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  Das Massaker an ungarisch- jüdischen Zwangsarbeitern zu Kriegsende in Rechnitz (Burgenland) und seine gerichtliche Ahndung durch die österreichische Volksgerichtsbarkeit


Einsatz der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter beim "Südostwallbau"

Das Massaker von Rechnitz

Am 24. März 1945 wurden 600 ungarische Juden von Güns (Ungarn) per Bahn nach Burg (Burgenland) transportiert, wo sie beim "Südostwallbau" als Zwangsarbeiter eingesetzt werden sollten. 200 der deportierten, völlig erschöpften Menschen wurden jedoch wieder zum Bahnhof Rechnitz rückgeleitet, da sie für den Arbeitseinsatz teils zu krank, teils körperlich zu stark geschwächt waren. In der Nacht darauf wurden rund 180 dieser Juden von Teilnehmern des im Schloß Bátthyány abgehaltenen Kameradschaftsfestes beim sogenannten Kreuzstadel in Rechnitz ermordet. Zu den Festgästen zählten die "zuverlässigsten Getreuen des nationalsozialistischen Systems" , darunter unter anderem Franz Podezin, Ortsgruppenleiter von Rechnitz , Funktionäre der Kreisleitung (zwei davon wurden später angeklagt) und die Mitarbeiter der Leitung des "Südostwallbaus", unter ihnen die Sekretärin von Podezin (die spätere Angeklagte Hildegard Stadler). Ebenfalls anwesend waren Graf und Gräfin Bátthyány, welche ihr Schloß für das Fest zur Verfügung stellten, und deren Gutsverwalter.
Dem Beweisverfahren zufolge wurden die Juden von Franz Podezin und ungefähr weiteren neun Personen ermordet. Notdürftig verscharrt wurden sie vom späteren Angeklagten Ludwig Groll und einer zweiten Person. Am Abend des darauffolgenden Tages (25. März 1945) wurden beim Schlachthaus ungefähr weitere 18 Juden ermordet, welche am selben Morgen Totengräberdienste geleistet und sich seither unter Bewachung beim sogenannten Kreuzstadel befunden hatten.


Die gerichtliche Verfolgung des Massakers von Rechnitz

Das Verfahren "Rechnitz I"

Die Voruntersuchung im ersten Verfahren wurde durch den Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 12.10.1945 gegen Eduard Nicka (ehemaliger Kreisleiter von Oberwart), Franz Podezin und sieben Personen wegen Ermordung, Mißhandlung und Verletzung der Menschenwürde von beim "Südostwallbau" in Rechnitz eingesetzten ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern eingeleitet. Die Voruntersuchung wurde in der Folge auf weitere Verdächtige ausgedehnt, Anklage am 27. November 1947 jedoch nur gegen fünf Personen, darunter Ludwig Groll, ehemaliger Bürgermeister der Stadt Oberwart, Josef Muralter, Leiter des Unterabschnittes "Rechnitz II" und die Hildegard Stadler, Kanzleikraft im Einsatzstab, erhoben. Das Verfahren gegen die übrigen Beschuldigten war mangels Zusammenhanges ausgeschieden, eingestellt (in zwei Fällen wegen des Todes des Beschuldigten) bzw. ausgeschieden und unter der neuen Gerichtszahl LG Wien Vg 11d Vr 190/48 ("Rechnitz II") weitergeführt worden. Die Anklage lautete auf vielfachen vollbrachten gemeinen Mord, vielfachen vollbrachten gemeinen Mord als Mitschuldiger, Mißhandlung und Quälerei bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Hauptverhandlung wurde jedoch gegen sechs Angeklagte durchgeführt, da am 3. Mai 1948 im Verfahren "Rechnitz II" Anklage gegen einen weiteren Beschuldigten erhoben, mit Beschluß vom 13. Mai 1948 das Verfahren gegen den Angeklagten auf Antrag der Staatsanwaltschaft ausgeschieden an das gegenständliche Verfahren ("Rechnitz I") rückabgetreten worden war. Der Beschuldigte war bei der Gutsverwaltung des Schlosses Rechnitz als Kutscher beschäftigt gewesen. Die Anklage gegen ihn lautete auf mehrfachen, vollbrachten gemeinen Mord als Mitschuldiger und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Von den 12 Tagen der Hauptverhandlung in diesem Verfahren (durchgeführt vom 28. Juni bis 12. Juli 1948) wurden nur acht Verhandlungstage am Landesgericht Wien abgehalten. Für vier Tage übersiedelte der Gerichtshof ans Bezirksgericht Oberwart bzw. nach Rechnitz, was durch die Abhaltung von Lokalaugenscheinen bedingt wurde. Der Großteil der Angeklagten und der Zeugen stammte aus der näheren Umgebung von Rechnitz. Dem Gericht ging es während der Hauptverhandlung in erster Linie darum, die subjektive Schuld des einzelnen Angeklagten festzustellen, d. h, von Relevanz war, wer zu welcher Zeit das Fest verlassen hatte und ab welchem Zeitpunkt der jeweilige Beschuldigte über die (bevorstehende) Ermordung informiert war. Der Frage, ob die ermordeten Juden an Flecktyphus erkrankt gewesen waren, wurde im Laufe der Verhandlung, beginnend bereits mit der ersten Beschuldigtenvernehmung, immer wieder nachgegangen, vor allem deswegen, weil die Angeklagten die Erkrankung der Juden immer wieder als "Erklärung" für deren Ermordung angaben und dadurch ihr eigenes Verhalten rechtfertigen wollten. Durch die Befragung der Zeugen versuchte das Gericht das Verhalten der Angeklagten den "Schanzern" gegenüber zu klären; dieser Frage wurde jedoch nicht so viel Bedeutung beigemessen wie dem Hauptvorwurf der Anklage, nämlich der Ermordung der Juden, sondern diente vielmehr als Abrundung des Gesamteindruckes vom jeweiligen Angeklagten. Auf den "Südostwallbau" wurde insoweit eingegangen, als es notwendig war, um die Rolle und Funktion des betreffenden Angeklagten zu klären. Im gegenständlichen Prozeß kamen drei überlebende Juden zu Wort; in zwei Fällen wurde jedoch nur das Protokoll der Einvernahme verlesen, da die Zeugen nicht bei der Hauptverhandlung anwesend waren, obwohl das Gericht sich um ihr Erscheinen bemüht hatte. Ein "direktes Echo" innerhalb der Bevölkerung auf die Morde, d. h. eine "Beurteilung" derselben geht aus den Zeugenvernehmungen nicht hervor und war eine Frage, der das Gericht in der Verhandlung überhaupt nicht nachging. Sehr wohl geht aber aus einzelnen Aussagen hervor, daß das Massaker am darauffolgenden Tag Hauptgesprächsthema im Ort war und zumindest zum Zeitpunkt des Prozesses einige Personen noch Angaben zu der bis zum heutigen Tage nicht gefundenen Grabstelle hätten machen können. Der Umstand, daß die Zeugen zum größten Teil aus der unmittelbaren Umgebung von Rechnitz stammten lassen den Schluß auf Einschüchterung durch Terror zu.

