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Kriegsverbrechergesetz (KVG) §§ 8, 9, 9a, 10, 11, 12, 13


§ 1 - § 2 - § 3 - § 4 - § 5 - § 5a - § 6 - § 7 - § 8 - § 9 - § 9a - § 10 - § 11 - § 12 - § 13



» § 8: Hochverrat am österreichischen Volk

Wer für sich allein oder in Verbindung mit anderen in führender oder doch einflussreicher Stellung etwas unternommen hat, das die gewaltsame Änderung der Regierungsform in Österreich zugunsten der NSDAP oder die Machtergreifung durch diese vorbereitete oder förderte, es sei solches durch Anraten, Aneiferung und Anleitung anderer oder durch persönliches tätiges Eingreifen, durch Mittel der Propaganda oder durch was sonst immer für eine dahin abzielende Handlung geschehen, hat das Verbrechen des Hochverrates am österreichischen Volke begangen und ist hiefür mit dem Tode zu bestrafen.«

Das Delikt nach § 8 KVG war ein Verbrechen.

A. Subjekt konnte jeder sein, der sich vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich in führender oder einflussreicher Stellung befunden hat. Dabei wird nicht unterschieden, ob er diese Stellung innerhalb der illegalen NSDAP oder in einer österreichischen Behörde, in einem österreichischen Verein etc. innehatte. Eine führende Stelle hat inne, wer auf Grund dieser Stellung etwas anordnen kann. Eine einflussreiche Stelle hat jemand, dessen Ansicht und Meinung innerhalb des Verbandes auf die Handlungsweise anderer einwirkt. Die von Heller, Loebenstein und Werner im Kommentar zum Nationalsozialistengesetz vorgenommene Einschränkung auf Personen, die „in der Zeit des Kampfes um Österreich in verantwortungsvollen Stellungen des öffentlichen Lebens, der Verwaltung oder der Wirtschaft tätig“ gewesen sind, ergibt sich nicht aus dem Gesetzestext und ist abzulehnen.

B. Äußere Tatseite:
Tatbildlich handelt, wer für sich allein oder in Verbindung mit anderen in führender oder doch einflussreicher Stellung etwas unternommen hat, das
1. die gewaltsame Änderung der Regierungsform in Österreich zugunsten der NSDAP oder
2. die Machtergreifung durch diese
vorbereitete oder förderte.
Dabei macht es keinen Unterschied, ob dies durch Anraten, Aneiferung und Anleitung anderer oder durch persönliches tätiges Eingreifen, durch Mittel der Propaganda oder durch was sonst immer für eine dahin abzielende Handlung geschehen ist. Etwas unternommen hat derjenige, der zumindest den Versuch tatbildmäßigen Handelns setzt. Vorbereitungshandlungen werden davon (zum Unterschied vom Begriff „Unternehmen“ in anderen Strafbestimmungen) nicht erfasst.
Gewaltsam erfolgt die Änderung der Regierungsform, wenn erhebliche körperliche Gewalt eingesetzt wird. Die Änderung der Regierungsform bedeutet eine äußerlich in Erscheinung tretende Veränderung der in der Verfassung festgeschriebenen Regierungsform. Die Änderung der Regierungsform wurde vom § 8 KVG allerdings nur dann erfasst, wenn sie zugunsten der NSDAP erfolgte oder erfolgen sollte.
Machtergreifung durch die NSDAP bedeutet den faktischen Machtwechsel zugunsten der NSDAP, gleichgültig, ob die Regierungsform verändert wird oder nicht.
Vorbereitet wird die Änderung der Regierungsform oder die Machtergreifung, indem organisatorische, machtmäßige und propagandistische Voraussetzungen geschaffen werden.
Gefördert wird die Änderung der Regierungsform oder die Machtergreifung, wenn diese in der Ausführungsphase unterstützt wird.
Als Mittel der Tatbegehung werden genannt:
Anraten: Der Begriff Anraten wird auch im § 5 StG verwendet. Es handelt sich dabei um eine der möglichen Formen der Anstiftung. Er unterscheidet sich vom folgenden Begriff
Aneiferung dadurch, dass Anraten die Einwirkung auf einen noch nicht zur Tat konkret Entschlossenen bedeutet, also der Herstellung des Tatentschlusses dient, während Aneiferung die Stärkung des Willens zur Begehung einer Übeltat beim Täter bedeutet.
Anleitung entspricht dem Begriff „Unterricht“ im § 5 StG und bedeutet die Beistellung eines Tatplanes oder von Teilen eines solchen.
Persönliches tätiges Eingreifen bedeutet nicht nur Mittäterschaft (d.h. tätiges Eingreifen durch Setzen von Ausführungshandlungen), sondern auch tätlich geleistete Beihilfe (d.h. tätige Unterstützung ohne selbst Ausführungshandlungen zu setzen.
Mittel der Propaganda: Während Anraten und Aneifern gegenüber einem begrenzten und feststehenden Personenkreis erfolgt, wendet sich Propaganda an die Öffentlichkeit oder doch an einen nicht feststehenden Personenkreis.
„Durch was sonst immer für eine dahin abzielende Handlung“: Stellt die zur Absicherung der Verfolgbarkeit notwendige Generalklausel dar.

