Am 29. März 2005 jährte sich zum 60. Mal der
Todesmarsch der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter vom Lager Engerau
(heute Petržalka / Bratislava) über Hainburg nach Bad Deutsch-Altenburg,
bei dem mehr als hundert Menschen erschossen, erschlagen und zu Tode misshandelt
wurden. Die nationalsozialistischen Behörden richteten Ende November
1944 u. a. das Lager Engerau für Schanzarbeiten beim Bau des so genannten
„Südostwalles“ ein. Bereits bis zur Evakuierung des Lagers
vor der heranrückenden sowjetischen Armee Ende März 1945 kamen Hunderte
ungarische Juden aufgrund der unvorstellbaren hygienischen Bedingungen und
aufgrund von Misshandlungen ums Leben oder wurden von der Wachmannschaft ermordet.
Auszug aus der Aussage des Zeugen Nikolaus Auspitz
vor einem ungarischen Volksgericht, die dem Wiener Volksgericht 1946 zur Verfügung
gestellt wurde (in ungarischer Sprache mit deutscher Übersetzung; LG
Wien Vg 1c Vr 3015/45 [3. Engerau-Prozess / 5. Band]):
„Tagwache beim Morgengrauen um 5 Uhr, um
1/2 6 Uhr mussten wir draußen stehen auf der Chaussee, wo wir 1/2
- 1 Stunde warten mussten, in der schrecklichsten Kälte, mit steifgefrorenen
Gliedern, auf den Lagerkommandanten, der angekommen den Mannschaftsstand
entgegennahm und wenn es ihm einfiel – leider fast jeden Tag –
in die Baracke hineinging, um die Kranken ,zu kontrollieren‘, deren
größten Teil er mit dem Stocke heraus trieb, zumeist befanden
sich diese in einem derart schweren Zustand, dass sie nach der Arbeit dieses
Tages, nachdem sie sich nach der Arbeit, am Abend zu Bett begeben hatten,
nie mehr zum Leben erwachten.
Vom Frühappell mit erfrorenen Füßen und offenen Wunden,
im Laufschritt zur Küche, der Begleiter hat während des ganzen
Weges, wen er traf, mit den Füßen getreten oder mit dem Stocke
geschlagen.
Die Früh-Austeilung für die Menge von 2000 Ausrückenden,
das tägliche Brot und die zweitägige Ration von Margarine, in
der Größe eines Stückes Würfel-Zucker musste binnen
kaum einer halben Stunde erfolgen. Bei der Verteilung haben bei täglicher
Ablösung, mehrere Schergen den ,Dienst‘ versehen, der daraus
bestand, dass sie das als ,Schwarzen‘ bezeichnete schmutzige warme
Wasser von 3 Dezi so einteilten, dass ein Teil davon auf unsere Hände
geschüttet werde, wir hatten auch dazu kaum Zeit, um das was in der
Essschale zurückblieb zu verzehren, da inzwischen auch die Tages-Ration
an Brot (33 Deka) ausgeteilt wurde, so, dass 6 Männer 1 Stück
Brot von ca. 200 Dkgr. erhielten, und es bedeutete das Leben, dass jeder
genau seine Ration erhalte, lieber hat man den Schwarzen ausgeschüttet,
nur um bei der Brotverteilung ja nicht zu spät zu kommen und, dass
man auch das Margarin erhalte. Dieser traurige Kampf um Leben und Tod hat
sich täglich wiederholt, erschwert durch die ständigen Stock-
und Knüppel-Schläge der Wache.
