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Kriegsverbrechergesetz (KVG) § 1
§ 1 - §
2 - § 3 - §
4 - § 5 - §
5a - § 6 - §
7 - § 8 - §
9 - § 9a - §
10 - § 11 - §
12 - § 13
Die einzelnen Bestimmungen des § 1 KVG
Die Besprechung der einzelnen Bestimmungen erfolgt anhand
des Wortlautes des KVG 1947.
"§ 1: Kriegsverbrechen
(1) Wer in dem von den Nationalsozialisten angezettelten Kriege gegen Angehörige
der Wehrmacht, der Kriegsgegner oder die Zivilbevölkerung eines mit dem
Deutschen Reich im Krieg befindlichen oder von deutschen Truppen besetzten
Staates oder Landes vorsätzlich eine Tat begangen oder veranlaßt
hat, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit und den allgemein
anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts oder des Kriegsrechts widerspricht,
wird als Kriegsverbrecher bestraft.
(2) Des gleichen Verbrechens ist schuldig, wer im wirklichen oder angenommenen
Interesse der Deutschen Wehrmacht oder der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
in diesem Kriege im Zusammenhang mit kriegerischen Handlungen, mit militärischen
Handlungen oder mit Handlungen militärisch organisierter Verbände
gegen andere Personen eine Tat begangen oder veranlaßt hat, die den
natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit widerspricht.
(3) Daß die Tat auf Befehl ausgeführt wurde, entschuldigt sie nicht.
(4) Dieses Verbrechen wird, soweit nicht die Verfolgung durch Bestimmungen
internationaler Verträge, Vereinbarungen oder Verpflichtungen anders
geregelt wird, mit schwerem Kerker von 10 bis 20 Jahren, wenn aber durch das
Vorgehen des Täters die schwere körperliche Beschädigung einer
Person oder ein größerer Vermögensschaden angerichtet wurde,
mit lebenslangem schwerem Kerker, falls jedoch das Vorgehen den Tod einer
Person zur Folge hatte, mit dem Tode bestraft.
(5) Wer Handlungen der in den Abs. (1) und (2) angeführten Art anbefohlen
hat, ist strenger zu bestrafen als die Ausführenden. Wer derartige Befehle
wiederholt erteilt hat, ist, soweit nicht nach Abs. (4) die Todesstrafe zu
verhängen ist, mit lebenslangem schweren Kerker, wenn dadurch aber Handlungen
der in den Abs. (1) und (2) angeführten Art in großem Umfang veranlaßt
wurden, mit dem Tode zu bestrafen.
(6) Kriegsverbrecher im Sinne der Abs. (1) und (2) sind auch diejenigen Personen,
die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Österreich,
wenn auch nur zeitweise, als Mitglieder der Reichsregierung, Hoheitsträger
der NSDAP vom Kreisleiter oder Gleichgestellten aufwärts, Reichsstatthalter,
Reichsverteidigungskommissare oder Führer der SS einschließlich
der WaffenSS vom Standartenführer aufwärts, tätig waren. Sie
sind als Urheber und Rädelsführer dieses Verbrechens mit dem Tode
zu bestrafen."
Alle im §1 KVG normierten Delikte stellen Verbrechen dar.
Das Gesetz unterscheidet drei Deliktsfälle:
I. Das Delikt nach Absatz 1:
A. Verbrechenssubjekt (Täter) kann jedermann sein.
B. Objekt des Verbrechens sind Angehörige der (auch der deutschen) Wehrmacht,
der Kriegsgegner und die Zivilbevölkerung eines von den Deutschen Truppen
nur besetzten Staates oder Landes.
C. Äußere Tatseite: Tatbildlich ist die Begehung oder Veranlassung
von Handlungen, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit
und den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts oder
des Kriegsrechts widerspricht.
"Die natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit" stellen
einen unbestimmten Gesetzesbegriff dar. Die Bedeutung des Begriffes muß
daher aus dem allgemeinen Sprachgebrauch erschlossen werden.
