Kartei konstatiert werden.
Nach dem für die erste Jahreshälfte 2001 erwarteten Abschluss der Revisionsarbeiten wird eine Abfrage-Version der Datenbank auch der Justizverwaltung zur Verfügung stehen. Für die öffentliche Benutzung wird eine anonymisierte Version erstellt werden, die beispielsweise am DÖW abfragbar sein wird.

Die Weiterentwicklung der Datenbank »Wiener Volksgerichtskartei« zum Muster für eine gesamtösterreichische Verfahrensdatenbank und ihre wissenschaftliche Auswertung

Für die Revision der Vg-Kartei-Datenbank wurde – mit großzügiger Unterstützung des DÖW – eine netzwerkfähige Variante der Datenbank erstellt, die durch Angaben über den Gegenstand und den Ausgang der Verfahren erweiterbar ist. Die Revision mit Hilfe der Registerbände des Volksgerichts Wien (Vr-Register) dient der Eliminierung von Schreibfehlern, der Überprüfung der Angaben zu den Paragraphen, nach denen die Voruntersuchung eingeleitet wurde, und der Ergänzung von Namen und Verfahren. Mit Hilfe der Querverweise im Register sind auch Korrekturen und Ergänzungen zu den auf den Karteikarten vermerkten Ausscheidungen, Einbeziehungen und Verfahrenseinstellungen möglich. Das Projekt wurde in der im Oktober 2000 erscheinenden Nr. 3 der Zeitschrift des Vereins zur Förderung justizgeschichtlicher Forschungen und des Vereins zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Aufarbeitung (»Justiz und Erinnerung«) in einem Beitrag von Andrea Steffek und Susanne Uslu-Pauer vorgestellt.
Sowohl für die wissenschaftliche Auswertung der Datenbank als auch für ihre optimale Nutzung durch die Justizverwaltung ist die Einarbeitung des Hauptverhandlungs-(Hv-)Registers des Volksgerichts Wien erforderlich, da auf diese Weise der Ausgang sämtlicher Verfahren abfragbar wird. Mit diesem Arbeitsschritt soll, wenn die erforderlichen finanziellen Mittel bereitgestellt werden können, noch im Jahre 2000 begonnen werden. Vorgesehen ist eine Auswertung hinsichtlich der Anzahl von Personen und Verfahren, des Geschlechts und des Alters der Beschuldigten, des Verhältnisses zwischen eingeleiteten Verfahren und Verurteilungen sowohl im zeitlichen Verlauf als auch in Bezug auf die einzelnen Delikte. Zeitliche Verlaufskurven sollen auch für die Urteilshöhe und die Urteilsaufhebungen durch den OGH erstellt werden. Allein die Erstellung der Datenbank hat die Erkenntnis ermöglicht, dass die in der amtlichen Statistik genannten 52.600 Voruntersuchungen in Wien 39.000 Personen betrafen, was Rückschlüsse auf die Gesamtzahl der Personen ermöglicht, gegen die Volksgerichtsverfahren eingeleitet wurden – wie eingangs erwähnt, ist von 110.000 bis 120.000 Personen auszugehen, was die Zahl der »Illegalen« (NSDAP-Mitglieder vor dem »Anschluss« 1938) nur geringfügig übersteigt.
Neben der Fortsetzung der Revision und Auswertung der Wiener Volksgerichtskartei werden ab Ende 2000/Anfang 2001 die oben erwähnten Kurzbeschreibungen der (bis dahin vermutlich rund 650) bereits mikroverfilmten Gerichtsverfahren in die Datenbank übertragen und den einzelnen Tat-, Täter- und Opfer-Kategorien zugeordnet werden. Dabei werden die Texte mit den Angaben über den jeweiligen Tatvorwurf so umgeschrieben, dass sie für eine anonymisierte Version der Datenbank verwendbar sind.
Die Revisions- und Auswertungsarbeiten wurden bisher durch die Hochschuljubiläumsstiftung der Stadt Wien gefördert. Da noch über hunderttausend Schilling erforderlich sind, um die Arbeiten abschließen zu können, versucht der Verein zur Förderung justizgeschichtlicher Forschungen, die erforderlichen finanzielle Mittel durch private Spenden aufzubringen. Für die Präsentation der Forschungsergebnisse hat die Bundesvertretung der Österreichischen Hochschülerschaft ihre Unterstützung zugesagt.


