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Informationen zum Pilot-Projekt
für eine gesamtösterreichisch vernetzte elektronische Erfassung
der Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen:
»EDV-gestützte Erschließung der Volksgerichtsakten im Oberösterreichischen
Landesarchiv«
Übersicht:
Volksgerichtsakten, Akten der Geschwornengerichte
nach 1955
Die Erschließung der Wiener (Volks-)Gerichtsakten seit 1993
Die Datenbank »Wiener Volksgerichtskartei«
Die Weiterentwicklung der Datenbank »Wiener Volksgerichtskartei«
zum Muster für eine gesamtösterreichische Verfahrensdatenbank und
ihre wissenschaftliche Auswertung
Die Erschließung der im Oberösterreichischen Landesarchiv
aufbewahrten (Volks-)Gerichtsakten als Pilotprojekt für eine gesamtösterreichische
Verfahrensdatenbank. Die wissenschaftliche Auswertung der oberösterreichischen
Verfahrensdatenbank
Die Erschließung und wissenschaftliche Auswertung der
Akten der übrigen (Volks-)Gerichte
Die gesamtösterreichische Datenbank als Voraussetzung
für die wissenschaftliche Analyse der Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen
Das Projekt »EDV-gestützte Erschließung der Volksgerichtsakten
im OÖLA«
Volksgerichtsakten, Akten der Geschwornengerichte nach 1955
Zwischen 1945 und 1955 wurden in Österreich 136.829 gerichtliche
Voruntersuchungen gegen vermutlich 110.000 bis 120.000 Personen wegen des Verdachts
nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und Verbrechen nach dem NS-Verbotsgesetz
eingeleitet. 23.477 Urteile wurden gefällt, davon 13.607 Schuldsprüche.
Die Anzahl der Hauptverhandlungen ist ebenso wenig bekannt wie die Gesamtzahl
der Verfahren es dürfte sich um 30.000 bis 40.000 Prozesse gehandelt
haben. Allerdings wurde seitens des Bundesministeriums für Justiz 1977
(2. Aufl.: 1987) eine Darstellung jener Verfahren, in denen Angeklagte zum Tode
oder zu lebenslänglichem Kerker verurteilt worden waren, publiziert: Karl
Marschall, Volksgerichtsbarkeit und Verfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen
in Österreich. Eine Dokumentation, Wien ²1987. Die 72 Angeklagten
sind anonymisiert, doch sind die Beschreibungen der Verfahren nach Verbrechenskomplexen
gruppiert, sodass die Publikation bis heute ein wertvolles Findhilfsmittel zum
Gegenstand von Volksgerichtsverfahren darstellt.
Die Verfahren wurden vor so genannten »Volksgerichten« durchgeführt,
die bei den Landesgerichten am Sitz der Oberlandesgerichte in Wien, Graz (mit
ständigen Außensenaten in Leoben und Klagenfurt), Linz und Innsbruck
eingerichtet wurden.
Die Akten dieser Gerichtsverfahren wurden in Innsbruck und Linz bereits zur
Gänze, in Graz bis einschließlich 1947 an die jeweiligen Landesarchive
abgegeben, in Wien sowie in Klagenfurt und Leoben befinden sie sich noch in
den Aktenlagern der Gerichte.
Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen wurden auch in den Jahren 1955 bis 1975
durchgeführt. Die vermutlich rund 5.000 staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren
führten bei 48 Personen zu einer Anklageerhebung. Zwischen 1956 und 1975
wurden in 41 Hauptverhandlungen vor österreichischen Gerichten (davon 38
vor einem Geschworenengericht und 3 vor einem Schöffengericht) 41 Personen
abgeurteilt. Eine weitere Hauptverhandlung (gegen 2 Angeklagte) wurde ohne Entscheidung
des Gerichts abgebrochen. Gegen eine Person wurde zwar Anklage erhoben, das
Verfahren jedoch vor Ansetzung einer Hauptverhandlung eingestellt. Die Anklageerhebungen
erfolgten in 36 Prozessen, von denen 30 mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossen
wurden. 23 Hauptverhandlungen (davon 2 vor einem Schöffengericht) fanden
in Wien statt, 9 in Graz, 3 in Klagenfurt, 2 in Salzburg und je 1 in Leoben
(Schöffengerichtsverhandlung), Linz, Wels und Innsbruck. Die Akten der
Verfahren in Linz, Wels und Innsbruck wurden bereits an die jeweiligen Landesarchive
abgegeben, die übrigen befinden sich noch in den Aktenlagern der Gerichte.