Besonders erwähnenwert ist die Vernehmung des ehemaligen Kreisleiters von Oberwart, Eduard Nicka, am 5. Verhandlungstag (2. Juli 1948), da sie stellvertretend für die Rechtfertigungen von vielen anderen, die Positionen vergleichbar seiner Rangordnung innehatten, steht. So entlastete Nicka den Angeklagten M., welcher in der Verbotszeit nicht für die NSDAP tätig gewesen sei:
"In Rechnitz gab es überhaupt keine Illegalen. [...] Ich möchte hier noch sagen, dass er [sic!] gerade im Burgenland sehr schwer war, Mitarbeiter überhaupt zu finden und Leute zur Mitarbeit zu bewegen."
Bezüglich des Stellungsbaus gab er zu Protokoll, daß zwar einzelne Mißhandlungen vorgekommen seien; ihm sei aber nicht bekannt, daß Juden oder Ostarbeiter durch die Angeklagten mißhandelt worden wären. Die erste Verständigung über die "Vorfälle" in der Nacht von 24. auf 25. März 1945 hätte er vom Einweisungsstabführer erhalten:
"Am Sonntag morgen so um 8 oder 9 Uhr wurde ich von ihm angerufen, er sagte mir, dass in der Nacht Schiessereien waren und zwar bei der Grenze. [...] Er sagte mir weiters, dass er bereits Rückfragen gehalten habe und festgestellt hätte, dass Erschiessungen stattgefunden hätten. [...] Ich habe schon viel darüber nachgedacht, wieso ich von diesen Vorfällen nichts erfahren hatte. Ich wusste weder von Weisungen noch Befehlen über solche Liquidierungen,
noch bin ich befragt worden oder rückgefragt worden."
In der Folge wurde Nicka ausführlich zu Übergriffen gegenüber Juden und zur Kompetenzaufteilung beim Südostwallbau befragt:
"Mir persönlich sind nicht viel Übergriffe bekannt. [...] Bei solchen Dingen, wenn wirklich so etwas vorkam, bin ich sehr scharf vorgegangen, weil wir es ja nicht riskieren konnten, dass sich die Bevölkerung gegen uns stellte. [...] Ich möchte jedoch sagen, dass mir nicht alles berichtet wurde. Ich wundere mich überhaupt, dass Erschiessungen in Rechnitz stattfanden, denn ich möchte in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass ich vom Gauleiter vertraulich und geheim eine Mitteilung bekam, welche lediglich an die Kreisleiter durchgegeben wurde, es war dies um die Zeit gegen den 20.3.45, dass die Juden ordentlich zu behandeln wären, weil irgendwelche Verhandlungen diesbezügl. gepflogen wurden."
Über Befragen durch den Staatsanwalt gab Eduard Nicka bezüglich seines weiteren Verhaltens an:
"Als ich von den Judenerschiessungen hörte habe ich sofort in Rechnitz rückgefragt. [...] ich bekam jedenfalls keine Verständigung. [...] Ich habe dann sofort Montag den Gauleiter angerufen [...] Ich habe ihm sofort Mitteilung gemacht. Dieser gab mir darauf zur Antwort, dass er diesen Vorfall nicht glauben könne, auch wäre das zu überraschend und gab er mir bekannt, dass er der Sache nachgehen werde. [...] Er kam auch richtig am 26. oder 27. März heraus [...] es gab damals bereits ein grosses Durcheinander. Im Schachendorfer Zollhaus hielt sich der Gauleiter einige Tage in Zivil auf [...] In der Liquidierungsangel. sagte er jedoch, dass die Sachen erhoben werden. Er sagte mir ferner, dass dieser Vorfall restlos bereinigt wird [...] Ich glaube es würde heute niemand hier stehen, wenn damals die Angelegenheit ausgetragen hätte werden können."
In der Strafanzeige der Sicherheitsdirektion für das Burgenland vom 15. April 1945 gegen Podezin und andere war bezüglich Nicka noch folgendes festgehalten worden:
"Obwohl Nicka zur Zeit der Judenerschiessung in Rechnitz nicht anwesend gewesen ist, hat es sich auch nicht einwandfrei klären lassen, ob nicht er derjenige gewesen, der damals vor seinem Abgang aus Rechnitz die Erschiessung angeordnet hat. In Bezug auf die Mitschuld bzw. Hauptschuld des Nicka könnte in erster Linie wohl nur der Gestapobeamte Podezin aussagen. Möglich wäre es jedoch gewesen, dass Podezin, ohne das Einvernehmen mit Nicka hergestellt zu haben, im eigenen Wirkungskreise die Erschiessungen durchgeführt hat."