Die Erschließung der im Oberösterreichischen Landesarchiv aufbewahrten (Volks-)Gerichtsakten als Pilotprojekt für eine gesamtösterreichische Verfahrensdatenbank. Die wissenschaftliche Auswertung der oberösterreichischen Verfahrensdatenbank

Gerichts- und Staatsanwaltschaftsakten der Verfahren wegen NS-Verbrechen werden im Oberösterreichischen Landesarchiv (OÖLA) in der Sammlung »Sondergerichte/Politische Gerichte« aufbewahrt. Der Zugang zu den Akten ist einerseits über den Katalog der Sammlung »Sondergerichte« (der zu zahlreichen Verfahren auch kurze Anmerkungen zum Verfahrensgegenstand enthält) und andererseits über eine Datenbank der Kartei der Staatsanwaltschaft beim Volksgericht Linz gewährleistet. Die Datenbank enthält Namen, Vornamen und Geburtsdaten der Beschuldigten sowie die Geschäftszahl der Staatsanwaltschaft und, falls die Sache gerichtsanhängig gemacht wurde, des Volksgerichts Linz. Für die Paragraphen, nach denen die Vorerhebungen eingeleitet wurden, wird eine kodierte Form verwendet, die jeweils Deliktgruppen zusammenfasst. Ein Textfeld ermöglicht inhaltliche Anmerkungen zum Verfahren.
Mit Hilfe der am DÖW für Wien erarbeiteten, im Punkt 4 erwähnten, netzwerkfähigen Datenbank ist es nun in einem nächsten Auswertungsschritt möglich, eine inhaltliche und geographische Zuordnung der Verfahren vorzunehmen. Dafür ist allerdings die Autopsie der Akten selbst erforderlich, da die Karteien und Register der Gerichte keinerlei Angaben über den Verfahrensgegenstand enthalten. Damit wird erstmals in Österreich eine Datenbank vorliegen, die der wissenschaftlichen Forschung inhaltliche Informationen über sämtliche Verfahren wegen NS-Verbrechen vor einem bestimmten Gericht bietet. Linz bietet sich sowohl wegen der bereits geleistete Vorarbeiten am OÖLA als auch wegen des vergleichsweise geringen Umfangs des Aktenbestands (rund 6.000 Akten) an, um – als Pilot-Projekt für eine gesamtösterreichische Erfassung der Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen – die Funktionsfähigkeit der Verfahrensdatenbank zu testen und diese an die Bedürfnisse des vernetzten Arbeitens von mehreren Standorten aus zu adaptieren. Dabei werden auch Routinen des Datenabgleichs entwickelt und erprobt werden. Die Erfahrungen sollen sowohl in die gesamtösterreichische Vernetzung als auch in den geplanten europäischen Datenverbund einfließen.
Besonders hervorzuheben ist, dass dadurch die Auffindung von Verfahrensakten zu bestimmten Tatkomplexen auch ohne Kenntnis des Namens des/der Beschuldigten möglich sein wird. Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden in der Publikumsversion der Datenbank sämtliche Informationen zu den Beschuldigten mit Ausnahme des ersten Buchstabens des Familiennamens und der für statistische Auswertungen notwendigen Angaben (Geburtsjahr, Geschlecht des/der Beschuldigten) eliminiert werden. Die Kurztexte zur Beschreibung des Verfahrensgegenstands werden in einer Weise abgefasst, welche den Erfordernissen der Anonymisierung entspricht.
Die Erschließung der Akten soll in zwei Richtungen mit einer inhaltlichen Auswertung gekoppelt werden: Zuerst ist – in ähnlicher Weise wie dies auf Grund der Einarbeitung des Hauptverhandlungs-(Hv-)Registers des Volksgerichts Wien in die Datenbank für die Wiener Verfahren vorbereitet wird – im Rahmen des hier beschriebenen Projekts eine statistische Auswertung von Beschuldigten und Delikten und die Erstellung von zeitlichen Verlaufskurven vorgesehen. Sodann sollen – im Zuge eines Forschungsprojekts zum Thema »Justiz und NS-Gewaltverbrechen in Österreich. Regionale Besonderheiten und Vergleich mit Deutschland« – die Linzer Auswertungsergebnisse mit denen anderer Gerichte in Beziehung gesetzt werden.
Für die Finanzierung dieser Erschließungsarbeiten nahm der »Verein zur Förderung justizgeschichtlicher Forschungen« 1999 Gespräche mit der Forschungssektion des damaligen Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr auf und stellte einen Subventionsantrag an das Land Oberösterreich.