Die Prozessdokumente waren bis vor wenigen Jahren eine kaum genutzte Quelle
für die zeit- und justizgeschichtliche Forschung. Dies hat sich
sowohl infolge internationaler Forschungstrends als auch als Resultat des Wirkens
jenes Arbeitsteams am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
(DÖW), das 1998 die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz
gegründet hat in den letzten Jahren geändert. Allerdings sind
die Dokumente nach wie vor nur unzureichend erschlossen, da die Gerichtsregister
von den Namen der Beschuldigten ausgehen und neben der Geschäftszahl nur
die Paragraphen enthalten, nach denen die gerichtliche Voruntersuchung eingeleitet
wurde. Kein Gerichtsregister enthält Angaben über die Art, Zeitpunkt,
Ort und Opfer des Verbrechens. Daher ist trotz maßgeblicher Verbesserung
des Informationsstands vor allem zu Prozessen wegen Verbrechen an Jüdinnen
und Juden die Eruierung von Akten zu einem bestimmten historischen Tatkomplex
(NS-Euthanasie, »Arisierung«, Zwangsarbeit) immer noch von Zufallsfunden
abhängig.
Eine wesentliche Hilfe für die Auffindung von Prozessen, die mit einem
Urteil abgeschlossen wurden, bildet die Presseberichterstattung. Mehr als 800
Verfahren vor dem Volksgericht Wien, über die in den Wiener Zeitungen zumindest
eine Meldung erschien, wurden im Rahmen eines in den achtziger Jahren begonnenen
Projekts des Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (FWF)
durch den Journalisten Hellmut Butterweck erfasst. Der Autor hat zugesagt, nach
Veröffentlichung des Buches die darin angeführten Fälle der wissenschaftlichen
Forschung als Daten-File zur Verfügung zu stellen. Die seit mehreren Jahren
überfällige Publikation der Ergebnisse dieses Forschungsprojekts ist
allerdings nicht absehbar.
Die Erschließung der Wiener (Volks-)Gerichtsakten seit
1993
Der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
unterstützte seit 1993 zwei Projekte zur österreichischen Nachkriegsjustiz
am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: »Die Verfahren
vor dem Volksgericht Wien (19451955) als Geschichtsquelle« (19931996)
und »Die Nachkriegsjustiz als nicht-bürokratische Form der Entnazifizierung:
Österreichische Justizakten im europäischen Vergleich (strafprozessualen
Entstehungszusammenhang und zu den Verwertungsmöglichkeiten für die
historische Forschung)« (19961998).
Als Ergebnis der beiden FWF-Projekte wurden eine Reihe der bedeutendsten Verfahren
wegen NS-Verbrechen vor dem Volksgericht Wien (19451955) und Wiener Geschwornengerichten
(19561975) formal und inhaltlich ausgewertet sowie mikroverfilmt. Die
Arbeit wurde nach dem Ablauf der beiden Projekte aus Mitteln des DÖW fortgesetzt.
Seit 1999 beteiligt sich auch Yad Vashem (Jerusalem) an den Kosten; die Auswahl
der zu verfilmenden Akten wurde auf Verfahren wegen Verbrechen an Jüdinnen
und Juden konzentriert. Die für die Auswahl erforderlichen Informationen
wurden aus der Presseberichterstattung über die Prozesse sowie aus polizeilichen
Fahndungslisten zusammengetragen. Außerdem konnten in vielen Fällen
in den bereits verfilmten Akten Verweise auf weitere Verfahren zum selben Prozessgegenstand
entnommen werden.