Am 6. Verhandlungstag (3.7.1948) trat die Staatsanwaltschaft von der Anklage gegen zwei Beschuldigte zurück, welche in der Folge gemäß § 259/2 StPO freigesprochen wurden. Am 15. Juli 1948 wurden die beiden Angeklagten Stefan Beiglböck und Hildegard Stadler gemäß § 259/3 StPO einhellig freigesprochen, ihnen aber - genauso wie den bereits am 3. Juli 1948 freigesprochenen ehemals Beschuldigten - eine Haftentschädigung einhellig abgesprochen. Der Angeklagte Ludwig Groll wurde zu acht Jahren schweren Kerkers und Vermögensverfall , der Angeklagte Josef Muralter zu 5 Jahren schweren Kerkers und Vermögensverfall verurteilt.

Die Unterstützungserklärungen der einzelnen Parteien und von Privatpersonen in Zusammenhang mit Gandengesuchen der beiden Verurteilten gibt deutlich die Haltung der Bevölkerung zur Ahndung der nationalsozialistischen Verbrechen wieder. Im November 1948 stellte der Verurteilte Muralter einen Antrag auf Überprüfung und Aufhebung des Urteils sowie Verweisung der Strafsache zur neuerlichen Verhandlung an das Volksgericht, da mehrere Strafgesetze zu seinem Nachteil ungünstig angewendet worden wären. Diesem Antrag waren "Befürwortungen" der zwei anerkannten demokratischen Parteien SPÖ und ÖVP beigelegt. Die Groß-Lokalorganisation Köflach (Steiermark) der SPÖ begründete ihr "Politisches Gutachten und Befürwortung" vom 26. Juli 1948 damit, daß "wir den Genannten seit seiner Geburt kennen und dadurch bezeugen können, daß derselbe schon als Kind, als Jüngling und späterer junger Mann sich stets in jeder Hinsicht höchst korrekt benommen hat und wir ihm absolut nicht zutrauen können, sich jemals eine strafbare Handlung zuschulden kommen lassen könnte. [...] Auf Grund der guten Charakterveranlagung des Genannten und auch aus Mitteilungen seiner Mutter und näheren Verwandten während der Nazistenzeit wissen wir und nehmen wir an, daß Herr Josef Muralter noch während der Nazistenzeit einsehen gelernt hat, daß dieses Regime zum Verbrechen an allen Völkern geworden ist und daß er bitter bereut hat, an diesem grauenhaften Geschehen durch seine legale Mitgliedschaft der NSDAP sich eine Kollektivschuld aufgeladen zu haben. [...] Wir können noch festhalten, daß die Bevölkerung von Köflach und Umgebung, die, wie eingangs bemerkt, den Genannten Jahrzehnte hindurch kennt, mit tiefstem Bedauern und zum Teil mit Verständnislosigkeit das Urteil über den Genannten aufgenommen hat."
Der Stadtleitung der ÖVP Köflach, die in die selbe Kerbe schlug, erschien es in ihrem Unterstützungs-schreiben vom 26. Juli 1948 unfaßbar,
"eine so schwere Verurteilung auszusprechen. Die Eltern des oben Genannten sind alte, ehrsame, ansässige Bürger der Stadt Köflach und trifft dieses Urteil die Mutter des Verurteilten so schwer. [...] Die Stadtleitung Köflach kennt ihn als einen der tüchtigsten Fachmänner in seiner Berufsgruppe und würde es schwer vermissen, diesen tüchtigen Menschen vom Wiederaufbau des so schwer geprüften Österreich ausgeschaltet zu wissen."
Abschließend wird im Schreiben gebeten, "dass [...] ein menschenwürdig tragbares Urteil ausgesprochen wird." Der Bürgermeister von Köflach bestätigte schließlich in seinem Schreiben vom 26. Juli 1948, daß Muralter, der seine Jugend- und Lehrjahre in Köflach verbracht hatte, "sich in jeder Hinsicht korrekt und anständig seinen Mitmenschen gegenüber verhalten" hat. Wiederum wird der Täter als das eigentliche Opfer hingestellt, der Tausch der Opferrolle perfektioniert und gleichsam Sinnbild für den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Österreich.
Der Verurteilte Groll stellte im August 1949 ein Gesuch um gnadenweisen bedingten Strafrestnachlaß, welchem eine Unterstützungserklärung sowohl der Lokalorganisation Oberwart der SPÖ (mit Datum vom 17. Mai 1949) als auch der Bezirksparteileitung Oberwart der ÖVP (mit Datum vom 28. März 1949) angeschlossen war. Neben den Befürwortungen durch die Parteien enthielt das Gesuch natürlich auch Schreiben von Privatpersonen, in denen Groll unter anderem als "die Güte selbst [...] und immer bestrebt [...] anderen zu helfen" sowie "durch das Zusammentreffen irgend welcher unglücklicher Umstände in diese Angelegenheit verwickelt" beschrieben wurde. Der öffentliche Verwalter der STEWEAG [= Steirische Wasserkraft- und Elektrizitäts-AG] und Obmann der Sektion Industrie der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für die Steiermark hielt in seinem Schreiben vom 17. Dezember 1947 fest, daß "Gutmütigkeit und menschliches Verständnis zu den Grundzügen seines Wesens gehören. [...] Ich bin [...] der Meinung, daß provinzielle Verhältnisse, Mangel an politischer Einsicht, Hoffnung auf geschäftliche Vorteile, ein gewisses Geltungsbedürfnis und mißverstandener Idealismus ihn seinerzeit verleiteten, sich dem Nationalsozialismus anzuschließen, Motive, die ihn der Mitwirkung an Mord und Raub nicht fähig erscheinen lassen."

Das Verfahren "Rechnitz II"

Dieses Verfahren wurde nach Antrag der Staatsanwaltschaft vom 24. November 1947 mit Beschluß vom 10. Dezember 1947 aus dem Verfahren LG Wien Vg 2f Vr 2832/45 ("Rechnitz I") ausgeschieden und gegen acht Beschuldigte geführt, und zwar wegen §§ 3, 4 KVG, § 134 StG, wegen §§ 5, 134 StG, § 1 KVG bzw. wegen §§ 1, 134 StG. Die Erhebungen konzentrierten sich im Laufe des Verfahrens jedoch immer mehr auf die Person des ehemaligen Kreisleiters von Oberwart, Eduard Nicka, gegen den wegen §§ 3, 4 KVG, § 134 StG und § 166 StG ermittelt wurde. In den anderen sieben Fällen erfolgte die vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 412 StPO , die Einstellung des Verfahrens gemäß § 109 StPO bzw. die Zurücklegung der Anzeige gemäß § 90 StPO.

