Aktuell
Ahndung von NS-Verbrechen
an...
Prozesse
/ Forschungs- projekte
Service
... Suche
... Histor. Gesetzestexte
... Bibliografie
... Archiv
... Links
Wir über uns (FStN: Mission Statement - Geschichte- Partner - Kontakt)
ENGLISH
|
|
Kriegsverbrechergesetz (KVG) § 5a, 6
§ 1 - §
2 - § 3 - §
4 - § 5 - §
5a - § 6 - §
7 - § 8 - §
9 - § 9a - §
10 - § 11 - §
12 - § 13
Ȥ 5a: Vertreibung aus der Heimat
(1) Wer zur Zeit der nationalsozialistischen
Herrschaft unter Ausnützung obrigkeitlicher oder sonstiger Gewalt Österreicher
enteignet, ausgesiedelt, umgesiedelt oder auf andere Weise von ihrem Besitztum
oder sonst aus ihrer Heimat vertrieben hat, wird wegen Verbrechens mit schwerem
Kerker von fünf bis zu zehn Jahren bestraft.
(2) Wenn der Täter derartige Handlungen
in größerem Umfange betrieben oder eine größere Anzahl
von Personen geschädigt hat oder wenn er sich dabei persönliche
Vorteile, insbesondere solche vermögensrechtlicher Art verschafft hat
oder wenn er mit besonderer politischer oder nationaler Gehässigkeit
vorgegangen ist, so ist auf schweren Kerker von 10 bis 20 Jahren, falls aber
mehrere der angeführten Erschwerungsumstände zusammentreffen, auf
lebenslangen schweren Kerker zu erkennen.
(3) Wer bei diesen Unternehmungen führend mitgewirkt hat, ist mit dem
Tode zu bestrafen.«
Das Delikt nach § 5a KVG war ein Verbrechen.
A. Subjekt konnte grundsätzlich jede/r sein, die/der obrigkeitliche oder
sonstige Gewalt auszuüben in der Lage war.
B. Äußere Tatseite:
Tatbildlich handelte, wer unter Ausnützung obrigkeitlicher oder sonstiger
Gewalt Österreicher enteignet, ausgesiedelt, umgesiedelt oder auf andere
Weise von ihrem Besitztum oder sonst aus ihrer Heimat vertrieben hat.
1. Der Begriff »dienstliche Gewalt« umfasst jede Art obrigkeitlicher
Gewalt , wobei allerdings angesichts der engen Verflechtung von Staats und
Parteigewalt und des von der NSDAP erhobenen und schließlich weitgehend
durchgesetzten Anspruches, auch obrigkeitliche Gewalt auszuüben, der
Kreis der in Betracht kommenden Personen nicht zu eng gezogen werden darf.
2. Sonstige Gewalt: Bezieht sich auf alle Fälle faktisch erlangter bzw.
ausgeübter Gewalt über bzw. gegen Personen. Hierher gehören
die Fälle eigenmächtiger Festnahmen und Verhaftungen etwa im Zuge
des »Anschlusspogroms«, »Novemberpogroms« aber auch
bei »Einzelaktionen«, wie z. B. die mit Brachialgewalt oder Drohung
mit solcher Gewalt bewirkte Vertreibung eines Wohnungsinhabers aus seiner
Wohnung.
3. Ausnützen einer solchen Gewalt bedeutet, dass der Täter die Tat
unter Einsatz der erwähnten Gewalt begangen haben muß, wobei der
drohende Hinweis auf die dem Täter zur Verfügung stehende Gewalt
zur Herstellung des Tatbildes ausreichte.
4. Enteignen bedeutet, dass der Verlust des Eigentums »rechtsförmig«
bewirkt worden sein muss. Nicht entscheidend ist, ob der den Eigentumsverlust
bewirkende Akt sich formal als obrigkeitliche Verfügung darstellte oder
ob dafür (wie dies regelmäßig bei der »Arisierung«
der Fall war) die Form eines Rechtsgeschäftes gewählt wurde.
5. Das Begriffspaar »aussiedeln umsiedeln« beschreibt die endgültige
Aufgabe des bisherigen Wohnsitzes oder Aufenthaltes gegen Zuweisung eines
neuen Aufenthaltes in der engeren Umgebung (Umsiedlung) oder in weiterer Entfernung
(Aussiedlung).
6. Vertreiben bedeutet jede vom Täter erzwungene Aufgabe des bisherigen
Besitzstandes oder Aufenthaltes.
7. Nach Art einer Generalklausel ist der letzte Halbsatz des § 5a Abs.
(1) KVG gefasst, indem auch die »auf andere Weise« (ergänze:
als durch Enteignung, Aussiedlung oder Umsiedlung) erfolgte Vertreibung vom
Besitztum und die »sonstige« Vertreibung aus der Heimat für
tatbildlich erklärt wird.
8. Besitztum umfasst jede Art von Sach und Rechtsbesitz, also nicht nur Eigentum
sondern auch Miet und Pachtrechte, Dienstbarkeiten, Wohnungsrechte etc.