Die bei der Vorbereitung der Akten für die Verfilmung erstellten und mitverfilmten
Kurzbeschreibungen enthalten die Namen der Angeklagten (bzw., bei Ermittlungsverfahren
ohne Anklageerhebung, der Hauptbeschuldigten), eine Kurzbeschreibung des Tatvorwurfs
und den geographischen Bezug dazu. Weiters wird der Verlauf des Verfahrens (Ausscheidung,
Abbruch, Einstellung, Anklageerhebung jeweils mit Datumsangabe, auf die
einzelnen Beschuldigten bezogen) dargestellt. Fehlende Aktenstücke werden
in einem (mitverfilmten) Aktenvermerk aufgezählt. Die Kurzbeschreibungen
von mittlerweile 620 Gerichtsverfahren dienen seit mehreren Jahren auch zur
Auskunfterteilung über Geschäftszahlen und/oder den Gegenstand von
Prozessen wegen NS-Verbrechen. Da die Mikroverfilmung der Verfahren gemäß
den Bestimmungen des § 82a StPO erfolgt, werden nur nicht-personenbezogene
Auskünfte erteilt. Auf Grund der inneren Logik von Justizakten (Gerichtsverfahren
werden gegen Personen geführt), ist es unerlässlich, eine ausschließlich
interne, Dritten nicht zugängliche personenbezogene Auswertung zwischenzuschalten,
um Findhilfsmittel für nicht-personenbezogene Abfragen (nach Paragraphen,
Tatkomplex, Opferkategorie usw.) erstellen zu können.
Die Datenbank »Wiener Volksgerichtskartei«
Bei der Einlaufstelle des Wiener Straflandesgerichts existiert
eine phonetische Namenskartei der 52.600 gerichtliche Voruntersuchungen am Volksgericht
Wien (19451955), die in der überwiegenden Zahl der Fälle auch
Vornamen und Geburtsdaten der Beschuldigten sowie, neben den Geschäftszahlen
der gegen die betreffende Person geführten Verfahren, auch den Gesetzesparagraphen,
unter dem die jeweilige Voruntersuchung eingeleitet wurde, enthält. Darüber
hinaus sind Ausscheidungen und Einbeziehungen zu bzw. von anderen Volksgerichtsverfahren
sowie Faktenausscheidungen zu sonstigen Gerichtsverfahren (z.B. bei Wahlbetrug
durch Verheimlichung der Zugehörigkeit zur NSDAP, die den Ausschluss vom
Wahlrecht zur Folge hatte) vermerkt. Bei Auslieferungsverfahren ist das Land,
das den Auslieferungsantrag gestellt hatte, angegeben.
Die Kartei enthält etwa 39.000 Karteikarten (gegen viele Personen wurden
mehrere Verfahren geführt). Wegen Schreibfehlern, Namensgleichheiten u.ä.
führt sie in vielen Fällen nicht zum richtigen Akt. Das Hauptproblem
stellt die phonetische Ordnung der Kartei dar. Aus diesem Grund wurde 1999
im Einvernehmen mit dem Präsidium des Landesgerichts die EDV-Erfassung
der Kartei begonnen. Die phonetische anstatt der alphabetischen Ordnung war
bis vor wenigen Jahren noch bei den österreichischen Sicherheitsbehörden
üblich und wurde erst im Zuge des Einsatzes der elektronischen Datenverarbeitung
durch die alphabetische ersetzt. In einer phonetisch geordneten Kartei befinden
sich beispielsweise die Karteikarten für die Namen Faber, Veverka, Voprálek,
Wabel, Waffenschmied, Weber und Wiewiorka in derselben Lade, weil sie mit F/V/W
beginnen, dann ein Vokal und anschließend wieder F/V/W (oder B/P) folgt.
Die Reihung innerhalb der Lade erfolgt nach den ebenfalls phonetisch
geordneten Vornamen, also Paul Weber vor Berta Faber (weil »B/P-a«
vor »B/P-e« kommt), und beide nach Ulrike Wiewiorka, weil das phonetische
»Alphabet« mit den Vokalen beginnt
Die Datenbank enthält die oben erwähnten Angaben auf den Karteikarten.
Ein Anmerkungsfeld ermöglichte es, zusätzliche Informationen aufzunehmen,
für die keine Datenbank-Felder vorgesehen sind (z.B. Vermerke auf den Karteikarten
über die Haft oder abweichende Zuordnungen von Paragraphen zu den einzelnen
Verfahren gegen eine Person).