Die Erschließung und wissenschaftliche Auswertung der Akten der übrigen (Volks-)Gerichte

Im Zuge der eingangs erwähnten Forschungsprojekte des DÖW wurden auch Registerbände der Volksgerichte in Graz, Linz und Innsbruck ausgewertet. Erfasst wurden Verfahren, in denen entweder besonders hohe Strafen (10 Jahre und mehr) ausgesprochen oder die wegen bestimmter Paragraphen geführt wurden (Mord, Misshandlung und Verletzung der Menschenwürde, Tätigkeit als Kreisleiter gemäß § 1 Abs. 6 Kriegsverbrechergesetz), da angenommen werden kann, dass derartige Verfahren mit großer Wahrscheinlichkeit historiographisch relevante Dokumente enthalten. Für Graz wurde durch Heimo Halbrainer eine Liste von ausgewählten, mit Urteil abgeschlossenen Verfahren wegen NS-Verbrechen erstellt, die auch Kurz-Angaben über den jeweiligen Verfahrensgegenstand enthält. Entsprechend den genannten Kriterien wurde in die Liste 137 historiographisch vermutlich besonders relevante Grazer Volksgerichtsverfahren aufgenommen; für die Prozesse nach 1955 ist die Liste komplett.
Seit 1998 wird in Graz durch Martin F. Polaschek (Projektleiter) und Heimo Halbrainer ein Forschungsprojekt des FWF durchgeführt, im Zuge dessen alle Verfahren wegen Denunziation gemäß § 7 Kriegsverbrechergesetz vor dem Volksgericht Graz und dem ständigen Außensenat Leoben erfasst und ausgewertet werden. Aufbauend auf dieser Teil-Analyse soll zu einem späteren Zeitpunkt die Einbeziehung der Grazer Aktenauswertung in die gesamtösterreichische Verfahrensdatenbank erfolgen. Seitens des Steiermärkischen Landesarchives wurde bereits Interesse an einer Kooperation angemeldet.
In Klagenfurt bestand ebenfalls ein ständiger Außensenat des Volksgerichts Graz. Für die Klagenfurter Verfahren liegt – in drei Diplomarbeiten an der Universität Klagenfurt (Patrick Kohlweg, Elfriede Pellar, Wolfgang Fera) – eine systematische Auswertung der Gerichtsregister nach Paragraphen vor. Sobald die erforderlichen finanziellen Mittel bereitgestellt werden können, werden die Listen aus diesen Diplomarbeiten in die gesamtösterreichische Verfahrensdatenbank übertragen werden. Außerdem werden seit mehreren Jahren im Zuge eines Forschungsvorhabens an der Abteilung Zeitgeschichte des Instituts für Geschichte der Universität Klagenfurt die Akten von Volksgerichtsverfahren wegen historiographisch besonders relevanten Sachverhalten eingescannt und dabei wissenschaftlich ausgewertet.
Für das Volksgericht Innsbruck (sowie das französische Besatzungsgericht für Tirol und Vorarlberg) wurde eine mit den Klagenfurter Diplomarbeiten vergleichbare Auswertung – allerdings beschränkt auf die Meldungen in zwei Tiroler Tageszeitungen 1945 bis 1950 – im Rahmen einer Dissertation an der Universität Innsbruck (Christa Kofler) durchgeführt. Darüber hinaus wurde im Zuge der oben erwähnten Auswertung der Registerbände eine Liste von mehr als 350 Verfahren mit vermutlich historiographisch relevantem Inhalt erstellt. Die Auswerung wurde durch das Fehlen des Hauptverhandlungsregisters der für die Volksgerichtsverfahren zuständigen Gerichtsabteilung erschwert. Die seither erfolgte Einsicht in eine Reihe von Originalakten zeigte, dass die Auswertung in Innsbruck wegen des teilweise ungeordneten Zustands der Akten und des Fehlens wichtiger Dokumente besonders schwierig sein wird, weshalb trotz der geringen Anzahl von Verfahren mit erheblichem Zeitaufwand zu rechnen ist. Seitens des Tiroler Landesarchives wurde bereits Interesse an einer Kooperation angemeldet.