9. Der verwendete Begriff »Heimat« ist in seiner ganzen Bandbreite
zu verstehen und umfasst daher bedeutungsmäßig das »Elternhaus«,
den Ort an den der Vertriebene bisher sein Leben verbracht hat und schließlich
auch die Gegend und das Land, wo diese Orte gelegen waren.
C. Objekt : Schutzobjekt des § 5a KVG waren »Österreicher«,
d. h. solche Personen, die sich zum Zeitpunkt der Tat in Österreich aufgehalten
und zumindest bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung die österreichische
Staatsbürgerschaft besessen hatten.
D. Zeitliche Einschränkung: Die Tat mußte in der Zeit der nationalsozialistischen
(Gewalt)Herrschaft begangen worden sein.
E. Innere Tatseite: Bedingter Vorsatz genügte.
F. Strafdrohung:
Nach Absatz 1: Die Grundstrafdrohung für das nicht weiter beschwerte
Delikt war schwerer Kerker von 5 bis 10 Jahren.
Nach Absatz 2:
Im 1. Fall: Wenn der Täter Straftaten in größerem Umfange
betrieben oder eine größere Anzahl von Personen geschädigt
hat oder wenn er sich dabei persönliche Vorteile, insbesondere vermögensrechtlicher
Art verschafft hat oder wenn er mit besonderer politischer oder nationaler
Gehässigkeit vorgegangen ist, konnte schwerer Kerker von 10 bis 20 Jahren
verhängt werden.
Im 2. Fall: Bei Zusammentreffen mehrerer der angeführten Erschwerungsumstände
konnte lebenslanger schwerer Kerker verhängt werden.
Nach Absatz 3: Im Falle führender Mitwirkung bei diesen Unternehmungen
war die Verhängung der Todesstrafe vorgesehen.
»§ 6 KVG: Missbräuchliche Bereicherung
Wer in der Absicht, sich oder anderen unverhältnismäßige
Vermögensvorteile zuzuwenden, durch Ausnützung der nationalsozialistischen
Machtergreifung oder überhaupt durch Ausnützung nationalsozialistischer
Einrichtungen und Maßnahmen fremde Vermögensbestandteile an sich
gebracht oder anderen Personen zugeschoben oder sonst jemandem an seinem Vermögen
Schaden zugefügt hat, wird wegen Verbrechens mit Kerker von 1 bis 5 Jahren,
wenn aber der zugewendete Vorteil ein bedeutender oder der angerichtete Schaden
ein empfindlicher war, mit schwerem Kerker von 5 bis 10 Jahren bestraft.«
Das Delikt nach § 6 KVG war ein Verbrechen.
A. Subjekt konnte grundsätzlich jede/r sein.
B. Äußere Tatseite: Tatbildlich handelte, wer durch Ausnützung
der nationalsozialistischen Machtergreifung oder überhaupt durch Ausnützung
nationalsozialistischer Einrichtungen und Maßnahmen in der Absicht,
sich oder anderen unverhältnismäßige Vermögensvorteile
zuzuwenden, fremde Vermögensbestandteile an sich gebracht oder anderen
Personen zugeschoben oder sonst jemandem an seinem Vermögen Schaden zugefügt
hat.
1. Als durch Ausnützung der nationalsozialistischen Machtergreifung oder
Ausnützung der nationalsozialistischen Einrichtungen und Maßnahmen
bewirkt war eine Vermögensübertragung dann anzusehen, wenn sie ohne
diese Machtergreifung bzw. ohne die Einrichtungen und Maßnahmen des
Nationalsozialismus nicht oder nicht in gleicher Weise erfolgt wäre.
Das Wort »Ausnützen« weist aber auch eindeutig darauf hin,
dass der Täter sich der durch die nationalsozialistische Machtergreifung
geschaffenen Lage bewusst bedient haben musste. Die Umstände, deren Ausnützung
tatbildlich sein sollte, waren weit gefasst: Es genügte die »Ausnützung
der durch den Nationalsozialismus geschaffenen (besonderen politischen) Lage
schlechthin«.
2. Vermögensvorteile hat ein Täter dann erlangt, wenn er »in
eine gegenüber seinen früheren Verhältnissen günstigere
wirtschaftliche Lage gekommen ist«. Dies bedeutet, dass nicht nur Eigentumserwerb
oder rechtsförmige Einweisung in die Nutzung von Teilen fremden Vermögens
solche »Vermögensvorteile« bewirken kann, sondern auch die
Erlangung bloßer faktischer Verfügungsgewalt über Sachen oder
Rechte, wie z. B. von Maschinen oder patentrechtlich geschützter Herstellungsverfahren.
3. Unverhältnismäßig ist ein erlangter Vermögensvorteil
regelmäßig immer dann anzusehen, wenn im Falle entgeltlicher Geschäfte
»ein auffallendes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung«
vorliegt, aber selbstverständlich auch dann, wenn (wie im Falle der Plünderung
oder bei erpressten »Geschenken«) überhaupt keine Gegenleistung
erbracht wird.