Für die Durchführung des Projekts verantwortlich ist der Verein zur
Förderung justizgeschichtlicher Forschungen. An der Finanzierung der Arbeit
beteiligten sich öffentliche Subventionsgeber und private Spender, darunter
das Bundesministerium für Justiz, das Dokumentationsarchiv des österreichischen
Widerstandes und Yad Vashem, Jerusalem. Die Datenbank liegt in einer öffentlich
noch nicht zugänglichen Rohfassung bereits vor; z. Zt. wird mit
Hilfe der Vr- und Hv-Register die Revision durchgeführt. Als erstes
Ergebnis kann eine überraschende Vollständigkeit der Kartei konstatiert
werden.
Nach dem für die erste Jahreshälfte 2001 erwarteten Abschluss der
Revisionsarbeiten wird eine Abfrage-Version der Datenbank auch der Justizverwaltung
zur Verfügung stehen. Für die öffentliche Benutzung wird eine
anonymisierte Version erstellt werden, die beispielsweise am DÖW abfragbar
sein wird.
Die Weiterentwicklung der Datenbank »Wiener Volksgerichtskartei«
zum Muster für eine gesamtösterreichische Verfahrensdatenbank und
ihre wissenschaftliche Auswertung
Für die Revision der Vg-Kartei-Datenbank wurde mit
großzügiger Unterstützung des DÖW eine netzwerkfähige
Variante der Datenbank erstellt, die durch Angaben über den Gegenstand
und den Ausgang der Verfahren erweiterbar ist. Die Revision mit Hilfe der Registerbände
des Volksgerichts Wien (Vr-Register) dient der Eliminierung von Schreibfehlern,
der Überprüfung der Angaben zu den Paragraphen, nach denen die Voruntersuchung
eingeleitet wurde, und der Ergänzung von Namen und Verfahren. Mit Hilfe
der Querverweise im Register sind auch Korrekturen und Ergänzungen zu den
auf den Karteikarten vermerkten Ausscheidungen, Einbeziehungen und Verfahrenseinstellungen
möglich. Das Projekt wurde in der im Oktober 2000 erscheinenden Nr. 3 der
Zeitschrift des Vereins zur Förderung justizgeschichtlicher Forschungen
und des Vereins zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und
ihrer Aufarbeitung (»Justiz und Erinnerung«) in einem Beitrag von
Andrea Steffek und Susanne Uslu-Pauer vorgestellt.
Sowohl für die wissenschaftliche Auswertung der Datenbank als auch für
ihre optimale Nutzung durch die Justizverwaltung ist die Einarbeitung des Hauptverhandlungs-(Hv-)Registers
des Volksgerichts Wien erforderlich, da auf diese Weise der Ausgang sämtlicher
Verfahren abfragbar wird. Mit diesem Arbeitsschritt soll, wenn die erforderlichen
finanziellen Mittel bereitgestellt werden können, noch im Jahre 2000 begonnen
werden. Vorgesehen ist eine Auswertung hinsichtlich der Anzahl von Personen
und Verfahren, des Geschlechts und des Alters der Beschuldigten, des Verhältnisses
zwischen eingeleiteten Verfahren und Verurteilungen sowohl im zeitlichen Verlauf
als auch in Bezug auf die einzelnen Delikte. Zeitliche Verlaufskurven sollen
auch für die Urteilshöhe und die Urteilsaufhebungen durch den OGH
erstellt werden. Allein die Erstellung der Datenbank hat die Erkenntnis ermöglicht,
dass die in der amtlichen Statistik genannten 52.600 Voruntersuchungen in Wien
39.000 Personen betrafen, was Rückschlüsse auf die Gesamtzahl der
Personen ermöglicht, gegen die Volksgerichtsverfahren eingeleitet wurden
wie eingangs erwähnt, ist von 110.000 bis 120.000 Personen auszugehen,
was die Zahl der »Illegalen« (NSDAP-Mitglieder vor dem »Anschluss«
1938) nur geringfügig übersteigt.