Eduard Nicka wurde am 11. Mai 1946 durch einen Beamten des Gendarmeriepostens Lebring in der Steiermark verhaftet und noch am selben Tag in das Gerichtsgefängnis Leibnitz eingeliefert. In der Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos Lebring vom 11. Mai 1946 wurde festgehalten, daß Nicka im "Staatspolizeilichen Fahndungsblatt des Bundesministeriums für Inneres Nr. 3, Art. 333/46 wegen § 11 des Verbotsgesetzes zur Verhaftung aufscheint" und gegen ihn "unter Aktenzeichen Vg ad Vr 2059/45 das Strafverfahren wegen mehrfachen Kriegsverbrechen [sic!], begangen wie folgt, anhängig ist." Das Gendarmeriepostenkommando Lebring bezog sich auf die Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos Oberwart vom 26. September 1945, in welcher Nicka (laut Gendarmeriepostenkommando Lebring) der Befehl zur "Erschiessung von ungefähr 80 ungarischen Juden [in Deutsch-Schützen], die dort beim Ost-wall-
bau eingesetzt waren, im März 1945" und die Beteiligung
"an einem anderen Massenmord von ca. 220 ungarischen Juden vom Ostwallbau in Rechnitz [...], weil er anfangs März 1945, als dort die Juden erschossen wurden und nach der Erschiessung derselben, an einem Zechgelage der Mörder im Schlosse Rechnitz teilnahm und
[...] deshalb als Urheber dieser Massenmorde beschuldigt [wird]"
zur Last gelegt wurde. Daraus geht hervor, daß gegen Nicka spätestens ab Herbst 1945 wegen des Verdachts, daß er Hauptverantwortlicher oder zumindest Mitverantwortlicher für die Morde von Deutsch-Schützen und Rechnitz gewesen sei, ermittelt wurde.
Am 28. Juni 1946 wurde Eduard Nicka vom Bezirksgericht Leibnitz in das Gefängnis des Landesgerichtes Graz überstellt. Das Gendarmeriepostenkommando Oberwart erstattete am 1. August 1946 beim Bezirksgericht Oberwart Anzeige gegen Nicka , in welcher ihm zur Last gelegt wurde, daß er:
- "am 5. April 1945 gegen 20 Uhr, - kurz vor dem Einmarsch der russ. Truppen in Oberwart [...] das Gemeindeamt in Brand gesteckt [hat] oder stecken [hat] lassen" (§ 166 StG).
- beabsichtigt habe, den evangelischen Pfarrhof und die evangelische Kirche in Stadt-Schlaining im Zuge der Verteidigungsmaßnahmen im März 1945 sprengen zu lassen.
- die erpresserische Verpachtung eines Gasthauses im Jahre 1938 veranlaßt habe ("verwerfliche Handlung").
- im Jahre 1942 die Unterstützung für einen wegen Hochverrates zum Tode verurteilten Oberwarter verweigert habe (dieser wurde in der Folge hingerichtet), (§ 3 KVG).
- sich am 24. Jänner 1945 einen PKW zuweisen habe lassen und diesen nicht zurückgestellt habe (§ 6 KVG).
- er am 30. März 1945 aus Gehäßigkeit einen Gendarmerierayoninspektor wegen Fahnenflucht habe festnehmen lassen; diesen habe er vor ein Kriegsgericht stellen lassen wollen, was nur durch das rasche Vorrücken der russischen Armee unterblieben sei ("verwerfliche Handlung").
- am 15. Oktober 1944 aus Anlaß der Proklamation des ungarischen Reichsverwesers Horthy einen Journalisten verhaften habe lassen und diesem mit der Verschickung in ein KZ gedroht habe (§ 4 KVG).
- befohlen habe, "in der Gemeinde Harmisch, Bezirk Oberwart die Hütten der in das Konzentrationslager verschleppten Zigeuner abzureissen und sämtliche Einrichtung an die Bevölkerung zu verteilen. Weiters verfügte er auch die Überstellung der Zigeunerfamilie [...] Die aber in ein KZ eingewiesene Zigeunerfamilie [...] ist bis heute nicht wieder zurückgekehrt" (§§ 3, 6 KVG).

Am 4. Februar 1947 wurde Nicka in das Gefangenhaus I des Landesgerichtes für Strafsachen in Wien eingeliefert.
In der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Wien gab Nicka am 26. Februar 1947 zu Protokoll, im Jahre 1938 vom "damaligen Reichskommissar Bürckel über Vorschlag des Gauleiters Dr. Tobias Portschy zum Kreiswahlleiter des Bezirkes Oberwart bestellt" und anschließend zum Kreisleiter ernannt worden zu sein. Im Jahre 1939 oder 1940 sei er ehrenhalber zum SA-Sturmbannführer ernannt worden und im März 1940 freiwillig zur Waffen-SS eingerückt, wo er als Kriegsberichterstatter in Frankreich, Serbien, Rußland und Finnland eingesetzt worden wäre. Im Jahre 1942 habe er wieder die Leitung des Kreises Oberwart übernommen und sei 1944 von Gauleiter Uiberreiter mit "dem Ausbau des sogenannten Südostwalles bezüglich des Unterabschnittes VI betraut" worden.
"In Wirklichkeit hatte ich nur die Oberleitung des Baues im Kreise Oberwart. im [sic!] Kreis Fürstenfeld (Bez. Güssing) hat tatsächlich der Kreisleiter Meissl aus Fürstenfeld die Arbeiten geführt. [...] Mein Abschnitt erstreckte sich tatsächlich von Rechnitz nach Süden bis Deutsch-Schützen einschliesslich der Gemeinden Höll und St. Kathrein. [...] Mein Abschnitt wurde in die Abschnitte Rechnitz I und Rechnitz II, Burg und Deutschschützen untergeteilt. [...] Im März 1945 kamen aus Ungarn im Fussmarsch Juden in den Bezirk Oberwart, welche in einem sehr schlechten Zustand waren, [...] diese Juden wurden von uns so weit als möglich ausgestattet und in den Abschnitten Rechnitz I, Burg und Deutschützen [sic!] eingesetzt. [...] ich bestreite ganz entschieden, dass ich einen Befehl zur Ermordung dieser Juden gegeben hätte."
Wie nicht anders zu erwarten bestritt er auch die übrigen, ihm zur Last gelegten Delikte und sagte schließlich in der Vernehmung vom 13. Jänner 1948 aus, nie ernannter Kreisleiter gewesen zu sein.