Nach dem ,Frühstück‘, Abgehen zum Arbeitsplatz, der sich
ca. 5 - 6 km weiter befand. Die Arbeit musste um 7 Uhr unbedingt begonnen
werden, was aus Schanzarbeit und damit zusammenhängenden sehr schweren
Erdarbeiten bestand. Wenn Vormittag kein Flieger-Einflug war, so kam in
der Zeit von 12 - 15 Uhr der Wagen mit dem Mittagessen. Das Essen bestand
aus Suppe aus Futterrüben oder aus Gerstengraupen, sehr selten aber
aus einigen ungewaschenen, ungeschälten, verfaulten Stückerln
Kartoffeln. Nach der Menge nach erhielten wir etwa 4 Dclt. – auch
das wurde mit dem Löffel ausgeteilt, natürlicherweise war der
Löffel auch nicht ganz voll. – Falls wir tagsüber Fliegeralarm
hatten, was fast jeden Tag der Fall war, so blieb das Mittagessen überhaupt
aus. Die Arbeit dauerte bis 5 Uhr abends, mit einer Mittagsunterbrechung
von Maximum einer Halbenstunde, dann kam Vergatterung, Schlägerei,
Einrückung, Nachtmahl – dasselbe wie das Mittagessen –,
Schlafengehen, richtiger gesagt: Zusammenbrechen.
Die Ausrückung zur Arbeit konnte durch kein Gewitter, Regen, keinen
Schneesturm verhindert werden. Während der ganzen in Engerau erlittenen
Zeit von ungefähr 5 Monaten ist überhaupt nur ein einziges Mal
vorgekommen, dass wir Elendigen vom Arbeitsplatz wegen Schneesturm zurückbeordert
wurden, sonst aber erstarrten unsere Gliedmaßen vergeblich derart,
dass die Krampe oder die Schaufel durch das Erleiden des ganztägigen
Eisregens uns aus der Hand fiel, von einer Einrückung konnte keine
Rede sein, unsere Wachmannschaft zwang uns von den geschützten Stellen
mit der Waffe weg, zur Fortsetzung der Arbeit. Einen solchen schaurigen
Tag, wie es der 13. Dezember 1944 war, wird auch derjenige der alles überlebt
hat und vergessen kann, niemals vergessen! Als wir am Abend in unsere Kammer
gelangten, die ausgerückte Menge etwa 100 Personen, ist wie eine Lumpenmasse
niedergefallen, auf die schmutzige, nasse, stinkige Strohlagerstätte
und brach in bitteres Schluchzen aus, es kam uns zu Bewusstsein, dass das
keine Menschen sind, das sind teuflische Satans und wir können unsere
Familien, unsere Lieben, nie mehr wiedersehen, denn aus dieser Hölle
ist kein Entrinnen. Wir hätten es als Glück begrüßt,
wenn man uns sofort [...] das Leben genommen und so unserem Leiden ein Ende
bereitet hätte. Aber dies wäre ein viel zu leichtes Sterben für
uns gewesen, das wollten sie nicht!
Ich habe mich am 28. Dezember 1944 zum letzten Male gewaschen, am anderen
Tag ist der neben der Baracke befindliche Brunnen zugefroren und ich wäre
irgendwann zu Ende März in die Lage gekommen, mich wieder etwas waschen
zu können. Inzwischen haben Millionen von Läusen den Menschen
befallen, die Arbeit, das Hungern, die Schläge, das ungewisse Schicksal
hat den Widerstand der Menschen gebrochen, unsere ersten Toten hatten wir
am 16. Dezember, ergriffen standen wir bei der Leiche unseres Kameraden.
Am 18. folgte der Nächste, sodann der Dritte, Vierte, die Ergriffenheit
fand ein Ende, betroffen sahen wir unser eigenes Schicksal an uns herankommen,
alles hat ein Ende! Meine armen Kameraden sind auch mit erfrörten [sic],
brandigen Gliedern hinaus zur Arbeit, denn wer nur einmal liegen blieb,
der stand nimmer auf, und doch wollten wir alle am Leben bleiben, um unseren
Folterern, unseren Mördern noch gegenüber zu stehen. Leider wurde
dies nur sehr wenigen von uns zuteil, unsere unglücklichen Kameraden
sind dort, am Rande des Engerauer Friedhofes, in den Massengräbern
liegen sie, wohin sie [...] hineingeworfen wurden, und sie alle schreien
aus dem Grabe um Gerechtigkeit, um Vergeltung.“
Berichte über Gedenkfahrten des Vereins zur Erforschung
nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Aufarbeitung nach Engerau/Petralka: 2005 2004 2003 2002