Neben der Fortsetzung der Revision und Auswertung der Wiener Volksgerichtskartei
werden ab Ende 2000/Anfang 2001 die oben erwähnten Kurzbeschreibungen der
(bis dahin vermutlich rund 650) bereits mikroverfilmten Gerichtsverfahren in
die Datenbank übertragen und den einzelnen Tat-, Täter- und Opfer-Kategorien
zugeordnet werden. Dabei werden die Texte mit den Angaben über den jeweiligen
Tatvorwurf so umgeschrieben, dass sie für eine anonymisierte Version der
Datenbank verwendbar sind.
Die Revisions- und Auswertungsarbeiten wurden bisher durch die Hochschuljubiläumsstiftung
der Stadt Wien gefördert. Da noch über hunderttausend Schilling erforderlich
sind, um die Arbeiten abschließen zu können, versucht der Verein
zur Förderung justizgeschichtlicher Forschungen, die erforderlichen finanzielle
Mittel durch private Spenden aufzubringen. Für die Präsentation der
Forschungsergebnisse hat die Bundesvertretung der Österreichischen Hochschülerschaft
ihre Unterstützung zugesagt.
Die Erschließung der im Oberösterreichischen
Landesarchiv aufbewahrten (Volks-)Gerichtsakten als Pilotprojekt für
eine gesamtösterreichische Verfahrensdatenbank. Die wissenschaftliche
Auswertung der oberösterreichischen Verfahrensdatenbank
Gerichts- und Staatsanwaltschaftsakten der Verfahren wegen NS-Verbrechen
werden im Oberösterreichischen Landesarchiv (OÖLA) in der Sammlung
»Sondergerichte/Politische Gerichte« aufbewahrt. Der Zugang zu den
Akten ist einerseits über den Katalog der Sammlung »Sondergerichte«
(der zu zahlreichen Verfahren auch kurze Anmerkungen zum Verfahrensgegenstand
enthält) und andererseits über eine Datenbank der Kartei der Staatsanwaltschaft
beim Volksgericht Linz gewährleistet. Die Datenbank enthält Namen,
Vornamen und Geburtsdaten der Beschuldigten sowie die Geschäftszahl der
Staatsanwaltschaft und, falls die Sache gerichtsanhängig gemacht wurde,
des Volksgerichts Linz. Für die Paragraphen, nach denen die Vorerhebungen
eingeleitet wurden, wird eine kodierte Form verwendet, die jeweils Deliktgruppen
zusammenfasst. Ein Textfeld ermöglicht inhaltliche Anmerkungen zum Verfahren.
Mit Hilfe der am DÖW für Wien erarbeiteten, im Punkt 4 erwähnten,
netzwerkfähigen Datenbank ist es nun in einem nächsten Auswertungsschritt
möglich, eine inhaltliche und geographische Zuordnung der Verfahren vorzunehmen.
Dafür ist allerdings die Autopsie der Akten selbst erforderlich, da die
Karteien und Register der Gerichte keinerlei Angaben über den Verfahrensgegenstand
enthalten. Damit wird erstmals in Österreich eine Datenbank vorliegen,
die der wissenschaftlichen Forschung inhaltliche Informationen über sämtliche
Verfahren wegen NS-Verbrechen vor einem bestimmten Gericht bietet. Linz bietet
sich sowohl wegen der bereits geleistete Vorarbeiten am OÖLA als auch wegen
des vergleichsweise geringen Umfangs des Aktenbestands (rund 6.000 Akten) an,
um als Pilot-Projekt für eine gesamtösterreichische Erfassung
der Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen die Funktionsfähigkeit
der Verfahrensdatenbank zu testen und diese an die Bedürfnisse des vernetzten
Arbeitens von mehreren Standorten aus zu adaptieren. Dabei werden auch Routinen
des Datenabgleichs entwickelt und erprobt werden. Die Erfahrungen sollen sowohl
in die gesamtösterreichische Vernetzung als auch in den geplanten europäischen
Datenverbund einfließen.