Am 11. Februar 1948 (über Verfügung vom 16. Jänner 1948) erging vom Landesgericht Wien an die Gemeinde Oberwart das Ersuchen, "in ortsüblicher Weise (Austrommeln) bekannt zu geben, dass sich jene Personen, denen Nachteiliges über die Tätigkeit des Beschuldigten als Kreisleiter bekannt ist, bis zum 29. Feber 1948 beim Bezirksgericht Oberwart [...] zu melden haben, um dort nähere Angaben zu machen. - Es wird um Benachrichtigung von der Durchführung der Bekanntgabe ersucht." Am 2. März 1948 verfügte das Landesgericht das neuerliche Ersuchen um Benachrichtigung von der Durchführung des Ersuchens, da "dies [...] bis heute unterblieben [ist]". Am 14. April 1948 meldete das Bezirksgericht Oberwart schließlich, daß sich bis zu diesem Datum keine Zeugen gemeldet hätten.

Rechtzeitig vor der Anklageerhebung (13. Juli 1948) stellte Eduard Nicka am 3. Februar 1948 einen umfangreichen Beweisantrag, in welchem er die Vernehmung von weiteren Zeugen forderte und der vor allem aufgrund der ihm beigelegten eidesstattlichen Erklärungen von elf Personen zugunsten des ehemaligen Kreisleiters interessant ist. Aus diesen läßt sich leider nur allzu deutlich die Haltung der burgenländischen Bevölkerung dem Nationalsozialismus gegenüber herauslesen. Nicka wird dort unter anderem als " [...] gerechter, hilfsbereiter Mann, der immer zum Guten trachtete", welcher "von unserer grausamen Behandlung wahrscheinlich nichts erfahren konnte" , beschrieben. Auch der Pfarrer von Unterschützen fand nur gute
Worte für den (ehemaligen) Kreisleiter, der
"[...] vom ersten Tage seiner öffentlichen Tätigkeit als guter Mensch gewirkt [hat]. Niemandem, ob arm oder reich, blieb die Tür vor ihm verschlossen. [...] In seinen Entscheidungen liess er sich von keiner Parteidoktrin leiten, sondern von seinem guten Herzen."
Für eine ehemalige Kanzleikraft der Kreisleitung Oberwart war Nicka ein Mensch, der
"sich zu sehr in das harte Los des einzelnen hineinfühlte und sich dabei gesundheitlich nicht wenig aufrieb. Nicht selten trat er völlig erschüttert aus seinem Kanzleiraum heraus, um uns mitzuteilen, wie hart das Schicksal wiederum einen Menschen angefasst hat. [...] Die Vorsprachen beim Kreisleiter waren daher sehr beliebt."
Ein Abgeordneter zum Burgenländischen Landtag (ÖVP) erklärte hinsichtlich Nicka, daß dieser
sich
"sowohl politisch wie auch als Privatmensch stets korrekt und anständig benommen [hat]. [...] Es ist meine Überzeugung, dass sich manches im Bezirk Oberwart viel schlimmer entwickelt hätte, wäre nicht ein Mann wie Nicka, der stets um die politische Befriedung seines Kreises besorgt war, in dieser entscheidenden politischen Stellung gestanden."
In einer anderen Unterstützungserklärung heißt es, daß Eduard Nicka "bei den Schanzarbeiten am 'Südostwall' sehr viele Leute von der Schanzarbeit befreite, wenn diese weinend darum vorstellig wurden. Er sagte, die Leute sollen heimgehen, weinen kann er halt niemanden sehen!"

Am 13. Juli 1948 erhob die Staatsanwaltschaft Wien Anklage gegen Eduard Nicka wegen §§ 10, 11 VG (Hochverrat, Illegalität, Kreisleiter von Oberwart ab dem Jahre 1935, SA-Sturmbannführer) und § 1/6 KVG (Nicka sei von 1938-40 und 1942-45 Kreisleiter von Oberwart gewesen). In der Anklagebegründung wurde Nicka als "[...] überzeugter Nationalsozialist ,,der sich auch [...] bis zum letzten Augenblick mit aller Energie für die Aufrechterhaltung des zusammenbrechenden Regimes einsetzte" bezeichnet. Der Staatsanwalt forderte die Bestrafung nach §§ 1 Absatz 6 KVG 1947 und 34 StG.