Die gesamtösterreichische Datenbank als Voraussetzung für die wissenschaftliche Analyse der Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen

Bevor die Gespräche mit Vertretern der Forschungssektion des Wissenschaftsministeriums wegen der Budgetprobleme Anfang 2000 unterbrochen wurden, war Einigung darüber erzielt worden, dass es sinnvoll wäre, das oberösterreichische Projekt als Pilotprojekt für eine gesamtösterreichische Erfassung der Verfahren wegen NS-Verbrechen anzulegen. Für ein derartiges Gesamtvorhaben sprechen forschungsökonomische und politische Gründe.
Gerichtsverfahren werden in jüngster Zeit verstärkt als Geschichtsquelle genutzt. Für einige aktuelle Forschungsfelder wie »Arisierung«, Zwangsarbeit oder die NS-Euthanasie stellen die in den Gerichtsakten enthaltenen Originaldokumente und Abschriften aus der NS-Zeit sowie Zeugenbefragungen und Beschuldigtenvernehmungen der ersten Nachkriegsjahre eine wertvolle Parallelüberlieferung vor allem dort dar, wo die Originalakten verlorengegangen sind. Zentrale Bereiche der NS-Herrschaft wie die Funktionsweise der Gestapo oder die »Vernichtung unwerten Lebens« sind ohne die Kenntnis der Nachkriegsprozessakten seriöserweise nicht erforschbar. Da, wie erwähnt, der Gegenstand von Gerichtsverfahren aus den Registern nicht hervorgeht, ist jedes derartige Forschungsvorhaben mit einem beträchtlichen Recherche-Aufwand zur Eruierung der Prozessakten befrachtet. Eine gesamtösterreichische Datenbank würde den Zugang zu den Akten für die wissenschaftliche Forschung spürbar erleichtern. Darüber hinaus würde, wie erwähnt, die – datenschutzrechtlich sensible – Notwendigkeit, die Namen des/der Beschuldigten zu kennen, wegfallen.
Die Erstellung einer derartigen Datenbank (und ihre wissenschaftliche Auswertung) wäre auch politisch sinnvoll, weil die justizielle »Bewältigung« der NS-Verbrechen immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen im In- und Ausland ist, ohne dass die für eine sachliche Diskussion erforderlichen empirischen Fakten wissenschaftlich erforscht sind.

Die wissenschaftliche Auswertung der Linzer Datenbank erlauben, für Oberösterreich wesentlich präzisere Zahlen zur justiziellen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen vorzulegen als dies auf Grund der bisherigen offiziellen Statistiken für die übrigen Bundesländer möglich ist, was als Argument für die finanzielle Beteiligung weiterer Bundesländer an dem Gesamtprojekt geeignet ist.