Besonders hervorzuheben ist, dass dadurch die Auffindung von Verfahrensakten
zu bestimmten Tatkomplexen auch ohne Kenntnis des Namens des/der Beschuldigten
möglich sein wird. Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden in der
Publikumsversion der Datenbank sämtliche Informationen zu den Beschuldigten
mit Ausnahme des ersten Buchstabens des Familiennamens und der für statistische
Auswertungen notwendigen Angaben (Geburtsjahr, Geschlecht des/der Beschuldigten)
eliminiert werden. Die Kurztexte zur Beschreibung des Verfahrensgegenstands
werden in einer Weise abgefasst, welche den Erfordernissen der Anonymisierung
entspricht.
Die Erschließung der Akten soll in zwei Richtungen mit einer inhaltlichen
Auswertung gekoppelt werden: Zuerst ist in ähnlicher Weise wie dies
auf Grund der Einarbeitung des Hauptverhandlungs-(Hv-)Registers des Volksgerichts
Wien in die Datenbank für die Wiener Verfahren vorbereitet wird
im Rahmen des hier beschriebenen Projekts eine statistische Auswertung von Beschuldigten
und Delikten und die Erstellung von zeitlichen Verlaufskurven vorgesehen. Sodann
sollen im Zuge eines Forschungsprojekts zum Thema »Justiz und NS-Gewaltverbrechen
in Österreich. Regionale Besonderheiten und Vergleich mit Deutschland«
die Linzer Auswertungsergebnisse mit denen anderer Gerichte in Beziehung
gesetzt werden.
Für die Finanzierung dieser Erschließungsarbeiten nahm der »Verein
zur Förderung justizgeschichtlicher Forschungen« 1999 Gespräche
mit der Forschungssektion des damaligen Bundesministeriums für Wissenschaft
und Verkehr auf und stellte einen Subventionsantrag an das Land Oberösterreich.
Die Erschließung und wissenschaftliche Auswertung
der Akten der übrigen (Volks-)Gerichte
Im Zuge der eingangs erwähnten Forschungsprojekte des DÖW
wurden auch Registerbände der Volksgerichte in Graz, Linz und Innsbruck
ausgewertet. Erfasst wurden Verfahren, in denen entweder besonders hohe Strafen
(10 Jahre und mehr) ausgesprochen oder die wegen bestimmter Paragraphen geführt
wurden (Mord, Misshandlung und Verletzung der Menschenwürde, Tätigkeit
als Kreisleiter gemäß § 1 Abs. 6 Kriegsverbrechergesetz), da
angenommen werden kann, dass derartige Verfahren mit großer Wahrscheinlichkeit
historiographisch relevante Dokumente enthalten. Für Graz wurde durch Heimo
Halbrainer eine Liste von ausgewählten, mit Urteil abgeschlossenen Verfahren
wegen NS-Verbrechen erstellt, die auch Kurz-Angaben über den jeweiligen
Verfahrensgegenstand enthält. Entsprechend den genannten Kriterien wurde
in die Liste 137 historiographisch vermutlich besonders relevante Grazer Volksgerichtsverfahren
aufgenommen; für die Prozesse nach 1955 ist die Liste komplett.
Seit 1998 wird in Graz durch Martin F. Polaschek (Projektleiter) und Heimo Halbrainer
ein Forschungsprojekt des FWF durchgeführt, im Zuge dessen alle Verfahren
wegen Denunziation gemäß § 7 Kriegsverbrechergesetz vor dem
Volksgericht Graz und dem ständigen Außensenat Leoben erfasst und
ausgewertet werden. Aufbauend auf dieser Teil-Analyse soll zu einem späteren
Zeitpunkt die Einbeziehung der Grazer Aktenauswertung in die gesamtösterreichische
Verfahrensdatenbank erfolgen. Seitens des Steiermärkischen Landesarchives
wurde bereits Interesse an einer Kooperation angemeldet.
In Klagenfurt bestand ebenfalls ein ständiger Außensenat des Volksgerichts
Graz. Für die Klagenfurter Verfahren liegt in drei Diplomarbeiten
an der Universität Klagenfurt (Patrick Kohlweg, Elfriede Pellar, Wolfgang
Fera) eine systematische Auswertung der Gerichtsregister nach Paragraphen
vor. Sobald die erforderlichen finanziellen Mittel bereitgestellt werden können,
werden die Listen aus diesen Diplomarbeiten in die gesamtösterreichische
Verfahrensdatenbank übertragen werden. Außerdem werden seit mehreren
Jahren im Zuge eines Forschungsvorhabens an der Abteilung Zeitgeschichte des
Instituts für Geschichte der Universität Klagenfurt die Akten von
Volksgerichtsverfahren wegen historiographisch besonders relevanten Sachverhalten
eingescannt und dabei wissenschaftlich ausgewertet.