Am 19. Juli 1948 erfolgte die Einstellung des gegen Eduard Nicka wegen der Paragraphen 134 StG, 166 StG sowie 3 und 4 KVG geführten Strafverfahrens gemäß § 109 StPO. Hinsichtlich des Mordvorwurfes [Massaker von Deutsch-Schützen und Rechnitz] erklärte die Staatsanwaltschaft Wien am 12. Juli 1948, daß in der Hauptverhandlung des Prozesses "Rechnitz I" keinerlei den Beschuldigten Nicka belastenden Umstände hervorgekommen waren. Für die anderen Beschuldigungen, die in der Anzeige gegen Nicka vom 1. August 1946 angeführt worden waren, gab es jeweils nur ein oder zwei Zeugen, welche als Grundlage für eine Anklageerhebung nicht ausreichten. Bezüglich der Inbrandsteckung des Oberwarter Rathauses wurde Nicka zwar von einigen Zeugen belastet; Entlastungszeugen sagten jedoch aus, daß auswärtige SS-Männer dafür verantwortlich gewesen wären, wodurch verschiedene Aussagen einander gegenüberstanden und die Staatsanwaltschaft die Frage der Verantwortlichkeit nicht klären konnte. Die Stadt Oberwart hatte mit Eingabe vom 11. September 1946 zwar den Antrag auf Privatbeteiligung gestellt; bei Ausscheidung des Verfahrens hätte sie aber nur ein Verfahren gegen die Republik Österreich anstreben können, was nicht stattfand. Nicka wurde schlußendlich nur wegen der Delikte, bei denen der Staatsanwalt von einer sicheren Nachweisbarkeit ausgehen konnte - nämlich wegen Illegalität und seiner Funktion als Kreisleiter von Oberwart - angeklagt. Hinsichtlich der §§ 10 und 11 VG handelte es sich dabei um ein sogenanntes Formaldelikt, d. h., der Gerichtshof mußte ihm keine konkreten Taten in seiner Eigenschaft als Mitglied der illegalen NSDAP nachweisen, sondern nur die Tatsache, daß er der Partei zwischen Inkrafttreten ihres Verbotes am 1. Juli 1933 und dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Österreich am 12. März 1938 angehört hatte.

Am 1. Oktober 1948 wurde Nicka bezüglich §§ 10, 11 VG gemäß § 259/3 StPO einhellig schuldig gesprochen. In der Urteilsbegründung gegen Nicka, der zu drei Jahren schweren Kerkers und Vermögensverfall verurteilt wurde , stellte das Gericht fest, "dass Nicka als besonders verlässlicher und vertrauenswürdiger Nationalsozialist in den Kreisen der illegalen Parteigenossen gegolten habe". Die Verantwortung von Nicka, daß eine Ernennung, die nach dem Organisationsstatut nur von Adolf Hitler selbst hätte erfolgen können, niemals vorgenommen worden sei, war laut Urteilsschrift nicht zu widerlegen." Weiters heißt es:
"Es steht somit fest, dass Nicka Illegaler ist, dass er der SA mit dem Rang eines Obersturmbannführers angehörte und dass er zumindest von 1938 bis zum Zusammenbruch mit der oben erwähnten zweijährigen Unterbrechung eine Funktion ausgeübt hat, die der eines Ortsgruppenleiters übergeordnet war. Daraus ergibt sich also, dass Nicka dem Personenkreis des § 10, Abs. 1 VG. zuzurechnen ist und dass er sich darüber hinaus nach § 11 VG strafbar gemacht hat. [...] von der wider ihn nach § 1, Abs. 6 KVG erhobenen Anklage [war er] mangels eines sicheren Schuldbeweises freizusprechen."
Neben dem Geständnis des Angeklagten, seinem guten Leumund und seiner Sorgepflicht war vor allem der Umstand mildernd,
"dass er sich nach den Angaben mehrerer, verschiedenen Parteirichtungen angehöriger Zeugen, in jeder Weise einwandfrei benommen hat und dass er in seinem Amte sowie auch politische Gegner nach Tunlichkeit und Kräften unterstützt hat sowie der Umstand, dass er weder aus seiner Stellung als Kreisleiter noch als SA.Führer den geringsten persönlichen Vorteil gezogen hat. [...] Im Hinblick auf die überwiegenden Milderungsgründe wurde das ao. Milderungsrecht angewendet."
In Hinblick auf die ursprünglich Nicka zur Last gelegten Delikte muten die Strafbemessung und die Urteilsbegründung sowie die äußerst zügig durchgeführte Vorerhebung und Hauptverhandlung mehr als seltsam an. Diese Linie wurde in der Folge jedoch konsequent weiterverfolgt: Mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 17. Dezember 1948 erfolgte die bedingte Begnadigung von Nicka , am 20. Dezember 1948 wurde er aus der Haft entlassen.
Am 25. September 1956 stellte Eduard Nicka Antrag auf Erstattung des im Urteilsspruch für verfallen erklärten Vermögens, welchem am 25. November 1956 stattgegeben wurde. Am 26. Juli 1957 wurde gemäß § 14 der NS-Amnestie 1957 der noch nicht vollstreckte Strafrest zur Gänze nachgesehen, gemäß § 15 NS-Amnestie 1957 die noch nicht bezahlten Kosten des Strafverfahrens und des Strafvollzuges nachgelassen und die Verurteilung gemäß § 15 (1) Absatz 2 NS-Amnestie 1957 getilgt. Von 5.1.1958 bis 31.8.1958 war Nicka schließlich Landesparteiobmann der FPÖ Burgenland. Welch großes Ansehen Eduard Nicka in Oberwart selbst noch im Jahre 1971 hatte, beweist ein Artikel der Lokalzeitung "Oberwarter Zeitung" zum 60. Geburtstag von Nicka , in welchem allzuviel Verständnis für den "Kreisleiter a. D." gezeigt wird:
"Eduard Nicka stand - im Gegensatz zu vielen anderen - für seine Entscheidungen im Landkreis Oberwart als dessen Kreisleiter der NSDAP gerade und half den Menschen seines Landkreises mit Verständnis und Tatkraft über eine schwere Zeit hinweg, Eduard Nicka trat - wie viele andere nicht - hin, als eine verständnislose Hetzjagd einsetzte und Eduard Nicka blieb seinem Leben, seiner Aufgabe und seiner Familie treu. Gerade dieses aufrechte Wesen, die Anerkennung und Dankbarkeit im nachmaligen Bezirk Oberwart ließen ihn nie zum Synonym des negativen Nationalsozialismus werden. Und heute steht Eduard Nicka als «graue Eminenz» im positiven Sinn des Wortes, politische Fäden in seiner Hand haltend, dem österreichischen Staate zugetan, da."