Das Projekt »EDV-gestützte Erschließung der Volksgerichtsakten im OÖLA«

1946 bis 1955 war am Landesgericht für Strafsachen Linz das Linzer Volksgericht (mit zeitweisen Außensenaten in Ried/Innkreis und Salzburg) tätig. Von insgesamt 23.400 Ermittlungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft Linz 19.928 Verfahren gerichtsanhängig gemacht. In 5.958 Fällen wurde Anklage erhoben, über 4.313 Personen wurde ein Urteil gefällt (1.993 Schuldsprüche, 2.320 Freisprüche). In wie vielen Verfahren gegen diese Personen ermittelt wurde, ist nicht bekannt; insgesamt dürfte es sich um ca. 6.000 Akten handeln. Die Bestände des Volksgerichts Linz (einschließlich der temporären Außensenate in Ried/Innkreis und Salzburg) samt den Staatsanwaltschaftsakten und den dazugehörigen Karteien und Registern befinden sich im Oberösterreichischen Landesarchiv.
Wie erwähnt, wurde für die Erfassung und Auswertung der Gerichtsakten im Oberösterreichischen Landesarchiv mit der Datenbank der Kartei der Staatsanwaltschaft Linz bereits eine Grundlage geschaffen. Die weitere Aufbereitung des Bestands für die wissenschaftliche Forschung soll in der Art erfolgen, daß die aus der Kartei gewonnenen Grunddaten (Name, Geschäftszahlen von Staatsanwaltschaft und Gericht, meist auch Paragraphen des Strafgesetzbuches in kodierter Form) durch Angaben ergänzt werden, die Resultat einer Grobauswertung der Gerichtsakten sind (Kurzbeschreibung des der gerichtlichen Untersuchung zugrundeliegenden Verbrechens, Tatzeit, Tatort und Angaben zum Verlauf des Gerichtsverfahrens [Einstellung, Anklageerhebung, Urteil, Vollzug]).

Diese Auswertung der oberösterreichischen Akten ist aus zwei Gründen von gesamtösterreichischem Interesse.
Erstens aus inhaltlichen Gründen: Ein Teil der Verfahren wegen Verbrechen im KZ Mauthausen wurde vor dem Volksgericht Linz abgehandelt; in Oberösterreich befand sich mit Hartheim die wichtigste Tötungsanstalt im Rahmen der NS-»Euthanasie«.
Zweitens aus forschungsökonomischen Gründen: Durch die Vorarbeiten des OÖLA ist es möglich, an einem relativ überschaubaren Bestand Kriterien für die EDV-gestützte Erfassung österreichischer Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen zu entwickeln. (Für die übrigen Volksgerichte müssen diese Vorarbeiten erst geleistet werden; für Wien sind sie, wie erwähnt, zur Zeit im Gange.)

Die Auswahl der für die Aktenauswertung einzusetzenden Personen erfolgt gemeinsam mit dem für Gerichtsakten zuständigen Beamten des Oberösterreichischen Landesarchivs (Franz Scharf) und der Leitung des Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Universität Linz (Prof. Dr. Hans Hautmann). Die praktische Vorgangsweise bei der Aktendurchsicht und -auswertung für die Datenbank wurde in den letzten Jahren im Zuge der mit einer formalen und inhaltlichen Auswertung verbundenen Mikroverfilmung von Wiener (Volks-)Gerichtsakten erarbeitet und bereits an der neuen Datenbank erprobt.

Zwischenbericht 2002
Endbericht 2003 (aktualisiert) pdf-Download (101KB)



Garscha / Kuretsidis-Haider
September 2000
Ziffern über Angeklagte / Verurteilte vor den Geschworenen- gerichten aktualisiert
(Stand: März 2002)