Heller führt zu den "allgemein anerkannten Grundsätzen des
Völkerrechts oder des Kriegsrechts" aus: "Als allgemein anerkannte
Grundsätze des Völkerrechts und Kriegsrechts sind einerseits das
völkerrechtliche Gewohnheitsrecht und andererseits völkerrechtliche
Vereinbarungen zu betrachten, die wenigstens zum Teil auch über den Kreis
der Vertragsstaaten hinaus eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung gefunden
haben."
Die Tat hat begangen, der sie alleine oder mit anderen ausgeführt hat;
veranlaßt ist die Tat von demjenigen, der sie angeordnet, zu ihr angeraten
oder zu ihrer Begehung ermuntert hat.
D. Einschränkungen hinsichtlich der Tatzeit:
Die Tat mußte "in dem von den Nationalsozialisten angezettelten
Kriege", also in der Zeit vom 1.9.1939 bis zum 8.5.1945, begangen worden
sein. Die schon vorher (16.3.1939) erfolgte kriegerische Besetzung der "RestTschechei"
bleibt zeitlich außer Betracht.
E. Innere Tatseite:
Es wurde Vorsatz (bedingter Vorsatz war ausreichend) gefordert. Dieser mußte
sich auf die Tat an sich und auch darauf erstrecken, daß diese den natürlichen
Anforderungen der Menschlichkeit usw. widersprach.
II. Das Delikt nach Absatz 2:
A. Subjekt kann jedermann sein.
B. Objekt kann gleichfalls jedermann sein.
C. Äußere Tatseite: Tatbildlich handelt, wer im Zusammenhang mit
kriegerischen Handlungen, mit militärischen Handlungen oder mit Handlungen
militärisch organisierter Verbände gegen andere Personen eine Tat
begangen oder veranlaßt hat, die den natürlichen Anforderungen
der Menschlichkeit widerspricht.
Zum Begriff "natürliche Anforderungen der Menschlichkeit" siehe
oben Pkt. I.
Kriegerische Handlungen sind Kampfhandlungen im Kriege.
Militärische Handlungen sind Handlungen außerhalb des Kampfes,
wie z.B. Requirierung von Quartieren, Nahrungsmitteln etc. sowie Aushebung
von Geiseln.
Militärisch organisierte Verbände waren neben der Wehrmacht und
ihren Gliederungen, Polizeiverbände einschließlich der Sonderkommandos
und Einsatzgruppen sowie die sog. Wehrverbände der NSDAP (SA, SS, NSKK,
NSFK).
Die Handlungen militärisch organisierter Verbände mußten weder
kriegerisch noch militärisch sein. Es geht hier vor allem um die Massenerschießungen
von Juden und politischen Funktionären der KPdSU.
D. Beschränkungen hinsichtlich der Tatzeit: Wie zu Pkt. I.
E. Innere Tatseite: Vorsatz (bedingter Vorsatz genügt), der allerdings
auch die Vorstellung des Täters umfassen mußte, er handle im Interesse
der deutschen Wehrmacht oder der NS Gewaltherrschaft. Ob diese Vorstellung
des Täters zutreffend war oder nicht, war bedeutungslos (Argument: "im
wirklichen oder angenommenen Interesse").
III. Das Delikt nach Absatz 6:
A. Subjekt sind die in Absatz 6 angeführten Mitglieder der Reichsregierung
und Hoheitsträger der NSDAP vom Kreisleiter oder Gleichgestellten aufwärts,
Reichsstatthalter, Reichsverteidigungskommissare oder Führer der SS einschließlich
der WaffenSS vom Standartenführer aufwärts.
B. Objekt sind zufolge einer unwiderlegbaren GesetzesVermutung alle Opfer
von Straftaten nach Abs. 1 und 2. (Argument: "Sie sind als Urheber und
Rädelsführer dieses Verbrechens ... zu bestrafen.")