Für das Volksgericht Innsbruck (sowie das französische Besatzungsgericht
für Tirol und Vorarlberg) wurde eine mit den Klagenfurter Diplomarbeiten
vergleichbare Auswertung allerdings beschränkt auf die Meldungen
in zwei Tiroler Tageszeitungen 1945 bis 1950 im Rahmen einer Dissertation
an der Universität Innsbruck (Christa Kofler) durchgeführt. Darüber
hinaus wurde im Zuge der oben erwähnten Auswertung der Registerbände
eine Liste von mehr als 350 Verfahren mit vermutlich historiographisch relevantem
Inhalt erstellt. Die Auswerung wurde durch das Fehlen des Hauptverhandlungsregisters
der für die Volksgerichtsverfahren zuständigen Gerichtsabteilung erschwert.
Die seither erfolgte Einsicht in eine Reihe von Originalakten zeigte, dass die
Auswertung in Innsbruck wegen des teilweise ungeordneten Zustands der Akten
und des Fehlens wichtiger Dokumente besonders schwierig sein wird, weshalb trotz
der geringen Anzahl von Verfahren mit erheblichem Zeitaufwand zu rechnen ist.
Seitens des Tiroler Landesarchives wurde bereits Interesse an einer Kooperation
angemeldet.
Die gesamtösterreichische Datenbank als Voraussetzung
für die wissenschaftliche Analyse der Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen
Bevor die Gespräche mit Vertretern der Forschungssektion
des Wissenschaftsministeriums wegen der Budgetprobleme Anfang 2000 unterbrochen
wurden, war Einigung darüber erzielt worden, dass es sinnvoll wäre,
das oberösterreichische Projekt als Pilotprojekt für eine gesamtösterreichische
Erfassung der Verfahren wegen NS-Verbrechen anzulegen. Für ein derartiges
Gesamtvorhaben sprechen forschungsökonomische und politische Gründe.
Gerichtsverfahren werden in jüngster Zeit verstärkt als Geschichtsquelle
genutzt. Für einige aktuelle Forschungsfelder wie »Arisierung«,
Zwangsarbeit oder die NS-Euthanasie stellen die in den Gerichtsakten enthaltenen
Originaldokumente und Abschriften aus der NS-Zeit sowie Zeugenbefragungen und
Beschuldigtenvernehmungen der ersten Nachkriegsjahre eine wertvolle Parallelüberlieferung
vor allem dort dar, wo die Originalakten verlorengegangen sind. Zentrale Bereiche
der NS-Herrschaft wie die Funktionsweise der Gestapo oder die »Vernichtung
unwerten Lebens« sind ohne die Kenntnis der Nachkriegsprozessakten seriöserweise
nicht erforschbar. Da, wie erwähnt, der Gegenstand von Gerichtsverfahren
aus den Registern nicht hervorgeht, ist jedes derartige Forschungsvorhaben mit
einem beträchtlichen Recherche-Aufwand zur Eruierung der Prozessakten befrachtet.
Eine gesamtösterreichische Datenbank würde den Zugang zu den Akten
für die wissenschaftliche Forschung spürbar erleichtern. Darüber
hinaus würde, wie erwähnt, die datenschutzrechtlich sensible
Notwendigkeit, die Namen des/der Beschuldigten zu kennen, wegfallen.
Die Erstellung einer derartigen Datenbank (und ihre wissenschaftliche Auswertung)
wäre auch politisch sinnvoll, weil die justizielle »Bewältigung«
der NS-Verbrechen immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen im In- und
Ausland ist, ohne dass die für eine sachliche Diskussion erforderlichen
empirischen Fakten wissenschaftlich erforscht sind.