Das Verfahren "Rechnitz III"

Das Verfahren "Rechnitz I" bildete den Grundstock für die Ermittlungen in diesem Verfahren. Nach Antrag der Staatsanwaltschaft vom 13. Juli 1948 war das Verfahren gegen sechs Beschuldigte, darunter Franz Podezin und der ehemalige Gutsverwalter des Schlosses Bátthyány in Rechnitz, mit Beschluß vom 13. August 1948 aus dem Verfahren "Rechnitz II" ausgeschieden worden. Das neue Verfahren erhielt die Geschäftszahl LG Wien Vg 5b Vr 5731/48 (beendet unter der Geschäftszahl LG Wien Vg 8e Vr 70/54), wurde laut Aktendeckel des ersten Bandes als "Rechnitz III" bezeichnet und gegen Franz Podezin (Hauptbeschuldigter bezüglich des Massenmordes), den ehemaligen Verwalter des Schlosses Bátthyány, den ehemaligen Hundertschaftsführer Br. (von Dezember 1944 bis Ende März 1945 in Rechnitz eingesetzt) sowie gegen drei den SA-Angehörige geführt.

Das Verfahren gegen die sechs Beschuldigten wurde zunächst gemäß § 412 StPO vorläufig abgebrochen, da in jedem Falle der Aufenthalt unbekannt war. Im Aktenvermerk vom 13. August 1948 wurde bezüglich Podezin und O. festgehalten, daß sich die beiden laut mündlicher Mitteilung des Gendarmerieabschnittkommandos Oberwart zusammen mit der Gräfin B. in der Schweiz befänden und gemeinsam mit dieser beabsichtigen würden, derem bereits nach Südamerika ausgewandertem Mann nachzufolgen. Die Erhebungen konzentrierten sich in der Folge weiterhin auf die Ausforschung von Podezin und des ehemaligen Gutsverwalters.
Der ehemalige Hundertschaftsführer Br. war einer der zwei Beschuldigten in diesem Verfahren, deren die Behörden überhaupt habhaft wurden: Am 27. November 1950 wurde nach Antrag der Staatsanwaltschaft vom 16. November 1950 die Fortsetzung der Voruntersuchung gegen Br. wegen § 1 (2) KVG 1947 und Verhängung der U-Haft im Anschluß an die Verbüßung seiner Strafhaft in Garsten beschlossen. Dort verbüßte er eine Zuchthausstrafe in der Höhe von 15 Jahren, zu der er wegen Ermordung eines französischen und zweier russischer Kriegsgefangenen in Murau im April/Mai 1945 am 13. Dezember 1947 vom französischen Obergericht in Innsbruck verurteilt worden war. Am 17. Dezember 1953 wurde das Verfahren gegen Br. wegen §§ 1 (2) KVG, 3 und 4 KVG 1947 sowie § 134 StG jedoch gemäß § 109 StPO eingestellt, da die Beweise und Zeugenvernehmungen für eine Anklageerhebung nicht ausreichten.
Das Verfahren gegen den ehemaligen Gutsverwalter, dessen Aufenthalt erst 1963 in Deutschland ermittelt worden ist, wurde über Antrag der Staatsanwaltschaft vom 21.9.1965 mangels an Beweisen gemäß § 109 StPO eingestellt. Franz Podezin ist vermutlich im Mai 1963 von Kiel entweder über Kopenhagen oder unmittelbar in die Schweiz und von dort zunächst nach Spanien und dann nach Südafrika geflüchtet. Mit Beschluß vom 19. Oktober 1962 war das Verfahren gegen die drei SA-Angehörigen wegen §§ 3 und 4 gemäß § 13 NS-Amnestie 1957 eingestellt worden. Das Verfahren wegen §§ 5, 134 StG bzw. § 134 StG blieb gemäß § 412 StPO vorläufig abgebrochen.

Zur Bekanntheit von Rechnitz trugen nicht zuletzt die noch immer andauernde Suche nach dem Massengrab sowie ein Theaterstück und ein Film , welche sich mit dem Massaker auseinandersetzen, bei. Das "Phänomen Rechnitz" ist wohl in Zusammenhang mit der Ermordung zweier vermutlicher Tatzeugen im Jahre 1946 zu sehen.