C. Objekt sind
· die vor dem 13. März 1938 in Österreich bestehende Regierungsform und
· die vor diesem Zeitpunkt bestehenden Machtverhältnisse.
Von den möglichen Hochverratsformen werden vom § 8 KVG der Verfassungs- und der Bestandshochverrat erfasst.

D. Zeitliche Einschränkung: Die Tat musste im Zeitraum bis zur Beendigung der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich begangen worden sein.

E. Innere Tatseite: Es ist Vorsatz erforderlich, jedoch genügt bedingter Vorsatz.

F. Strafdrohung:
Das Verbrechen wurde ausschließlich mit dem Tode bestraft. Diese Bestimmung ist jedoch in Zusammenhang mit § 13 KVG zu sehen, wonach die Todesstrafe bei besonders berücksichtigungswürdigen Umständen durch e i n s t i m m i g e Entscheidung des Senates in lebenslangen schweren Kerker oder in schweren Kerker von 10 bis 20 Jahren umgewandelt werden konnte.




»§ 9: Vermögensverfall

Bei Verurteilung wegen eines der in diesem Gesetze angeführten Verbrechen ist neben der Freiheits- oder Todesstrafe auf Einziehung des gesamten Vermögens zu erkennen. Nur in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen kann von der Einziehung des gesamten Vermögens ganz oder teilweise Abstand genommen werden.«

Die Einziehung bedeutete den Verfall des Vermögens zugunsten des Staates. Das Verfahren wurde durch das Verfassungsgesetz vom 19. September 1945 über das Verfahren vor dem Volksgericht und den Verfall des Vermögens (Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallsgesetz; StGBl. Nr. 177/1945), in der Fassung des Nationalsozialistengesetzes (Bundesverfassungsgesetz vom 6. Februar 1947, BGBl. Nr. 25, über die Behandlung der Nationalsozialisten) geregelt.
„Auszusondern sind jedoch aus dem verfallenen Vermögen Vermögenschaften und Vermögensrechte, die nach dem 13. März 1938, sei es eigenmächtig, sei es auf Grund von Gesetzen oder anderen Anordnungen aus so genannten rassischen, aus nationalen oder aus anderen Gründen den Eigentümern, insbesondere auch den Vereinten Nationen oder ihren Staatsangehörigen, im Zusammenhange mit der nationalsozialistischen Machtübernahme entzogen wurden (Verfassungsgesetz vom 30. November 1945, BGBl. Nr. 5 aus 1946, betreffend eine Ergänzung der Bestimmungen über den Vermögensverfall).“ Durch diese Ergänzung sollte die Rückstellung von arisiertem Vermögen erleichtert werden.


Ȥ 9a: Amnestie

Amnestiebestimmungen und Gnadenerlässe stehen der Untersuchung und Bestrafung wegen der in den §§ 1 bis 8 und 13, Abs. (2), dieses Verfassungsgesetzes bezeichneten strafbaren Handlungen nicht entgegen.«

Diese Bestimmung bezieht sich naturgemäß nur auf Amnestiebestimmungen und Gnadenerlässe, welche vor der Einfügung des § 9a KVG durch das Nationalsozialistengesetz ergangen sind. Nachfolgend erließ allerdings der österreichische Verfassungsgesetzgeber nach Wegfall der Einflussnahme der Alliierten eine Amnestiebestimmung welche einer Reihe von Personen, die nach dem KVG zu verfolgen waren, zugute kam (NS-Amnestie 1957).



»§ 10: Örtlicher Geltungsbereich des Gesetzes

(1) Ist eines der in diesem Gesetz angeführten Verbrechen im Ausland begangen worden, so ist der Täter so zu bestrafen, wie wenn die Tat im Inlande begangen worden wäre, wenn ein durch das Verbrechen Betroffener österreichischer Staatsbürger ist oder als solcher anzusehen wäre oder wenn die Wirkungen des Verbrechens sich auf das Gebiet der Republik Österreich erstreckt haben.
(2) Die Bestimmungen des Abs. (1) sind nicht anzuwenden, wenn und soweit durch internationale Verträge, Vereinbarungen oder Verpflichtungen eine andere Regelung erfolgt.«


Nach dem KVG wurden nicht nur Inlandsstraftaten, sondern auch Auslandsstraftaten nach dem KVG verfolgt (gleichgültig ob sie von in- oder ausländischen Staatsangehörigen begangen worden waren), sofern österreichische Staatsangehörige Opfer der Straftat waren oder wenn die Wirkungen des Verbrechens sich auf das Gebiet der Republik Österreich erstreckt haben. Es war daher die Auslandsstraftat auch eines Inländers nach dem KVG nur unter diesen beiden letzten Voraussetzungen im Inland strafbar. Die Änderung dieses Grundsatzes durch internationale Verträge hatte Vorrang vor der Bestimmung des Absatz (1).