Die wissenschaftliche Auswertung der Linzer Datenbank erlauben,
für Oberösterreich wesentlich präzisere Zahlen zur justiziellen
Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen vorzulegen als dies auf Grund der
bisherigen offiziellen Statistiken für die übrigen Bundesländer
möglich ist, was als Argument für die finanzielle Beteiligung weiterer
Bundesländer an dem Gesamtprojekt geeignet ist.
Das Projekt »EDV-gestützte Erschließung
der Volksgerichtsakten im OÖLA«
1946 bis 1955 war am Landesgericht für Strafsachen
Linz das Linzer Volksgericht (mit zeitweisen Außensenaten in Ried/Innkreis
und Salzburg) tätig. Von insgesamt 23.400 Ermittlungsverfahren hat die
Staatsanwaltschaft Linz 19.928 Verfahren gerichtsanhängig gemacht. In 5.958
Fällen wurde Anklage erhoben, über 4.313 Personen wurde ein Urteil
gefällt (1.993 Schuldsprüche, 2.320 Freisprüche). In wie vielen
Verfahren gegen diese Personen ermittelt wurde, ist nicht bekannt; insgesamt
dürfte es sich um ca. 6.000 Akten handeln. Die Bestände des Volksgerichts
Linz (einschließlich der temporären Außensenate in Ried/Innkreis
und Salzburg) samt den Staatsanwaltschaftsakten und den dazugehörigen Karteien
und Registern befinden sich im Oberösterreichischen Landesarchiv.
Wie erwähnt, wurde für die Erfassung und Auswertung der Gerichtsakten
im Oberösterreichischen Landesarchiv mit der Datenbank der Kartei der Staatsanwaltschaft
Linz bereits eine Grundlage geschaffen. Die weitere Aufbereitung des Bestands
für die wissenschaftliche Forschung soll in der Art erfolgen, daß
die aus der Kartei gewonnenen Grunddaten (Name, Geschäftszahlen von Staatsanwaltschaft
und Gericht, meist auch Paragraphen des Strafgesetzbuches in kodierter Form)
durch Angaben ergänzt werden, die Resultat einer Grobauswertung der Gerichtsakten
sind (Kurzbeschreibung des der gerichtlichen Untersuchung zugrundeliegenden
Verbrechens, Tatzeit, Tatort und Angaben zum Verlauf des Gerichtsverfahrens
[Einstellung, Anklageerhebung, Urteil, Vollzug]).
Diese Auswertung der oberösterreichischen Akten ist
aus zwei Gründen von gesamtösterreichischem Interesse.
Erstens aus inhaltlichen Gründen: Ein Teil der Verfahren wegen Verbrechen
im KZ Mauthausen wurde vor dem Volksgericht Linz abgehandelt; in Oberösterreich
befand sich mit Hartheim die wichtigste Tötungsanstalt im Rahmen der NS-»Euthanasie«.
Zweitens aus forschungsökonomischen Gründen: Durch die Vorarbeiten
des OÖLA ist es möglich, an einem relativ überschaubaren Bestand
Kriterien für die EDV-gestützte Erfassung österreichischer Gerichtsverfahren
wegen NS-Verbrechen zu entwickeln. (Für die übrigen Volksgerichte
müssen diese Vorarbeiten erst geleistet werden; für Wien sind sie,
wie erwähnt, zur Zeit im Gange.)
Die Auswahl der für die Aktenauswertung einzusetzenden
Personen erfolgt gemeinsam mit dem für Gerichtsakten zuständigen Beamten
des Oberösterreichischen Landesarchivs (Franz Scharf) und der Leitung des
Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Universität
Linz (Prof. Dr. Hans Hautmann). Die praktische Vorgangsweise bei der Aktendurchsicht
und -auswertung für die Datenbank wurde in den letzten Jahren im Zuge der
mit einer formalen und inhaltlichen Auswertung verbundenen Mikroverfilmung von
Wiener (Volks-)Gerichtsakten erarbeitet und bereits an der neuen Datenbank erprobt.
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Garscha / Kuretsidis-Haider
September 2000
Ziffern über Angeklagte / Verurteilte vor den Geschworenen- gerichten aktualisiert
(Stand: März 2002)
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