Volksgerichtsbarkeit

Die Grundlage für die Ahndung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Österreich in den Jahren 1944 bis 1955 und somit auch für die Rechnitz-Verfahren, bildeten das Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP ("Verbotsgesetz", VG) vom 8. Mai 1945 und das Kriegsverbrechergesetz (KVG) vom 26. Juni 1945 . Für die Verfolgung der durch diese Gesetze neu geschaffenen strafrechtlichen Tatbestände wurde eine besondere Gerichtsbarkeit in Form der sogenannten "Volksgerichte" eingerichtet, weil die bestehenden Strafgesetze für die Ungeheuerlichkeit der nationalsozialistischen Verbrechen nicht ausreichten. Charakteristisch für die Gerichtsbarkeit war, daß zwischen den Tätern und jenen, die nicht aktiv an den Verbrechen der Nationalsozialisten teilgehabt haben, unterschieden wurde. Die Reintegration der sogenannten "Mitläufer" sollte im Laufe der Zeit eine immer größere Rolle spielen. Dies wurde in der Folge am Verlauf der Gesetzgebung und der immer größer werdenden Bedeutung der Amnestiegesetze bis hin zur Aufhebung der Volksgerichtsbarkeit im Jahre 1955 deutlich sichtbar und fand ihren Abschluß im Amnestiegesetz des Jahres 1957, durch welches das Kriegsverbrechergesetz aufgehoben wurde.
Die wichtigsten Paragraphen des Kriegsverbrechergesetzes - darunter auch jene, welche im Falle des Verbrechens von Rechnitz Anwendung fanden - waren unter anderem: § 1 KVG (Kriegsverbrechen im engeren Sinn - Verbrechen, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit und den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts oder des Kriegsrechts widersprechen), § 3 KVG (Quälereien und Mißhandlungen), § 4 KVG (Verletzungen der Menschlichkeit und der Menschenwürde aus politischer Gehässigkeit oder unter Ausnützung dienstlicher oder sonstiger Gewalt ), § 5a KVG (Vertreibung aus der Heimat), § 6 KVG (Mißbräuchliche Bereicherung, unter diesen Tatbestand fallen vor allem die "Arisierungen" in den Jahren 1938 und 1939) sowie § 7 KVG (Denunziation).
Die Volksgerichte waren durch Artikel V (§§ 24-26) des VG in der Fassung 1945, StGBl. 13/1945 als neue Gerichtsform geschaffen worden, welche gemäß § 13 Abs. 1 KVG auch für die Ahndung der im KVG benannten Straftatbestände zuständig war. Die besonderen Verfahrensbestimmungen wurden sowohl in diesen beiden Gesetzen als auch in einem eigenen Gesetz, dem "Volksgerichtverfahrens- und Vermögensverfallsgesetz" , festgehalten. Die Senate der Volksgerichte wurden bei den Landesgerichten am Sitz der Oberlandesgerichte Wien, Graz, Linz und Innsbruck gebildet. Außensenate wurden auch an anderen Gerichtsorten, wie in Klagenfurt und Leoben, gegründet. Das Volksgericht setzte sich jeweils aus zwei Berufsrichtern, von denen einer den Vorsitz führte, und drei Schöffen zusammen. Die Bestimmungen der Strafprozeßordnung über die ordentlichen Rechtsmittel (Einspruch gegen die Anklageschrift, Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde sowie Beschwerde gegen Beschlüsse des Gerichts) wurden in den Volksgerichtsverfahren, in denen die Volksgerichte grundsätzlich in erster und einziger Instanz entschieden, außer Kraft gesetzt. Die verhängten Strafen waren sofort zu vollstrecken. Auch die Bestimmungen über die Umwandlung der Strafe und in der ursprünglichen Fassung sogar über das außerordentliche Milderungsrecht fanden in Volksgerichtsverfahren keine Anwendung. Gemäß § 26 Abs. 2 VG konnte auf Antrag des Anklägers gegen Personen, deren Verfolgung nicht durchführbar oder deren Verurteilung nicht möglich war, ein selbständiges Verfahren vor dem Volksgericht auf Verfall des gesamten Vermögens der betreffenden Person geführt werden. Um allfällige krasse Fehlurteile pro oder contra zu vermeiden, wurde mit 30.11.1945 noch von der Provisorischen Staatsregierung ein Verfassungsgesetz beschlossen (kundgemacht im BGBl. 4/1946, "Überprüfungsgesetz"), durch welches dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes (OGH) ermöglicht wurde, im Falle erheblicher Bedenken gegen ein Urteil dasselbe zur Überprüfung einem Dreirichtersenat des OGH zu übergeben. Der Senat konnte das Urteil aufheben und zur neuerlichen Verhandlung an das gleiche oder an ein anders zusammengesetztes Volksgericht verweisen. Gemäß § 3 Absatz 1 des Volksgerichts- und Vermögensverfallsgesetzes konnte das Volksgericht seine Unzuständigkeit hinsichtlich eines Tatbestandes mit Urteil aussprechen und die Strafsache in das ordentliche Verfahren verweisen.
Der schrittweise Übergang zur ordentlichen Gerichtsbarkeit war zum Teil bereits durch Amnestiebestimmungen eingeleitet worden. Zu diesen zählten das Bundesverfassungsgesetz vom 21.4.1948 (BGBl. 99/1948) über die vorzeitige Beendigung der im Nationalsozialistengesetz vorgesehenen Sühnefolgen für minderbelastete Personen, das Bundesverfassungsgesetz vom 22.4.1948 (BGBl. 70/1948) über die vorzeitige Beendigung der im Nationalsozialistengesetz vorgesehenen Sühnefolgen für jugendliche Personen, das Bundesverfassungsgesetz vom 17.12.1951 über die Befreiung der Spätheimkehrer von der Verzeichnungs- und Sühnepflicht sowie die Einstellung von Strafverfahren und die Nachsicht von Strafen gegen dieselben (BGBl. 159/1953), des weiteren das Bundesverfassungsgesetz vom 18.7.1956, Vermögensverfallsamnestie, durch welches Gruppen ehemaliger Nationalsozialisten in Ansehung der Strafe des Vermögensverfalls amnestiert werden (BGBl. 155/1956, mehrfach novelliert, zuletzt am 13.6.1962, BGBl. 173/1962). Den Abschluß der Amnestiebestimmungen stellte das Bundesverfassungsgesetz vom 14. März 1957 dar, "womit Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes, BGBl. Nr. 25/1947, abgeändert oder aufgehoben werden (NS-Amnestie 1957)". Dieses Gesetz enthält Bestimmungen über die Aufhebung der Registrierungspflicht, über die Beendigung der Sühnefolgen sowie strafrechtliche Bestimmungen. Letztere normierten, daß ein Strafverfahren wegen Tatbeständen nach dem VG und anderen Spezialgesetzen nicht einzuleiten bzw. ein bereits eingeleitetes Verfahren grundsätzlich einzustellen sei. § 13 Absatz 2 hebt das KVG (BGBl. 198/1947) auf; fällt aber eine nach diesem Gesetz mit Strafe bedroht gewesene Handlung auch unter eine andere strafgesetzliche Vorschrift, so ist sie nach dieser zu verfolgen. Durch die nachfolgenden Paragraphen wurde in gewissen Fällen Strafnachsicht erteilt bzw. die Tilgung der Verurteilung ausgesprochen.
Die Jahre 1946 und 1947 stellten die Phase der intensivsten Auseinandersetzung der österreichischen Justiz mit den nationalsozialistischen Verbrechen dar. Der einsetzende Kalte Krieg war mit Amnestierungen und einer zunehmenden Re-Integration der ehemaligen Nationalsozialisten verbunden. ....




von: Eva Holpfer
Il massacro di Rechnitz.

erschienen in:
Storia e Documenti, Nr. 6, Semestrale dell´ Istituto Storico della Resistenza e dell´ Età Contemporanea di Parma, Numero doppio 2001, S. 205-221