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  Ein Feldgendarm vor dem Innsbrucker Geschworenengericht (1970)
»Wehrmachtsverbrechen« auf Kreta

Seit 1956 fand in Österreich ein einziger Prozess statt, in dem es um ein »Wehrmachtsverbrechen« im weitesten Sinn ging – am 9. Dezember 1970 wurde von einem Geschworenengericht in Innsbruck der ehemalige Feldgendarm Ferdinand Friedensbacher von der Anklage des Mordes gemäß § 211 RStGB (wegen Nichtvorliegens der Tatmerkmale »niedrige Beweggründe« und »Grausamkeit«) und von der Anklage des Totschlages gemäß § 212 RStGB (wegen Verjährung) freigesprochen. Friedensbacher hatte den Apotheker Joseph Sakkadakis, der der griechischen Widerstandsbewegung angehörte, im Mai 1944 auf Kreta erschossen. Er war, als Angehöriger der Gestapo, 1939 zur Geheimen Feldpolizei abkommandiert worden und leitete ab 1941 die Außenstelle der Geheimen Feldpolizei in Agios Nikolaos auf Kreta.

Aus der Anklageschrift (vom 30. 10. 1970):
Zum Aufgabenkreis der Geheimen Feldpolizei gehörte insbesondere der Schutz der kämpfenden Truppe gegen Spionage und Sabotage und die Erfüllung kriminalpolizeilicher Obliegenheiten innerhalb der Truppe des Feldheeres. Politische Aufgaben hatte die Geheime Feldpolizei nicht zu erfüllen, ebensowenig gehörte die Durchführung von Exekutionen zu ihrem Aufgabenkreis.
Die Geheime Feldpolizei unterstand anfangs der Wehrmachtsführung, Friedensbacher gab an, dass sein unmittelbarer Vorgesetzter der Abwehroffizier in Chania war. Erst 1944 gelang es dem Reichssicherheitshauptamt, die Feldgendarmerie ihrem Kompetenzbereich einzugliedern.

Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten eigenmächtiges Handeln vor, weil er festgenommene Verdächtige an die vorgesetzte Dienststelle (Feldpolizeikommissariat für Kreta in Chania) abzuliefern gehabt hätte. Der Apotheker Sakkadakis war gemeinsam mit weiteren Angehörigen einer Widerstandsgruppe verhaftet worden, Friedensbacher leitete die Verhöre. Wie er in der Hauptverhandlung zugab, bedrohte er Sakkadakis, der als der Leiter der Widerstandsgruppe galt, auf der Fahrt zum Gefängnis, als der Wagen an der Küste bei Neapolis halten musste, mit dem Umbringen. Sakkadakis stand auf einer Felsklippe mehrere Meter über dem Meer.

Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 9. Dezember 1970:
(LG Innsbruck 10 Vr 415/70-23, 10 Hv 7/70; Kopie: DÖW 21221/15)


Stellungnahme des Angeklagten am Beginn der Hauptverhandlung:

»Ich habe dann zum Dolmetsch gesagt: So, jetzt fordern Sie ihn dreimal auf, wenn er nicht aussagt, dann erschieße ich ihn. Das ist ihm dreimal übersetzt worden. Er sprach kein Wort. Er stand mit dem Gesicht zu mir. ich habe ihn aufgefordert, sich umzudrehen, mit dem Gesicht zum Meer. Dann ließ ich ihn nochmals auffordern. Es nützte wieder nichts. Ich schoss ihn ins Genick. Ich wollte ihn töten, aber schmerzlos. Die Schüsse haben getroffen, er ist gleich ins Meer gestürzt. Ich bin dann etwas seitlich gegangen und habe hinunter geschaut. ich hätte wahrscheinlich noch einmal auf ihn geschossen, wenn er noch gelebt hätte. Es war aber völlig eindeutig, dass er tot ist. Dann sind wir abmarschiert. [...] Ich habe in den Bericht hineingeschrieben, dass er auf der Flucht erschossen worden sei. Ich wollte kein Aufsehen machen. Das Recht zu erschießen hatte ich ja nicht. Wenn ich hineingeschrieben hätte, dass ich ihn selbst liquidiert habe, hätte es aber, so glaube ich, auch nichts gemacht. Vielleicht hätte es Schwierigkeiten gegeben. Ich hatte nicht Angst davor. Ich hatte nur getötet, um eine Gefahr abzuwenden. Nicht, um mir Vorteile zu machen. [...] So habe ich gefürchtet, dass er uns entflieht oder dass er freigesprochen würde. [...]«