4. Als fremde Vermögensbestandteile sind alle zunächst nicht dem
Täter gehörigen bzw. zustehenden Sachen und Rechte von wirtschaftlichem
Wert zu verstehen.
5. Drei Begehungsweisen reichen zur Herstellung des Tatbestandes hin:
a) Das Ansichbringen fremder Vermögensbestandteile durch den Täter,
d.h. die Erlangung rechtlicher oder faktischer Verfügungsgewalt über
diese Vermögenschaften;
b) das Zuschieben fremder Vermögensbestandteile, d. h. die Verschaffung
der zu a) erwähnten Verfügungsgewalt an Dritte durch das Verhalten
des Täters; schließlich noch,
c) dass der Täter sonst jemanden in seinem Vermögen schädigt.
Diese letzte Begehungsweise deckt gleichsam als »Generalklausel«
alle nur möglichen einschlägigen Tathandlungen ab.
E. Innere Tatseite: Der Täter muss vorsätzlich handeln. Bedingter
Vorsatz genügt. Der vom (historischen) Gesetzgeber verwendete Ausdruck
»Absicht« bezeichnet nicht die heute im § 5 Abs.(2) StGB
normierte Schuldform der Absichtlichkeit , sondern stellt lediglich das Erfordernis
auf, dass als zusätzliches Schuldelement der (allenfalls nur bedingte)
Vorsatz des Täters auch darauf gerichtet sein muss, sich oder anderen
unverhältnismäßige Vermögensvorteile zuzuwenden. Der
bloße Vorsatz, ein gutes Geschäft machen zu wollen, genügt
zur Herstellung der subjektiven Tatseite daher nicht.
Wie schon weiter oben ausgeführt (siehe B 1.) musste der Vorsatz des
Täters auch die Tatsache umfassen, dass der von ihm angestrebte günstige
Erwerb durch die vom NS geschaffene besondere Lage erst ermöglicht wurde.
C. Zeitliche Einschränkung: Die Tat mußte in der Zeit der nationalsozialistischen
(Gewalt)Herrschaft begangen worden sein.
D. Strafdrohung: Die Grundstrafdrohung für das nicht weiter beschwerte
Delikt betrug 1 bis 5 Jahre Kerker. Hatte der Täter bedeutende Vermögensvorteile
erlangt oder empfindlichen Schaden angerichtet, konnte schwerer Kerker in
der Dauer von 5 bis 10 Jahren verhängt werden.
.Die Besprechung der einzelnen Bestimmungen des KVG erfolgt anhand des Wortlautes
des KVG 1947 (BGBl. Nr. 198/1947).
.Die Bestimmung des § 5a KVG wurde in das Verfassungsgesetz vom 26. Juni
1945 StGBl. Nr. 32, über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische
Untaten (Kriegsverbrechergesetz), mit Verfassungsgesetz vom 18. Oktober 1945,
betreffend eine Ergänzung des Kriegsverbrechergesetzes (Kriegsverbrechergesetznovelle)
eingefügt. Die Bestimmung sollte primär der Ahndung des Aussiedlungsverbrechens
an den Kärntner Slowenen dienen. An die verbrecherische Massendeportation
der Juden wurde zunächst nicht gedacht. Die Zahl der Verfahren nach §
5a KVG blieb vergleichsweise gering. Schuldsprüche nach dieser Gesetzesstelle
haben eher Seltenheitswert.
.Das Nationalsozialistengesetz. Das Verbotsgesetz 1947. Die damit zusammenhängenden
Spezialgesetze, kommentiert und hrsg. von Dr. Ludwig Heller, Dr. Edwin Loebenstein
und Priv.Doz. Dr. Leopold Werner, Wien 1948, S. II/136 (künftig: NSGKommentar).
.NSGKommentar, S. II/139.
.OGH, 16.6.1948, EvBl. Nr. 756/1948.
Anmerkung: »EvBl.« Verweist auf das »Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen«,
einen ständigen Bestandteil jeder Nummer der Österreichischen Juristenzeitung
(ÖJZ). Zitiert wird durch Angabe der laufenden Nummer der Entscheidung
und des Jahrganges der ÖJZ.
.Josef Peither, Zum Kriegsverbrechergesetz, in: ÖJZ, Nr. 1/1946, S. 11.
.OGH, 16.6.1948, EvBl. Nr. 756/1948.
.Absichtlich (im Sinne des § 5 Abs.2 StGB) handelt ein Täter, der
einen Sachverhalt nicht nur verwirklichen will, sondern dem es geradezu darauf
ankommt, den tatbildmäßigen Erfolg herbeizuführen.
.Delikt mit intensivierter Innentendenz Tendenzdelikt.
.OGH. 20.6.1947, EvBl. Nr. 524/1947.
|
Heinrich Gallhuber / Eva Holpfer
erschienen in "Justiz und Erinnerung" Nr. 3
|
|