C. Äußere Tatseite: Das Tatbild erfüllt nur, wer in den genannten
Funktionen tätig war. In einer Funktion ist tätig, wer diese Funktion
tatsächlich ausübt und nicht nur in die Funktion ernannt wurde,
ohne sie auszuüben. Vice versa gilt, daß auch derjenige, der ohne
ernannt zu sein, die Funktion tatsächlich ausübt, unter diese Gesetzesstelle
fällt. Der Nachweis des Eintrittes einer Schädigung konkreter Opfer
wird nicht verlangt. Es wird jedoch im letzten Satz des Absatzes (6) als unwiderlegbare
Rechtsvermutung (praesumtio iuris ac de iure) ausgesprochen, daß die
benannten Funktionsträger (wegen ihrer Stellung in der Staats und Parteihierarchie)
Urheber und Rädelsführer der Verbrechen nach Absatz (1) und (2)
gewesen wären. Diese Konstruktion des Tatbestandes hat einige Autoren
dazu verleitet, den Tatbestand nach § 1 (6) KVG als "Formaldelikt"
zu bezeichnen.
IV. Keine Entschuldigung wegen befehlsgemäßen Verhaltens:
Die Bestimmung des Absatz (3) stellte für das KVG einen Grundsatz klar,
der im damals geltenden StG ohnehin bereits festgelegt war: § 46 lit.c
StG läßt es lediglich als Milderungsgrund gelten, wenn der Täter
" ... auf Antrieb eines Dritten, aus Furcht oder Gehorsam das Verbrechen
begangen hat;" Absatz (3) schloß den Rekurs auf befehlsgemäßes
Handeln ausdrücklich aus.
Davon zu unterscheiden ist allerdings der "Befehlsnotstand": §
2 lit.g StG bestimmte, daß eine Handlung dann nicht als Verbrechen zugerechnet
würde, wenn "die Tat durch unwiderstehlichen Zwang ... erfolgte".
Als solcher "unwiderstehlicher Zwang" konnte schon wegen der Bestimmung
des § 1 (3) KVG die bloße Erteilung eines Befehls nicht gelten.
Es mußte vom Befehlenden wirklicher Zwang ausgeübt werden, sodaß
auf Seiten des Befehlsempfängers die volle Aufhebung der Willensfreiheit
gegeben war.
Soweit sich die wegen Kriegsverbrechen Angeklagten damit verantworten wollten,
daß sie auf Befehl gehandelt hätten, mußten sie dartun, daß
sie selbst bei befehlswidrigem Verhalten unmittelbar schwerste Nachteile zu
erwarten gehabt hätten. Ein solcher Nachweis konnte weder in Österreich
noch in Deutschland je erbracht werden.
V. Strafe für Ausführende (Absatz 4):
1. Grundstrafdrohung
Die Verbrechen nach Absatz 1 und 2 waren grundsätzlich mit schwerem Kerker
von 10 bis 20 Jahren bedroht.
2. Lebenslange Freiheitsstrafe war angedroht, wenn aus dem Vorgehen des Täters
die schwere körperliche Beschädigung einer Person folgte oder durch
sein Verhalten größerer Vermögensschaden angerichtet wurde.
3. Falls aus dem tatbildlichen Handeln nach Absatz 1, Absatz 2 der Tod einer
Person folgte, sollte die Todesstrafe verhängt werden.
Die straferhöhenden Umstände laut Punkt 2 und 3 stellten kein vom
Vorsatz zu umfassendes Tatbestandsmerkmal dar. Es handelte sich dabei um "objektive
Bedingungen erhöhter Strafbarkeit" für deren Zurechnung im
Unterschied zur heute bestehenden, in § 7 (2) StGB geschaffenen Rechtslage
hinsichtlich strafsatzerhöhender Umstände nicht einmal Fahrlässigkeit
erforderlich war.
VI. Strafe für Befehlserteiler (Absatz 5 und 6):
1. Grundsätzlich sollte der Befehlsgeber strenger bestraft werden als
die Ausführenden.
2. Die Todesstrafe war für denjenigen vorgesehen, der Taten nach Absatz
1 und 2 wiederholt befohlen hat, sofern dadurch Taten nach Absatz 1 und 2
in großem Umfang veranlaßt wurden.
3. Die Funktionsträger nach Absatz (6), welche ja als Urheber und Rädelsführer
der Verbrechen zu gelten hatten, waren mit dem Tode zu bestrafen.
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Heinrich Gallhuber / Eva Holpfer
erschienen in "Justiz und Erinnerung" (="Justiz und Erinnerung")
Nr. 1, Juni 1999
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