»§ 11: Verjährung

(1) Die Verjährung der in diesem Gesetz angeführten strafbaren Handlungen beginnt frühestens mit dem 29. Juni 1945.
(2) Bei Taten, die weder in diesem Verfassungsgesetz noch im Verbotsgesetz, sondern nur in den allgemeinen Strafgesetzen mit Strafe bedroht sind, beginnt die Verjährung frühestens mit dem im Abs. (1) genannten Zeitpunkt, sofern der Täter aus nationalsozialistischer Gesinnung oder aus Willfährigkeit gegenüber Anordnungen gehandelt hat, die im Interesse der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder aus nationalsozialistischer Einstellung ergangen sind. Eine nach dem Strafgesetz schon eingetretene Verjährung steht der Untersuchung und Bestrafung nicht entgegen.«


Die Bestimmung des Abs. 2 ist im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsregelung für Volksgerichte im Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallsgesetz (Verfassungsgesetz vom 19. September 1945 über das Verfahren vor dem Volksgericht und den Verfall des Vermögens) zu sehen, wonach auch solche Straftaten, die nur in den allgemeinen Strafgesetzen mit Strafe bedroht waren, vor die Volksgerichte gehörten, sofern sie vom Täter resp. von der Täterin aus nationalsozialistischer Gesinnung oder im Interesse der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder aus nationalsozialistischer Einstellung begangen worden sind.


» § 12: Zusammentreffen mit anderen Strafgesetzen

Wenn eine Tat, auf welche die Vorschriften dieses Gesetzes anwendbar sind, nach einem anderen Strafgesetz einer strengeren Strafe unterliegt, so ist die Strafe nach diesem zu bemessen; doch ist jedenfalls gegen den Schuldigen auf Einziehung des gesamten Vermögens zu erkennen.«

Grundsätzlich ist bei Zusammentreffen mehrerer Straftaten die Strafe nach dem strengsten Strafsatz zu bemessen (§ 34 StG). § 12 stellte sicher, dass der im § 9 KVG zunächst nur als Folge einer Verurteilung wegen der Verbrechen nach dem KVG vorgesehene Vermögensverfall auch dann verhängt werden konnte, wenn die Strafe im Hinblick auf § 34 StG nicht nach dem KVG zu verhängen war.


» § 13: Volksgericht

(1) Die Bestimmungen des Artikels V des Verbotsgesetzes sind auch auf Strafverfahren nach diesem Gesetze sinngemäß anzuwenden. Jedoch kann in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen das Volksgericht, wenn es dies einstimmig beschließt, an Stelle der Todesstrafe eine lebenslange schwere Kerkerstrafe oder schweren Kerker von 10 bis 20 Jahren verhängen, bei anderen angedrohten Strafen von den Bestimmungen der §§ 265a StPO und 54 StG, Gebrauch machen.
(2) Die Bestimmungen des Artikels V des Verbotsgesetzes und die sonstigen Bestimmungen des Abs. (1) gelten auch, wenn eine Tat weder nach diesem Gesetz noch nach dem Verbotsgesetz, sondern nur nach den allgemeinen Strafgesetzen mit Strafe bedroht ist, sofern der Täter aus nationalsozialistischer Gesinnung oder aus Willfährigkeit gegenüber Anordnungen gehandelt hat, die im Interesse der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder aus nationalsozialistischer Einstellung ergangen sind, und die Tat mit der Todesstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 10 Jahren bedroht ist.
(3) Das Volksgericht darf auf keine mildere Strafe erkennen, als im ordentlichen Verfahren zulässig wäre.
(4) Über eine Anklage wegen eines der in diesem Gesetz angeführten Verbrechen erkennt das Volksgericht auch dann, wenn gemäß § 12 die Strafe nach einem anderen Strafgesetz zu bemessen ist.
(5) Nähere Bestimmungen über das Verfahren vor dem Volksgericht können durch Verordnung getroffen werden.


Art. V. des VG. enthält - in drei Paragrafen (§§ 24 - 26) zusammengefasst - die grundsätzlichen Bestimmungen über die Einrichtung und die Rechtsprechung der Volksgerichte.
§ 13 KVG erweitert einerseits die im § 24 VG normierte Zuständigkeit der Volksgerichte auf Delikte nach dem KVG (§ 13 Abs. 1, erster Satz) aber auch auf die im Abs. 2 leg.cit. umschriebenen Straftaten. Andererseits räumt § 13 (1) KVG in seinem zweiten Satz den Volksgerichten, neben der Möglichkeit, an Stelle der Todesstrafe eine lebenslange schwere Kerkerstrafe oder schweren Kerker in der Dauer von 10 bis 20 Jahren zu verhängen, auch noch die im § 25 (1) VG noch ausdrücklich ausgeschlossenen Möglichkeiten der Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechtes und der Veränderung der Strafe ein.
Die im § 13 (5) KVG eröffnete Möglichkeit, nähere Verfahrensbestimmungen durch Verordnung zu erlassen, wurde nicht genutzt, sondern wurde das Verfahren vor den Volksgerichten im „Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallsgesetz“ geregelt.





Heinrich Gallhuber / Eva Holpfer
erschienen in "Justiz und Erinnerung" Nr. 7