Aus Antworten des Angeklagten auf Fragen des Richters im Laufe der Hauptverhandlung:
»Es ist richtig, dass ich befürchtet habe, dass er [Sakkadakis] beim normalen Dienstweg nicht auf Nummer sicher kommt, sei es, dass er 'stiften geht' [flieht], dass er 'frei geht' [freigesprochen wird] oder vorzeitig entlassen wird.«

»Es war auch bei der Wehrmacht nicht gestattet, jemanden zu exekutieren. Stunk hätte es nicht gegeben. Ich bin der Überzeugung – hundertprozentig – dass ich nicht disziplinär bestraft worden wäre. [...] Natürlich ist es nicht richtig, was ich getan habe, das ist ganz klar. Ich glaube, dass der Krieg den Soldaten zu Handlungen gebracht hat, die er normaler Weise nicht gemacht hätte. Ich war in einer verdammten Zwangslage und habe vielleicht etwas zu viel befürchtet.«


Die gesamte Gerichtsverhandlung dauerte nur fünf Stunden, danach zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Die Anklage war gemäß §§ 134, 135, 136 des österreichischen StG erfolgt, die an die Geschworenen gerichteten Fragen bezogen sich aber ausschließlich auf das (deutsche) »Recht zur Tatzeit« (Mord gemäß § 211 RStGB oder Totschlag gemäß § 212 RStGB)
Die Frage, ob der Angeklagte ohne niedrige Beweggründe und ohne Grausamkeit getötet habe, wurde von den Geschworenen mit 8:0 Stimmen mit »ja« beantwortet. Damit hatte er getötet, »ohne Mörder zu sein« und war daher – nach damaliger österreichischer Rechtsauffassung – wegen Verjährung freizusprechen. Wäre Friedensbacher in der Bundesrepublik Deutschland vor Gericht gestellt worden, hätte das Verfahren vermutlich mit einer Verurteilung geendet, da 1969 die Verjährungsfrist für Totschlag gemäß § 212 des deutschen StGB in der Bundesrepublik Deutschland auf 30 Jahre angehoben worden war.
Die österreichischen Gerichte übernahmen hingegen die deutschen Rechtsvorschriften zur Unterscheidung von »Mord« und »Totschlag« ausschließlich in der zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft gültige Fassung der §§ 211 und 212 des deutschen Strafgesetzbuches. Die nach nationalsozialistischem Recht vorgesehene 20jährige Verjährungsfrist war aber bereits abgelaufen. Da die gerichtliche Voruntersuchung gegen Friedensbacher erst am 6. März 1970 eingeleitet worden war (StA Innsbruck, 8 St 1057/70), war es irrelevant, ob das Ende der Verjährung – wie von Gericht und Staatsanwaltschaft angenommen – im Mai 1964 oder – wie es der Gesetzeslage entsprochen hätte – im Juni 1965 eingetreten war.
Die Geschworenen sollten nämlich die Frage beantworten, ob zwischen der Begehung der Tat und dem Beginn der gerichtlichen Untersuchung bereits 20 Jahre verflossen waren. Der Gesetzgeber hatte aber bereits 1963 den Beginn der Verjährungsfrist mit 29. Juni 1945 festgesetzt, wenn der Täter das Verbrechen »aus nationalsozialistischer Gesinnung oder aus Willfährigkeit gegenüber Anordnungen begangen hat, die im Interesse der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder aus nationalsozialistischer Einstellung ergangen sind« (BGBl. 180/1963).
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck hatte gegen den Freispruch zwar Nichtigkeitsbeschwerde (wegen ungenügender Rechtsbelehrung der Geschworenen) eingelegt, diese aber am 9. September 1971 zurückgezogen, womit das Urteil rechtskräftig wurde.

Das Innsbrucker Verfahren stand im Zusammenhang mit einem griechischen und einem deutschen Verfahren. Im griechischen Verfahren hatte sich das Oberlandesgericht Athen am 2. Juli 1964 für unzuständig für die Verfolgung von "deutschen Militärangehörigen" erklärt, aus dem deutschen Verfahren (Staatsanwaltschaft Bremen 10 Js 156/1964) war der Beschuldigte als in Österreich wohnender österreichischer Staatsbürger ausgeschieden worden.

Presseberichte dazu



von: W. R. Garscha
(Nov. 2003)